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Das Parlament
Nr. 41 / 10.10.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Johanna Metz

Ein notwendiger Kompromiss

Damals ...vor 10 Jahren am 13. Oktober: Der Bundesrat berät über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Der europäische Binnenmarkt: Seit 1. Januar 1993 ermöglicht er innerhalb der Europäischen Union den freien Fluss von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeit. Als große Errungenschaft gefeiert, zeigten sich jedoch bald auch seine Schattenseiten: Lohndumping und Scheinselbstständigkeit nahmen zu, immer mehr Beschäftigte arbeiteten illegal. In den Anfangsjahren des gemeinsamen Marktes lag das vor allem daran, dass für Mitarbeiter ausländischer Firmen in einem anderen EU-Land die Arbeitsbedingungen ihres Heimatlandes galten - und nicht etwa die des tatsächlichen Beschäftigungsortes. Billige Arbeitskräfte konnten so in Hochlohnländern wie Deutschland oder Frankreich für einen Bruchteil des Lohns arbeiten und die sozialen Standards um ein Vielfaches unterbieten. Die teureren einheimischen Arbeiter wurden verdrängt oder mussten ihrerseits niedrigere Löhne in Kauf nehmen.

Erst 1996 brachte die EU ein Gesetz auf den Weg, das dem ein Ende bereiten sollte: Die so genannte Entsenderichtlinie. Sie besagt, dass die Mitgliedsländer die Bedingungen festlegen, unter denen Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedsland der EU bei ihnen arbeiten dürfen - insbesondere in Bezug auf Löhne. 18 von 25 EU-Staaten haben daraufhin einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, viele zumindest Teile der Richtlinie umgesetzt. Auch in Deutschland erkannte man die Notwendigkeit einer entsprechenden Regelung. Während 1995 in Brüssel noch über die Entsenderichtlinie beraten wurde, legte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm einen eigenen Gesetzentwurf vor, der für den Bereich des Baugewerbes eine Ausweitung der Lohn- und Urlaubstarifverträge auch auf Arbeitnehmer aus anderen EU-Ländern vorsah. Ein Vorhaben, das die Berliner Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) in der Bundesratsdebatte am 13. Oktober grundsätzlich begrüßte, in der Ausführung aber scharf kritisierte: Die Bundesregierung habe "einen Gesetzentwurf vorgelegt, der weder den Vorstellungen des Bundesrates entspricht noch geeignet ist, dem akuten Handlungsbedarf zur wirksamen Bekämpfung gemeinschaftsweiten Sozialdumpings im Baubereich gerecht zu werden", warf sie Blüm vor. Es sei vielmehr "zwingend notwendig", dass neben dem Bauhauptgewerbe auch andere baunahe Berufe in das Gesetz miteinbezogen würden. Als "unbegreiflich" bezeichnete sie außerdem die Befristung der Regelung. "Wenn es keine vernünftige Entsenderegelung - ob europäisch oder national - gibt", sagte Bergmann, "wird nicht nur die Arbeitslosigkeit im Baubereich noch weiter drastisch zunehmen, sondern dann wird auch der Ausländer- und Europafeindlichkeit Vorschub geleistet und damit das gesamte Gemeinschaftsprojekt in Frage gestellt."

Arbeitsminister Blüm stimmte seiner Berliner Kollegin in den meisten Punkten durchaus zu. Auch er halte ein Entsendegesetz für "unerlässlich" und zwar "erstens wegen elementarer Sozialstaatserfordernisse und zweitens Europas wegen". Seinen Gesetzentwurf verteidigte er als "einen Kompromiss", eine "Übergangslösung" für ein krankendes Gewerbe: "Wir machen ein relativ einfaches Entsendegesetz", so Blüm, weil im Baugewerbe auch "die größte Bedrängnis" herrsche. Es gehöre eben nicht zu unserer sozialstaatlichen Tradition, mit Mindestlöhnen zu arbeiten. Denn: "In dem Moment, in dem wir einen Mindestlohn festsetzen, ist der Staat Tarifpartner und nach jeder Tarifverhandlung werden wir Gegenstand von Forderungen. Unsere Tarifautonomie hat uns diese Last abgenommen."

Das Festhalten an der Tarifautonomie bewirkte schließlich, dass 1996 lediglich das von Blüm vorgelegte Arbeitnehmer-Entsendegesetz verabschiedet wurde. Es sah vor, einige wenige Branchen im Baugewerbe vor billigen Arbeitskräften zu schützen. 1999, inzwischen war die EU-Richtlinie in Kraft getreten, wurde das Gesetz nochmals überarbeitet. Künftig galt ein gesetzlicher Mindestlohn von Brutto 8,95 Euro pro Stunde für ungelernte und 10,01 Euro für gelernte Kräfte (im Osten) und 10,36 Euro beziehungsweise 12,47 Euro (im Westen). Bis heute ist diese Mindestlohnvereinbarung in Deutschland einzigartig.

Zehn Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes ist die Problematik wieder brandaktuell. Jetzt kommen auch aus Osteuropa verstärkt Billiglohnkräfte in die EU: Fliesen- und Parkettleger, Schlachter und Spediteure - längst hat sich das Problem des Lohndumpings auch auf andere Branchen ausgedehnt. Die Bundesregierung hat deshalb im Mai 2005 eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen beschlossen - gegen den Widerstand von Arbeitgebern, Union und FDP. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.

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