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Thomas Emons
"Ehren wir die Freiheit"
Damals...vor 20 Jahren am 8. Mai:
Bundespräsident von Weizsäcker spricht zum 40. Jahrestag
des Kriegsendes
Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht. Dienen wir unseren inneren
Maßstäben der Gerechtigkeit. Schauen wir am heutigen 8.
Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge." Kaum hat
Bundespräsident Richard von Weizsäcker diese letzten
Sätze seiner Gedenkrede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes
gesprochen, bedanken sich seine Zuhörer im
blumengeschmückten Plenarsaal des Bonner Bundestages mit
anhaltendem Applaus.
Nicht nur die Mitglieder von Bundestag und Bundesrat, auch
Diplomaten und Gäste aus allen gesellschaftlichen Bereichen
haben an diesem 8. Mai 1985 eine Rede gehört, von der die
FDP-Bundestagsabgeordnete Hildegard Hamm-Brücher sagt, dass
sie in jedes Schulbuch gehöre. Und ihr sozialdemokratischer
Parlamentskollege Horst Ehmke lobt die Worte des
Bundespräsidenten sogar als "die größte Rede, die
ich in diesem Hause je gehört habe".
In den folgenden Tagen erreichen das Bundespräsidialamt
rund 38.000 Telegramme und Telefonanrufe, die dem Staatsoberhaupt
der Bundesrepublik Deutschland Zustimmung und Anerkennung bekunden.
Rund 1,5 Millionen Bürger fordern einen Nachdruck der Rede von
Weizsäckers und eine jüdische Bürgerin, die im
Holocaust vier Familienangehörige verloren hat, bedankt sich
beim Bundespräsidenten für seine klaren, kritischen, aber
auch einfühlsamen Worte zur historischen Bedeutung des 8. Mai
1945 mit einem Blumenstrauß.
Richard von Weizsäcker hat sich auf seine Rede gut
vorbereitet. Vier Monate lang hat sich der Bundespräsident mit
intensiver Lektüre und Gesprächen vorbereitet, ehe er im
April 1985 den ersten Entwurf seiner Rede diktiert. Der am 15.
April 1920 als Diplomatensohn in Stuttgart geborene von
Weizsäcker hat Krieg und Nazi-Herrschaft als Student und
Wehrmachtsoffizier miterlebt. Im so genannten
Wilhelmstraßenprozess steht der junge Jurist seinem Vater
Ernst 1948/49 als Hilfsverteidiger zur Seite.
Der Bundespräsident spricht deshalb an diesem 8. Mai 1985
nicht als über den Dingen stehendes Staatsoberhaupt, sondern
als Zeitzeuge. Das verleiht seinen Worten besonderes Gewicht und
Glaubwürdigkeit, wenn er etwa den 8. Mai 1945 als ein "Ende
eines Irrweges" beschreibt. Der Zeitgenosse von Weizsäcker
erinnert an diesem 8. Mai 1985 ebenso an das Leid, das Deutsche
über andere Völker gebracht haben wie an das Leid, das
sie vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erlitten
haben. Ausdrücklich warnt der Bundespräsident in diesem
Zusammenhang davor, die Erinnerung an den 8. Mai 1945 und seine
Folgen von der Erinnerung an den 30. Januar 1933 zu trennen.
Immer wieder sagt von Weizsäcker in seiner inhaltlich sehr
dichten und sehr differenzierten Rede "wir" und "uns" und vermeidet
so den Eindruck des moralisch erhobenen Zeigerfingers. Er macht
klar, dass Schuld nicht kollektiv, sondern nur persönlich sein
könne. Die junge Generation spricht von Weizsäcker in
seiner Rede zwar von der Mitverantwortung für das historisch
Geschehene frei, weist ihr aber die Verantwortung dafür zu,
was daraus in der Geschichte werde. Und er bittet sie: "Hitler hat
stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaft und Hass zu
schüren ... Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft
und Hass ... Lernen Sie miteinander zu leben, nicht
gegeneinander."
Wie wichtig die Erinnerungsarbeit ist, die Richard von
Weizsäcker leistet, zeigt die Kontroverse, die der damalige
Bundeskanzler Helmut Kohl und der damalige amerikanische
Präsident Ronald Reagan auslösten, als sie neben der
Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen
den Soldatenfriedhof in Bitburg besuchten, auf dem auch Soldaten
der Waffen-SS begraben sind. Wohl auch vor diesem aktuellen
Hintergrund hatte Weizsäckers Rede in der Rückschau des
Publizisten Martin Wein wegen ihres "strikten Mutes zur
historischen Wahrheit" für viele Deutsche "eine reinigende und
befreiende Wirkung".
Dieser Wirkung können auch die politischen
Randerscheinungen der Gedenkstunde vom 8. Mai 1985 keinen Abbruch
tun. Während seine Fraktionskollegen an der Gedenkstunde gar
nicht teilnehmen, sondern das ehemalige Konzentrationslager
Auschwitz besuchen, verlässt der grüne Abgeordnete Otto
Schily mit seinen SPD-Kollegen Spöri und Schäfer am 8.
Mai 1985 vorzeitig den Bonner Plenarsaal, um so gegen die
Anwesenheit des ehemaligen Marinerichters und
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans
Filbinger zu protestieren.
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