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15. Wahlperiode
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   9. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2005

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes

- Drucksache 16/45 -

(Erste Beratung 5. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

- Drucksache 16/227 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben

- Drucksache 16/54 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang Tiefensee.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute zwei Gesetzesvorhaben mit langen Titeln: Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz und Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz. Die Länge der Titel ist reziprok zur Wirkung, die diese beiden Gesetze haben sollen: Wir wollen einen Beitrag leisten, dass Planungsverfahren für Verkehrswege und weitere Infrastrukturvorhaben verkürzt werden, damit Investitionen schneller umgesetzt werden können. Ich denke, mit diesen beiden Gesetzesvorhaben unterstreicht die Regierung einmal mehr, dass sie zügig das verwirklicht, was in der Koalitionsvereinbarung steht, besonders an den Punkten, wo es um bessere Bedingungen für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum geht.

   Sie wissen, dass das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz im Osten bereits seit mehr als einem Jahrzehnt Wirkung entfaltet. Das ist ein wichtiger Aspekt. Wir wollen das, was sich im Osten bewährt hat, mit dem zweiten Gesetz auf das ganze Land übertragen.

   Wir wollen die Erstinstanzlichkeit - die Befassung mit bestimmten Vorhaben in nur einer gerichtlichen Instanz - auf die ganze Republik übertragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht, wissen aber auch, dass wir das Bundesverwaltungsgericht nicht überlasten dürfen. Aus diesem Grund werden im Gesetz 86 Vorhaben benannt - für Schienenwege, Straßenwege sowie Wasserwege -, die speziell unter diese Regelung fallen sollen.

   Wir haben eine ganze Reihe von Anregungen mit den Ländern diskutiert und in den Gesetzentwurf übernommen. Ich greife einige kurz heraus: Wir wollen bestimmte Vorarbeiten zur Bauvorbereitung im Verfahren ermöglichen. Mit anderen Worten: Wir werden Vorbereitungen nicht nur auf die Planung, sondern auch auf den Bau bezogen vorantreiben können. In bestimmten Fällen werden wir keine Erörterungstermine mehr brauchen; sie sollen beispielsweise dann entfallen, wenn keine Einwendungen von Bürgern vorliegen und keine Stellungnahmen auf dem Tisch liegen. Wir wollen reagieren, wenn bei Grundstücksfragen die entsprechenden Eigentümer nicht ortsansässig sind: Die Ermittlungszeiträume sollen verkürzt werden bzw. solche Ermittlungen sollen nicht mehr notwendig sein - um nur einige Beispiele zu nennen.

   Mit dem neuen Gesetz werden wir aber auch die Umweltbelange im Blick behalten: Wir werden alle Standards - sowohl bei den FFH-Gebieten als auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung - einhalten, wie das auch im Osten gang und gäbe war; es hat den Verfahren in dieser Beziehung nicht geschadet.

   Darüber hinaus setzen wir einen Akzent bei der Bürgerbeteiligung. Das ist wichtig auch für Bürgervereine und Bürgerinitiativen.

   Die Naturschutzverbände werden im Rahmen der so genannten Präklusion, beim Anhörungsrecht, was die Fristen angeht, den Bürgerinnen und Bürgern gleichgestellt. Das könnte ein Wermutstropfen sein. Ich denke, das ist zumutbar und führt zu einer weiteren Verkürzung.

   Summa summarum: Durch die Umsetzung dieser beiden Vorhaben können wir erreichen, dass die Dauer bestimmter Verfahren in ganz Deutschland, so wie das schon jetzt im Osten der Fall ist, um bis zu zwei Jahre verkürzt werden kann. Das ist ein Anreiz für Investoren, ist gut für Investitionen und gibt einen Impuls für die Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es gibt darüber hinaus vonseiten der Länder noch Ergänzungen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens natürlich eingebracht werden können und diskutiert werden. Wir haben schon eine Reihe von Vorschlägen aufgenommen.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich empfehle Ihnen heute die Annahme des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes. Dieses wird bis zum 31. Dezember 2006 verlängert, damit das Verfahren im Osten nicht abbricht; das neue Gesetz wird parallel dazu eingeführt, aber bitte nicht mit einer Frist von zwölf Monaten, sondern möglichst mit einer kürzeren Frist. Damit wollen wir ein deutliches Signal für einen wirtschaftlichen Aufschwung setzen. Dieser kommt den Menschen, der Baubranche, der Wirtschaft und damit unserem Land insgesamt zugute.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Jan Mücke, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Jan Mücke (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die beiden Gesetzesvorhaben, die heute zur Beratung auf dem Tisch liegen. Der Bereich der Verkehrsplanung ist ganz klar ein Feld für Bürokratieabbau. Wir als FDP stehen für Bürokratieabbau.

   Wir wissen, dass die Überregulierung in diesem Bereich - aber nicht nur in diesem - in unserem Land erheblich ist und dass großer Handlungsbedarf besteht, um insbesondere bei Verkehrsplanungen schneller zu Entscheidungen zu kommen. Wenn es einen Bereich gibt, in dem die Überregulierung in unserem Land anschaulich wird, dann im Bereich der Verkehrsplanungsgesetze. Die Abkürzung BRD steht nicht umsonst nicht nur für Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für „beinahe regelungsdicht“. Diese Regelungsdichte führt aber dazu, dass wir bei entscheidenden Verkehrsvorhaben sehr viel Zeit benötigen. Wir brauchen zu lange. Dadurch verschenken wir unsere Zukunft.

(Beifall bei der FDP)

   Wie sehr man seine Zukunft verschenken kann, möchte ich Ihnen an zwei Beispielen deutlich machen, die für jeden nachvollziehbar machen, wie wichtig es ist, dass wir zu einer deutlichen Straffung der Planungsverfahren kommen.

   Ich nenne Ihnen als erstes Beispiel den Bau des Riederwaldtunnels an der A 66 in Hessen. Die Planungen begannen 1971, der erste Anhörungstermin fand 1989 statt, der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses ist für das nächste Jahr vorgesehen. Bis heute ist dort also noch kein Bagger gefahren, bis heute ist dort noch keine Schaufel in die Hand genommen worden.

   Das zweite Beispiel ist die Ortsumfahrung von Weimar im Lahntal an der B 255. Der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses ist ebenfalls für das nächste Jahr vorgesehen. Der Erörterungstermin fand im vergangenen Jahr statt. Der Planungsbeginn war 1968.

(Ernst Burgbacher (FDP): So genannte Spät-68er!)

   Diese Planungsvorhaben sind deutlich älter als ich selber. Es kann doch nicht der Normalzustand sein, dass wir in Deutschland für eine Planung 37 Jahre benötigen. Hier wird die Zukunft unseres Landes verschenkt.

(Beifall bei der FDP)

   Als Land in der Mitte Europas sind wir ein Transitland. Wir sind ein Land mit großer wirtschaftlicher Bedeutung. Deswegen und weil damit auch Ansiedlungsentscheidungen von Unternehmen verbunden sind, sind wir auf vernünftige Verkehrswege angewiesen. Es ist also ganz wichtig, dass wir durch gestraffte Verfahren schneller zu Entscheidungen kommen. Das ist der überragende politische Aspekt bei diesen beiden Vorhaben, die heute auf dem Tisch liegen.

   Es gibt aber noch einen persönlichen Aspekt, der uns Politikern wichtig sein sollte. Es ist den Planern durchaus zu gönnen, dass sie die Umsetzung ihrer Planungen auch persönlich noch erleben können.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Minister Tiefensee, ich finde es deshalb sehr schön, dass auch Sie als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz jetzt für ein gutes Projekt halten;

(Ute Kumpf (SPD): Immer schon, junger Mann! Nicht so nassforsch!)

   denn wenn ich richtig informiert bin, hat die SPD-Bundestagsfraktion dem damaligen gemeinsamen Vorhaben der FDP-Bundestagsfraktion und der CDU/CSU-Fraktion, also dem der alten Koalition, 1991 nicht zugestimmt.

(Beifall bei der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Da habt ihr es! - Zuruf von der SPD: Waren Sie da schon geboren?)

Herr Minister, wir freuen uns sehr, dass Sie nun gemeinsam mit Ihrer Fraktion zu einer höheren Einsicht gelangt sind. Vielleicht können Sie ja auch ein Einsichtsbeschleunigungsgesetz machen. Dadurch könnten hier vielleicht viele Prozesse deutlich gestrafft werden.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Die Gesetze macht immer noch der Bundestag!)

   Wir stimmen heute der nochmaligen Verlängerung der Geltungsdauer des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes für die neuen Länder zu, wie wir das in den vergangenen Jahren auch schon getan haben, damit die begonnenen Planungsprozesse in den neuen Ländern nicht künstlich verlängert werden. Für uns ist es aber wichtig, dass wir ein einheitliches Planungsrecht für ganz Deutschland bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Ich betone, dass das Niveau dieses einheitlichen Planungsrechts so sein muss, das es wirklich möglich sein wird, schneller zu Entscheidungen zu kommen. Dabei gelten für uns einige wichtige Grundsätze.

   Ein wichtiger Grundsatz für uns ist, dass es für die Bürgerinnen und Bürger möglich sein muss, einen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Es macht gar keinen Sinn, dass das Bundesverwaltungsgericht Erstinstanz für Projekte mit einer so genannten überragenden verkehrlichen Bedeutung ist, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Ich komme später noch zur Definition der überragenden verkehrlichen Bedeutung. Es wäre wünschenswert, wenn wir hier zu einem effektiven Rechtsschutz kommen würden, das heißt, die Oberverwaltungsgerichte sollten Erstinstanz sein. Es ist eigentlich regelwidrig, dass das Bundesverwaltungsgericht Tatsacheninstanz ist. Das gibt es in keinem anderen Bereich in der Gerichtsorganisation. Die Bundesgerichte sind dafür zuständig, Rechtsfehler zu beheben, und sie sind nicht dazu da, Tatsachen zu erheben.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb sind wir dafür, dass die Oberverwaltungsgerichte bei diesen Projekten Erstinstanz sind.

   Das führt auch nicht zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die Oberverwaltungsgerichte sehr schnell arbeiten können, da sie sehr viel einfacher als das Bundesverwaltungsgericht einen Termin machen können. Die Zahlen in der Statistik zeigen auch, dass bisher nur circa 2 Prozent aller Fälle beim Bundesverwaltungsgericht gelandet sind. Deshalb denke ich, dass es zumutbar und kein großes Risiko ist, dass die Oberverwaltungsgerichte Erstinstanz werden.

   Ein ganz wesentlicher Punkt ist die Beteiligung der Bürger; der Herr Bundesminister hat es angesprochen. Wir legen als Rechtsstaatspartei natürlich auch Wert darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen effektiv wahrnehmen können. Sie können ihre Interessen aber immer dann nicht effektiv wahrnehmen, wenn es Erörterungstermine gibt, zu denen 2 000 Betroffene geladen sind und auf denen jeder versucht, sein Anliegen vorzubringen. Teilweise werden dort auch Anliegen vorgebracht, die gar nicht persönlich begründet sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht und aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion völlig sinnlos, an den Anhörungsterminen als einer Art Mammutveranstaltung festzuhalten. Wir müssen hier zu einer deutlichen Straffung kommen. Wir können uns vorstellen, dass man das Verfahren in diesem Bereich durch eine gezielte Ansprache der wirklich Betroffenen deutlich strafft.

(Beifall bei der FDP - Ute Kumpf (SPD): Ich habe gedacht, die FDP sei auch eine Bürgerrechtspartei! Was ist denn mit den Bürgerrechten? Keine Ahnung!)

   Ich komme zu den letzten zwei Aspekten, dann bin ich am Ende meiner Rede. Wir wollen nicht, dass man die Geltungsdauer von Planfeststellungsbeschlüssen bis in alle Ewigkeit verlängern kann, und wir wollen auch nicht, dass man Vorratsplanung betreibt, wie das in den letzten Jahren bedauerlicherweise Einzug gehalten hat. Wir wollen, dass ein Planfeststellungsbeschluss zehn Jahre lang gilt und dann verfällt und dass keine Verlängerungsmöglichkeit besteht. Einen entsprechenden Änderungsantrag werden wir in das Gesetzgebungsverfahren einbringen. Wer nach zehn Jahren nicht gebaut hat, der hat keine wirklich ernsthafte Bauabsicht. Deshalb ist es nicht zumutbar, dass wir Planungsverfahren über Jahrzehnte hinweg fortführen. Es muss erreicht werden, dass man schnell plant, dann aber auch schnell umsetzt.

Herr Bundesminister, ich komme zum letzten Aspekt. Das beste Baurecht und die schönsten Planfeststellungsbeschlüsse nützen gar nichts, wenn kein Geld vorhanden ist, um die Planfeststellungsbeschlüsse umzusetzen.

(Ute Kumpf (SPD): Das sagen Sie mal den Menschen vor Ort und den Bürgermeistern!)

Deshalb wünschen wir Ihnen viel Spaß und vor allen Dingen viel Erfolg dabei, wenn Sie mit Ihrem Kollegen Finanzminister über die Finanzierung dieser Bundesprojekte reden. Wir sind gespannt, ob es dann wirklich zu einer Beschleunigung bei den Planungsverfahren und vor allen Dingen bei der Umsetzung dieser Planung kommt.

   Ihnen persönlich wünschen wir alles Gute und Ihnen, meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die ungeteilte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Mücke, dies war Ihre erste Rede. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre weitere Arbeit!

(Beifall)

   Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die heute geltenden Vorschriften zur Planung des Baus und der Veränderung von Verkehrswegen werden den Anforderungen, die man an zügige Entscheidungsprozesse und an eine zügige Umsetzung stellen muss, in keiner Weise mehr gerecht. Sie entsprechen insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland in der Mitte Europas befinden, die EU-Osterweiterung unsere zentrale Position noch gestärkt hat, neue Verkehrsströme auf uns zukommen, nicht mehr den europäischen Anforderungen, weder in Bezug auf Transparenz noch auf die nötige Schnelligkeit. Deshalb ist es ein guter Ansatz, dass wir hier und heute anfangen, daran etwas zu ändern.

   Das ist die Voraussetzung dafür, um mit einem funktionierenden Logistikmarkt zusätzliche Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Unsere zentrale Lage in Europa bedingt geradezu, dass wir diese Chance ergreifen und sie nicht verstreichen lassen. Hier muss Wachstum entstehen. Das können wir dann erreichen, wenn wir die Entscheidungsprozesse stark beschleunigen. Dazu haben wir heute den entsprechenden Einstieg vorbereitet.

   Ich will aber auch deutlich machen, dass Infrastruktur mehr als nur Straße ist. Wir werden den Energiebereich in den nächsten Jahren neu ordnen müssen. Das ist für die Bundesrepublik von ganz entscheidender Bedeutung. Ein Nachholbedarf in der Größenordnung von mehrstelligen Milliardensummen Euro an Investitionen in Großprojekte ist vorhanden. Diese Großprojekte müssen zügig angegangen werden.

   Wenn wir diese Großprojekte angehen, werden sich natürlich für den Leitungsbau neue Anforderungen und Herausforderungen ergeben. Auch das müssen wir gestalten können. Das werden wir zügig umsetzen müssen. Ein Kraftwerk, das nicht an den Ballungsraum angeschlossen ist, den es mit Strom beliefern soll, macht schlechthin keinen Sinn. Wenn wir, was wir ja vorhaben, zum Beispiel im Offshorebereich neue Anlagen bauen und in diesem Bereich in andere Dimensionen vorstoßen wollen, dann bedingt das natürlich auch, dass wir an den Leitungsbau denken, um vom Offshorebereich hin zu den Ballungszentren in unserem Land eine entsprechende Stromversorgung zu gewährleisten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich will auf den Gasbereich gar nicht mehr eingehen. Diese Positionen sind unabweisbar notwendig.

   Wir können - Minister Tiefensee hat dies angesprochen - auf einen Erfolg in den neuen Bundesländern zurückschauen. Die Entscheidung, die wir damals getroffen haben, war gut. Sie hat dazu geführt, dass wir in den neuen Bundesländern gut vorangekommen sind. Es muss erlaubt sein, darauf zu verweisen, wie sich nach 1990 andere Länder im Osten hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur entwickelt haben und was wir in den neuen Bundesländern erreichen konnten. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel. Ich will nicht sagen, dass die Entwicklung damit abgeschlossen ist; denn vor uns liegen noch Aufgaben, denen wir uns werden stellen müssen.

   Sicher ist, dass wir dies dann, wenn wir dieses Gesetz weiter gelten lassen, tun können. Ich glaube, dass das, was für die neuen Bundesländer gut war, auch für die alten Bundesländer gut ist. Diese Vorstellung habe ich schon immer gehegt. Sie war bislang nicht umzusetzen. Insofern sind wir jetzt in der Umsetzung dieser Vorstellung ein gutes Stück weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten dabei Vorstellungen, Vorschläge, Anregungen und Ideen einbeziehen, die aus den Bundesländern, etwa aus Hessen und Schleswig-Holstein, kommen. Ich glaube, das ist wichtig. Die Effizienz des Gesetzgebungsvorhabens könnte durch das, was wir hier miteinander sorgfältig diskutieren und prüfen werden, gestärkt werden. Ich sehe gute Ansätze darin, in einem gemeinsamen Denkprozess konstruktive Lösungen für unser Land zu finden. Wir sollten das aufgreifen und entsprechend umsetzen.

   Zu einem späteren Zeitpunkt sollten wir vielleicht auch darüber nachdenken, Herr Minister, unsererseits Initiativen in die Europäische Union einzubringen, um auch auf dieser Ebene einen Beschleunigungsprozess einzuleiten und den Bürokratieabbau voranzutreiben. Wir können heute unser Land nicht mehr isoliert betrachten. Wenn wir uns nicht damit befassen, was auf europäischer Ebene passiert, werden wir in der Bundesrepublik nicht weiterkommen. Wir werden dies frühzeitig tun müssen. Das sollten wir auch in dieser Debatte berücksichtigen.

   Herr Kollege Mücke, Sie haben zu Recht festgestellt, dass allein die Schaffung von Planungsrecht nicht ausreicht. Ich glaube deshalb, dass der Ansatz der Koalition zu begrüßen ist, trotz der schwierigen Haushaltslage die Mittel für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zu erhöhen. Wir werden diesen Ansatz nach Kräften unterstützen, weil das der Komplementärbereich zur Umsetzung des Planungsrechts ist.

   Wir wollen mehr Maßnahmen realisieren - sei es im Bereich der Straße, sei es im Bereich der Bahn -, aber wir sollten sie gemeinschaftlich angehen und umsetzen. Wir sollten nicht nur den Bestand erhalten, sondern auch den Neubau forcieren. Der Ansatz der Koalition ist gut und wir sollten ihn gemeinschaftlich tragen.

   Damit werden auch über die Bundesrepublik Deutschland hinaus Zeichen gesetzt. Wer jetzt von außen nach Deutschland blickt, erkennt, dass wir den Bürokratieabbau angehen und etwas für konjunkturelle Entwicklung, Wachstum und Arbeitsplätze tun wollen. Ich glaube, das ist auch für ausländische Investoren ein entscheidender Anreiz, sich für die Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden. Wir sollten in diesen Prozess auch neue Finanzierungsinstrumente einbringen und nach Möglichkeiten suchen, um die öffentlich-privaten Partnerschaften noch stärker als bisher für unseren Part der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zu nutzen und die Umsetzung mit neuen Managementgesellschaften zu begleiten.

   Alles in allem sehe ich einen positiven Gesamtansatz. Es handelt sich nicht um eine enge Beschränkung auf scheibchenweise Maßnahmen; wir denken vielmehr im System. Damit werden wir weiterkommen. Das wird der Bundesrepublik Deutschland und der Schaffung von Arbeitsplätzen zugute kommen. Deshalb sollten wir das gemeinsam anpacken. Wir sind dabei für neue Ideen offen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Da dies die letzte Sitzung vor Weihnachten ist, darf ich all denjenigen, die ich bis dahin nicht mehr sehen werde, ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herzlichen Dank, Kollege Lippold, für die freundlichen Wünsche.

   Ich erteile der Kollegin Dorothee Menzner, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dorothee Menzner (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf auf Drucksache 16/45 soll ein stets umstrittenes Gesetz nochmals - diesmal um ein Jahr - in seiner Geltungsdauer verlängert werden. Bildlich gesehen geht es darum, im Advent schnell noch ein paar Türchen zu öffnen, damit noch mehr Beton in die Landschaft gepumpt werden kann,

(Beifall bei der LINKEN)

getreu der Devise: mehr Infrastruktur gleich mehr Wettbewerb gleich mehr Arbeit. Dem ist aber nicht so.

   Die bestens ausgebauten Verkehrswege stärken längst die Kerngebiete und weniger die ländlichen Regionen. Die schnellen Verbindungen tragen längst mit dazu bei, die Regionen buchstäblich auszuwaschen. Immer mehr Menschen müssen der Arbeit hinterherfahren, immer öfter und über immer weitere Entfernungen. Welch ein Armutszeugnis der Verkehrspolitik!

(Beifall bei der LINKEN - Hans-Joachim Hacker (SPD): Wo kommen Sie denn her?)

   Der Kurzschluss zwischen Infrastruktur und Arbeit führt in die falsche Richtung. Er wird noch fragwürdiger, wenn er zulasten der Lebensräume oder der Rechte der Anwohner geht. Genau dies steckt hinter dem Wortungetüm „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz“. Dies lehnt die Linke im Deutschen Bundestag ab.

(Beifall bei der LINKEN)

   Zur Begründung beziehe ich mich auf den Erfahrungsbericht der vorherigen Bundesregierung auf Drucksache 15/2311, in dem auf Seite 13 festgestellt wurde, dass die Sondersituation in den neuen Ländern nicht mehr besteht. In der Tat ist der Nachholbedarf weitgehend gedeckt. Die vereinfachten Planungsverfahren, die verkürzten Bearbeitungsfristen und das verengte Klagerecht haben keine aktuelle Bedeutung mehr.

Ich komme nun zu dem gravierend weiter reichenden Gesetzentwurf auf Drucksache 16/54. Offenbar will die Bundesregierung damit das beschnittene Planungsrecht, das bisher nur im Osten unseres Landes gilt, bundesweit zementieren, und zwar für 58 Fernstraßenprojekte, 22 Eisenbahnstrecken, sechs Wasserstraßen, imaginäre Transrapidstrecken, eine nach oben offene Zahl an Flugplätzen und letztlich auch für Energiefernleitungen - all das vor der Kulisse, dass etliche Projekte in einer ganzen Reihe von Bundesländern schon längst die Baureife erlangt haben und in der Schublade liegen. Wer sich dazu umhorcht, wird Erstaunliches hören. Es soll Bundesländer geben, in denen baureife und komplett durchgeplante Verkehrsprojekte mit einem Volumen von rund 1 Milliarde Euro in der Schublade liegen. Hier muss keine Planung mehr erfolgen oder beschleunigt werden. Man könnte längst bauen. Das Einzige, was fehlt, ist das liebe Geld.

   Nun soll sozusagen Plan B hinzukommen, weil nicht annähernd genug Geld für Hunderte Projekte da ist, die bereits als Bedarf gelistet sind. Für eine ungewisse Zahl weiterer Projekte will man jetzt offenbar das große Los und die freie Auswahl. Man will den Bulldozern weitere Flächen zum Fraß vorwerfen, dabei die Bearbeitungsfristen kürzen, die Pflicht, die Planungen bekannt zu machen, ausdünnen und die Klagezuständigkeit dem Bundesverwaltungsgericht alleine anlasten. Mit Verlaub, werte Kolleginnen und Kollegen, mit einem solchen Plan B werden wir uns einen Bärendienst erweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn bei allen Projekten, für die der Plan B, das verkürzte Klagerecht, gelten soll, könnten die Bürgerinnen und Bürger dann munter darauf losklagen. Sie könnten vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und in der Sache einwenden, dass die Oberverwaltungsgerichte nichts mehr zu melden hätten. Dann würde gewaltig gebremst statt beschleunigt.

   Lassen wir das! Besinnen wir uns und nehmen wir hier und heute den Grundsatz der Nachhaltigkeit mit in das neue Jahr!

(Beifall bei der LINKEN)

Alles, was der Bundestag beschließt, sollte sowohl sozial als auch ökologisch und ökonomisch selbsttragend sein. Beachten wir deshalb zukünftig stärker die Sogeffekte, den wirklichen Bedarf und die so genannten Null-plus-Varianten! Vielleicht schaffen wir es, dass dann nur noch dort in neue Fernstraßen investiert wird, wo der Autostau wirklich nicht anders abzuwenden ist.

   Wir fordern: Schluss mit ellenlangen Listen mit angeblich vordringlichen Verkehrsprojekten! Schluss mit dem erklärten Bedarf! Bringen wir die Verkehrsentwicklung so voran, dass sie tatsächlich nachhaltig ist! Es täte uns allen gut, wenn wir uns stärker an den Bedürfnissen der Fußgänger und Fahrradfahrer sowie an den Belangen der öffentlichen Verkehrsmittel orientierten. Beziehen wir deren Interessengemeinschaften und Verbände in unsere Arbeit ein!

(Beifall bei der LINKEN)

   In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine besinnliche Weihnacht und ein erfreuliches neues Jahr.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Hettlich, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz ist eine unendliche Geschichte. Wir haben in der letzten Legislaturperiode darüber im Ausschuss in schöner Wiederkehr - jedes Jahr einmal - intensiv diskutiert. Bevor ich auf die erneute Verlängerung zu sprechen komme, möchte ich kurz rekapitulieren, warum das Gesetz damals in Kraft gesetzt worden ist.

   1991 war unser vordringlichstes Problem, dass in den neuen Bundesländern weder Behörden noch Planungskapazitäten in ausreichendem Maße bestanden. Hier gab es eindeutig Handlungsbedarf. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt war - daran können sich sicherlich viele erinnern - die Vielzahl ungeklärter Eigentumsverhältnisse. Auch hier bestand Handlungsbedarf. Der dritte Punkt war, dass Gerichtskapazitäten fehlten. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob damals in Sachsen schon Verwaltungsgerichte existierten. Jedenfalls waren die Kapazitäten deutlich zu gering, um die Probleme zu bewältigen. Das sind die Gründe dafür, dass das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz erarbeitet und in Kraft gesetzt wurde.

(Beifall des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Damals ist die Entscheidung getroffen worden, den Instanzenweg auf eine Instanz, das Bundesverwaltungsgericht, zu verengen. Das war eine Sondersituation. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Wir Grüne hatten zwar immer Probleme mit der Einschränkung der Bürgerrechte in diesem Fall. Aber wir waren der Meinung, dass man damit leben kann.

   Heute, 15 Jahre danach, kann von einer Sondersituation keine Rede mehr sein. Ganz im Gegenteil: In Ostdeutschland sind genau diese Instanzen bestens ausgebaut.

   Die Infrastruktur in diesem Bereich ist vorbildlich. Sie ist sogar besser als in Westdeutschland. An dieser Stelle jedenfalls - das muss ich deutlich sagen - gibt es keine Probleme mehr. Daher gibt es aus unserer Sicht keine Rechtfertigung, das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz um ein weiteres Jahr zu verlängern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Wir haben schon am Mittwoch im Verkehrsausschuss darüber debattiert. Der Kollege Friedrich hat darauf hingewiesen - da sind wir einer Meinung gewesen -, dass die großen Verkehrsprojekte in Ostdeutschland schon alle gebaut bzw. im Bau oder planfestgestellt sind. Schauen wir uns die Planvorrangliste aus dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz an. Da finde ich keine einzige Autobahn mehr in Ostdeutschland, sondern nur noch Bundesstraßen oder Ortsumfahrungen. Da finden sich durchaus auch wichtige Projekte - das ist keine Frage und das will ich nicht bestreiten -, aber eines ist doch klar: Die großen Projekte in Ostdeutschland sind gebaut. Dafür brauchen wir kein Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Sie liefern uns mit genau diesem Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben und der Projektvorrangliste den Beweis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Um es deutlich zu machen: Wir sind nicht gegen eine Planungsbeschleunigung. Das anzunehmen wäre ein großer Irrtum. Ich sage aber auch: Die Planung muss transparent, nachvollziehbar und demokratisch sein. An diesem Grundsatz werden wir festhalten. Für mich ist die Qualität der Planung wichtig, nicht die Beschleunigung. Ich frage hier in die Runde und werde auch in den nächsten Jahren immer wieder im Ministerium bei Mängeln nachfragen. Verzögerungen bei Projekten wie der A 38 sind zum Teil - aus meiner Sicht jedenfalls - auch mit Planungsmängeln zu erklären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer ein Tagebaugebiet durchquert, muss wissen, dass er bei Gründungsmaßnahmen auf Probleme stößt. Ich frage mich: Hat die Beschleunigung der Planung möglicherweise dort zu Planungsmängeln geführt? Die Kosten, die dort entstehen - übrigens auch bei der A 17 -, bedeuten nichts anderes, als dass dieses Geld später anderen Verkehrsprojekten, beispielsweise in Sachsen, nicht mehr zur Verfügung steht. Das können wir nicht dulden und das können wir nicht akzeptieren. Da verkehrt sich Planungsbeschleunigung in ihr Gegenteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiteres Problem sind aus meiner Sicht weniger die planfestgestellten Projekte - das hat eben auch der Kollege Mücke gesagt -, sondern die Tatsache, dass wir keine Prioritäten setzen. Welche Projekte sind eigentlich für uns wichtig und welche sind für uns weniger wichtig? Geht man nach den Wünschen, die aus den Wahlkreisen bzw. Landkreisen kommen, dann sind alle Projekte gleich wichtig. Deswegen wird alles in gleicher Weise geplant. Dadurch kommt es zu einem erheblichen Planungsüberhang. Das ist in Ostdeutschland vielleicht nicht so ausgeprägt, aber in Baden-Württemberg gibt es nach Auskunft meines Kollegen Winfried Hermann planfestgestellte Projekte mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro, in Bayern beläuft sich das Volumen der planfestgestellten Projekte auf 750 Millionen Euro. Das zeigt ganz deutlich, dass das Problem nicht die Planungsbeschleunigung ist, sondern dass die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen und dass keine Prioritäten gesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Kurz und gut: Aus unserer Sicht hat das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz seine Schuldigkeit getan. Es sollte ins Haus der Geschichte überwiesen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ute Kumpf (SPD): Das ist in Stuttgart!)

   Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz weist viele Parallelen zu dem Gesetz auf, das wir eben besprochen haben. Die Beschränkung auf eine Instanz ist für uns wirklich ein Problem. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes, Professor Hien, hat immer wieder deutlich gesagt, dass die Kapazitäten seines Gerichts bei weitem nicht ausreichen, um sich mit den möglichen Klagen auseinander zu setzen. Er will entweder einen zweiten Senat, vielleicht sogar einen dritten Senat, oder er kann diese Arbeit nach eigener Aussage nicht mehr leisten. Es wäre ein Treppenwitz, wenn wir das Bundesverwaltungsgericht zum Flaschenhals einer Planungsbeschleunigung machen würden. Wenn es diese Vielzahl von neuen Projekten gäbe, würden wir im Bundesverwaltungsgericht diesen Flaschenhals produzieren.

   Lieber Kollege Mücke, ich finde Ihren Hinweis auf das Oberverwaltungsgericht gut. Aber auch die Oberverwaltungsgerichte haben nur begrenzte Kapazitäten. Wir müssen uns schon überlegen, worauf wir das Augenmerk legen. Nur 5 Prozent der Projekte, die beklagt werden, gehen tatsächlich in die nächste Instanz. Wir sind der Meinung, dass die Eininstanzlichkeit entbehrlich ist. Ein FDP-Kollege aus dem hessischen Landtag, der ehemalige Staatsminister Posch, hat eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten. Ich zitiere: Ganz abgesehen davon, dass ich persönlich es für problematisch halte, den Rechtsweg so drastisch zu verkürzen, ist dies der völlig falsche Ansatz; denn die Verfahrensdauer bei Gericht ist nicht das Problem, sondern die Dauer der Verfahren selbst einschließlich der vorbereitenden Aufgaben und Arbeiten. - Dem kann ich nichts hinzufügen. Wir sollten uns daher intensiv mit diesem Gesetz auseinander setzen und es kritisch anschauen.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Es ist immer gut, bei der FDP Minister zu sein! Die Leute sind nun einmal gut!)

   Zum Schluss möchte ich auf die Verlängerung der Gültigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen zu sprechen kommen. Herr Mücke hat bereits darauf hingewiesen: Fünf plus fünf ist zehn; wir wollten immer an der bisherigen Regelung festhalten. Da kann man sich einigen. Folgendes zeigt sich ganz deutlich: Wenn wir mit planfestgestellten Beschlüssen an dieser Stelle kein Problem hätten, dann hätten Sie in den Koalitionsvertrag nicht hineinschreiben müssen, dass die Geltungsdauer dieser Beschlüsse verlängert wird, nämlich auf „zehn plus fünf“. Damit geben Sie doch zu, dass die Planfeststellung in Deutschland, auch in Westdeutschland, offensichtlich kein Problem darstellt.

   Lassen Sie uns versuchen, diese Angelegenheit zu versachlichen. Lassen Sie uns in den nächsten Monaten versuchen, im Ausschuss Argumente auszutauschen und zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Aber wir werden eine inhaltliche Auseinandersetzung - auch in aller gebotenen Schärfe - nicht scheuen.

   Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit, ein frohes Fest und einen guten Rutsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Joachim Hacker, SPD-Fraktion.

Hans-Joachim Hacker (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hettlich, Ihren Appell nehmen wir gern auf. Wir werden im Ausschuss über die Fragen, die Sie angesprochen haben, sicherlich sehr sachlich diskutieren und wir werden am Ende eine sachgerechte Lösung finden.

(Beifall bei der SPD)

Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - ein Wortungetüm - gilt noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Wir werden den Geltungszeitraum dieses Gesetzes heute um ein Jahr verlängern. Das ist notwendig, weil in den neuen Bundesländern eine Reihe von Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs des Bundesverkehrswegeplans 2003 noch nicht über die Verfahrensreife verfügt, die nötig ist, um ein beschleunigtes Planungsverfahren durchzuführen.

   Es gibt keinen Grund, bei diesen Vorhaben die positiven wachstums- und beschäftigungsfördernden Effekte dieses Gesetzes nicht anzuwenden. Ich wiederhole: Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Für Entbürokratisierung und für Beschleunigung von Planungsverfahren ist das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz ein Musterbeispiel gewesen. Wir sichern damit zugleich einen gleitenden Übergang zu einem gesamtdeutschen Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz. Wir brauchen diese Zeit einfach, um - Herr Minister hat darauf hingewiesen - hier im Osten keinen Abriss zuzulassen.

   Zu diesem Zweck findet heute die erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben statt. Die bisherigen Sonderregelungen für die neuen Länder im Planungsrecht und die bei der Umsetzung gesammelten praktischen Erfahrungen werden in ein neues Planungsrecht für das gesamte Bundesgebiet einfließen. Darauf komme ich später zurück.

   Zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Es gibt Kritiker - sie haben sich in dieser Debatte auch gemeldet -, die eine erneute Verlängerung ablehnen. Sie verweisen darauf, dass der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den neuen Ländern abgeschlossen ist und dass die ungeklärten Eigentumsverhältnisse dort geordnet sind. Dem ist nichts entgegenzusetzen. Natürlich ist das so. Es wäre auch schlimm, wenn es in den neuen Ländern noch keine Verwaltungsgerichtsbarkeit gäbe. Es wäre auch schlimm, wenn wir die Unordnung im Vermögensbereich, die wir 1989/90 vorgefunden haben, nicht beseitigt hätten.

   Aber das sind nicht die einzigen Fragen, die wir beantworten müssen. Wir wollen auf jeden Fall, dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ planungsseitig und bauseitig zügig realisiert werden. Außerdem wollen wir die Verkehrsprojekte des vordringlichen Bedarfs in dieses beschleunigte Planungsverfahren integrieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Für uns ist völlig klar: Wir wollen, dass es bei den einzügigen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht bleibt. Wir fordern grünes Licht für Projekte wie die A 14 zwischen Magdeburg und Schwerin, deren Bau genauso wie jener der Ostseeautobahn beschleunigt werden soll. Die positiven Wirkungen des Planungsbeschleunigungsgesetzes müssen wir erhalten. Wir müssen auf diesem Wege neue Beschäftigung fördern und vorhandene Arbeitsplätze sichern.

Wie ich bereits kurz angesprochen habe, ist die Ostseeautobahn A 20 ein herausragendes Beispiel für Infrastrukturmaßnahmen. Ich kann mich hier nur wundern, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, was Sie zu diesen Maßnahmen heute gesagt haben. Die aus den hinteren Reihen der PDS dazwischengerufene Frage, wo in den neuen Ländern man denn davon etwas merkt, ist in einer Art wirklichkeitsfremd, die wirklich nicht mehr zu toppen ist.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich hatte erwartet, dass sich die PDS wenigstens heute positiv zu der Ostseeautobahn erklärt. Ich kenne die Widerstände aus den 90er-Jahren, als es darum ging, diese Autobahn zu planen und zu bauen. Ich kenne die Widerstände gegen die A 14 zwischen Schwerin und Magdeburg. Das alles ist bekannt. Ich hatte erwartet, dass sie heute wenigstens so clever sind, sich wie andere Kritiker auch zu Müttern und Vätern dieses guten Projekts zu erklären; denn in der Regel ist es so, dass bei Erfolg eines Projekts alle Mütter und Väter dieses Projekts sein wollen. Es ist für mich schon etwas ernüchternd, dass Sie diese Verkehrsprojekte für die neuen Länder auch heute in einer derartigen Weise infrage stellen.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Jetzt sollen auch noch Stromtrassen gebaut werden!)

   Wir haben mit der A 20, die die Region Lübeck mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern und mit dem polnischen Stettin verbindet, eine ganz wichtige Infrastrukturmaßnahme für die neuen Länder realisiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir schaffen dort Wirtschaftsansiedlungen. Jeder, der durch die neuen Länder fährt, sieht, dass dort an Verkehrsadern Betriebe entstehen. Frau Kollegin, Sie kommen aus Niedersachsen. Fahren Sie nach Wittenburg, einer ganz kleinen, verschlafenen Kleinbürgerstadt zu DDR-Zeiten! Das ist ein Ort, in dem vier oder fünf mittelgroße Unternehmen und Hunderte neuer Arbeitsplätze entstanden sind. Auch so etwas kann durch Infrastrukturmaßnahmen in den neuen Ländern geschehen.

   Denken Sie gerade bezogen auf die Ostseeautobahn auch an Folgendes: Über Jahre, insbesondere nach der Maueröffnung, haben sich PKW- und LKW-Kolonnen durch die Kleinstädte an der Ostsee gequält.

(Uwe Beckmeyer (SPD): Richtig!)

Der Bau der A 20 ist dort nicht nur für die Kraftfahrer eine Erleichterung; der Bau der A 20 ist auch für die Menschen, die in diesen Ortschaften leben, eine Erleichterung. Das hat doch etwas mit Lebensqualität zu tun.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Zwischen dem Spatenstich für die Ostseeautobahn im Jahr 1992 und der Freigabe des letzten Teilstücks dieser Autobahn vor wenigen Tagen liegen weniger als 13 Jahre Bauzeit. Rund 330 Kilometer Autobahntrasse sind gebaut worden, gleichzeitig 19 Brücken und ein Tunnel.

   Die guten Erfahrungen aus der Planung von Verkehrsanlagen werden wir in ein kompaktes Infrastrukturgesetz einfließen lassen. Wir beginnen die Diskussion heute mit der ersten Lesung. Herr Hettlich, ich will nur noch einmal daran erinnern, dass wir genug Zeit haben, das im Ausschuss zu diskutieren. Wir sind für Diskussion offen. Aber für Stagnation und rückwärts gewandtes Denken, wie das heute von der PDS vorgetragen worden ist, sind wir nicht zu haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Die Bürgerinnen und Bürger fordern zu Recht Bürokratieabbau und Stärkung der Demokratie. Das sichern wir mit diesem Gesetz. Bauwirtschaft und Transportgewerbe fordern Impulse zur Beschleunigung bei der Umsetzung von Baumaßnahmen der öffentlichen Hand. Dieses Gesetz ist eine Antwort darauf.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Hacker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ramelow?

Hans-Joachim Hacker (SPD):

Bitte schön.

Bodo Ramelow (DIE LINKE):

Nachdem Sie ständig von der schon gebauten Autobahn an der Ostsee gesprochen haben, die keine Beschleunigung mehr braucht und die hier auch nicht mehr nachdiskutiert werden muss, möchte ich Sie gern fragen

(Ute Kumpf (SPD): Herr Hacker spricht die Argumentation der Kollegin Menzner an, die etwas schwachsinnig war!)

- Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich das Wort „Schwachsinn“ kommentieren muss; diese Kommentierung von der linken Seite, die sich nicht mehr links nennt, finde ich etwas unangemessen -,

(Beifall bei der LINKEN)

ob unter das Gesetz, über das wir reden, auch die zu planenden Stromtrassen fallen, wie Sie es bewerten, dass mithilfe genau des Beschleunigungsgesetzes, von dem Sie reden, eine Stromtrasse quer durch den Thüringer Wald gezogen werden soll, wie Sie da den wirtschaftlichen Effekt bewerten wollen und ob Sie glauben, dass neben dieser Hochspannungstrasse, die durch den Thüringer Wald gebaut werden soll, deren ökologischer Sinn etwas zweifelhaft ist, ebenfalls die Ausweisung von Gewerbegebieten zu erwarten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Hans-Joachim Hacker (SPD):

Herr Ramelow, Sie konstruieren hier wieder einen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie. Die Stromtrasse im Thüringer Wald wird von dem vorgelegten Gesetzentwurf, glaube ich, gar nicht erfasst.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Doch!)

- Ich meine, das ist nicht der Fall. Das können wir im Ausschuss noch einmal prüfen. - Dieser Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie hat etwas mit Ideologie zu tun.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Dazu würde ich gerne die CDU hören!)

Wir müssen bei Verkehrsvorhaben, bei Projekten im Bereich der Infrastruktur natürlich auch Maßgaben der Ökologie beachten. Deswegen haben wir die Mitbestimmungsrechte vorgesehen. Deswegen haben wir - der Minister hat darauf verwiesen - in diesem Gesetzentwurf die erweiterte Mitwirkungsmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger verankert. Gehen Sie davon aus: Wir werden die Bürgerrechte mit diesem Gesetz nicht beschneiden. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir stärken mit den beabsichtigten Regelungen den Standort Deutschland als einen wichtigen Logistikstandort in Europa. Eine leistungsfähige Infrastruktur wird gefördert. Wir geben konkrete, praktische Antworten auf das brennende Thema der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit kann nur bekämpft werden, wenn wir Rahmenbedingungen für mehr Arbeit schaffen bzw. verbessern. Das Planungsbeschleunigungsgesetz für Infrastrukturvorhaben ist darauf eine Antwort.

   Ein zentraler Gedanke des Koalitionsvertrages zwischen Union und SPD ist die Schaffung von mehr Chancen für Innovation und Arbeit, für Wohlstand und Teilhabe. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein zur Umsetzung dieses Zieles. Ich lade Sie alle ganz herzlich ein: Bringen Sie sich ein bei der Gestaltung eines Stücks Zukunft für Deutschland!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Renate Blank, CDU/CSU-Fraktion.

Renate Blank (CDU/CSU):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hettlich, bei der Begründung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes von 1991 haben Sie etwas vergessen, nämlich dass die Straßen in den neuen Bundesländern damals in einem vollkommen desolaten Zustand waren. Dafür waren weder Sie noch wir verantwortlich, sondern die Vorgänger der Linkspartei.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP - Lachen bei der LINKEN)

Das leugnen Sie heute

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Das tun wir nicht!)

und fordern auch noch mehr Geld. Die große Koalition wird in den nächsten vier Jahren 4,3 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Man sollte über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz positiv reden. Sie hätten durchaus anerkennen können, dass durch dieses Gesetz etwas bewegt worden ist. Aber wenn man immer dagegen war - die Widerstände Anfang der 90er-Jahre haben das gezeigt -, kann man das natürlich nicht positiv finden. Aber das ist Ihr und nicht unser Problem.

   Wir sind überzeugt, dass - mein Vorredner hat es schon gesagt - dieses Gesetz zum Beispiel enorm zu dem schnellen Bau der A 20 beigetragen hat. Das gilt auch für andere Projekte; ich denke da an die A 9 von Berlin nach Nürnberg, die wir noch nicht hätten, wenn dieses Gesetz im Jahr 1991 nicht trotz aller Widerstände durchgesetzt worden wäre, und zwar von der damaligen Koalition, bestehend aus uns, der Union, und der FDP. Das ist positiv und man kann auch einmal positiv darüber reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, der nun in die parlamentarischen Beratungen geht, wollen wir die guten Erfahrungen auch auf die alten Bundesländer übertragen. Ich denke, das ist ganz wichtig. Ich verhehle nicht, dass es in der letzten Zeit leider nicht gelungen ist, diesen Vorgang zu beschleunigen. Im Frühjahr dieses Jahres hätte es so weit sein können; da gab es einen Gesetzentwurf im Kabinett. Aber in der damaligen Koalition haben die Grünen verhindert, dass dieser in die parlamentarischen Beratungen ging, weil sie Einschränkungen bei der Verbandsklage nicht hinnehmen wollten.

(Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn ein Eigentümer weniger Rechte an seinem Grundstück hat als ein Verband, zum Beispiel der BUND, dann stimmt in den bisherigen Gesetzen etwas nicht und dann müssen wir das dringend ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es kann nicht sein, dass die Rechte der Eigentümer bei einer Klage gegenüber denen der Verbände beschnitten werden.

Ganz offensichtlich nimmt der Faktor Zeit im internationalen Wettbewerb in einer Gesellschaft, die auf Knopfdruck Milliarden an Geldern in Sekundenbruchteilen rund um den Globus schicken kann, an Bedeutung stetig zu. Deshalb wollen wir verkrustete Strukturen gerade im Planungsrecht, die ein Investitionshemmnis erster Kategorie darstellen, aufbrechen. Wir wollen einen bedarfsgerechten und vor allem einen zeitnahen Ausbau der Infrastruktur.

   Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zu Recht nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass eventuell erst ihre Enkel in den Genuss einer heute benötigten und von der Politik zugesagten Ortsumgehung oder schnellen Verbindung von A nach B kommen. Wir beobachten doch mit Sorge, dass die gesellschaftliche Entwicklung in der Verkehrspolitik und der Infrastrukturplanung zunehmend in einer Blockade endet. Dabei ist es nicht nur das Umweltbewusstsein, das die Wege versperrt, sondern es sind oft Ideologen oder Bürger, die ihre Individualinteressen über das Gemeinwohl stellen und damit wichtige Entscheidungen verzögern bzw. zu Fall bringen.

   Das Gemeinwohl droht angesichts wachsender Partikularinteressen zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. Ich kann es wirklich nicht mehr einsehen, warum 2 Prozent der Bevölkerung ein Projekt über Jahre, ja sogar über Jahrzehnte verschleppen können, obwohl die anderen 98 Prozent beispielsweise die Straße wollen, aber lange auf die Fertigstellung warten müssen.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Blank, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Menzner?

Renate Blank (CDU/CSU):

Nein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Mit anderen Worten: Wir brauchen eine schnellere Planung und vor allen Dingen eine schnellere Durchführung. Jeder von uns hat in seinem Wahlkreis Projekte, die über 30 Jahre geplant werden und deren Planungen oft hinfällig werden, weil aus ideologischen Gründen im Bundesverkehrswegeplan bestimmte Projekte gestrichen werden.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Nicht nur aus Ideologie! Ich denke nur an die Strecke Erfurt-Nürnberg auf der Schiene!)

- Richtig.

   Wir werden auch ein bevorzugter internationaler Standort für Logistikdienstleister. Als Transitland Nummer eins brauchen wir schnellere Planungen. Der nun vorliegende Gesetzentwurf wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Planungsblockade in Deutschland durchbrochen wird, nach dem Motto der Regierungserklärung „Mehr Freiheit wagen!“.

   Es wäre gut, wenn die folgende Geschichte wieder als Witz und nicht als Zustandsbeschreibung verstanden werden würde: Ein amerikanischer und ein deutscher Brückenbauer wetten darum, wer sein Projekt zuerst fertig stellt. Nach einem Jahr ruft der Amerikaner bei seinem deutschen Kollegen an und sagt: „Noch zehn Tage und wir sind fertig.“ Darauf sagt der Deutsche: „Noch zehn Formulare und wir fangen an.“ Damit diese Geschichte ein Witz bleibt und keine Zustandsbeschreibung wird, wollen wir mit dem neuen Gesetz die Planungen beschleunigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP))

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem sächsischen Staatsminister Geert Mackenroth.

Geert Mackenroth, Staatsminister (Sachsen):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte Sie noch einmal für ein dem Freistaat Sachsen und auch den anderen neuen Ländern besonders wichtiges Anliegen sensibilisieren.

   Das Gesetz mit dem rekordverdächtig langen Namen Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz hat in den vergangenen 14 Jahren die Planungszeiträume für Verkehrswege in den fünf neuen Ländern in der Tat rekordverdächtig verkürzt. Es hat entscheidend dazu beigetragen, die marode DDR-Verkehrsinfrastruktur in den ostdeutschen Bundesländern in weiten Teilen zügig zu sanieren. Dank dieses Gesetzes konnten wir einen großen Teil der Infrastrukturlücke bereits schließen. Es ist damit zugleich ein Baustein zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West.

   Neue Verkehrswege konnten wir auf der Grundlage dieses Gesetzes in wenigen Jahren von den ersten Entwürfen bis zur Baureife führen. Allein die Begrenzung des Rechtsweges auf eine Instanz ersparte im Schnitt zwei Jahre. Zwischen dem Antrag auf Planfeststellung und dessen Unanfechtbarkeit vergingen beispielsweise im Freistaat Sachsen oft nur ein bis zwei Jahre. Selbst bei großen Projekten wie dem Neubau der Autobahn A 17 zwischen Dresden und der tschechischen Grenze waren es trotz mehr als 2 500 Einwendungen pro Abschnitt nur etwas mehr als drei Jahre.

   Wie wurde das erreicht? Durch die Beschleunigung bei den Genehmigungs- und Gerichtsverfahren. Beispielhaft sind dort vor allem zwei Dinge zu nennen: zum einen das vereinfachte Plangenehmigungsverfahren und zum anderen der bereits mehrfach angesprochene verkürzte Instanzenzug mit dem Bundesverwaltungsgericht als erster und letzter Instanz.

   Dieses Gesetz ist ein gutes Beispiel sowohl für Bürokratieabbau - der Abgeordnete Lippold hat dies zu Recht betont - als auch für den Erfolg von Experimentierklauseln. Es schafft eben die notwendigen Freiräume. Die Plangenehmigung und die Fristenregelungen wurden bereits nach wenigen Jahren positiver Erfahrung in das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und in die Fachgesetze übernommen. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts dagegen ist bisher allein in unserem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz verblieben.

   Meine Damen und Herren, für die neuen Länder ist es unabdingbar, das Gesetz um ein weiteres Jahr zu verlängern. Nur so können wir den nach wie vor erforderlichen besonderen Anreiz für unsere Investoren erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die so auch im Freistaat Sachsen schnell geschaffene gute Infrastruktur zog Investoren ins Land, brachte Arbeitsplätze. Beispiele dafür sind die Ansiedlungen von BMW, Porsche und DHL im Leipziger Raum und der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle. Wenn der Ausbau des Flughafens, der Autobahnen und des Güterverkehrszentrums so lange wie in Westdeutschland gedauert hätte - die Planung und der Bau des neuen Flughafens in München dauerten weit mehr als 20 Jahre -,

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): 32!)

dann wären die genannten Unternehmen jetzt woanders und dann gäbe es in Leipzig über 15 000 Arbeitsplätze weniger.

   Diese höchst erfreuliche Entwicklung liegt natürlich auch im Interesse der westdeutschen Länder. Den Menschen in den neuen Ländern ist klar: Ostdeutschland muss stärker wachsen, wenn es aufholen will und wenn die westdeutschen Länder nachhaltig von Transferzahlungen entlastet werden sollen. Noch sind durchaus nicht alle erforderlichen Infrastrukturvorhaben in Ostdeutschland verwirklicht. Allein im Freistaat Sachsen stehen 50 Vorhaben im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans - dessen Lektüre lege ich Ihnen dringend ans Herz -, die nach derzeitigem Planungsstand nicht unter die Überleitungsregelungen des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes fallen. Wenn das Gesetz ohne Folgeregelung ausliefe, riskieren wir, dass die Verwirklichung gerade dieser Vorhaben deutlich verzögert wird. Neue Projekte würden um Jahre hinausgeschoben, wenn Klagen wieder mehrere Instanzen durchlaufen müssten, und die Planung dieser Projekte würde schließlich schlicht und ergreifend erheblich teurer.

   Ich freue mich deshalb, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben in zahlreichen konkreten Fällen die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts vorsieht. Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes, dessen erste Beratung heute auf Ihrer Tagesordnung steht, wird allerdings noch etwas Zeit beanspruchen. Der Westen jedenfalls kann in diesem Punkt von den guten Erfahrungen des Ostens nur lernen.

   Ostdeutschland ist auf eine übergangsweise Verlängerung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes um ein weiteres Jahr bis Ende 2006 angewiesen. Eine Regelungslücke wollen wir unbedingt vermeiden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist notwendig, damit die Verwirklichung neuer Verkehrsprojekte in Ostdeutschland nicht in Verzug gerät. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Marko Mühlstein, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Marko Mühlstein (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst freue ich mich, dass ich als Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Möglichkeit erhalten habe, zu diesem wichtigen verkehrspolitischen Thema reden zu dürfen. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, zu den beiden Gesetzentwürfen, die heute hier behandelt werden, aus umweltpolitischer Sicht kurz Stellung zu nehmen.

   Die Arbeitsgruppe Umwelt der SPD-Bundestagsfraktion hat am vergangenen Mittwoch im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der einjährigen Verlängerung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes zugestimmt, auch wenn wir die Notwendigkeit der Verkürzung des Rechtsweges auf eine Instanz für diskussionswürdig halten.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Da schau her!)

Diese ursprünglich als Sonderfall für die neuen Bundesländer vorgesehene Regelung entspricht in dieser Form nicht mehr dem Stand der Dinge. So haben die neuen Bundesländer bereits seit einigen Jahren leistungsfähige Oberverwaltungsgerichte, die als Tatsacheninstanz zur Prüfung von Planungsentscheidungen besser geeignet sind als das Bundesverwaltungsgericht.

   Des Weiteren möchte ich zu bedenken geben, dass die Bundesregierung in ihrem Erfahrungsbericht vom 2. Januar 2004 darauf hinweist, dass die beschleunigenden Verfahrensschritte des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes bereits in die bundesweit geltenden Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die jeweiligen Fachgesetze übernommen worden sind.

   Dass wir der einjährigen Verlängerung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes heute in abschließender Lesung dennoch zustimmen werden, liegt darin begründet, dass wir hierin einen Zeitvorteil sehen, um in Ruhe und mit der gebotenen Gründlichkeit den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben zu beraten. Wir sehen hier noch einen beachtlichen Beratungsbedarf und hoffen deshalb sehr, in einem intensiven Abstimmungsprozess mit den beteiligten Häusern, innerhalb der Fraktionen sowie mit dem Koalitionspartner zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Inhaltlich sehen wir hauptsächlich bei der geplanten bundesweiten Eininstanzlichkeit sowie bei den Forderungen des Bundesrates nach einer längeren Geltungsdauer von Planungsentscheidungen und dem Sofortvollzug beim Ausbau von Bundeswasserstraßen und kleinen Flugplätzen Diskussionsbedarf.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wir auch!)

Weiterhin sollten wir darauf achten, dass die Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung von Verbänden denen der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie entsprechen. Auch hinsichtlich der geplanten Regelungen bezüglich Erdkabelverlegungen besteht aus unserer Sicht Beratungsbedarf.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir Umweltpolitiker das Ziel der Beschleunigung von Planungsverfahren unterstützen möchten. Wir stehen lediglich einigen Punkten kritisch gegenüber. Ich gehe aber davon aus, dass wir es gemeinsam in guter parlamentarischer Manier schaffen werden, bei den strittigen Punkten eine einvernehmliche Lösung zu finden.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Lieber Kollege Mühlstein, dies war Ihre erste Rede in diesem Hause. Gratulation und alles Gute für Ihre weitere politische Arbeit!

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes auf Drucksache 16/45. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/227, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von der Linken und dem Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in zweiter Lesung angenommen.

   Tagesordnungspunkt 16 b: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/54 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 48 Abs. 3)

- Drucksache 16/118 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

- Drucksache 16/117 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal ohne allzu viele Geräusche zu verlassen, damit wir in eine ruhige Debatte eintreten können, die dieses Thema auch verdient.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion.

Jörg van Essen (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in unserem Land kaum ein größeres Aufregerthema als die Diäten der Abgeordneten. Ich bin sehr dankbar, dass der Präsident darauf hingewiesen hat, dass Ruhe und Vernunft dieser Diskussion außerordentlich gut tun. Deshalb darf ich schon ankündigen: Ich werde all denen, die diese Diskussion mit grüner Gesichtsfarbe bestreiten wollen, heute keine Munition geben,

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nichts gegen Grün!)

schon deshalb, weil ich das Gefühl habe, dass wir als Parlament in Deutschland mit dem Geld des Steuerzahlers grundsätzlich sorgfältig umgehen.

(Beifall bei der FDP)

Der Steuerzahler hat auch Anspruch darauf.

   Demokratie darf nie ein Billigmodell werden. Demokratie kostet. Die Aufstellungen, die ich mehrfach beim Bundestagspräsidenten angefordert habe, haben aber gezeigt, dass wir sorgfältig mit dem Geld umgehen. Sie haben beispielsweise gezeigt, dass der Deutsche Bundestag nach dem Kongress der Vereinigten Staaten das zweitkleinste Parlament ist. Es wird immer übersehen, dass es nicht auf die schiere Zahl der Abgeordneten, sondern auf die Zahl pro Einwohner ankommt. Demnach ist der Bundestag das zweitkleinste Parlament. Ganz wichtig finde ich auch: Wenn man sich die Kosten der Parlamente für den Steuerzahler anschaut, dann sieht man, dass der Bundestag auch dort ganz weit hinten, auf dem zweitletzten Platz, liegt. Ich finde, das sind gute Botschaften, die wir leider nie in den Medien lesen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Olaf Scholz (SPD))

   Trotzdem ist es - ich habe es gesagt - ein Aufregerthema. Deswegen müssen wir uns damit befassen. Wir müssen uns auch deshalb damit befassen, weil der Bundestagspräsident in den letzten Wochen Vorschläge aufgegriffen hat, die die FDP-Bundestagsfraktion seit nunmehr zehn Jahren immer wieder in das Parlament einbringt. Grundlage unserer Vorschläge sind die Überlegungen, die wir im Jahre 1995 angestellt haben.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Sie sind ein Wiederholungstäter, Herr van Essen!)

- Ja, in diesem Fall bin ich gern Wiederholungstäter, Herr Kollege Wiefelspütz. - Damals, im Jahre 1995, hatten sich die beiden großen Fraktionen - in vorweggenommener großer Koalition - dazu entschlossen, die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten weitgehend an die der Beamten anzulehnen. Für uns war vollkommen klar: Abgeordnete sind keine Beamten und haben auch keine beamtenähnliche Tätigkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das muss sich auch bei der Gestaltung der Rechtsverhältnisse ganz eindeutig zeigen.

   Der wichtigste Punkt, bei dem sich das zeigen muss, ist aus unserer Sicht die Altersversorgung. Wir haben im Augenblick eine beamtenähnliche Pension. Wir sind schon deshalb nicht mit den Beamten zu vergleichen, weil unsere verfassungsrechtliche Stellung klar und eindeutig besagt: Abgeordnete sind unabhängig.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich wollte auch nie Beamter werden!)

Sie haben keinen Chef, obwohl sich mancher Fraktionsvorsitzender, vielleicht auch mancher Geschäftsführer, so fühlen mag.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Heiterkeit)

   Sie haben keinen Chef. Deshalb, denke ich, sind wir gut beraten, uns bei der Altersversorgung an den Modellen zu orientieren, die es bei den freien Berufen, beispielsweise bei den Journalisten, Ärzten und Rechtsanwälten, gibt: Sie zahlen eigene Mittel in die Altersversorgung ein - sie haben Altersversorgungswerke -, mit denen schließlich die Pension bezahlt wird. Mit unserem Vorschlag orientieren wir uns klar und eindeutig daran.

   In den letzten zehn Jahren haben wir immer wieder hören müssen: Das lässt sich nicht machen, das ist nicht umsetzbar; da wird es einen Sturm der Entrüstung in den Medien, beim Bund der Steuerzahler geben.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Da könnte ja jeder kommen!)

Es gibt inzwischen ein Beispiel, das zeigt, dass es geht: Nordrhein-Westfalen hat es umgesetzt.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja! Nicht so richtig!)

Die Medien haben deutlich gemacht, dass es vernünftig war. Auch der Bund der Steuerzahler hat zugestimmt. Das Allerwichtigste ist: Die Lösung, die gefunden worden ist, hat unter dem Strich erhebliche Einsparungen für den Steuerzahler gebracht. Auch das ist uns in der Situation, in der sich im Augenblick unsere öffentlichen Haushalte befinden, wichtig.

(Beifall bei der FDP)

   Der zweite Vorschlag, den wir machen, ist, die Bestimmung der Höhe der Diäten aus dem Parlament herauszuverlagern. Die Bestimmung der Höhe ist nicht deshalb unsere Aufgabe, weil wir es uns wünschen, sondern weil das Bundesverfassungsgericht klar und deutlich gesagt hat: Die Abgeordnetenbezüge müssen durch ein Gesetz und damit durch die Abgeordneten selbst festgelegt werden. Wer aber die Chance hat, die Höhe seiner Bezüge selbst festzulegen, der ist natürlich sofort im Verdacht, dass er das nicht zu seinem Nachteil tut. Deshalb werden wir uns immer wieder mit dem Vorwurf der Selbstbedienung konfrontiert sehen.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man den Bundestagsabgeordneten nicht vorwerfen!)

- Genau, das kann man dem Bundestag nicht vorwerfen. Wie gesagt: Wir sind durch das Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen worden.

   Wir machen Ihnen deshalb erneut den Vorschlag, dies aus dem Parlament auf eine unabhängige Kommission herauszuverlagern, die die Höhe der Diäten festsetzt. Damit gar nicht erst der Vorwurf entsteht, die Zusammensetzung dieser Kommission werde so gesteuert, dass es für die Abgeordneten günstig sei, ist unser Vorschlag an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Kommission vom Bundespräsidenten als neutrale Institution eingesetzt wird.

(Beifall bei der FDP)

   Auch dafür, wer in diese Kommission gehört, zeigt Nordrhein-Westfalen Beispiele: Kollegen, die im Parlament Erfahrung gesammelt haben, aber auch Kritiker wie beispielsweise der Bund der Steuerzahler, der sich mit Gehältern im eigenen Bereich sehr gut auskennt, wie man kürzlich hören könnte, als es um die Höhe der Einkünfte des Präsidenten des Bundes der Steuerzahler ging.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Däke verdient mehr als jeder Bundestagsabgeordnete! - Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Bitte keine Polemik, Herr van Essen!)

- Der Bund der Steuerzahler kennt sich offensichtlich aus, Herr Kollege Wiefelspütz. Deshalb soll er sich ausdrücklich als Kritiker in dieser Kommission wiederfinden.

   Ich glaube, dass das kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip ist. Wir kennen solche Verlagerungen aus dem Parlament heraus - beispielsweise an das Bundesverfassungsgericht - durchaus auch aus anderen Bereichen. Wir müssen natürlich im Abgeordnetengesetz den Rahmen vorgeben, in dem sich die Kommission zu bewegen hat. Von daher ist das aus meiner Sicht kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Wie soll denn das gehen?)

   Eine letzte Bemerkung. Aufregerthema ist auch immer wieder die Kostenpauschale der Abgeordneten. Auch das soll selbstverständlich von der Kommission geprüft und entschieden werden. Trotzdem rate ich auch da zu einer sachlichen Diskussion. Wer mit Freunden in der Wirtschaft spricht, der stellt fest, dass die Wirtschaft sehr oft zu dem Mittel der Pauschale greift, weil es die für die Wirtschaft günstigere Lösung ist. Ich habe das Gefühl, dass die Kostenpauschale, die wir jetzt als Abgeordnete bekommen, ebenfalls für den Steuerzahler - das ist für die FDP-Bundestagsfraktion das Entscheidende - die kostengünstigere Lösung ist.

(Beifall bei der FDP - Joachim Stünker (SPD): Ja, ja!)

   Wenn wir eine Einzelabrechnung haben, bedeutet das, dass wir eine entsprechende Verwaltung im Bundestag oder auch in der Finanzverwaltung brauchen, die das Ganze nachprüfen muss. Das kostet Geld. Deshalb, denke ich, sind wir gut beraten, auch hier sachlich zu bleiben. Wir sind in der Verpflichtung gegenüber dem Steuerzahler, die für ihn günstigste Lösung zu wählen. Aus unserer Sicht ist, wie gesagt, die Pauschale die für den Steuerzahler günstigere Lösung.

   Ich freue mich sehr, dass wir jetzt endlich sachlich diskutieren können, auch aufgrund der Vorschläge, die der Bundestagspräsident gemacht hat; wir werden ja im Januar zusammenkommen. Damit wir das auf einer guten Grundlage tun können, bringen wir unseren Gesetzentwurf hier wieder ein, einschließlich unseres Vorschlages für die Verfassungsänderung. Wir bitten um Zustimmung. Wir freuen uns auf eine sachliche Diskussion.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU))

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion.

Hermann Gröhe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe der FDP, Änderungen des Grundgesetzes und des Abgeordnetengesetzes betreffend, finden einen Monat vor jenem Gespräch im Januar statt, zu dem der Bundestagspräsident die Bundestagsfraktionen eingeladen hat und bei dem es um die Fragen der Abgeordnetenentschädigung und der Abgeordnetenversorgung gehen soll.

   Geht es um die Prüfung dieser Vergütung und Versorgung, etwaigen Reformbedarf und konkrete Reformvorschläge, darf ich Ihnen für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusagen, dass wir alle Vorschläge in diesem Bereich sachlich und unvoreingenommen prüfen werden. Dabei lassen wir uns bei allen Fragen, die den Abgeordnetenstatus betreffen, auch von dem Bemühen leiten, nach Möglichkeit zu einer gemeinsamen Auffassung hier im Haus zu gelangen; denn angesichts der verständlichen Fragen in diesem Bereich, aber auch mancher Vereinfachung und zum Teil auch inakzeptabler Verächtlichmachung des Parlaments wäre ein Konsens hier im Parlament ein erstrebenswertes Ziel.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

   In diesem Sinne werden wir die heute in erster Lesung zu beratenden Vorschläge der FDP intensiv prüfen, auch wenn diese Vorschläge bereits in der 14. und 15. Wahlperiode eingebracht wurden und seinerzeit keine Mehrheit fanden.

   Im Kern zielt der FDP-Vorschlag darauf, die Festlegung der Höhe der Abgeordnetenentschädigung einer unabhängigen, vom Bundespräsidenten zu berufenden Kommission zu übertragen. Zugleich soll diese Kommission damit beauftragt werden, Vorschläge für eine Veränderung der Altersversorgung zu erarbeiten. Damit, so die FDP-Bundestagsfraktion, soll dem in der Öffentlichkeit immer wieder erhobenen Vorwurf der Selbstbedienung entgegengewirkt werden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja!)

   Das ist sicherlich ein überaus sympathisches Anliegen. Auch Ihr Lösungsvorschlag wirkt zunächst sehr plausibel; er hat bestimmt einiges für sich.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Was ist denn an der FDP sympathisch? - Gegenruf des Abg. Dirk Niebel (FDP): Ich zum Beispiel, Herr Wiefelspütz! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Kommen Sie doch mal zu uns herüber!)

- Ich habe von einem sympathischen Anliegen gesprochen. Sympathische Kolleginnen und Kollegen gibt es doch in allen Bundestagsfraktionen.

   Bevor ich nun einige Ausführungen zum konkreten Vorschlag der FDP und damit zu den Themen der vor uns liegenden Ausschussberatungen mache, möchte ich etwas zum in der Tat sehr häufig erhobenen Vorwurf der Selbstbedienung sagen. Wir diskutieren die Frage der Abgeordnetenentschädigung - das gehört sich so für ein Parlament - in öffentlicher Debatte. Also ist Klartext gefragt. Deshalb weise ich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Vorwurf, im Deutschen Bundestag herrsche eine Selbstbedienungsmentalität, mit Entschiedenheit zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Zurückweisung dieses Vorwurfs ist auch dann geboten, wenn ihn keine Fraktion hier im Hause erhebt; denn er spielt in der öffentlichen Debatte in der Tat eine große Rolle.

   Nun zu den Fakten: Die Abgeordnetenentschädigung wurde zuletzt am 1. Januar 2003 erhöht. Bereits im Januar 2003 stellte der damalige Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse, fest, dass die Abgeordnetenentschädigung seit In-Kraft-Treten des Abgeordnetengesetzes im Jahr 1977 jährlich um durchschnittlich 2,5 Prozent stieg, während die Beamtenbezüge um 2,95 Prozent pro Jahr stiegen, die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst um 3,12 Prozent, die Einkommen in der Gesamtwirtschaft um 3,1 Prozent und die Renten um 3,31 Prozent.

   Zu dieser vergleichsweise geringeren Steigerungsrate der Diäten haben zehn Nullrunden maßgeblich beigetragen. Vom Ziel, das seinerzeit eine unabhängige Expertenkommission vorgeschlagen hatte und das in § 11 Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes ausdrücklich genannt wird - der Angleichung der Abgeordnetenbezüge an das Gehalt eines Richters an einem obersten Bundesgericht oder an das Gehalt eines hauptamtlichen Bürgermeisters einer Stadt mit mehr als 100 000 Einwohnern -, entfernten wir uns mehr und mehr. Ich will ausdrücklich betonen, dass wir an diesem Vergleichsmaßstab - man könnte auch das Gehalt eines Abteilungsleiters in einem Ministerium heranziehen - festhalten und ihn für grundsätzlich angemessen halten.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert (SPD))

   Faktisch nahm die Entwicklung der Abgeordnetenbezüge aber einen anderen Weg. Von einer inakzeptablen, überzogenen Großzügigkeit in eigener Sache kann also keine Rede sein. Wir haben daher allen Anlass - ja, das ist sogar ein Gebot der Selbstachtung -, den billigen Vorwurf, im Bundestag herrsche eine Selbstbedienungsmentalität, gemeinsam und entschieden zurückzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich habe sogar die umgekehrte Vermutung: Gerade weil wir Abgeordnete über die Höhe unserer Entschädigung selbst entscheiden und hier folglich ein erheblicher öffentlicher Rechtfertigungsdruck besteht, kam es wiederholt zu Nullrunden. Was den Vorschlag der FDP - die Übertragung der Entscheidung über die Diätenhöhe auf eine Sachverständigenkommission - angeht, werden weiterhin rechtliche Fragen zu prüfen sein.

   Verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung einer solchen Übertragung allein im Abgeordnetengesetz - das Stichwort lautet hier in Anlehnung an die Diätenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975: umfassender Parlamentsvorbehalt - begegnet die FDP wie in den Vorjahren mit dem Vorschlag einer Verfassungsänderung. Auch dieses Vorgehen ist verfassungsrechtlich nicht unumstritten, da die vorgeschlagene Änderung das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes in einer Weise tangieren könnte, die eine derartige Regelung an Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes scheitern lassen könnte.

   Allerdings will ich nicht verhehlen, dass in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages die Zulässigkeit einer entsprechenden Verfassungsänderung bejaht wird.

(Jörg van Essen (FDP): Sehr richtig!)

Die juristischen Fragen, an deren Klärung wir arbeiten müssen, liegen also auf dem Tisch. Aber wir müssen auch und vor allem den politischen Fragen weiterhin nachgehen.

   Auch will ich nicht verhehlen, dass ich, wie viele in unserer Fraktion, Zweifel daran habe, ob die Übertragung der Entscheidung über die Diätenhöhe auf eine Sachverständigenkommission ein taugliches Mittel ist, um dem Vorwurf der Selbstbedienung zu begegnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Das ist Flucht aus der Verantwortung, Herr van Essen! Kein Mut zur Entscheidung!)

Politikerinnen und Politiker müssen unabhängig vom Verfahren in der Öffentlichkeit für die Höhe ihrer Vergütung geradestehen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Frohe Weihnachten!)

Das zeigen auch da und dort zu erlebende Debatten über die Gehaltshöhe von Bürgermeistern und Landräten, die bekanntlich nicht über die Höhe ihres Gehaltes selbst entscheiden müssen. Ein solcher Rechtfertigungszwang ist auch gar nichts Falsches - wenn er nicht oft mit billigen Verzerrungen verbunden wäre.

   Glauben Sie, die Entscheidung einer unabhängigen Sachverständigenkommission, die Diäten zu erhöhen, bleibe lange ohne die öffentlich und öffentlichkeitswirksam erhobene Aufforderung an uns, gleichwohl auf eine Erhöhung zu verzichten? Bisherige Empfehlungen unabhängiger Kommissionen - die es in der Vergangenheit wiederholt gab - hatten kaum Auswirkungen auf das Ausmaß und die Form öffentlicher Kritik; darauf verweist die FDP-Fraktion selbst in der Begründung ihres Gesetzentwurfs. Warum sollte es der Entscheidung einer Kommission anders gehen? Welchem Druck wären die Mitglieder dieser Kommission ausgesetzt, wenn erst in großen Lettern über die Gehaltshöhe jener spekuliert würde, die die Diäten festlegen! All diese Fragen werden wir gemeinsam zu erwägen haben.

   Mir liegt aber noch etwas anderes am Herzen: Öffentliche Akzeptanz für die Höhe unserer Aufwandsentschädigung und die Transparenz unseres Handelns hängen eng zusammen. Die Bevölkerung wird ein Parlament, dem sie die Lösung der sie bedrängenden Probleme nicht zutraut, immer für überbezahlt halten. Was immer wir also tun können, um das argumentative Ringen um menschengerechte Lösungen für anstehende Probleme transparenter werden zu lassen - übrigens auch die mit der Abgeordnetentätigkeit verbundene Belastung -, sollten wir tun. Als kleines Beispiel sei in diesem Zusammenhang nur die Wanderausstellung des Deutschen Bundestages genannt. Letztlich werden wir alle aber nicht an den Freuden und Belastungen unserer Arbeit gemessen, sondern an deren Ergebnissen. Überzeugende Arbeit ist die beste Antwort auf billigen Populismus.

(Jörg van Essen (FDP): Deswegen machen wir gute Opposition!)

Das leider nicht unerheblich erschütterte Vertrauen in unsere parlamentarische Demokratie und die in ihr Handelnden - damit auch in uns als Abgeordnete - wird in dem Maße wiederhergestellt werden können, in dem es uns gelingt, die Probleme unseres Landes zu lösen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Enkelmann, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist allerhöchste Zeit, dass sich das Hohe Haus mit den Bezügen der Abgeordneten befasst. Ungerechtfertigte Privilegien gehören endlich auf den Prüfstand.

(Beifall bei der LINKEN)

„Frontal 21“ hat Recht: Wir sind in manchen Fragen, was die Entschädigung anbetrifft, Wesen einer anderen Finanzwelt. Da man in eigener Sache ungern zum eigenen Nachteil entscheidet, ist die Einrichtung einer unabhängigen Kommission beim Bundespräsidenten sinnvoll; dem kann meine Fraktion durchaus zustimmen. Wir gehen allerdings davon aus, dass in dieser Kommission auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände und natürlich des Bundes der Steuerzahler sitzen sollten. Dennoch sollte bei dieser Kommission nicht die alleinige Entscheidung über die Abgeordnetenbezüge liegen. Wir sollten in den Ausschüssen über eine angemessene Beteiligung des Parlaments sprechen. Wir können uns da auch gar nicht herausnehmen - immerhin sind wir diejenigen, die über den Haushalt des Bundestags entscheiden; damit entscheiden wir letztlich auch über die Abgeordnetenbezüge.

   Meine Damen und Herren, jeder, der ein Gutachten bestellt, weiß, dass dessen Ergebnis schon vom gegebenen Auftrag abhängt. Die Aufgaben, mit denen die FDP-Fraktion die unabhängige Kommission befasst sehen will, sind uns allerdings viel zu eng umrissen. Nach Ihrem Willen, meine Damen und Herren von der FDP, sollen lediglich die Höhe der Abgeordnetenentschädigung und die Altersversorgung neu geregelt werden. Es ist sicher kein Zufall - der Antrag kommt ja von Ihnen -, dass beispielsweise die Frage von Nebentätigkeiten oder Nebeneinkommen völlig ausgeklammert wird; es ist ja nicht ganz unbekannt, dass die Diäten für eine ganze Reihe der Kolleginnen und Kollegen von der FDP nur ein willkommenes Taschengeld darstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns denn schon für die Einrichtung einer unabhängigen Kommission aussprechen, dann sollten wir die Aufgaben, die diese Kommission haben soll, wesentlich weiter fassen. Die jüngsten Ereignisse bei VW, dem Kölner Müllskandal, dem Berliner Bankenskandal, der Leipziger Olympia-Gesellschaft etc. - die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen -

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das SED-Parteivermögen!)

zeigen eigentlich deutlich, wie nahe Nebentätigkeiten und Korruption liegen können.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Vergabe des Aufsichtsratspostens an den Ex-Bundeskanzler und Ex-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schröder hat mehr als ein unangenehmes Geschmäckle. Sie ist Ausdruck einer moralischen Verkommenheit

(Widerspruch bei der SPD)

und erschüttert ein weiteres Mal die Glaubwürdigkeit von Politikern. Wir dürfen uns nicht wundern, dass Politiker, was die Frage der Glaubwürdigkeit und der moralischen Integrität betrifft, weit unten in der Rangliste stehen. Gerhard Schröder hat seinen Beitrag dazu auf alle Fälle geleistet. Ich finde, die Aufstellung eines Ehrenkodex ist eindeutig zu wenig.

   Die unabhängige Kommission sollte sich auch mit den Regelungen befassen, mit denen bezüglich der Nebentätigkeiten bzw. Nebeneinkommen von Abgeordneten Transparenz geschaffen werden kann, ohne dass Interessen Dritter verletzt werden. Das ist völlig klar.

(Christine Lambrecht (SPD): Das ist doch längst geregelt!)

- Ihnen ist sehr gut bekannt, dass diese Regelungen gegenwärtig noch nicht in Kraft gesetzt sind. Wir tun uns offenkundig schwer damit, sie in Kraft zu setzen.

   Wenn wir eine solche Kommission einsetzen, dann sollte sie sich, wie ich denke, mit diesen Fragen durchaus befassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer aber von vornherein ausschließt, dass eine solche Regelung möglich ist, der will im Grunde genommen nicht wirklich Transparenz. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass wesentlich mehr möglich ist, ohne dass Demokratie leidet oder dass allzu private Dinge an die Öffentlichkeit gezerrt werden.

   Zum Abgeordnetenleben gehört, wie wir alle wissen, finanziell mehr als die zu versteuernde Grunddiät. So darf aus unserer Sicht bei einer Neuregelung die steuerfreie Kostenpauschale keineswegs außer Acht gelassen werden. Sonst setzen wir uns erneut dem Vorwurf aus, es gehe uns lediglich darum, unsere Privilegien zu sichern.

(Ute Kumpf (SPD): So ein Quatsch!)

Wir sollten uns fragen, ob die Pauschale noch ihren ursprünglichen Zweck erfüllt, nämlich die politische Arbeit auf praktikable Weise zu finanzieren, oder ob sie nicht für den einen oder anderen inzwischen zu einem angenehmen Zusatzeinkommen geworden ist.

   Natürlich gehören auch die Leistungen für die Mitglieder der Bundesregierung, die gleichzeitig Abgeordnete sind, mit auf den Prüfstand. Das betrifft auch die Leistungen für Staatssekretäre, deren Zahl sich wundersam vermehrt hat. Man muss sich fragen, ob es noch zeitgemäß ist, nach wenigen Jahren Tätigkeit einen lebenslangen Anspruch auf Bezüge zu erhalten.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist doch unstreitig!)

Derjenige, der drei Jahre ein Amt in der Bundesregierung bekleidet hat, bekommt ab 55 Jahren immerhin schon 20 Prozent der Bezüge. Das halte ich für zutiefst ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

   Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird sich vor allem dafür einsetzen, dass die Zeiten einer beitragsfreien Altersversorgung für Abgeordnete vorbei sind. Man muss sich einmal die Relationen vor Augen führen: Den so genannten statistischen Eckrentner erwartet nach 45 Beitragsjahren monatlich eine Rente von knapp über 1 000 Euro. Ein Abgeordneter dieses Hauses dagegen kann sich nach zwölf Jahren Mitgliedschaft im Bundestag bereits über 36 Prozent seiner Bezüge freuen. Das sind rund 2 400 Euro. Dieses Einkommen ist zwar zu versteuern; dennoch stimmt das Verhältnis nicht. Auch Abgeordnete haben für ihre Altersversorgung einzuzahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht länger hinzunehmen, dass Abgeordnete dafür keinen Cent aufbringen müssen.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abgeordneter ist aber kein Beruf!)

Auch wir müssen unseren Beitrag zur Solidargemeinschaft leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Auch bei der Sozialpflichtigkeit der Abgeordnetenbezüge sehen wir weiter gehenden Handlungsbedarf. Bei den Vorhaben der Bundesregierung haben wir wenig Hoffnung, dass die Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren tatsächlich deutlich verringert wird. Das kann unter anderem zur Folge haben, dass Abgeordnete nach dem Ende ihrer Amtszeit, also nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag, keine neue Arbeit finden. Das ist so abwegig nicht. Zumindest haben Mitglieder meiner Fraktion 2002 die Erfahrung machen müssen, arbeitslos zu werden. Abgeordnete haben dann keinen Anspruch auf entsprechende Regelungen des SGB II bzw. SGB III. Sie haben keinen Anspruch auf Vermittlung oder Umschulung durch die Arbeitsagenturen. Wir meinen, dass auch Abgeordnete in die Arbeitslosenversicherung einzahlen sollten. Im Übrigen hat das damals nicht nur Abgeordnete der PDS-Fraktion getroffen, sondern auch Abgeordnete anderer Fraktionen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Meine Damen und Herren, wir brauchen kein Reförmchen, sondern eine umfassende Reform der finanziellen Leistungen für die Abgeordneten. Wer es wirklich ernst damit meint, der gibt sich mit kleinen kosmetischen Operationen nicht zufrieden.

   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Olaf Scholz, SPD-Fraktion.

Olaf Scholz (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute einen sehr interessanten Vorgang, nämlich den Einzug der Ökologie bei der FDP.

(Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Recycling!)

- Recycling, ein Gedanke der Nachhaltigkeit. Das hatte ich bisher auf die stoffliche Welt bezogen. Dass man jetzt schon längst abgelegte Gedanken immer wieder neu auflegen und recyceln kann, ist ein neuer Nachhaltigkeitsaspekt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wäre ich nicht direkt drauf gekommen!)

   Es ist schon darauf hingewiesen worden: Sie haben dieses Gesetz und sämtliche damit verbundenen Gedanken und Begründungen schon zweimal in den Deutschen Bundestag eingebracht. Dreimal schadet ja auch nicht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wenn sie gut sind!)

Ich glaube allerdings, dass hier einer der Fälle vorliegt, zu denen man sagen kann: Dadurch, dass man es wiederholt, wird es nicht viel durchdachter.

(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) - Jörg van Essen (FDP): Schade, dass Ihr Fraktionsvorsitzender zustimmt! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Da müssen wir über Struck sprechen!)

Insofern ist es richtig, sich mit dem auseinander zu setzen, was Sie uns hier vorlegen, und dass man über die Dinge, um die es hier geht, debattiert.

   Sie haben ein Gesetz eingebracht, in dem eigentlich nur steht, dass über die Erhöhung der Diäten eine unabhängige Kommission entscheiden soll. Bei der öffentlichen Debatte geht es aber nicht um die einzelne Entscheidung, sie zu erhöhen, sondern um die Fragen, wie es mit der Abgeordnetenentschädigung, der Regelung der Altersversorgung und der Kostenpauschale überhaupt aussieht. All das hat mit dem Thema, das Sie hier verhandeln wollen, nur wenig zu tun.

(Jörg van Essen (FDP): Eine Menge!)

   Letztendlich haben Sie wahrscheinlich gedacht - vielleicht hatte Ihre Presseabteilung die Idee zu diesem Antrag -: Es wird gerade wieder über Diäten diskutiert, also nehmen wir doch diesen Antrag, sodass alle annehmen können, dass wir über die Sache reden.

(Dirk Niebel (FDP): Bei Ihnen hat es etwas mit einer Fälscherwerkstatt zu tun! Da wird „SPD“ drüber geschrieben!)

Die Sache, über die man sich verständigen soll, hat aber eine ganz andere Dimension.

   Ich sage für mich: Es ist nicht wirklich problematisch, dass wir bei bestimmten Gelegenheiten über eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung entscheiden müssen. Das kann man auch anders tun, man kann es aber auch so machen. Wir müssen in dieser Diskussion darüber sprechen, wie die Struktur dessen, über das wir hier verhandeln, überhaupt aussehen soll.

(Dirk Niebel (FDP): Ihr habt eine Mehrheit! Legt mal was vor!)

   Zunächst geht es um die Entschädigung selbst. Ich bin mit Ihnen einig darin: Es ist völlig richtig, dass der Deutsche Bundestag im Hinblick auf die Höhe der Abgeordnetenentschädigung bisher vernünftig vorgegangen ist. Ich finde auch, dass es richtig ist, in solchen Debatten nicht immer nur mit abstrakten Begriffen zu arbeiten, sondern zu sagen - das tue ich auch in jedem Brief an einen Bürger -, wie die gegenwärtige gesetzliche Lage aussieht. Ein Abgeordneter erhält 7 009 Euro.

(Fritz Rudolf Körper (SPD): Brutto!)

- Brutto. - Die Bürgerinnen und Bürger können sich Gedanken darüber machen, ob sie das für zu viel oder zu wenig halten.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kommt auf den Schaden an, der entschädigt wird! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU), zu Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewandt: Wenn ich mit Ihnen zusammenarbeite, müsste ich mehr bekommen!)

   Die Abgeordneten müssen wissen, dass das aus der Perspektive fast aller Wählerinnen und Wähler ein hoher Betrag ist. Jeder Abgeordnete wird von sehr vielen Menschen gewählt - jedenfalls gilt das für meine Partei -, die wesentlich weniger verdienen als das, was die Abgeordneten erhalten. Deshalb sind alle immer wieder einmal anzutreffenden Klagen von Abgeordneten darüber, dass nicht genügend gezahlt werde, völlig unangemessen. Die Entschädigung ist sehr hoch, sie ist sehr ordentlich und sie ist auch angemessen. Für Armutsklagen vonseiten der Abgeordneten gibt es keinen Anlass. Allerdings gibt es auch keinen Anlass, sich zu verstecken. Dafür werbe ich in einer solchen Diskussion auch.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was mir bei der Debatte auch nicht gefällt, ist, dass gelegentlich Vergleiche darüber angestellt werden, ob jemand, der außerhalb der Politik arbeitet, mehr verdient. Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Menschen, über die mancher Abgeordnete denkt: Ich kann doch viel mehr und trotzdem erhält er ein höheres Gehalt.

(Ute Kumpf (SPD): Soll es geben!)

Das kommt vor und das ist im übrigen Leben auch verbreitet. Insofern sollte uns die Angemessenheit als Maßstab leiten. Es geht um die Frage, ob das, was wir erhalten, für das Parlament der Bundesrepublik Deutschland und für etwas mehr als 600 Abgeordnete, die dieses Land vertreten, die im Schnitt über 200 000 Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Wahlkreis zu vertreten haben, die darüber zu entscheiden haben, ob am Irakkrieg teilgenommen wird oder nicht - so haben wir entschieden -, die über den Einsatz im Kosovo und in Afghanistan zu entscheiden haben und die darüber entscheiden, wie es mit den Steuern aussieht und wie es mit der Renten- und Krankenversicherung weitergeht, angemessen ist. Ich habe anhand der Antworten auf diese Frage festgestellt: In der Öffentlichkeit gibt es nur wenig Kritik an der Höhe der Entschädigung.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker (SPD))

   Wer seine Bürgerinnen und Bürger, ohne ihnen den Betrag vorher zu nennen, direkt fragt, welche Entschädigung jemand erhalten soll, der eine solche Aufgabe wahrnimmt und der ein sehr ehrenvolles Amt in der Demokratie ausübt, der erhält als Antwort eine Angabe, die meist oberhalb der aktuell gezahlten Entschädigung liegt.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor allen Dingen die Unabhängigkeit soll gesichert werden! So steht es im Grundgesetz!)

Insofern müssen wir uns vor einer öffentlichen Debatte nicht verstecken. Deshalb halte ich auch nichts von dem Vorschlag, die Verantwortung dafür auf andere zu delegieren. Wir können offen für das, was wir richtig finden, eintreten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Komplizierter ist die Diskussion über die Abgeordnetenversorgung. Die Altersversorgung ist in der Diskussion. Es ist darüber geredet worden, dies sorgfältig neu zu betrachten. Das halte ich für richtig. Über den Hinweis, den Sie gegeben haben, Herr van Essen, dass sich die Abgeordnetenversorgung ursprünglich am Modell der Beamtenaltersversorgung orientiert hat, kann man sorgfältig diskutieren. Wer Beamter ist, tritt - das ist jedenfalls die Idee - früh in den Dienst für die Demokratie und den Staat ein und beendet diesen Dienst, wenn er in Pension geht.

   Abgeordnete weisen selten eine so lange Berufsbiografie für den Bundestag auf. Im Abgeordnetenhandbuch entdeckt man zwar einige mit einer langen Sternenliste, wobei die Zahl der Sterne anzeigt, wie viele Legislaturperioden der Abgeordnete schon dabei ist. Diejenigen Abgeordneten, die dem Bundestag am längsten angehören, haben 1972 begonnen. Wenn ich mich richtig erinnere, sind das Frau Däubler-Gmelin und Herr Schäuble. Die meisten von uns sind aber eine kürzere Zeit dabei.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die meisten haben einen ehrlichen Beruf!)

Insofern ist es vernünftig, zu überlegen, ob die bisherige Organisation richtig ist. Ich begrüße daher die Tatsache, dass wir solche Diskussionen angefangen haben.

   Ich komme zum Schluss. Wenn das Recycling eines abgelegten Gedankens ein Bestandteil einer insgesamt notwendigen Debatte ist, dann soll das in Ordnung sein. Die Überweisung an die Ausschüsse schadet nicht weiter.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

(Jörg van Essen (FDP): Herr Beck hält wieder eine Vorlesung!)

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der öffentlichen Debatte über die Versorgung der Abgeordneten und ihre Entschädigung sollte man sich noch einmal daran erinnern, dass die Bezahlung der Abgeordneten historisch ein Fortschritt für unsere Demokratie war.

(Beifall der Abg. Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Noch 1871 las man in der Reichsverfassung:

Die Mitglieder des Reichstages

- also das historische Vorgängerparlament -

dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen.

Das bedeutete damals: Wer es sich leisten konnte, wer genügend Geld hatte, konnte sich ins Parlament wählen lassen. Der damalige Bundesrat hat gesagt, diese Regelung sei ein Korrektiv gegen das allgemeine Wahlrecht. Wenn also schon jeder wählen konnte, sollte wenigstens nicht jeder gewählt werden können, wenn er sich das nicht leisten konnte. Deshalb muss man daran erinnern, dass es ein Fortschritt für die Demokratie ist, dass man von dem, was man hier tut, leben kann, ohne auf Zuwendungen von außen - das wäre sehr problematisch - oder auf sein eigenes Vermögen angewiesen zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Max Weber hat in seinem berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ darauf hingewiesen - ich zitiere -:

daß eine nicht plutokratische Rekrutierung der politischen Interessenten, der Führerschaft und ihrer Gefolgschaft, an die selbstverständliche Voraussetzung gebunden ist, daß diesen Interessenten aus dem Betrieb der Politik regelmäßige und verläßliche Einnahmen zufließen. Die Politik kann entweder „ehrenamtlich“ und dann von, wie man zu sagen pflegt, „unabhängigen“, d. h. vermögenden Leuten, Rentnern vor allem,

- damals sagte man das zumindest -

geführt werden. Oder aber ihre Führung wird Vermögenslosen zugänglich gemacht, und dann muß sie entgolten werden.

Angesichts der öffentlichen Debatte muss man an diese Zusammenhänge durchaus erinnern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Grundgesetz bestimmt in Art. 48 Abs. 3, dass Abgeordnete „Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil zu den Diäten noch einmal umfangreich hervorgehoben und darauf aufmerksam gemacht, dass die Entschädigung so ausgestaltet werden muss, dass sie die Unabhängigkeit sichert und der Tatsache Rechnung trägt, dass der Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes ist.

Dies hat das Bundesverfassungsgericht übrigens 1975 erklärt. Damals war die Abgeordnetenentschädigung mit 7 500 DM ungefähr auf der Höhe eines Mitglieds eines obersten Gerichts des Bundes mit der Besoldungsgruppe R 6. Seitdem hat der Bundestag angesichts der Gesetze, die er beschließen musste und mit denen er den Bürgern viel zugemutet hat, wiederholt festgestellt, dass eine Erhöhung der Diäten nicht angemessen sei. Deswegen haben wir uns von diesem Level, das auch das Abgeordnetengesetz als Zielvorgabe vorsieht, immer weiter entfernt. Die Diäten sind nachweislich hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückgeblieben.

(Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): So ist es!)

   Ich denke, auch das muss der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Denn immer, wenn wir bei den Abgeordneten Kürzungen vorgenommen oder die Diäten nicht erhöht haben, war dies der „Bild“-Zeitung nicht einmal eine Zeile auf der letzten Seite wert.

(Jörg van Essen (FDP): Richtig! Darüber wird nichts geschrieben!)

Es wird aber immer wieder darüber berichtet, was die Abgeordneten bzw. die Politiker im Allgemeinen bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Als rot-grüne Koalition in der letzten Wahlperiode sind wir davon ausgegangen, dass wir das, was wir den Bürgerinnen und Bürgern durch die Sozialreformen bei der Rente, dem Sterbegeld, der Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge und der Pflegeversicherung zumuten, auch uns selbst zumuten müssen. Das haben wir nach und nach in sehr vielen Gesetzen eins zu eins umgesetzt.

(Fritz Rudolf Körper (SPD): Das haben wir getan!)

Auch daran will ich an dieser Stelle erinnern.

   Trotzdem kommen wir nicht um die Frage herum, welche Entschädigung und welche Altersversorgung der Abgeordneten angemessen sind. Angesichts des öffentlichen Drucks wünschte man sich manchmal - insofern verstehe ich den Vorschlag der FDP gut -, man müsste diese Debatte nicht durchstehen, sondern könnte sie an eine höhere Instanz delegieren.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da gibt es nur den blauen Himmel!)

   Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag der FDP zu verstehen, im Grundgesetz eine Kommission festzuschreiben - obwohl die FDP, wie ich zumindest in der letzten Wahlperiode öfter gehört habe, Kommissionen eigentlich nicht besonders schätzt -, den ich aus verfassungsrechtlicher Sicht eher für bizarr halte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörg van Essen (FDP): Sie kennen doch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages! Er sieht das ganz anders! - Gegenruf des Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hat gesagt, es geht! Aber man muss es nicht machen!)

- Der Wissenschaftliche Dienst meint, dass der Vorschlag nicht bizarr ist? Wie gut, dass Sie den Wissenschaftlichen Dienst für dieses Urteil in Anspruch nehmen konnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich glaube, es ist eine politische Frage, ob wir als Parlamentarier den Mut aufbringen, selbst zu definieren, was für die Tätigkeit eines Abgeordneten angemessen ist. Wir sollten auch klar machen, dafür werben und uns der Diskussion argumentativ stellen - darin waren wir, das gebe ich gerne zu, in der Vergangenheit nicht immer gut -,

(Ernst Burgbacher (FDP): Sie schon gar nicht! - Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ich denke, er ist lernfähig!)

was der Abgeordnete braucht, um seine Unabhängigkeit wahren zu können. Viele Aspekte der Abgeordnetenversorgung tragen dem Spezifikum dieses Amtes Rechnung. Wir werden für maximal vier Jahre gewählt

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manchmal auch für drei!)

- wie wir jüngst erfahren haben, kann dieser Zeitraum auch kürzer sein - und wir haben anders als Beamte keinen Anspruch auf eine Anschlussversorgung.

   Insofern ist es zwar richtig, dass die Abgeordneten keine Beamten sind. Sie sind aber auch keine Selbstständigen, Freiberufler oder Unternehmer. Sie sind keine Angestellten, sondern

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mandatsträger!)

sie sind eine Kategorie sui generis. Deshalb müssen wir uns mit der Frage befassen, in welcher Art und Weise wir bei der Versorgung der Abgeordneten dem Umstand Rechnung tragen können, dass sie unabhängig sein müssen.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

   Das Thema ist meines Erachtens von zwei Seiten zu betrachten - darüber haben wir diese Woche bereits diskutiert -: Ein Teil der Abgeordnetenversorgung - zum Beispiel die Übergangsgelder - ist dem Umstand geschuldet, dass nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag kein Arbeitslosengeld gezahlt wird. Die Übergangsgelder für die Regierungsmitglieder sind wesentlich üppiger. Sie haben - wenn auch nicht im rechtlichen Sinne, aber zumindest in politischer Hinsicht - die Aufgabe, uns davor zu schützen, politische Entscheidungen im Amt unter der Perspektive zu treffen, was sich im Anschluss an das Mandat ergeben und wer sich eventuell dankbar erweisen könnte. Insofern meine ich, dass das Verhalten des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder dem Ansehen der politischen Klasse und der Akzeptanz der Versorgungssysteme für Abgeordnete wie für Regierungsmitglieder enormen Schaden zugefügt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

   Einerseits sollten wir für eine angemessene Versorgung streiten. Andererseits sollten wir uns Regeln geben, die transparent sind und den Bürgern deutlich machen, dass unsere Entschädigung bzw. Besoldung angemessen ist. Aber dann sollten wir uns bei den Nebentätigkeiten zurückhalten und dürfen nicht jeden Job annehmen, insbesondere dann nicht, wenn bestimmte Dinge anrüchig sind.

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Beck, Sie müssen zum Schluss kommen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ein letzter Satz.

    Wir müssen den Verhaltenskodex betreffend die Nebentätigkeiten von Abgeordneten umsetzen. Er verbietet keinem Abgeordneten, einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Aber er verpflichtet uns zur Transparenz, sodass die Bürgerinnen und Bürger wissen, was wir sonst noch tun. Ich finde, darauf haben sie einen Anspruch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Christine Lambrecht, SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin versucht, zu sagen: Alle Jahre wieder - tatsächlich ist es nur jede Legislaturperiode - kommt der FDP-Antrag zu diesem Thema. Er begleitet zumindest mich in den drei Legislaturperioden, in denen ich diesem Hause angehöre. Ich kann aber dem Vorschlag, eine Kommission einzuberufen, noch immer nichts abgewinnen.

(Jörg van Essen (FDP): Schade!)

Ich habe noch immer meine Probleme - ich denke, diese teilen sehr viele Kollegen mit mir - damit. Ich möchte Ihnen gerne darlegen, warum.

   Ich habe ein Problem damit, dass eine Kommission - egal wie sie besetzt ist - in irgendeinem Hinterzimmer darüber berät, welche Entschädigung für die Tätigkeit eines Abgeordneten angemessen ist; denn ich glaube, dass die Beratungen einer solchen Kommission nicht öffentlich sein werden. Genau das wird nicht zu mehr, sondern zu weniger Transparenz führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir hier darüber debattieren, ob es eine Diätenerhöhung geben soll oder nicht, wie es in den letzten Jahren häufig der Fall war - das wird auch in den kommenden Jahren so sein -, dann geschieht das öffentlich. In unseren Debatten wird das Für und Wider abgewogen. Jeder kann teilnehmen, zuhören, nachvollziehen und sich eine Meinung bilden. Wenn aber eine Kommission hinter verschlossenen Türen tagt, dann ist das nicht möglich. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Lösung ablehne.

   Ein weiterer Grund, warum ich der Meinung bin, dass eine solche Lösung nicht sinnvoll ist, ist die mangelnde Unabhängigkeit einer solchen Kommission. Es sind Verbände genannt worden, die zwar immer den Anschein erwecken, unabhängig zu sein. Aber ich glaube, dass wir alle in der Realität leben und wissen, dass Verbände ihre Interessen vertreten. Dafür sind sie da. Schließlich sind sie Interessenvertretungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kein Verband ist vom Himmel gefallen und hat die absolute Unabhängigkeit gepachtet. Die Verbände werden in den Beratungen vielmehr ihre Interessen vertreten. Das ist sicherlich legitim. Aber die Frage ist, ob das der Sache dient.

   Wenn es eine solche Kommission gäbe, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien sie entscheiden würde. Hat sie überhaupt die Möglichkeit, Einblick in den parlamentarischen Alltag, in die Arbeit eines Abgeordneten zu nehmen und dann entsprechend zu entscheiden? Ich bestreite dies. Wenn man Gespräche mit Verbandsvertretern führt, die durchaus schon eine gewisse Nähe zu uns Abgeordneten haben, ist man manchmal verwundert, welche Vorstellungen dort über die Arbeit, den Aufwand und das Engagement eines Abgeordneten herrschen. Daher halte ich es für sehr problematisch, dass Verbandsvertreter über uns entscheiden und unsere Arbeit einschätzen sollen, die sie zum Teil gar nicht kennen. Das ist ein weiterer Grund, warum ich sage: Eine solche Kommission bitte nicht.

(Jörg van Essen (FDP): In NRW hat es sich bewährt!)

   Darüber hinaus wird eine solche Kommission Kosten verursachen; das ist doch klar. Diese werden sicherlich nicht dramatisch hoch sein; das gebe ich zu. Aber dieser Punkt ist nicht von der Hand zu weisen. Zudem bin ich der Meinung, dass die Kommissionen, die es bisher in anderen politischen Bereichen gab, entgegen der ursprünglichen Meinung nicht zu mehr Akzeptanz geführt haben, weil irgendwer irgendwo etwas beraten und entschieden hat, was man dann nicht nachvollziehen konnte. Das ist das beste Beispiel dafür, dass dies in einem solch sensiblen Bereich nicht der beste Weg ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns selbstkritisch sein! Das waren wir in den letzten Jahren bereits; denn sonst wäre es nicht zu so vielen Einschnitten gekommen. Wir haben uns sehr wohl in die eigene Tasche gelangt. Es ist nicht so, dass hier ständig draufgepackt worden wäre. Ich habe als Abgeordnete mehrere Nullrunden erlebt. Das wird wohl auch in Zukunft so sein. Das ist richtig; denn wir muten auch den Bürgerinnen und Bürgern Einschnitte zu. Wir haben also die Änderungen, die bei den Bürgerinnen und Bürgern für Einschnitte gesorgt haben - Herr Beck hat das schon erwähnt -, auf uns selbst übertragen. Darüber muss ich nicht diskutieren. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

   Lassen Sie uns selbstkritisch, aber auch selbstbewusst über diese Angelegenheit hier diskutieren und hier beraten. Hier haben wir den Sachverstand und die Öffentlichkeit, die das bewerten kann. Dann kommen wir auch zu akzeptablen Ergebnissen. Deswegen sage ich: Keine Verlagerung in Hinterzimmer auf irgendwelche Vertreter. Das ist vielmehr Angelegenheit des Parlaments. Herr van Essen, das ist keine verfassungsrechtliche oder juristische Einschätzung, sondern das ist eine politische Einschätzung, die ich hier abgebe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es wird im Januar ein Gespräch der Fraktionsvorsitzenden geben, in dem sie sich über diese Fragen auszutauschen. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich gehe davon aus, dass die Vorschläge nicht in Richtung einer Kommission gehen werden, sondern dass man andere Wege einschlägt. Ich persönlich - da rede ich aber nur für mich und nicht für die SPD-Fraktion - kann mir durchaus vorstellen, die Diäten an die Entwicklung der Gehälter bestimmter Berufsgruppen im öffentlichen Dienst zu koppeln. Aber das ist alles offen. Darüber muss man ohne Scheuklappen miteinander diskutieren.

    Was die Altersversorgung betrifft, ist es wirklich angebracht, sich vielleicht einmal das Düsseldorfer Modell genau anzuschauen und zu prüfen, ob das ein gangbarer Weg ist.

(Jörg van Essen (FDP): Das hat sehr lange gedauert!)

Ich kann es momentan noch nicht einschätzen. Wir sollten aber auch diese Entscheidung selbst treffen und sie nicht an irgendjemanden delegieren. Diesen Mut sollten wir haben. Dazu kann ich Sie alle nur auffordern.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Götzer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon angesprochen worden, dass uns die beiden heute vorliegenden Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion nicht gänzlich unbekannt sind. Sie wurden bereits in der letzten und in der vorletzten Wahlperiode eingebracht und diskutiert. Sehr viel Neues kann man deshalb dazu wahrlich nicht sagen. Es geht um die Rechtsstellung der Mitglieder des Deutschen Bundestages und dabei letztlich um die Frage, wie die Mitglieder des Bundestages ausgestattet sein müssen, um ihren Aufgaben als Gesetzgebungsorgan und Kontrollorgan der Bundesregierung sachgerecht nachkommen zu können. Dabei dürfen wir uns von der Polemik, mit der dieses Thema regelmäßig von einem nicht geringen Teil der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung begleitet wird, nicht irremachen lassen. Es ist nun einmal so und es bleibt so, dass nur ein guter Bundestag gute Arbeit leisten kann. Gute und engagierte Arbeit verdient auch eine sachgemäße Ausstattung und eine finanzielle Absicherung der Abgeordneten. Nicht zuletzt geht es auch um die Ausführung eines Verfassungsgebotes, nämlich des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach die Abgeordneten „eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung“ haben müssen.

   Kommen wir nun konkret zu den vorliegenden Gesetzentwürfen der FDP. Wesentlicher Teil der Gesetzentwürfe ist die Übertragung der Entscheidung über eine angemessene Abgeordnetenentschädigung auf eine vom Bundespräsidenten zu berufende unabhängige Kommission. Das ist eine bekannte Forderung. Anders als früher etwa die Kissel-Kommission soll diese Kommission jedoch ein eigenes, verbindliches Entscheidungsrecht über die Höhe der Diäten haben und nicht nur ein Vorschlagsrecht mit empfehlendem Charakter. Diese Anträge der FDP wurden sowohl in der 14. als auch in der 15. Wahlperiode abgelehnt.

(Dirk Niebel (FDP): Das war schon damals falsch!)

   Ich verhehle nicht ein gewisses Verständnis für die Grundintention, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, die hinter den Anträgen steht, weil Sie damit der öffentlichen Kritik und dem Vorwurf der Selbstbedienung, der heute schon wiederholt angesprochen worden ist, begegnen wollen. Wir alle wissen, dass dieser Vorwurf nicht nur polemisch und unsachlich, sondern schlicht falsch ist.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker (SPD))

- Vielen Dank für den Applaus. Wir müssen das immer wieder sagen, Herr Kollege Stünker. Deshalb bin ich Ihnen dafür dankbar. 

In der Öffentlichkeit wird mit diesem falschen Vorwurf immer wieder operiert. Vor allem die selbst ernannten Experten, die ihn immer wieder erheben, müssten eigentlich wissen - ich glaube, sie wissen es auch -, dass dieser Vorwurf nicht zutreffend ist. Aber er ist so schön griffig, er setzt sich in den Köpfen fest und niemand redet davon - deswegen müssen wir es immer wieder tun -, dass wir die Entscheidung nicht an uns gezogen haben, sondern dass wir durch die Diätenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu verpflichtet worden sind, über die Höhe der Entschädigung selbst zu entscheiden. Folgerichtig sehen die Gesetzentwürfe der FDP die Änderung des Grundgesetzes vor.

   Wie ich schon gesagt habe, habe ich durchaus eine gewisse Sympathie für die Position der FDP. Man bedenke, dass die Öffentlichkeit Selbstbeschränkungen, die wir seit Jahren beschließen, kaum wahrnimmt. Wie war denn das Echo in der Öffentlichkeit, als wir in der letzten Wahlperiode die Rückführung unserer Altersversorgung beschlossen haben? Wie war das öffentliche Echo auf zehn Nullrunden, die schon angesprochen worden sind? Dazu gab es vielleicht eine Randnotiz, mehr nicht. Ich behaupte sogar, dass fast niemand in unserem Land davon Kenntnis genommen hat. Das erleben wir beinahe täglich in Diskussionen und in unseren Veranstaltungen.

   Ich möchte aber nicht verhehlen, dass ich gegenüber den Gesetzentwürfen der FDP-Kollegen verfassungsrechtliche und vor allem verfassungspolitische Bedenken habe. Eine unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten mit eigener Entscheidungsbefugnis ist verfassungsrechtlich bedenklich.

   Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht 1975 in dem schon zitierten Diätenurteil dargelegt hat, wird vielfach ein umfassender Parlamentsvorbehalt angenommen. Ob die Übertragung bei Änderung von Art. 48 Abs. 3 Grundgesetz - wie die FDP es vorschlägt - möglich ist, wird in Fachkreisen sehr unterschiedlich beurteilt. Als Maßstab wird hier von vielen die Unantastbarkeitsgarantie aus Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz wegen Berührung des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz herangezogen.

   Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, mit dieser Kommission möglicherweise ein weiteres Verfassungsorgan zu schaffen, dessen einzige Aufgabe es ist, die Höhe der Abgeordnetenentschädigung festzusetzen.

   Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Fragen bleibt weiterer wichtiger Erörterungsbedarf. Ist denn wirklich sicher, dass die von der FDP angestrebte Übertragung der Entscheidungsbefugnis ihr Ziel erreicht, nämlich eine politische Entlastung der Abgeordneten? Wird eine solche Kommission auch in der Öffentlichkeit die erforderliche Anerkennung finden?

(Jörg van Essen (FDP): Das hängt doch von der Zusammensetzung ab!)

Dies wird von der FDP zwar als Konsequenz angenommen, bleibt für mich aber zweifelhaft.

    Ich sehe auch bei einer Neuregelung, wie sie die FDP vorsieht, gleichwohl politischen Druck auf das Parlament zukommen, eine von der Kommission etwa getroffene Entscheidung für eine Diätenerhöhung durch Parlamentsbeschluss aufzuheben und auf diese Erhöhung letztlich doch zu verzichten. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass wir uns dem Thema Diäten auch künftig selbst stellen müssen - mit Verantwortungsbewusstsein, aber auch mit Selbstbewusstsein. Hier im Parlament gibt es keine Selbstbedienung. Hier gibt es nur die Erfüllung eines Verfassungsauftrages mit Augenmaß und politischem Einfühlungsvermögen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nun möchte ich noch zum zweiten Teil des FDP-Gesetzentwurfs kommen, zum Prüfauftrag zur Änderung der Altersversorgung. Dabei geht es um die grundsätzliche Umstellung des Systems hin zu einer stärkeren Eigenverantwortung. Darüber kann man diskutieren. Ich halte aber nichts von einer voreiligen Festlegung darauf; vielmehr bin ich für eine ergebnisoffene Prüfung. Das gilt insbesondere für das jetzt immer wieder zitierte Nordrhein-Westfalen-Modell, das die Schaffung eines eigenen Versorgungswerkes vorsieht. Dies bedarf einer eingehenden kritischen Prüfung, auch unter Einbeziehung der dortigen Erfahrungen.

   Jedenfalls sehe ich erhebliche Probleme auf uns zukommen, wenn als Konsequenz einer solchen Umstellung eine massive Diätenerhöhung für erforderlich gehalten würde, was ja viele Experten tun. Dies wäre politisch kaum vermittelbar, obwohl es zur Gewährleistung einer angemessenen Altersvorsorge nach Meinung vieler Sachverständiger unumgänglich wäre.

(Jörg van Essen (FDP): Aber in NRW ist es doch akzeptiert worden!)

   Völlig inakzeptabel wäre aber, wenn dann schließlich nur die Abschaffung des bisherigen Systems der Altersversorgung beschlossen würde, nicht aber der dazugehörende zweite Teil, nämlich eine entsprechende angemessene Erhöhung der Diäten. Deswegen plädiere ich für eine ruhige und sachliche Diskussion, die mit den Gesprächen zu Beginn des neuen Jahres ohnehin stattfinden wird. In diese Diskussion werden die heute vorliegenden FDP-Gesetzentwürfe natürlich wiederum einbezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.

Dieter Wiefelspütz (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in Sachen Abgeordnetenentschädigung und Abgeordnetenversorgung vielfältige Vorschläge. Aber es gibt einen besonders unsinnigen Vorschlag. Das ist der der FDP, eine Kommissionslösung zu wählen. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Die Höhe der Abgeordnetenentschädigung soll in Zukunft durch eine Kommission verbindlich festgelegt werden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)

   Nun räume ich ein: In eigener Sache die Bezahlung und auch die Versorgung festzulegen ist keine besonders angenehme Entscheidung. Wer drängt sich schon danach? Wir werden von der Öffentlichkeit in dieser Angelegenheit in vielfältiger Weise sehr kritisch beobachtet. Ich will nun nicht wiederholen, was hier schon zutreffend gesagt worden ist, aber unterstreichen: So unangenehm das ist - sollen wir in Zukunft auch in anderen Bereichen unangenehme Entscheidungen aus dem Parlament hinausverlagern? Ist das Ihr Weg, um verantwortlich Politik zu machen, Herr van Essen? Es kann doch wohl nicht gemeint sein, dass wir uns drücken sollen! Sie wollen Verantwortlichkeit aus dem Parlament in nicht kontrollierbare Kommissionen verlagern. Überlegen Sie sich doch einmal die Konsequenz! Ist das, was Sie uns hier vortragen, das Modell für verantwortliche Politikgestaltung? Das ist nicht zu Ende gedacht.

   Das ist übrigens weniger eine verfassungsrechtliche Frage. Sie wollen das per Verfassungsänderung machen. Das ist ungewöhnlich, aber so etwas kann man - da würde ich dem Wissenschaftlichen Dienst durchaus Recht geben - verfassungsrechtlich tun.

(Jörg van Essen (FDP): Ja!)

Ich glaube nicht, dass der neue Satz 2 in Art. 48 Abs. 3 Grundgesetz sozusagen verfassungswidriges Verfassungsrecht wäre. Aber politisch ist das, was Sie da vorschlagen, unsinnig.

(Beifall des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel (SPD))

   Wir müssen nach der Verfassung als Gesetzgeber selbst entscheiden, vor den Augen der Öffentlichkeit. Ich kenne kein Verfahren, das transparenter ist, das klarer ist, das auch disziplinierender ist als das, bei dem der Öffentlichkeit gesagt wird: Das wollen wir, und das wollen wir nicht. - Sie wollen das in ein vertraulich oder geheim tagendes Gremium verlagern,

(Jörg van Essen (FDP): Nein!)

das verbindlich entscheidet. Überlegen Sie sich doch einmal, welche verfassungspolitischen Folgen das hat!

(Jörg van Essen (FDP): Das steht doch überhaupt nicht darin!)

Was Sie da vorschlagen, ist nicht zu Ende gedacht. Demnächst kommen Sie auch noch auf die Idee, die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr in irgendeine unabhängige Kommission zu verlagern.

(Jörg van Essen (FDP): Sie reden doch über ein Phantom!)

- Herr van Essen, ich bitte Sie! In Ihrem Antrag steht, dass diese Kommission verbindlich, mit Rechtsverbindlichkeit entscheidet.

(Jörg van Essen (FDP): Aber nicht geheim!)

Das ist nicht in Ordnung. Dieser Vorschlag wird in diesem Deutschen Bundestag zum Glück nicht den Hauch einer Chance haben. Er ist nicht zu Ende gedacht. Er ist verfassungspolitisch ein Irrweg, der uns keinen Millimeter weiterbringt.

   Zu dem zweiten Vorschlag, den Sie unterbreiten, nach dem die Kommission Vorschläge erarbeiten soll, muss ich sagen: Wir können natürlich auch externen Sachverstand heranziehen; überhaupt kein Problem.

(Jörg van Essen (FDP): Die Nordrhein-Westfalen haben das auch gemacht!)

Ich rate aber sehr dazu, dass wir - Sie, wir alle - in dieser Angelegenheit unsere Verantwortung wahrnehmen.

(Jörg van Essen (FDP): Das schließt das nicht aus!)

- Das schließt das nicht aus; richtig. Aber ich bin schon der Auffassung, dass wir an dieser Stelle diese Kommissionitis nicht fortsetzen

(Jörg van Essen (FDP): Das ist gar keine Gefahr!)

und eher den Weg gehen sollten, unsere Vorschläge offen zu diskutieren, sie mit der Öffentlichkeit zu diskutieren und dann in eigener Verantwortung eine Entscheidung zu treffen. Ich bin jedenfalls sehr froh darüber, dass es hier im Deutschen Bundestag eine breite Mehrheit gibt, die das, was Sie vorschlagen, nicht nur kritisch sieht, sondern ablehnt. Dabei soll es auch bleiben.

   Schönen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/118 und 16/117 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union (AU) in Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004) und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004

- Drucksachen 16/100, 16/268 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)
Brunhilde Irber
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Marieluise Beck (Bremen)

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/269 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Carsten Schneider (Erfurt)
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Abg. Alexander Bonde

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 9. Sitzung - wird am
Montag, den 19. Dezember 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16009
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