Eckhard Stengel
Das Ende einer "Lebenslüge"
Bremen: Kein Geld aus dem
"Kanzlerbrief"
Patriotische Bremer sind derzeit nicht gut auf Gerhard
Schröder zu sprechen. Denn der Kanzler will der extrem
verschuldeten Hansestadt keine weiteren Sanierungsbeihilfen
gewähren, obwohl er in einem so genannten "Kanzlerbrief"
entsprechende Hoffnungen geweckt hatte. Aber auch sein Genosse
Henning Scherf hat bei vielen Bürgern an Ansehen verloren: Sie
werfen ihm im Zusammenhang mit dem "Kanzlerbrief" ein Doppelspiel
vor.
Bremens große Koalition hatte Mitte 2000 im Bundesrat
für die rot-grüne Steuerreform gestimmt. Im Gegenzug
schrieb Schröder einen Brief, der von den Hanseaten so
verstanden wurde, als würde der Bund alle
steuerreformbedingten Finanzeinbußen ausgleichen: "Auf jeden
Fall darf ein erneutes Abgleiten der Sanierungsländer in eine
extreme Haushaltsnotlage durch die finanziellen Auswirkungen von
Steuerreform und Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs
nicht zugelassen werden, so dass eine ansonsten erforderliche
Fortführung von Sanierungshilfen vermieden wird."
Der Bremer Senat beziffert seine Einbußen durch die
Steuerreform auf rund 500 Millionen Euro pro Jahr - also müsse
der Bund entsprechend löhnen, meinte die große Koalition
und plante diese Summe bereits forsch als Bundeszuschuss im
Vier-Milliarden-Landeshaushalt 2005 ein. Doch die Rechnung wurde
ohne den Bund gemacht. Der hatte schon von 1994 bis 2004 insgesamt
8,5 Milliarden Euro Sanierungshilfen überwiesen und wollte nun
nicht länger den reichen Onkel spielen. Da half auch ein
Spitzentreffen von Bürgermeister Scherf mit dem Kanzler plus
seinen Ministern Hans Eichel (Finanzen) und Manfred Stolpe
(Verkehr) nichts: Es fließen keine neuen Dauersubventionen an
die Weser. Nur bei zwei Straßenbauprojekten kann Bremen auf
einmalige Zusatzgelder hoffen (obwohl auch hier noch nichts fest
beschlossen ist), und außerdem "prüft" die
Bundesregierung, ob sie die Hansestadt an Innovationsprojekten
für Raumfahrt und Logistik beteiligt.
Ein mageres Ergebnis also nach jahrelangen Verhandlungen und
hochgeschraubten Erwartungen. Entsprechend verärgert zeigten
sich die Bremer Koalitionsführer nach dem Spitzengespräch
im Kanzleramt. CDU-Landesparteichef Bernd Neumann (MdB) warf
Schröder Wortbruch vor: "Ich finde es traurig, dass man sich
auf das schriftlich gegebene Wort eines Bundeskanzlers nicht
verlassen kann." Und der Bürgermeister sagte mit zerknirschter
Miene: "Ich bin enttäuscht über dieses Ergebnis."
Gegenüber Schröder äußerte sich Scherf
allerdings ganz anders. Wie die Lokalpresse enthüllte, schrieb
er nach Berlin: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Gerd, ich
bedanke mich sehr für unser gestriges Gespräch über
die Bremer Situation und über unsere dabei erreichte
Verständigung." Und weiter lobte er das "sehr faire
Entgegenkommen" bei den Straßen- und Innovationsprojekten, das
er "hoch einschätze und hier vertreten werde - gerade
gegenüber den ursprünglichen Maximalvorstellungen der
Bremer Seite". Der Brief endete "mit großem Dank. Dein
Henning".
Ein gefundenes Fressen für die Opposition. Die Grünen
warfen dem Bürgermeister "ein verlogenes Doppelspiel" vor.
Wider besseres Wissen habe er den Bremern "jahrelang den
Kanzlerbrief als Lösung aller Probleme verkauft - ein
übles Betrugsmanöver". Ähnlich die FDP: "Scherf
wusste von Anfang an, dass der Kanzlerbrief nicht mehr als ein
Potemkinsches Dorf war." Er habe sich das Ja zur Steuerreform
"unter Wert abschwatzen lassen" und die Bremer "jahrelang belogen
und für dumm verkauft". Zuvor hatten Grüne und FDP
bereits von "Märchenstunde" und aufgeflogener
"Lebenslüge" der großen Koalition gesprochen.
Nun also müssen SPD und CDU zusehen, wie sie die
ausbleibenden 500 Millionen ersetzen: durch weitere Verschuldung
und noch massivere Einsparungen. Dabei gebe es keine Tabus,
heißt es, aber auch kein Vorgehen nach der
Rasenmähermethode. Der SPD-nahe Finanzsenator Ulrich
Nußbaum soll jetzt konkrete Sparvorschläge machen - und
fürchtet bereits, dass er dafür "gleich geköpft
wird".
Die Koalition will aber auch die Bundesregierung und die anderen
Länder in die Pflicht nehmen und sich damit einen neuen
Hoffnungsanker schaffen: Bremen plant eine neuerliche Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht, um die "ungerechte Finanzverteilung"
innerhalb des Bundes zu verändern. Bereits 1986 und 1992 hatte
die Hansestadt in Karlsruhe eine bessere Finanzausstattung
durchgesetzt. Parallel zu den Klagevorbereitungen setzt die
Koalition aber auch auf Verhandlungen: Scherf regte an, einen nicht
näher erläuterten "nationalen Konsolidierungspakt" zur
Sicherung der Staatsfinanzen zu vereinbaren.
Für die große Koalition, die erst kürzlich eine
schwere Krise durchgemacht hatte, haben die neuen Finanzsorgen auch
ihr Gutes: Das Bündnis will die "äußerst schwierige
Situation" jetzt "mit neuem Elan" meistern. Der CDU-Chef Bernd
Neumann: "Not schweißt zusammen."
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