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Susanne Kailitz
Redeschlacht um die Freiheit
Damals ...vor 50 Jahren am 27. Februar: Der
Bundestag ratifiziert die Pariser Verträge
Es war wohl die größte Redeschlacht, die der Bundestag
je erlebt hat: Über 40 Stunden - verteilt auf vier Tage -
hatten die Parlamentarier gerungen, bis das Werk am Abend des 27.
Februars 1955 vollendet war: Die Ratifizierung der Pariser
Verträge. Von 473 Abgeordneten hatten 314 dem Vertragswerk
zugestimmt, 157 dagegen. Damit waren die Weichen gestellt für
die weitere Entwicklung Deutschlands: Mit der Anerkennung der
Verträge endete das Besatzungsstatut. Der Deutschlandvertrag,
der der Bundesrepublik weitgehende Souveränität
einräumte, trat in Kraft. Gleichzeitig wurde Deutschland
Mitglied der NATO und des Brüsseler Vertrags. Das Saar-Statut
machte zudem den Weg frei für eine Volksabstimmung über
die Rückkehr des Saarlandes nach Deutschland. So kompliziert
die Vertragsinhalte und Paragrafen im Einzelnen auch waren, eines
konnte im Februar 1955 die ganze Welt deutlich sehen: Deutschland
hatte unwiderruflich den Weg nach Westen eingeschlagen und sich vom
besiegten Feind zum militärischen Verbündeten der
westlichen Staaten verwandelt.
Um diese Entscheidung war im Vorfeld der parlamentarischen
Entscheidung lange gerungen worden. Schon 1952 hatte der Bundestag
die Verwirklichung einer Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft beschlossen - diese war jedoch am
Widerstand der französischen Nationalversammlung gescheitert.
Die Pariser Verträge stellten damit den zweiten Versuch
Deutschlands dar, seine Souveränität wiederzuerlangen.
Doch nicht allen im Lande erschien der Preis dafür
gerechtfertigt: Insbesondere die Frage der deutschen
Wiederbewaffnung sorgte für erheblichen Zündstoff, sahen
viele Deutsche doch dadurch eine mögliche Wiedervereinigung
beider deutscher Staaten gefährdet. Im Januar 1955 gipfelte
der Protest der Wiederbewaffnungsgegner in der "Aktion
Paulskirche". Oppositionspolitiker, Publizisten und Künstler
appellierten in einer Resolution an die Bundesregierung, "alle nur
möglichen Anstrengungen zu machen, damit die vier
Besatzungsmächte dem Willen unseres Volkes zur Einheit
Rechnung tragen". Die Verständigung über eine
Viermächte-Vereinbarung müsse "vor der militärischen
Blockbildung Vorrang haben". Unter dem Slogan "Rettet Einheit,
Freiheit, Frieden!" rief die Initiative "Volk und Regierung" zu
"entschlossenem Widerstand gegen die sich immer stärker
abzeichnenden Tendenzen einer endgültigen Zerreißung
unseres Volkes" auf.
Für Kanzler Konrad Adenauer unverständlich: "Wer
glaubt, die Bundesrepublik könne in dem Stadium, in dem sie
sich jetzt befindet, das heißt besetzt, unfrei und machtlos,
mit Sowjetrussland erfolgreiche Verhandlungen über die
Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit führen,
der hat keinen Blick für die Realitäten in der Politik.
Eine solche Politik würde Deutschland in kurzer Zeit in die
gleiche Unfreiheit bringen, in der sich die anderen
Satellitenvölker Russlands befinden." Adenauer fand scharfe
Worte für die Kampagne: Vor dem Bundesvorstand der CDU
erklärte er, die "Volksbewegung" gegen die Unterzeichnung der
Verträge erinnere an die Zeiten des Nationalsozialismus vor
der Machtergreifung.
Die Diskussion wurde mit harten Bandagen geführt.
Während die Polizei draußen mit Wasserwerfern gegen
protestierende Vertragsgegner vorging, forderte drinnen der
SPD-Politiker und Vizepräsident des deutschen Bundestags Carlo
Schmid die Parlamentarier auf, "die Beratungen der ihm vorgelegten
Zustimmungsgesetze auszusetzen, bis die politische Lage
genügend geklärt" wäre. Seien die Verträge
einmal ratifiziert, "so wird eine Einigung der Mächte nur
möglich sein, wenn entweder die Sowjetunion vor den
politischen Absichten des Westens kapituliert - und das ist wenig
wahrscheinlich - oder wenn der Westen bereit ist, das Gebäude,
auf dessen Errichtung er so viel Mühe verwendet hat,
abzutragen. Auch das ist wenig wahrscheinlich."
Kurt Georg Kiesinger hingegen, damals Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und
CDU-Vorstandsmitglied, begrüßte die Pariser
Verträge. Es sei gewiss, dass "unser verwirrtes und
verstörtes Volk es einfach nicht mehr länger ertragen"
könne, in "einem Schwebezustand des Hangs und Bangens gelassen
zu werden, der nur Unheil schaffen" könne. Die Sicherheit der
Bundesrepublik sei die "einzige Chance für die 18 Millionen im
Osten", jemals wieder "die Freiheit zu sehen". Die CDU-Mehrheit im
Bundestag sicherte trotz der tagelangen Debatten wie erwartet die
Ratifizierung. Die Pariser Verträge traten am 5. Mai 1955 in
Kraft. Bis zur Wiedervereinigung sollte es von da an jedoch noch 35
Jahre dauern.
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