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Manuel Fröhlich
Windstöße der Weltpolitik im Haus der
UNO
Die Vereinten Nationen konnten den
Ost-West-Konflikt nicht verhindern, ohne sie wäre er jedoch
anders verlaufen
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte
zum Ende des Jahres 1945 noch keine ständige Bleibe gefunden.
Improvisierte Sitzungen fanden zunächst in London statt. Die
ersten Schritte zur Umsetzung des in San Francisco beschlossenen,
neuen Systems der Friedenssicherung sollten eigentlich ohne
größere politische Differenzen ablaufen - eine
trügerische Erwartung. Trygve Lie, der erste
Generalsekretär, erinnert sich: "Doch dann drangen die harten
Realitäten der Weltpolitik in die Beratungen ein. Wie
Windstöße, die vor künftigen Stürmen warnen,
fegten sie durch die Tür jenes neu errichteten Hauses des
Friedens noch bevor die Bauarbeiter fertig waren."
Anlass des aufziehenden Sturms war die Frage
der Einflusssicherung zwischen Ost und West. So standen russische
Truppen noch im Iran, und die Sowjetunion zeigte kein Interesse,
sie zügig abzuziehen. In ähnlicher Weise versuchte
Großbritannien seine Präsenz in Griechenland aufrecht zu
erhalten. Der Kampf um den Verlauf des im März 1946 von
Churchill so genannten "Eisernen Vorhangs" war mithin auch in die
neu geschaffene Weltorganisation eingezogen und sollte die
Handlungsfähigkeit der UNO während des nunmehr
aufziehenden Kalten Krieges maßgeblich bestimmen. Unter dem
Eindruck der Auseinandersetzung zwischen Ost und West war das
Charta-Konzept der kollektiven Sicherheit einerseits gelähmt,
wurde jedoch durch innovative Maßnahmen auch an die neuen
Realitäten angepasst.
Allein in den Jahren bis 1955 legte die
Sowjetunion im Rat 80 Mal ihr Veto ein; in den 1970er- und 80er-
Jahren wurde sie dann in der Häufigkeit des Veto-Einsatzes
durch die USA abgelöst. Moskau sah sich - bedingt durch eine
deutlich pro-westliche Mehrheit unter den Mitgliedstaaten - in der
UNO oft an den Rand gedrängt. Stalin wird nachgesagt, dass er
die UNO zeitweise für eine kapitalistische Verschwörung
hielt. Präsident Truman konnte hingegen selbst bei einem
sowjetischen Veto im Sicherheitsrat auf die Mehrheit in der
Generalversammlung bauen, die - wenn auch nicht rechtlich
verbindlich - zumindest Verurteilungen und Empfehlungen aussprechen
konnte. Die Weltorganisation war somit zur Bühne der
Blockkonfrontation geworden. Neue Länder wurden aufgrund
jeweiliger ideologischer Zuordnungen nicht aufgenommen,
Abrüstungsmaßnahmen sowie technische Hilfsprogramme
blockiert. Entscheidend dürfte jedoch auch der Umstand sein,
dass das in Kapitel VII der Charta vorgesehene Instrumentarium zu
gemeinsamen Kollektivmaßnahmen nicht umgesetzt wurde. Die in
Artikel 45 geforderten Sonderabkommen zur Überstellung
militärischer Einheiten an die UNO kamen nicht zustande, und
der mit Artikel 47 begründete Generalstabsausschuss aus
Vertretern aller ständigen Ratsmitglieder traf sich nur, um
sich zu vertagen. Selbst der regelmäßig als erste
chartagemäße Anwendung militärischer Maßnahmen
zitierte Einsatz nach dem Überfall Nordkoreas auf
Südkorea 1950 lässt sich vor diesem Hintergrund
eigentlich auch als Schlag gegen das in der Charta vertretene
Konzept gemeinsamer kollektiver Sicherheit darstellen. Der
Beschluss war nur zustande gekommen, weil Moskau die Ratssitzungen
aus Protest gegen die Anwesenheit Taiwans boykottierte.
Und dennoch waren die Vereinten Nationen
nicht untätig. Zu beobachten ist eine doppelte
Machtverlagerung: Da der Sicherheitsrat blockiert war, nahm sich in
immer mehr Fällen die Generalversammlung dringender Fragen an.
Symptomatisch mag hier die Uniting-for-Peace Resolution von 1950
gelten, mit der die Generalversammlung sich angesichts eines
handlungsunfähigen Rates selbst das Recht zusprach, bei
Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
zumindest Empfehlungen zu formulieren. Die damit begründete
Kompetenz der Generalversammlung auf dem Gebiet der
Friedenssicherung hatte dann in einem zweiten Schritt Konsequenzen
für das Amt des Generalsekretärs, der eine
quasi-exekutive Funktion bei der Umsetzung der Vorgaben der
Generalversammlung erhielt. Mehr noch als Lie profitierte der
zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld von diesem
Trend, den er weit zu nutzen wusste. Dass dies auch politisch
riskant war, wurde in der zuvor demonstrierten Verhinderung der
Wiederwahl Lies durch die Sowjetunion sehr deutlich.
Aus dieser Konstellation heraus entstand in
der Suez-Krise von 1956 ein neues Instrument der kollektiven
Friedenssicherung, die so genannten Blauhelmmissionen. Nach dem von
Großbritannien und Frankreich unterstützen Angriff
Israels gegen Ägypten (das unter Nasser den Suez-Kanal
verstaatlicht hatte) war eine Involvierung der Großmächte
in die explosive Situation im Nahen Osten zu befürchten.
Aufbauend auf einem Vorschlag des kanadischen UN-Botschafters
Lester Pearson forderte die Generalversammlung in dieser Situation
die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe, die einen
gesichtswahrenden Rück-zug der schon im Anmarsch befindlichen
britisch-französischen Truppen erlauben und zugleich die
Situation entspannen sollte. Zur Umsetzung dieser Idee erhielt
Hammarskjöld nur wenige Tage Zeit - die
diplomatisch-militärische Innovation aber gelang und seither
gehören die Blauhelme zum wesentlichen Inventar der
UN-Friedenssicherung.
Der Kalte Krieg beherrschte jedoch weiterhin
die Weltlage und verband sich mit dem in den 1960er-Jahren
bestimmenden Prozess der Dekolonialisierung. Allein im Jahre 1960
traten auf einen Schlag 17 neue Staaten der Weltorganisation bei.
Die Bewegung der Blockfreien trat als neues Element in der
Generalversammlung hervor, und die ehemals "sichere" westliche
Mehrheit schwand dahin, was sich nicht zuletzt auch an der Aufnahme
der Volksrepublik China 1971 zeigte, die die USA zuvor über
Jahre hinweg verhindert hatten. Doch schon zuvor bedrohten
weltweite, "stellvertretende" Auseinandersetzungen der
Großmächte in den nunmehr unabhängigen, ehemaligen
Kolonialgebieten den Weltfrieden. Beispielhaft erscheint hier
bereits der Konflikt im Kongo, bei dem die Blauhelmtruppen zwischen
lokalen Rivalitäten und weltpolitischer Einflussnahme kaum
etwas unternehmen konnten. Generalsekretär Hammarskjöld
kam dort bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz um.
Eine ungeahnte Zuspitzung erhielt der Kalte
Krieg dann in der Kuba-Krise von 1962. Noch nie zuvor hatte sich
die Welt so nahe am Rande einer nuklearen Katastrophe befunden.
Alle Motive und Prinzipien, mit denen die UNO gegründet worden
war, standen durch die Auseinandersetzung um die Stationierung
sowjetischer Atomwaffen in Frage. Erneut war der Sicherheitsrat
gelähmt - und doch stellte die Präsentation des
Nachweises von Atomwaffen auf der Karibikinsel durch den
amerikanischen UN-Botschafter Adlai Stevenson einen Höhepunkt
der Diplomatie im Sicherheitsrat dar, indem der Rat bei hoher
Medienpräsenz sozusagen vor den Augen der Welt diskutierte.
Die Lösung der Krise kam dann schließlich durch eine
Reihe informeller Kontakte zwischen den USA und der UdSSR zustande.
Der von UN-Generalsekretär
U Thant an die Konfliktparteien versandte
Appell zur friedlichen Beilegung der Krise bot jedoch abermals die
Möglichkeit eines für alle Parteien gesichtswahrenden
Rückzugs.
Fast völlig außen vor blieben die
Vereinten Nationen im Vietnam-Krieg. Mehrere Versuche zur
Thematisierung oder Vermittlung im Rahmen der UNO blieben
ungehört und selbst beim Friedensschluss konnten weder U Thant
noch Kurt Waldheim eine erkennbare Rolle spielen. Auch in den
weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten sowie
durchgängig in der Deutschlandpolitik und bei der Berlin-Frage
blieb der UNO eine friedensstiftende Wirkung versagt. In der Folge
stellten das Aufkommen des Terrorismus, die weiterhin explosive
Lage im Nahen Osten, die Forderung nach einer "Neuen
Weltwirtschaftsordnung" seitens der Länder des Südens und
eine durch politisch motivierte Zahlungsverweigerung
ausgelöste Finanzkrise die UNO unter schwere Belastung.
Persönliche Vermittlungsinitiativen des Generalsekretärs
und Blauhelmoperationen, die eine Konfliktsituation oftmals nur
"einfrieren" konnten, traten weiterhin als
Lückenbüßer des ursprünglich gedachten Ansatzes
kollektiver Sicherheit der Charta auf.
So, wie sich jedoch schon vor dem Kalten
Krieg die Stürme der Blockkonfrontation frühzeitig in der
UNO angekündigt hatten, so konnte auch der "wind of change"
zum Ende des Kalten Krieges bald in der UNO verspürt werden.
Im Dezember 1988 kündigte Michail Gorbatschow einen
revolutionären Kurswechsel der sowjetischen Außenpolitik
an, in der er den Vereinten Nationen eine große Rolle zuwies.
Die sich andeutende Kooperation der Supermächte erleichterte
die UNO-Diplomatie um Frieden in Afghanistan, Angola, Kambodscha
oder Nigeria. Im selben Jahr wurden die in der Charta gar nicht
vorgesehenen, aber unter dem Eindruck des Kalten Krieges ins Leben
gerufenen Blauhelmsoldaten symbolisch mit dem Friedensnobelpreis
ausgezeichnet. Die Vereinten Nationen konnten den Kalten Krieg
nicht verhindern, ohne sie wäre er jedoch anders verlaufen und
anders ausgegangen.
Dr. Manuel Fröhlich arbeitet am Institut für
Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität
Jena.
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