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Volker Weyel
Ein General reist nach San Francisco
Die Gründung der Vereinten
Nationen
Als Brigadegeneral Carlos Romulo, ein
Philippiner, im Frühjahr 1945 zur Konferenz der Vereinten
Nationen über eine Internationale Organisation in San
Francisco anreiste, wussten er und andere Delegierte kleiner
Länder noch nichts davon, dass wesentliche Fragen schon von
den Großen vorentschieden waren. Im Februar hatten sich die
Großen Drei der Anti-Hitler-Koalition - der britische
Premierminister Winston Churchill, US-Präsident Franklin D.
Roosevelt und Sowjetführer Josef Stalin - auf der Krim
getroffen und dabei die wesentlichen Elemente der Nachkriegsordnung
festgelegt.
Dazu gehörte auch die Einräumung
eines Vetorechts für einige wenige Staaten im Rahmen der noch
zu schaffenden neuen Organisation. "Vereinte Nationen" war zu
diesem Zeitpunkt der Name der Kriegsallianz, die sich gegen die
Achsenmächte zusammengefunden hatte. Der Begriff war erstmals
in der am 1. Januar 1942 in Washington abgegebenen "Erklärung
der Vereinten Nationen" verwendet worden; Präsident Roosevelt
hatte die Bezeichnung "United Nations" in Anlehnung an "United
States" gewählt. In jener Washingtoner Deklaration
verpflichteten sich 26 Regierungen auf die Prinzipien der
"Atlantik-Charta" sowie dazu, den Kampf gegen die Achsenmächte
fortzusetzen. Diese wiederum war erst wenige Monate zuvor, am 14.
August 1941, an Bord eines Kriegsschiffes von Roosevelt und
Churchill als eine Erklärung über die Grundsätze,
"auf denen sie eine bessere Zukunft der Welt aufzubauen hoffen",
verkündet worden.
Als sich der Sieg bereits deutlich
abzuzeichnen begann, bekräftigen die Vier Mächte - China,
Großbritannien, UdSSR und USA - am 30. Oktober 1943 in ihrer
"Moskauer Erklärung" die Notwendigkeit der alsbaldigen
Schaffung einer allgemeinen internationalen Organisation. Im
Spätsommer und Frühherbst 1944 folgten die
"Gespräche von Dumbarton Oaks"; im Musiksaal eines
herrschaftlichen Anwesens in Washingtons Stadtteil Georgetown wurde
das Vorhaben konkretisiert. Auf der Krim legten im Februar 1945 die
Großen Drei auch Ort und Datum der Gründungskonferenz der
künftigen Organisation fest. Diese wurde dann vom 25. April
bis zum 26. Juni 1945 in San Francisco abgehalten. Dort arbeiteten
die Vertreter der eingeladenen Staaten die Satzung der neuen
internationalen Organisation - die Charta - aus; die
Plenarsitzungen der Konferenz fanden im Opernhaus der
Westküstenmetropole statt. Fast auf den Tag vier Monate nach
dem Abschluss, am 24. Oktober 1945, trat die Charta in
Kraft.
Stettinius und Gromyko
US-Präsident Roosevelt sollte die
Eröffnung der Konferenz nicht mehr erleben; er verstarb am 12.
April, kaum zwei Wochen vor Tagungsbeginn. Ihm zu Ehren wurde
schließlich der Name "Vereinte Nationen" für die neue
Organisation gewählt. Zu Recht, denn sie entsprang seinem
Gedankengut - und den spezifischen Interessen der USA.
Präsident der Konferenz war Außenminister Edward
Stettinius. Außer ihm gehörten der US-Delegation sechs
weitere Personen an, von denen drei Republikaner waren. Dem
einzigen weiblichen Mitglied der US-Delegation, der Professorin
Virginia Gildersleeve, ist die Eröffnungsformel der
Präambel der UN-Charta ("Wir, die Völker der Vereinten
Nationen…") zu verdanken, was für die in den Kategorien
des Staates und der Staatensouveränität denkenden
Konferenzteilnehmer durchaus nicht selbstverständlich war.
Stettinius war daran gelegen, die Konferenz zum Erfolg zu
führen; am Tag nach ihrem Abschluss trat er zurück, da
der neue Präsident Harry S. Truman einen eigenen Kandidaten
für das Amt des Außenministers hatte. Am gleichen Tag
übrigens wurde dem Obersten Befehlshaber aller
Streitkräfte der UdSSR der höchste militärische Rang
verliehen: Stalin wurde zum Generalissimus der Sowjetunion ernannt.
Verdienste um die Gründung der Vereinten Nationen werden dabei
keine Rolle gespielt haben, doch hatte auch der neue Generalissimus
Grund zur Zufriedenheit, hatten doch seine Diplomaten -
Delegationsleiter war der junge Andrej Gromyko - die sowjetischen
Interessen auf der Konferenz wahren können. Insbesondere
konnten sie sich hinsichtlich des auf der Krim vereinbarten, aber
dann unterschiedlich interpretierten Vetos durchsetzen. Es erlaubte
ihnen trotz ihrer damaligen Minderheitenposition in der
Staatengemeinschaft die Mitwirkung in den UN. Dass die UN auf diese
Weise auch in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges zumindest
als Forum und Stätte der Begegnung erhalten blieben,
dürfte dazu beigetragen haben, dass der Menschheit die atomare
Katastrophe erspart blieb.
Ziel der Neugründung war es vor allem,
Anschläge auf den Weltfrieden von Art und Ausmaß der
Aggressionen Japans, Italiens und Deutschlands zu verhindern.
Garantieren sollten dies die damaligen Großmächte.
Roosevelt verfolgte das Konzept der "vier Polizisten"; den
Sheriffstern sollten die Vier Mächte der "Moskauer
Erklärung" tragen. Zu jenen Mächten wurde
schließlich noch Frankreich zugelassen; den nunmehr fünf
Staaten wurde im Gründungsdokument der Vereinten Nationen dann
ein doppeltes Privileg eingeräumt. Im Sicherheitsrat, dem mit
der "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit" betrauten Hauptorgan, erhielten sie
ständige Sitze und die Möglichkeit, ihnen nicht genehme
Beschlüsse zu Fall bringen zu können. Und den Fünf
wurde sozusagen die Aufsicht über die Kleinen
anvertraut.
Eine demokratische Weltordnung war das somit
nicht, wie Carlos Romulo erkannte, der damals Vertreter seines noch
gar nicht unabhängigen Landes bei dessen Oberherrn in
Washington war. Gleichwohl war er sich des Nutzens und der
Bedeutung der neuen Organisation bewusst. Der 1942 mit dem
Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist und spätere
langjährige Außenminister der Republik der Philippinen
wurde schließlich 1949 zum Präsidenten der 4.
Ordentlichen Tagung der Generalversammlung gewählt. 40 Jahre
nach Gründung der UN sollte er dann festhalten, dass "wir viel
mehr" von den Vereinten Nationen erhielten, "als wir eigentlich
erwarten durften". Er begründete dies damit, dass die UN
erstens "einer der Schlüsselfaktoren bei der Verhinderung
eines nuklearen dritten Weltkriegs" waren, dass sie zweitens "den
im allgemeinen friedlichen Übergang von der Kolonialzeit zur
Ära der unabhängigen Nationalstaaten" zustande brachten,
dass sie drittens "die Menschenrechte und Grundfreiheiten im
globalen Rahmen kodifiziert" haben und dass sie viertens "die
Antworten der Weltgemeinschaft auf die gemeinsamen weltumspannenden
Probleme" wie etwa die Fragen von Ernährung oder Umwelt
formulieren konnten. Fünftens haben sie "ob dies den
wohlhabenden Industrienationen gefällt oder nicht, den Dialog
zwischen dem Süden und dem Norden über Teilhabe und
Fairness in der Weltwirtschaft eingeleitet". Das Urteil des Ende
1985 verstorbenen Begleiters der frühen UN-Geschichte ist im
Blick auf die Leistungen einer von Anfang an mit Widersprüchen
mannigfaltiger Art ausgestatteten Organisation auch heute noch
bemerkenswert.
Universalität erreicht
Entstanden ist die Weltfriedensorganisation
UN als Ergebnis eines Krieges. Die Kriegsteilnahme auf der Seite
der Alliierten (wenn auch oft erst in letzter Minute) war
Voraussetzung für die Einladung nach San Francisco. Die im
Zweiten Weltkrieg neutralen Staaten, etwa Irland oder Schweden,
blieben somit von der Konferenz ausgeschlossen. Doch öffneten
sich die Vereinten Nationen später, auch gegenüber den
einstigen "Feindstaaten" der Unterzeichner der UN-Charta. Italien
wurde (wie Österreich) im Dezember 1955 aufgenommen. Japan
wurde ein Jahr später in den Kreis integriert. Die damals zwei
deutschen Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR,
folgten im September 1973. Im wahrsten Sinne des Wortes zur
Weltorganisation wurden die UN im September 2002, ein
Dreivierteljahr nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die
Organisation und ihren Generalsekretär Kofi Annan. Mit der
Aufnahme einer der traditionsreichsten Demokratien (der
Schweizerischen Eidgenossenschaft) und des jüngsten Staates
(von Timor-Leste, der einstigen portugiesischen Kolonie Osttimor)
erreichten sie nämlich die Universalität. Außerhalb
stehen nur der Staat der Vatikanstadt und Taiwan; hier handelt es
sich allerdings um Sonderfälle.
Vergegenwärtigt man sich das Schicksal
des Vorläufers der Weltorganisation, des von 1920 bis 1946
bestehenden Völkerbunds, so lässt sich der mit den
Vereinten Nationen erzielte historische Fortschritt erst richtig
ermessen. Beim Völkerbund standen die USA von vornherein
abseits (obwohl dessen Schaffung eine wesentliche Forderung ihres
Präsidenten Woodrow Wilson gewesen war), und bedeutende
Akteure der Zwischenkriegszeit wie das Deutsche Reich oder die
Sowjetunion waren nur zeitweise (und dann nicht gleichzeitig)
Mitglied. Die Vereinten Nationen hingegen begannen mit 51
Gründungsmitgliedern und bieten heute ein Forum für 191
Staaten.
Dr. Volker Weyel war von 1977 bis 2004 Chefredakteur der
Fachzeitschrift "Vereinte Nationen. Zeitschrift für die
Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen".
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