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Michael Münch
Die Suche nach Gewissheit
Suchdienste helfen noch heute
Es war ein außergewöhnliches Fest mit vielen
Gesprächen, tiefen Gefühlen und gegenseitigem
Kennenlernen." Karfreitag 2002 wird Brigitte Paulsen wohl für
immer im Gedächtnis bleiben. An jenem Tag sah sie zum ersten
Mal in ihrem Leben ihre Schwester Mylène Lannegrand aus
Frankreich. Diese hatte als Tochter eines ehemaligen
Wehrmachtssoldaten die Deutsche Dienststelle um Hilfe bei der Suche
nach ihren deutschen Wurzeln gebeten. Mit Erfolg: Im Oktober 2001
machte die Deutsche Dienststelle Brigitte Paulsen ausfindig und
vermittelte die Adressen zwischen den Schwestern. Es entstand ein
reger Brief- und Telefonkontakt, ein halbes Jahr später folgte
das erste Treffen.
14 Millionen geklärte Schicksale
Eine Geschichte, wie sie ohne die aufwändige Recherche der
Suchdienste nicht möglich gewesen wäre. Da für die
Bearbeitung derart komplexer Fälle oftmals mehrere
Organisationen zuständig sind, möchte man diese
Kooperation nun auch nach außen hin zeigen. So
präsentiert das am vergangenen Dienstag in Berlin
präsentierte Buch "Narben bleiben" eine Bilanz der
Tätigkeit von insgesamt sieben Suchdiensten. Neben zahlreichen
illustrierten Einzelfällen erhält der Leser einen
Einblick in die Arbeitsweisen und die Erfolge der Organisationen.
Und die können sich sehen lassen: Über 14 Millionen
Fälle konnten seit der Nachkriegszeit geklärt werden.
Noch immer verzeichnen die Suchdienste pro Jahr zwischen 15.000 und
20.000 Rechercheerfolge. Ein Ende ihrer Arbeit ist in näherer
Zukunft nicht in Sicht. "Wer die Aktendeckel jetzt schließt,
der sucht nicht mehr", so Reinhard Führer, Präsident des
Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Doch für
die Schließung der Akten sei es auch 60 Jahre nach dem Ende
des Zweiten Weltkrieges zu früh. So gehen allein beim
DRK-Suchdienst jährlich bis zu 4.000 neue Anfragen ein.
1,3 Millionen vermisste Menschen
Noch immer gelten weiterhin 1,3 Millionen Menschen als vermisst.
Die Wirren des Krieges haben ihre Schicksale als Soldaten,
Kriegsgefangene, Flüchtlinge, Vertriebene oder Opfer von
Bombenangriffen tief in den Archiven begraben. Ebenso leben bis
heute tausende Menschen der Jahrgänge 1927 bis 1949 unter uns,
die ihre wahre Herkunft nicht kennen. Als verwaiste Kriegs- bzw.
Nachkriegskinder wurden sie von Adoptiveltern großgezogen und
begeben sich nun auf die Spurensuche nach ihrer leiblichen Familie.
"Die Hinterbliebenen sehnen sich nach einer endgültigen
Gewissheit oder möchten endlich ihre tatsächliche
Identität finden", gibt Kirsten Bollin, Leiterin des
DRK-Suchdienstes Hamburg, die Motivation für das Einschalten
eines Suchdienstes an.
Insbesondere die Öffnung russischer Archive in den
90er-Jahren hat den Zugang zu einer Unmenge an Akten
ermöglicht, wovon zur Zeit über 2 Millionen digitalisiert
werden. Diese Daten gelten als sehr zuverlässig, da oftmals
Dokumente wie Krankenblätter, Personalbögen oder
Soldbücher aufbewahrt wurden. Im Gegenzug erhalten die
Osteuropäer Unterstützung von den deutschen Archiven, um
die ihrerseits Vermissten ausfindig zu machen. Aus ehemaligen
Feinden wurden Partner, deren gemeinsame Arbeit ein unverzichtbarer
Bestandteil der Vergangenheitsbewältigung ist.
Charles-Claude-Biedermann, Leiter des Internationalen Suchdienstes,
weiß um die moralische Hilfe, welche die Suchdienste den
Osteuropäern geben: "Für Gewissheit über die
Schicksale von Angehörigen zu sorgen, ist die schönste
Form der Wiedergutmachung."
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