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Herbert Wulf
Wenn der UN-Generalsekretär betteln gehen
muss
UN-Friedensmissionen: Fehlschlag oder
notwendiges Intsrument zur Frieden
Arabische Reitermilizen können scheinbar
ungestört die Bevölkerung Darfurs im Südsudan
abschlachten, während der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen seit Monaten ohne durchschlagendes Ergebnis debattiert,
was zu tun sei. Ungeachtet des aktuellen tausendfachen Mordens in
Darfur kann sich der UN-Sicherheitsrat nicht zur Entsendung einer
schlagkräftigen Friedenstruppe entschließen.
Beschwörend appelliert UN Generalsekretär Kofi Annan an
die "moralische Verantwortung der Vereinten Nationen, um
verwundbare Völker zu schützen damit Genozid nie mehr
vorkomme".
Die Ergebnisse der UN-Friedensmissionen sind
gemischt. Über die Fehlschläge bei Blauhelmeinsätzen
wurde und wird in den Medien ausgiebig berichtet: Bilder
amerikanischer Truppen im UN-Auftrag, die 1994 Hals über Kopf
Somalia überfordert verließen und dem Treiben der
Warlords kein Ende bereiten konnten, kommen in Erinnerung.
Niederländische Streitkräfte, mit unzureichenden Mitteln
und unklarem Mandat ausgestattet, waren nicht in der Lage, die
bosnisch-muslimische Bevölkerung in Srebrenica vor einem
Massaker zu schützen. Seit Jahren kann der Konflikt in der
Demokratischen Republik Kongo, trotz Einsatz von derzeit über
16.000 uniformierten UN-Personals, nicht befriedet werden, und nun
wird den zum Schutz eingesetzten UN-Soldaten auch noch
begründet vorgeworfen, wehrlose Frauen vergewaltigt zu
haben.
Trotz dieser traumatischen Fehlschläge
und menschlichen Katastrophen ist die Bilanz der
UN-Friedensmissionen nicht nur negativ. Im Gegenteil: Oftmals ist
es gelungen, Gewalt zu verhindern, verfeindete Gruppen oder
Länder von Kampfhandlungen abzuhalten, Friedensabkommen
herbeizuführen und zu überwachen und den Aufbau
lebensfähiger staatlicher Strukturen zu ermöglichen.
Traditionell war das Ziel der UN-Friedensmissionen die Beendigung
von Konflikten und die Schaffung von Frieden mit friedlichen
Mitteln. In den meisten Friedensoperationen wandten die Vereinten
Nationen keine Waffengewalt an. Gerade aber wenn sie Gewalt
anwandten, wie in der Kongomission 1960 bis 1964, in Bosnien und
Herzegowina 1992 bis 1995 oder in Somalia 1993 bis 1995, waren die
Ergebnisse eher unbefriedigend bis erschreckend.
Das traditionelle Bild der zumeist nur zum
eigenen Schutz leicht bewaffneten Blauhelme der Vereinten Nationen,
die in kriegerischen Auseinandersetzungen überwiegend
vermittelnd und konfliktmildernd auftreten, hat sich seit Ende des
Kalten Krieges deutlich verändert. So genannte robuste
Friedensoperationen und Friedenserzwingungsmaßnahmen, bei
denen die UN-Truppen kriegführende Parteien mit Waffengewalt
auseinanderhalten oder mitunter selbst Konfliktpartei werden, sind
in neuerer Zeit die Regel.
Die Vereinten Nationen greifen heute nicht
nur robuster ein, auch die Zahl der internationalen
militärischen Interventionen hat signifikant zugenommen.
Begründet wird diese Politik des Eingreifens vor allem mit
humanitären Gründen. Während in der Zeit des Kalten
Kriegs im Sicherheitsrat oft keine Mehrheiten für
Blauhelmeinsätze zustande kamen oder ein Veto einer der
Großmächte derartige Einsätze verhinderte, ist heute
der Ruf der internationalen Völkergemeinschaft nach
rechtzeitigem Militäreinsatz häufiger und lauter
geworden. Robustes Peacekeeping soll der Prävention von
Konflikten dienen und deren Eskalation verhindern. Die Bereitschaft
der UN - so die Erwartung - sich mit starken militärischen
Kräften zu engagieren und nachhaltig den Willen zum Schutz der
Bevölkerung zu demonstrieren, macht den Ausbruch der Gewalt
weniger wahrscheinlich und kann das Einlenken der Konfliktparteien
bewirken.
Der vor wenigen Monaten veröffentlichte
Bericht des UN-High-level Panel on Threats, Challenges and Change
schlussfolgert, dass "in den letzten 15 Jahren mehr
Bürgerkriege durch Verhandlungen endeten als in den vorherigen
zwei Jahrhunderten - zum großen Teil, weil die Vereinten
Nationen Führerschaft, Möglichkeiten für
Verhandlungen, strategische Koordination und die notwendigen
Ressourcen zur Durchführung anboten". Das klingt wie Eigenlob.
Doch entgegen der öffentlichen Wahrnehmung von der Vielzahl
der Kriege und Kriegstoten - medial direkt in unsere Wohnzimmer
vermittelt - weisen die Statistiken seit 1990 eine eindeutig
fallende Kurve der Zahl der Bürgerkriege und eine ansteigende
Kurve der UN Friedensmissionen auf.
Erfolgreiche Einsätze
Viele erfolgreiche UN-Missionen sind heute
kaum eine Nachricht wert: Seit 1949 sorgen UN-Blauhelme in Kaschmir
an der Grenze zwischen Indien und Pakistan für die Einhaltung
des Waffenstillstandes - nicht immer, aber doch zumeist, mit
Erfolg. Eine ähnliche Rolle spielt ein kleines UN-Kontingent
auf der geteilten Insel Zypern. Heute dienen weniger als 500
Soldaten der UN in Osttimor und im Mai 2005 werden die letzten
UN-Truppen das Land verlassen, nachdem 1999 nach gewaltsamen
Auseinandersetzungen über 10.000 uniformierte Kräfte
erforderlich waren, um den Konflikt zu befrieden. Selbst in der
krisengeschüttelten Region der Großen Seen in Afrika hat
die noch laufende Friedensmission in Burundi einen drohenden
Konflikt zwischen Hutus und Tutsis verhindern können, ein
Erfolg, der im Nachbarland Ruanda 1994 wegen der Schwäche der
UN nicht möglich war.
Die humanitär motivierten Interventionen
der Vereinten Nationen sind mit konkreten praktischen Problemen
konfrontiert. Zum einen nahmen die Vereinten Nationen die
Interventionen in der Vergangenheit selektiv vor. Warum
intervenierte die UN in Somalia, aber nicht in Ruanda? Warum
beschränkte sich ihr Engagement bei dem inzwischen mehrere
Jahrzehnte dauernden Krieg im Sudan so lange lediglich auf
Hilfslieferungen und die Entsendung eines mit diplomatischen
Mitteln ausgestatteten Repräsentanten des
Generalsekretärs, während in Haiti mit militärischen
Mitteln rasch und wirkungsvoll interveniert wurde?
Großmachtinteressen spielen dabei auch heute noch eine
wichtige Rolle, wie die aktuellen Schwierigkeiten eine
Sudanresolution zu verabschieden nachhaltig belegen. Große
oder mächtige Länder müssen trotz grober
Menschenrechtsverletzungen überhaupt nicht mit
UN-Interventionen rechnen, wie das Beispiel der über ein
Jahrzehnt währenden kriegerischen Auseinandersetzungen in
Tschetschenien zeigt.
Zum anderen stellen die Mitgliedsländer
den Vereinten Nationen längst nicht die finanziellen und
personellen Mittel zur Verfügung, die sie in die Lage
versetzen würden, die Ansprüche als Friedensstifter und
Friedenswahrer effektiv erfüllen zu können. Bei jedem
Mandat für eine Friedensmission reist der
UN-Generalsekretär mit dem Hut in der Hand durch die Welt, um
Zusagen an Personal, Ausrüstung und finanzielle Ressourcen zu
erbetteln - für die Implementierung einer Resolution, die der
Sicherheitsrat zuvor beschlossen hat. Beredte Klage hierüber
ist in zahlreichen UN-Dokumenten nachzulesen. Besonders in den
Industrieländern stößt der Generalsekretär
oftmals auf taube Ohren. Im Februar 2005 setzten die UN fast 67.000
Personen (Soldaten, Polizisten, zivile Verwaltungskräfte,
Juristen) in 17 laufenden Friedensmissionen ein. Unter den 14
größten truppenstellenden Ländern ist kein einziges
Industrieland und keines der fünf ständigen Mitglieder
des Sicherheitsrates zu finden. Erst an 15. Stelle taucht China mit
knapp über 1.000 Soldaten auf. Aus Deutschland sind zur Zeit
293 Fachkräfte entsandt. In ähnlichen
Größenordnungen bewegen sich die Zahlen für die USA,
Russland und Frankreich. Die Gründe für das fehlende
Engagement sind vielfältig: der Einsatz der Truppen im Kampf
gegen den Terror oder in Kriegen, die Sorge vor Toten und
Verletzten bei Einsatz in Friedensmissionen, die mangelnde
Ausrichtung der Streitkräfte und daraus resultierend, die
geringe Zahl einsetzbarer Soldaten.
Einige der Länder, die die Mehrzahl der
UN-Truppen stellen, wie Pakistan, Bangladesh oder Nepal, sind aber
nicht nur aus reiner Menschenliebe oder moralischer Verpflichtung
engagiert. Sie sind zur Finanzierung ihres Militärhaushaltes
in nicht unerheblichem Maße auf der Bezahlung ihrer
Peacekeeper durch die UN angewiesen. Immer häufiger setzt die
UN heute auf regionale Kräfte. Unter dem Motto, afrikanische
Lösungen für afrikanische Probleme, drängt die UN
die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft
westafrikanischer Staaten, ECOWAS, Friedenstruppen nach Sierra
Leone, Liberia, der Demokratischen Republik Kongo, der
Elfenbeinküste und Burundi zu entsenden. Mit Äthiopien,
Ghana, Nigeria, Südafrika, Marokko und Senegal gehört zu
den zwölf größten truppenstellenden Ländern
immerhin die Hälfte aus Afrika.
Der Reformbericht zum Peacekeeping aus dem
Jahr 2001, der sogeannte Brahimibericht, schlussfolgert, dass
"keine noch so zahlreichen guten Absichten die fundamentale
Fähigkeit ersetzen können, eine glaubwürdige
Streitmacht" für komplexe Friedensmissionen verfügbar zu
haben. Das Resümee lautet: Gewalt mit militärischen
Mitteln verhindern. Aber unter welchen Bedingung und wann nicht?
Militärische Mittel dürfen nur eingesetzt werden, wenn
die Kriterien zum Einsatz klar definiert sind. Hieran hapert es
nach wie vor im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem
höchsten Organ für Frieden und Sicherheit in der
Welt.
Professor Herbert Wulf leitete den Aufbau des
internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) und war in den
90er-Jahren unter anderem als Berater des UN-Sicherheitsrates und
des Europäischen Parlaments tätig.
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