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Claudia Heine
Berlin als Symbol der Spaltung
Der Mauerbau prägte das deutsch-deutsche
Verhältnis
Der Fall der Berliner Mauer im Herbst 1989 galt
weltweit als Symbol für den Beginn einer neuen Epoche. Ost und
West gehörten als Kategorien zur Beschreibung politischer
Systeme plötzlich der Vergangenheit an. Dabei hatte der
Mauerbau 1961 diese Kategorien keinesfalls begründet, sondern
nur bestätigt. Er zementierte einen territorialen Status quo,
der Berlin, Deutschland und die Welt in zwei politische Blöcke
geteilt hatte. Auch wenn er die Weltpolitik nicht direkt
beeinflusste, so veränderte er das Verhältnis der beiden
deutschen Staaten zueinander nachhaltig.
Willy Brandt erreichte die Nachricht im
Nachtzug von Nürnberg nach Kiel: "In aller Frühe klopfte
ein Bahnbeamter an die Tür meines Abteils. Er überbrachte
mir die Nachricht, dass eine radikale Absperrung des Ostsektors
begonnen habe; man bitte mich, auf dem schnellsten Weg in meine
Stadt zurückzukehren." Also unterbrach der Regierende
Bürgermeister seinen Bundestagswahlkampf und kehrte mit dem
ersten Flug am Morgen des 13. August 1961 an die Spree
zurück.
Dort hatten die Nationale Volksarmee, die
Volkspolizei und die Betriebskampfgruppen der DDR schon ganze
Arbeit geleistet. Um ein Uhr in der Nacht vom 12. auf den 13.
August hatten sie begonnen, den westlichen und östlichen Teil
der Stadt mit Stacheldraht voneinander zu trennen. 45 Kilometer
innerstädtische Grenze und 160 Kilometer am "Ring" um
West-Berlin wurden innerhalb mehrerer Stunden abgeriegelt. Bis
sechs Uhr war das "Grenzloch" Berlin im wesentlichen geschlossen.
In den folgenden Tagen und Wochen ersetzte man den Stacheldraht mit
einer Betonmauer. Die ideologische Spaltung der Welt in Ost und
West nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 hatte ihren
symbolischen Ausdruck gefunden. Spätestens jetzt war nicht
mehr zu leugnen, was auf der politischen Ebene längst
Realität, aber in beiden deutschen Staaten mit
Wiedervereinigungsfloskeln lange Zeit überdeckt worden war:
Die Bundesrepublik und die DDR gingen als Teile verfeindeter
politischer Blöcke einen getrennten Weg und bewegten sich auf
diesem nicht aufeinander zu, sondern voneinander weg.
Mit der Gründung beider Staaten im Jahr
1949 begann ein direkter Konkurrenzkampf der Länder
untereinander. Die Konfrontation der beiden Supermächte USA
und Sowjetunion, der Kampf des kapitalistischen gegen das
sozialistische Gesellschaftsmodell machte Nachkriegsdeutschland zur
Arena. Wenn der Kalte Krieg einen Ort besaß, dann lag er hier.
Hier sollte sich die Auseinandersetzung um die Frage der
politischen und wirtschaftlichen Überlegenheit beweisen. Von
Anfang an verstanden sich die Bundesrepublik und die DDR deshalb
explizit als der gesellschaftliche Gegenentwurf zum jeweils anderen
Teil des Landes: Planwirtschaft und Einparteienstaat auf der einen
Seite, soziale Marktwirtschaft und ein System der parlamentarischen
Demokratie auf der anderen Seite. Unterstützt wurde diese
Neugestaltung durch entsprechende Propaganda. Sprach die offizielle
DDR vom "imperialistischen Klassenfeind", wenn sie die
Bundesrepublik meinte, so wurde der östliche Nachbar in der
Sprachregelung der bundesdeutschen Politiker als "kommunistisches
Satellitenregime" herabgesetzt.
Doch damit nicht genug. Mit der so genannten
Hallstein-Doktrin hielt die Bundesrepublik bis zum Ende der
60er-Jahre an ihrem Anspruch fest, politisch, rechtlich und
moralisch allein das gesamte deutsche Volk zu vertreten. Im Kern
besagt sie, dass jede Intensivierung der diplomatischen Beziehungen
zur DDR als "unfreundlicher Akt" verstanden und mit dem Abbruch
diplomatischer Beziehungen beantwortet werden müsse. Ziel war
die außenpolitische Isolierung der DDR, die von der
Bundesrepublik nicht als souveräner Staat anererkannt und
deshalb auch nur als "Ostzone" bezeichnet wurde. Eine aktive
Ostpolitik war auf dieser Basis nicht möglich. Dies hätte
eine Anerkennung des territorialen Status quo
vorausgesetzt.
Auch in der DDR war man noch bis Anfang der
50er-Jahre von einem Alleinvertretungsanspruch und der Hoffnung
ausgegangen, das sozialistische Gesellschaftsmodell auf die
Bundesrepublik übertragen zu können. Ab 1954 setzten sich
jedoch jene politischen Kräfte durch, die auf einen
eigenständigen Ausbau des Landes drängten. Mit ihm begann
der lange Kampf der DDR um internationale Anerkennung.
Diese politisch-ideologischen Fronten konnten
jedoch eines nicht verhindern: Das Bewusstsein der Bevölkerung
blieb in den 1950er-Jahren noch sehr stark ein gesamtdeutsches,
obwohl die Weichen schon längst nicht mehr auf
Wiedervereinigung gestellt waren. Die Bundesrepublik trat 1954 der
Westeuropäischen Union (WEU) und 1955 der NATO bei. Ihre
Integration in das westliche Bündnissystem war damit
besiegelt. Als Pendant zur NATO schlossen sich die Länder des
Ostblocks, auch die DDR, 1955 im Warschauer Pakt zusammen. Im
selben Jahr verkündete der sowjetische Staats- und Parteichef
Nikita Chruschtschow seine Zwei-Staaten-Theorie.
Für die Bevölkerung blieb nicht die
Teilung, sondern die Einheit des Landes nach wie vor der
gewünschte Normalzustand. Persönliche Beziehungen
über die innerdeutsche Grenze hinweg unterstützten das
Gefühl, eigentlich immer noch in einem Land zu leben. Allein
in den Jahren von 1953 bis 1956 fuhren fast neun Millionen
DDR-Bürger zu Besuchen in die Bundesrepublik. Zwar war die
wirtschaftliche Einheit zerstört, aber dennoch existierte noch
so etwas wie ein gemeinsamer Arbeitsmarkt. Zu Beginn der 50er-Jahre
arbeiteten noch "relativ" viele Westdeutsche im Osten. Mit
zunehmendem Erfolg des Wirtschaftswunders passierten vor allem die
Ostdeutschen zum Arbeiten die Grenzen in Berlin gen Westen. Auch
die offiziellen innerdeutschen Handelsbeziehungen funktionierten,
trotz zeitweiliger Irritationen, problemlos. Denn der Osten war
ökonomisch auf sie angewiesen, und die westdeutsche Wirtschaft
wollte auf den Absatzmarkt in der DDR nicht verzichten.
Genau das wurde für die DDR jedoch
zunehmend problematisch. Für die Anziehungskraft, die der
zunehmende Wohlstand im Westen auf viele DDR-Bürger
ausübte, gab es umgekehrt keine Entsprechung. Davon, die
Bundesrepublik auf wirtschaftlichem Gebiet schnell zu
überflügeln und die Überlegenheit des eigenen
Systems zu beweisen, konnte schon gar nicht die Rede sein. Der Sieg
im deutsch-deutschen Konkurrenzkampf wurde deshalb seit Mitte der
50er-Jare von der politischen Führung zum Langzeitprojekt
erklärt. Handeln musste sie jedoch schnell, denn drei
Millionen Menschen hatten das Land bis 1961 verlassen, ein Exodus,
der die wirtschaftliche Konsolidierung der DDR nicht nur
behinderte. Er war existentiell bedrohend für das Land, dem
eigentlich die Rolle des "Schaufensters des Ostens" im Kalten Krieg
zugedacht war. Vor allem in Berlin kehrte sich das
Rollenverständnis um, denn dort entwickelte sich der Westteil
der Stadt zum "Schaufenster des Westens".
Die Berlin-Krise, ausgelöst durch eine
Rede Chruschtschows im November 1958, ist nur vor diesem
Hintergrund zu verstehen. Denn mit der Krise der DDR konnte sich
auch die Westgrenze des sowjetischen Einflussbereichs in Europa
nicht stabilisieren. Der sowjetische Parteichef musste handeln und
forderte, aus West-Berlin eine freie, entmilitarisierte Stadt zu
machen. Das jedoch hätte die Auflösung der alliierten
Garnisionen und die Beseitigung der politischen Bindungen
West-Berlins an die Bundesrepublik bedeutet. Gleichzeitig sollte
die DDR die vollen Hoheitsrechte "zu Lande, zu Wasser und zu Luft"
erhalten. Chruschtschow stellte dem Westen ein Ultimatum von sechs
Monaten, um die Forderungen zu erfüllen. Andernfalls werde
sich die UdSSR im Alleingang aus ihrer Berlin-Verantwortung
zurückziehen und einen Friedensvertrag mit der DDR
abschließen.
Erwartungsgemäß erklärten sich
die weder die USA noch England und Frankreich zu einer Aufgabe
ihrer alliierten Hoheitsrechte bereit. Ein zähes,
zweieinhalbjähriges diplomatisches Tauziehen begann,
führte aber zu keiner Annäherung zwischen Ost und West in
der Berlin-Frage. Im Juni 1961 formulierte der amerikanische
Präsident Kennedy jene drei "essentials", die das westliche
Bündnis entschlossen war zu verteidigen: erstens die
Präsenz amerikanischer Truppen in West-Berlin; zweitens den
freien Zugang von der Bundesrepublik zu Berlin und drittens die
Sicherung der Überlebensfähigkeit der Stadt. Die
Freizügigkeit zwischen beiden Teilens Berlins nannte er
ausdrücklich nicht.
Wann der Beschluss zum Bau der Mauer
letztlich fiel, ist in der Forschung noch nicht geklärt. Fest
steht, dass der Staats- und Parteichef der DDR Walter Ulbricht bei
der sowjetischen Führung schon seit einigen Monaten auf einen
solchen Schritt drängte, um dem Flüchtlingsproblem zu
begegnen. Chruschtschow favorisierte jedoch lange "seine"
Berlin-Regelung zur Lösung des Problems. In der offiziellen
Begründung des Mauerbaus durch den Ministerrat der DDR
hieß es: "Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der
revanchistischen und militaristischen Kräfte Westdeutschlands
und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der
Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Grenze zu
den Westsektoren von Groß-Berlin eingeführt, wie sie an
den Grenzen jedes souveränen Staates üblich
ist."
Keine Eskalation
Die USA interpretierten diesen Schritt zu
Recht als defensive Maßnahme, die vor allem darauf abzielte,
den Flüchtlingsstrom zu stoppen, ohne aber in die alliierten
Rechte in West-Berlin einzugreifen. Entsprechend reagierte der
Westen, nämlich zunächst gar nicht: Erst nach 72 Stunden
protestierten die westlichen Stadtkommandanten auf wiederholtes
Drängen Willy Brandts formell bei ihrem sowjetischen Kollegen.
Die Verstärkung der amerikanischen Garnison um 1.500 Mann
hatte jedoch mehr symbolischen Charakter. Mit ihr sollte vor allem
die Bevölkerung West-Berlins beruhigt werden, denn in der
Öffentlichkeit wurde das lange Schweigen des westlichen
Alliierten als Verrat gewertet. Die West-Berliner fühlten sich
im Stich gelassen. An einer militärischen Eskalation konnte
jedoch weder der USA noch der Sowjetunion gelegen sein. Nicht
zuletzt deshalb blieben die sowjetischen Streitkräfte im
Hintergrund, auch wenn sie die strategischen Fäden der Planung
und Durchführung des Mauerbaus in der Hand hielten.
Der DDR gelang es tatsächlich, mit dem
Mauerbau die Auswanderungsbewegung zu stoppen. Eine Phase
wirtschaftlicher und damit allgemeiner gesellschaftlicher
Stabilisierung begann - jedoch zu einem hohen Preis. Und dem Westen
blieb nichts anderes übrig, als sich damit zu arrangieren. Im
Rückblick mutet es paradox an, dass es ausgerechnet die
Abschottung der DDR durch eine Mauer war, die in der Bundesrepublik
eine Umorientierung in der Deutschlandpolitik bewirkte. Durch die
Zementierung der Teilung wurde offenkundig, was schon lange
Realität gewesen war: die Trennung des Landes und die
Aussichtslosigkeit einer Wiedervereinigung, an der die Politiker
jedoch aus Rücksicht auf ein weit verbreitetes Bewusstsein in
der Bevölkerung verbal noch lange festgehalten
hatten.
Mitte der 60er-Jahre begann in der
Bundesrepublik die Diskussion darüber, ob man nicht im
Interesse der Menschen genötigt sei, die DDR als zweiten
deutschen Staat formell anzuerkennen. Eine solche Debatte bedeutete
einen Paradigmenwechsel, denn vor dem Mauerbau war die Frage einer
völkerrechtlich oder anders gearteten Anerkennung der DDR
völlig tabu. Danach setzte sich jedoch die Einsicht durch, um
eine Anerkennung nicht herum zu kommen, wenn man die harte Trennung
zwischen Ost und West wenigstens etwas lindern wollte. Letztlich
endete dieser Prozess in der Ostpolitik der sozialliberalen
Bundesregierung unter Willy Brandt, die der Bundesrepublik die
Anerkennung des territorialen Status quo abverlangte. Die DDR hatte
dem Mauerbau zwar nicht die völkerrechtlich verbindliche
Anerkennung durch die Bundesrepublik, aber doch das
Zugeständnis zu verdanken, normale Beziehungen auf der Basis
der Gleichberechtigung zu entwickeln.
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