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Bernd Stöver
Frostige Zeiten zwischen Ost und West
Der Kalte Krieg: Ein langer Frieden oder doch
nur ein Krieg anderer Art?
Was eigentlich der Kalte Krieg war, der mit dem
Zerwürfnis der Alliierten des Zweiten Weltkrieges nach dem
Sieg über Hitler begann, ist trotz tausender Buchtitel ein
kontroverses Thema geblieben. War er "ein Krieg anderer Art", wie
es häufig hieß, oder war er "ein langer Frieden", wie der
US-Historiker John Lewis Gaddis annahm?
Gräbt man nach der Herkunft des
Begriffs, zeigt sich, dass die dahinter stehende Idee von Anfang an
eng mit der Waffenentwicklung zu tun hatte. Die Atombombe
veränderte - auch wenn man 1945 noch weit von der Gefahr eines
Nuklearkrieges entfernt blieb - alle bisherigen Vorstellungen von
Krieg und Frieden. Herbert Swope, Mitarbeiter Bernard Baruchs bei
den Atomkontrollgesprächen 1946/47 und mutmaßlicher
"Erfinder" des Begriffs "Kalter Krieg" rückte jedenfalls die
Vorstellung in den Mittelpunkt, die Beziehungen der Westmächte
zur Sowjetunion glichen eher Krieg als Diplomatie. Es waren die
1946 begonnenen Verhandlungen, die Swope letztendlich zu der
Vorstellung führten, dies sei "der Kalte Krieg", der sich von
einem "heißen Krieg" nur darin unterscheide, dass noch nicht
geschossen werde.
Seine Vorstellung, die Ost-West-Beziehungen
befänden sich in einem "Quasi-Krieg", stieß auf breite
Zustimmung, vor allem nachdem im Herbst 1947 die Broschüre des
Journalisten Walter Lippmann mit dem Titel "The Cold War"
erschienen war. Sie kann als eigentliche öffentliche
Einführung des Begriffs gelten, wenngleich der Terminus in
Lippmanns Buch überhaupt keine Rolle spielte. Aber auch
Lippmann, der sich mit Swope über Jahre um das Urheberrecht
des Begriffs stritt, hielt die Atombombe und ihre umfassenden
Folgen für das eigentliche Merkmal des Kalten
Krieges.
Trotz seiner Unklarheiten macht es also
durchaus Sinn, den Begriff des Kalten Krieges zu verwenden und ihn
als spezifische und radikalste Phase des Ost-West-Konflikts seit
1917 zu verstehen. Der Kalte Krieg war - wie sich in den folgenden
Jahren zeigte - im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt ein permanenter
und aktiv betriebener "Nicht-Frieden", in dem nahezu alles das
eingesetzt wurde, was man bisher nur aus der militärischen
Auseinandersetzung kannte. Durch die Atombombe kam etwas hinzu, was
bisher gänzlich unbekannt war: Dieser "Nicht-Frieden" konnte
schließlich binnen Stunden zu einem unbegrenzten Nuklearkrieg
werden und einen Großteil der Menschheit vernichten. Der Kalte
Krieg war eine politisch-ideologische, ökonomische,
technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale
Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte.
Nur in der Dritten Welt wurde der Kalte Krieg schließlich auch
als konventionelle militärische Auseinandersetzung
geführt. Die Nichtvereinbarkeit der beiden Lager führte
zudem in den einzelnen Gesellschaften zu Polarisierungen, die
deutlich machten, dass der Kalte Krieg eigentlich nur Kombattanten
kannte. Dass die Öffentlichkeit ebenso wie die
wissenschaftliche Literatur im Anschluss an den Kollaps des
sowjetischen Systems und seiner Satelliten die Frage nach dem
Gewinner der Auseinandersetzung stellte, zeigt, wie selbst noch in
der Retrospektive der Kalte Krieg als Kampf um Sieg oder Niederlage
verstanden wurde.
Viel ist über die Ursachen des Kalten
Krieges geschrieben worden. Der Kalte Krieg war letztendlich ein
Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der Unmöglichkeit
angesichts unterschiedlicher Wertesysteme und politischer
Machtansprüche, vor allem aber angesichts eines schon
traditionellen Misstrauens zwischen "dem Westen" und "dem Osten"
eine gemeinsame neue Weltordnung zu entwickeln. Die offiziellen
"Kriegserklärungen" für den Kalten Krieg folgten zwei
Jahre nach Kriegsende: Im März 1947 legten sich die USA und
ihre Verbündeten mit der "Truman-Doktrin" auf eine aktiv
betriebene Eindämmung des Kommunismus fest, die wenig
später durch eine "Befreiungspolitik" ergänzt wurde. Die
Antwort Moskaus erfolgte ein halbes Jahr später. Am 30.
September 1947 präsentierte der Kominform-Vorsitzende Andrej
Shdanow die so genannte "Zwei-Lager-Theorie", mit der es den von
der UdSSR geführten Staaten sowie allen Kommunisten zur
Aufgabe gemacht wurde, sich für den Kampf gegen "den
Imperialismus" bereit zu halten.
Konflikt der Weltanschauungen
Im Kern blieb der Kalte Krieg zwischen 1947
und 1991 eine Auseinandersetzung zwischen den beiden unvereinbar
erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden
Gesellschaftsentwürfen. Bis weit in die 80er-Jahre wurde der
Kalte Krieg als Systemkonflikt zwischen dem kommunistischen Modell
der staatssozialistischen "Volksdemokratie" auf der einen und dem
westlichen Modell der liberalkapitalistischen parlamentarischen
Demokratie auf der anderen Seite aktiv geführt. Prinzipiell
beharrten beide Seiten bis zum Ende auf universaler Anwendung und
globaler Gültigkeit. In der Konfrontation zwischen den
Führungsmächten Sowjetunion und USA ordnete sich ein
Großteil der anderen Staaten den jeweiligen Blöcken zu.
Die Ausnahme bildeten China und die Gruppe der so genannten
Blockfreien, die ohne (Vertrags-) Bindung an den Westen und den
Osten größtmögliche politische und wirtschaftliche
Unabhängigkeit ihrer Länderbewahren wollten. Strukturell
ging die ursprünglich bipolare Auseinandersetzung schon wenige
Jahre nach ihrem Beginn in eine multipolare Konfrontation
über.
Im Rückblick betrachtet, prägten
den global ausgetragenen bipolaren Grundkonflikt, der mit
wechselnden geographischen Schwerpunkten ausgetragen wurde, sechs
sich überlagernde Eskalations- und Entspannungsphasen, die
deutlich machen, dass der Kalte Krieg eine Einheit bildete - eine
Epoche des Kalten Krieges: Formierung des Konflikts zwischen 1945
und 1947, Blockbildung (1947/48 - 1955), Eskalation und Stilllegung
in Europa (1953 - 1961), Verlagerung in die Dritte Welt (seit
1961), Entspannung (1953 - 1979/80), Rückkehr zur
Konfrontation (1979/80 - 1989), Auflösung des Ostblocks (1985
- 1991). Trotz des in Entspannungsphasen immer wieder
verkündeten Endes der Auseinandersetzung markierte erst die
Auflösung der Sowjetunion den Ausgang dieses fast genau 45
Jahre dauernden "anderen Krieges", die von den Entspannungs- und
Eskalationsphasen verändert, aber nicht beendet wurde. Ein
"langer Friede" wurde es nur für das hochgerüstete
Europa, in dem jede gewaltsame Veränderung die Gefahr eines
globalen Atomkrieges heraufbeschwor. Den Preis zahlte die "Dritte
Welt", in der die konventionellen Konflikte der Blöcke seit
1945 ausgetragen wurden: Lateinamerika, Asien, Afrika.
Eine Kriegsschuldfrage ist natürlich
auch in Bezug auf den Kalten Krieg gestellt worden. Drei Versionen
wurden im Verlauf der Auseinandersetzung vorgelegt. 1. Nach der
traditionellen Vorstellung, der frühesten Erklärung, war
für die Entstehung und Forcierung des Kalten Krieges die
marxistisch-leninistische Ideologie mit ihrem Anspruch auf die
Weltrevolution verantwortlich. 2. Die revisionistische
Erklärung betonte seit den 60er-Jahren die amerikanische
Verantwortung für die Entstehung des Kalten Krieges. Die
Sowjetunion sei aus dem Zweiten Weltkrieg geschwächt
hervorgegangen und habe dem Westen nahezu hilflos
gegenübergestanden. Stalins Politik sei weniger von imperialen
Vorstellungen ausgegangen als von der Bewahrung und Sicherung des
bestehenden Staates. Die Ursache des Konfliktes müsse man
daher vielmehr in der politisch-wirtschaftlichen Struktur der
Vereinigten Staaten sehen, die auf permanente Erschließung
neuer Absatz- und Rohstoffmärkte ausgerichtet sei. 3. Beide
Positionen haben sich seit den 70er-Jahren in der
postrevisonistischen Interpretation des Kalten Krieges
angenähert: Sie geht davon aus, dass das festgefahrene
Feindbilder und die daraus (Fehl-)Interpretationen beider Seiten
für die rasante Entstehung und bedrohliche Entwicklung der
Auseinandersetzung maßgeblich waren. Kontinuierlich
hätten eingefahrene Wahrnehmungsmuster wiederum Entscheidungen
produziert, die den Konflikt weiter angeheizt
hätten.
Der Beginn und der Verlauf des Kalten Krieges
zeigten nachdrücklich, wie die Wahrnehmung des Gegners
tatsächliche Bedrohungen noch einmal um ein Vielfaches
steigerten. Dies bedeutet nicht, dass der Kalte Krieg ein
Missverständnis war. In vielem war er ein klassischer
Machtkonflikt zweier Staatenblöcke. Gerade aber auch seine
Endphase zeigte deutlich, wie stark die Überwindung von
eingefahrenen Perzeptionsmustern zur Beendigung des Kalten Krieges
beitrug. Gorbatschows innen- und außenpolitische Reformen,
sein Wille, diese fortzusetzen, als sich unerwünschte Folgen
zeigten und die Bereitschaft des Westens, ihm schließlich
einen Vertrauensbonus einzuräumen, trugen dazu bei, den Kalten
Krieg zu beenden.
Dr. Bernd Stöver arbeitet als Historiker am Zentrum für
Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam.
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