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Josef-Thomas Göller
Von einer besonderen Mission geleitet: Die USA im
Kampf gegen das Böse
Die Vereinigten Staaten von Amerika entdecken
ihre neue Führungsrolle als einzige Weltmacht
Für Verrückte, Betrunkene und die Vereinigten Staaten
von Amerika hat Gott eine besondere Vorsehung." Dieser Satz wird
dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck zugeschrieben und in
den USA gerne kolportiert. Während Bismarcks vermeintliche
Bemerkung auf den ersten Blick keine Schmeichelei für Amerika
darstellt, verstehen indes selbst namhafte Politikwissenschaftler
wie Walter Russell Mead Amerikas Sonderrolle durchaus als
"göttlichen Willen" oder als "schicksalshafte Vorsehung" einer
höheren Macht oder mindestens als mitverursacht von Europas
Unvermögen, sein eigenes Haus in Ordnung zu halten. Aber nicht
nur ein Großteil der gelehrten Elite der USA, sondern
Politiker aller Couleur bis hin zur Mehrheit der rund 300 Millionen
Amerikaner ist sich sicher, dass ihre Nation besser ist, als alle
anderen Nationen dieser Welt. Das Empfinden, in gewisser Weise eine
auserwählte Nation zu sein, ist beinahe so alt wie die
Gründung der Vereinigten Staaten vor mehr als 220 Jahren.
Diese Selbsteinschätzung stellt für viele Länder
eine Provokation dar und stößt insbesondere in einigen
Staaten Westeuropas, allen voran in Deutschland und Frankreich,
sowie in der arabischen Welt auf Ablehnung. Das traditionelle
Selbstverständnis der Amerikaner klingt in diesen Ländern
unzeitgemäß, wird als Überheblichkeit und als
Hegemonialstreben massiv verurteilt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks blickt man indes auf
Europäer und Araber als notorische Unruhe- und Brandstifter,
als "eine Masse von Skorpionen", wie es Walter Russell Mead nennt,
die, wenn nicht von einer Großmacht gezähmt, sich und die
übrige Welt vergiften und auffressen. Charles Krauthammer,
einer der namhaftesten Kommentatoren in den USA, fasste diese
Wahrnehmung einmal folgendermaßen zusammen: "Europäische
Liga und Arabische Union - oder heißt es umgekehrt? Alles das
Gleiche!"
Gerade der Verlauf des vergangenen Jahrhunderts hat den
Amerikanern schmerzlich vor Augen geführt, dass ohne ihre
Einmischung kein Weltfrieden möglich scheint. Allerdings wird
ihnen dafür nicht jener Dank entgegengebracht, den sie als
gebührend empfinden. Hier sei einmal nicht von dem Engagement
der Amerikaner im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Rede oder von
der großzügigen Unterstützung des "Feindes
Deutschland" nach dessen Niederlage. Vielmehr sei einmal die Rolle
der USA seit 1945 in Nahen Osten analysiert, jener Region, von der
aus spätestens seit dem 11. September 2001 eine massive
Bedrohung des Weltfriedens ausgeht, mit den USA als Hauptziel,
stellvertretend für die westliche Zivilisation.
Man erinnere sich beispielsweise der Suez-Krise 1956: Frankreich
und England marschieren in Ägypten ein und wollen den
Suez-Kanal besetzen. Das schwache Ägypten hat dieser Invasion
nichts entgegenzusetzen. Hilfe von den arabischen Brüdern
bleibt aus. Wer interveniert und zwingt die beiden
Kolonialmächte zum Rückzug? Der amerikanische
Präsident Eisenhower. Wer heftet sich diesen Erfolg an die
Brust? Der damalige ägyptische Diktator Nasser.
Ein anderes Beispiel: Der Yom-Kippur-Krieg 1973: Israel wird von
einer arabischen Übermacht überfallen, schafft es, die
Angreifer zurückzuwerfen und tritt zur Gegenoffensive an.
Kairo und Damaskus drohen von Israelis erobert zu werden. Wer
zwingt die Israelis zum Rückzug und an den Verhandlungstisch?
Der amerikanische Präsident Nixon und sein gewiefter
Außenminister Kissinger. Dass sie die Demütigung
Ägyptens und Syriens verhindert haben, wurde beiden
Staatsmännern von arabischer Seite nie gedankt.
Aufgrund der langen Geschichte dieses ständigen "Undanks"
der arabischen Seite entschloss sich die Bush-Regierung nach ihrem
Amtsantritt im Januar 2001, ihr Engagement im Nahen Osten niedrig
zu halten. Nicht noch einmal sollte ein amerikanischer
Präsident von dort düpiert werden, war die Haltung im
Weißen Haus, um am 11. September 2001 feststellen zu
müssen, dass die USA bereits tief in die konfliktreiche
Gemengelage des Orients hineingezogen waren. Ein Heraushalten war
gar nicht mehr möglich. Der Terror-Chef der islamischen Welt
hieß nicht mehr Jassir Arafat, sondern Osama Bin Laden. Und
der dachte nicht daran, den Amerikanern zu gestatten, sich aus der
Region zurückzuziehen, auch wenn er in seinen offiziellen
Botschaften genau das Gegenteil fordert.
Warum? Weil Bin Ladens eigentlicher Kampf ein außerhalb
seiner Heimat Saudi-Arabien geführter Bürgerkrieg gegen
das Königshaus Saud ist.
Kritik an Saudi-Arabien
Das zutiefst korrupte und tyrannische Königshaus konnte
sich bislang nur an der Macht halten, weil es von den USA stets
militärisch gestützt und verteidigt wurde, zuletzt gegen
eine drohende Invasion des irakischen Diktators Saddam Hussein im
Jahr 1991. Indem Bin Laden jedoch die USA terroristisch angriff und
für die insgesamt 19 Attentäter 15 Saudis auswählte,
trieb er erfolgreich einen Spalt-Keil zwischen die Allianz
Riad-Washington. Tatsache ist: Seit dem 11. September ist der Honey
Moon zwischen Amerikanern und Saudis zu Ende. Die Kritik an dem
fundamentalistischen Saudi-Regime ist nirgendwo so groß wie in
den USA. Worin sich der Terroristenchef Bin Laden indes verrechnet
hat, ist, dass sich die Amerikaner nicht schockiert aus der Region
zurückgezogen haben, sondern auf den Terrorangriff offensiv
und militärisch reagierten.
Ob die Bush-Regierung nach der raschen Beseitigung des
Taliban-Regimes in Afghanistan überreagiert hat, indem sie
auch noch im März 2003 den irakischen Diktator aus dem Amt
jagte, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
Allerdings: Auch wenn sich der ursprüngliche Grund - das
Aufspüren und Beseitigen von angeblichen
Massenvernichtungswaffen im Irak - als hinfällig erwiesen hat,
teilen immer mehr Beobachter der Region - Journalisten wie
Politiker - die Ansicht, dass die Transformation des Iraks zu einer
Demokratie eine nachhaltige und tiefgreifende Veränderung des
gesamten Nahen Ostens herbeiführen kann. Und zwar nicht so,
wie früher die Kolonialmächte Frankreich und England dies
taten. Sondern das Eigeninteresse der USA an dieser
Veränderung liegt im Sicherheitsbereich. Präsident Bush
betont seit drei Jahren, er sei zutiefst davon überzeugt, dass
von Demokratien keine Kriege ausgehen, sondern nur von
autoritären Regimen. Deshalb müsse die arabische Welt
demokratisiert werden, dann würde den islamistischen
Terroristen der Zulauf entzogen werden.
Abzug der Syrer aus dem Libanon
Auch wenn eine Reihe europäischer Staaten diese
Argumentation nicht teilt, kann bereits festgestellt werden, dass
Irakis offenkundig trotz Todesdrohungen gerne wählen gehen und
für die Demokratie aufgeschlossen sind. Auch die
plötzliche Ankündigung Syriens, seine nahezu
30-jährige Besatzung des Libanons aufzugeben, ist wohl eher
darauf zurückzuführen, dass 130.000 amerikanische
Soldaten im Nachbarland Irak stehen - die Vereinigten Staaten
sozusagen selbst eine "arabische Macht" sowie ein Nachbar von
Syrien geworden sind. Gleiches gilt für die ruhigen Wahlen der
Palästinenser. Die Nachfolge Arafats führte nicht, wie
von europäischen Kommentatoren befürchtet, ins Chaos,
sondern wurde überzeugend demokratisch durchgeführt. Im
Juli oder August wollen die Palästinenser freie Wahlen
für ihr Autonomie-Parlament - dem Palästinensischen
Legislativrat - abhalten, auf Druck der Amerikaner, wie
Fatah-Abgeordnete zugeben. Und in Ägypten hat der seit 1981
dauergewählte "Präsident" Hosni Mubarak vor kurzem die
Verfassung dahingehend geändert, dass in diesem Jahr erstmals
Präsidentschaftswahlen mit Gegenkandidaten abgehalten werden
können. Alles Zufall?
Jahrzehntelang war es den USA genauso gleichgültig wie den
Europäern, wer im Nahen Osten regierte. Die Fatwa des
Fanatikers und selbsternannten Scheichs Osama bin Laden, mit der er
offiziell am 23. Februar 1998 den "Heiligen Krieg aller Moslems
gegen die Juden und Kreuzritter" ausrief, stieß bis 2001 auf
keine Resonanz. Erst als Bin Laden nicht länger dulden wollte,
dass er von der Welt ignoriert wurde, und die USA zur Heimat der
"neuzeitlichen Kreuzritter" bestimmte, hoben die USA den ihnen
hingeworfenen Fehdehandschuh auf. Bin Laden wusste, dass Europa auf
keine wie auch immer geartete Provokation reagieren würde. Nur
die USA waren und sind selbstbewusst und mächtig genug, - wie
von Bin Laden gewünscht - das Schwert mit ihm zu kreuzen. Und
zur vollsten Zufriedenheit des Terroristen ließ sich
Präsident Bush in seinem ersten Statement nach dem
Terrorangriff dazu hinreißen, von einem "Kreuzzug" gegen die
Terroristen zu sprechen. Allerdings hat Bush, oder besser gesagt
haben die Amerikaner die Islamisten dahingehend überrascht,
dass sie den "Kreuzzug" in die Region der Terroristen trugen. Die
Bilanz dreieinhalb Jahre nach dem 11. September 2001 lautet: Die
sichere afghanische Basis Bin Ladens sowie das
Taliban-Helfershelfer-Regime ist zerschlagen, er selbst seither auf
der Flucht; weltweit werden Al-Qaida-Mitglieder festgenommen,
Gelder eingefroren, zahlreiche neue Anschläge wurden
aufgedeckt und vereitelt; kein neuer Anschlag auf die USA gelang,
und die Amerikaner sind im Nahen Osten präsenter denn je. Bin
Laden hat sich verrechnet, ebenso wie einige europäische
Mächte. Von dem deutschen Außenminister Joschka Fischer
ist zum Beispiel bekannt, dass er im Februar 2003 überzeugt
war, ein Krieg der Amerikaner gegen Saddam Hussein werde Jahre
dauern. Fakt ist: Die Irak-Invasion dauerte knappe vier Wochen. Der
Irak steht zwei Jahre später kurz vor der Selbstregierung.
Die USA fühlen sich allein gelassen
Beunruhigend für die Zukunft bleibt allerdings, dass sich
die USA seit der Irak-Invasion allein gelassen fühlen. Sowohl
die Mehrheit der Bevölkerung als auch die Politik gehen davon
aus, dass Amerika in keinem für ihn essentiellen Ernstfall -
mit Ausnahme Großbritanniens - auf verlässliche
Verbündete zählen kann. Die Strategien, die sich aus
solch einer Erkenntnis ableiten, liegen auf der Hand: Während
die übrige Welt mehr und mehr Bündnisse schließt,
die Staaten Europas in die politischen Bündnisse der
Europäische Union und der NATO drängen, sieht das allein
gelassene Amerika sich an immer weniger internationalen
Verpflichtungen gebunden und stellt immer hemmungsloser seine
eigenen Interessen in den Vordergrund. Die große
Herausforderung für die Weltgemeinschaft besteht also darin,
Amerika wieder jenes Vertrauen zu geben, das es braucht, um sich
durch Bündnisse "binden" zu lassen.
Josef-Thomas Göller berichtete zwischen 2000 und 2004 für
"Das Parlament" aus Washington.
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