Jörg Jacob
Die letzten Mohikaner in der Staatswirtschaft der
DDR
Als die SED Privatunternehmer nicht mehr dulden
wollte
Verwaschene Firmenschilder an alten Fabrikgebäuden erregten
Anfang der 90er-Jahre die Aufmerksamkeit der französischen
Historikerin Agnès Arp auf Reisen durch die neuen
Bundesländer. Was, so fragte sie sich, war eigentlich mit dem
alteingesessenen industriellen Mittelstand in Berlin, Sachsen oder
Thüringen unter den Bedingungen des real existierenden
Sozialismus geschehen? Wusste sie doch, dass gerade Sachsen ein
Hort der frühen Industrialisierung in Deutschland gewesen war
und dass sich beispielsweise Thüringen durch einen soliden und
branchenmäßig sehr breiten Mittelstand ausgezeichnet
hatte.
Mit der Geschichte privater Industriebetriebe in der DDR widmet
sie sich einem bisher eher vernachlässigten Aspekt deutscher
Wirtschaftsgeschichte, denn in zahlreichen Publikationen zur
DDR-Geschichte hat bisher kaum Beachtung gefunden, dass sich bis in
die 70er-Jahre private Industriebetriebe in der DDR halten konnten
und einen nicht unwesentlichen Teil zur industriellen Produktion
des Landes beitrugen.
Agnès Arp hat mit zahlreichen ehemaligen und zum Teil seit
der Wende wieder aktiven Unternehmern in Sachsen und Thüringen
gesprochen. Nach einem his-torischen Überblick erzählen
acht ihrer Gesprächspartner ihre Firmen- und
Familiengeschichte. Sie führten Unternehmen der
Textilindustrie, waren im Maschinenbau, in der Bauwirtschaft, in
der Papierbranche oder in der Nahrungsmittelindustrie tätig.
Dabei handelte es sich ausschließlich um ererbte
Familienunternehmen, zu denen eine starke emotionale Bindung
bestand und besteht.
Der Weg dieser Mittelständler führte durch
verschiedene Phasen extremer Belastungen und relativer Entspannung
am Ende zum völligen Verlust ihrer Betriebe, die auch nach der
Wende nur teilweise, oft in langwierigen und nicht immer
erfolgreichen Verhandlungen mit der Treuhand
zurückgeführt werden konnten.
Repressalien des Staates
Zwar war es nach Kriegsende vielen alteingesessenen Betrieben
gelungen, sich trotz großer Startschwierigkeiten wieder zu
etablieren - 1952 verzeichnet die Statistik mehr als 19.000 private
Industriebetriebe mit mehr als 500.000 Beschäftigten. Doch ab
1952 begannen staatliche Repressalien, bis 1953 wurden bereits mehr
als 2.000 Betriebe geschlossen. Nach dem 17. Juni 1953 setzte aber
eine Kehrtwende bei der Behandlung privater Industriebetriebe ein:
Restriktive Maßnahmen wurden durch eine gemäßigte
Politik ersetzt. Über die Bereitstellung notwendiger Kredite
beteiligte sich nun der Staat an den Betrieben, Ende der 50er-Jahre
waren nahezu alle ehemaligen Privatunternehmen in Betriebe mit
staatlicher Beteiligung umgewandelt.
Dies schien für beide Seiten ein annehmbarer Kompromiss zu
sein, sicherten die staatlichen Beihilfen dem Unternehmer doch eine
gute ökonomische Entwicklung bei weitgehender
Selbstbestimmung. Der Staat gewann weiter an Einfluss und
profitierte zudem von der überdurchschnittlichen
Produktivität dieser Betriebe. Doch 1972 wurde unter Honecker
eine neue Linie durchgesetzt, die sehr schnell zur völligen
Verstaatlichung führte. Durften die ehemaligen Besitzer zuerst
noch als Direktoren in ihren Betrieben verbleiben, wurden sie
später durch Parteikader schließlich auch aus diesen
Positionen verdrängt. So stand dann auch die bezeichnung GmbH
endgültig für "Geklaut mit besonderer
Höflichkeit".
Die großen Linien der DDR-Politik gegenüber privat
geführten Betrieben werden in Arps Buch deutlich, vor allem
aber Auswirkungen dieser Politik auf die betroffenen Familien.
Diesen Familiengeschichten, die durch die gleichen wesentlichen
Stationen gekennzeichnet sind, sich jedoch durch unterschiedliche
persönliche Erfahrungen und Bewältigungsstrategien
mitteilen, gilt das besondere Interesse der Autorin.
Im Zentrum der Interviews stehen private Schicksale, die von
Reglementierung, Einschränkung der Handlungsfreiheit,
kränkender Herabsetzung bis zur Enteignung gezeichnet sind.
Den Unternehmern war dieses Ziel des Staates von Anfang an wohl
bewusst. Dennoch hofften sie entgegen aller erwartbaren
Entwicklungen jahrzehntelang noch auf einen positiven Ausgang,
zumindest aber auf Anerkennung ihres persönlichen Engagements
und Respektierung ihrer Bindungen an das väterliche
Lebenswerk.
Nicht Gewinnmaximierung stand bei diesen
Unternehmerpersönlichkeiten über Jahrzehnte im
Vordergrund, sondern Erhalt der ererbten Betriebe und Sorge um die
Aufrechterhaltung der Produktion. Hier ist ein bewundernswerter
Unternehmergeist zu besichtigen, der gerade in äußert
problematischen Situationen zu Hochform aufläuft.
Agnès Arp
Vaters ehemaliger Betrieb. Privatunternehmer in der
DDR.
Militzke Verlag, Leipzig 2005; 240 S., 19,80 Euro
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