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Gottfried Niedhart
Argwohn über die alten Seilschaften an der
Koblenzer Allee
Die verdrängte Vergangenheit des
Auswärtigen Amtes
Als der Zweite Weltkrieg vorbei war, sahen sich Millionen
Deutsche aus verschiedensten Gründen einer ungewissen Zukunft
gegenüber. Manche waren davon betroffen, dass es ihren
Arbeitgeber nicht mehr gab. Das Deutsche Reich hatte aufgehört
zu existieren, sodass seine Berufssoldaten oder Beamten
zunächst einmal arbeitslos waren. Dazu gehörten nicht
zuletzt auch die Angehörigen des diplomatischen Dienstes. Erst
als das Besatzungsstatut in der Bundesrepublik gelockert wurde und
1951 ein Außenministerium eingerichtet werden durfte,
eröffnete sich für diese Berufsgruppe wieder ein
Tätigkeitsfeld.
Kaum gegründet, sah sich das Auswärtige Amt wegen
seiner Personalpolitik einer harschen Kritik ausgesetzt. Unter dem
Titel "Ihr naht Euch wieder…" monierte die "Frankfurter
Rundschau" in einer Serie, die am 1. September 1961 -
pünktlich zum Jahrestag des Kriegsbeginns von 1939 -
einsetzte, das Ausmaß der personellen Kontinuität
über das Ende des Nationalsozialismus hinaus.
Kontroverse um "Gedenken"
Der Schatten der NS-Vergangenheit ist heute länger
geworden, aber er ist nach wie vor sichtbar. Erst kürzlich
wieder wurde dies anlässlich der Kontroverse deutlich, ob es
gerechtfertigt sei, einem Diplomaten der Bundesrepublik ein
"ehrendes Gedenken" zu verweigern, wenn dieser der SS angehört
hatte. Das Auswärtige Amt setzte daraufhin eine
Historikerkommission ein, die die Rolle des Amts in der Zeit des
Nationalsozialismus, den späteren Umgang mit dieser
Vergangenheit und die Frage der personellen Kontinuität und
Diskontinuität untersuchen soll.
Vorerst kann man sich bei Hans-Jürgen Döscher
informieren. Bereits 1987 und 1995 hat er zwei Bücher
über das Auswärtige Amt unter Hitler beziehungsweise
unter Adenauer publiziert, die vergriffen sind und nun, in einem
Band zusammengefasst und leicht ergänzt, in neuem Gewand
vorliegen. Der Verlag hat die derzeitigen Marktchancen genutzt, um
einen breiteren Leserkreis bedienen zu können.
Dass Döscher keine neuen Ergebnisse präsentiert, muss
nicht unbedingt stören. Denn der Mythos vom Auswärtigen
Amt als Gegenpol zur Gewalt-, Kriegs- und Vernichtungspolitik der
Nationalsozialisten erweist sich wie alle Mythen von großer
Zähigkeit. Dabei ist es seit Juni 1952 amtlich, dass zwei
Drittel der Spitzenbeamten des Auswärtigen Amts der jungen
Bundesrepublik zuvor NS-Organisationen angehört hatten und
dass deren Selbstdarstellung, gegenüber der NS-Ideologie
resistent gewesen zu sein oder gar dem Widerstand angehört zu
haben, in das Reich der Legenden gehört.
Nachzulesen war dieser Sachverhalt im Abschlussbericht eines
Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags. Der Bericht
attestierte nur fünf von 21 überprüften Diplomaten
die uneingeschränkte Eignung für den Auswärtigen
Dienst. Bundeskanzler Adenauer, der bis 1955 auch
Außenminister war, hatte im November 1949 gegenüber
Herbert Blankenhorn, Angehöriger des Auswärtigen Amts
seit 1929 und Adenauers Vertrauter bei der Wiederbegründung
eines Außenministeriums, noch Bedenken: "Sie vom
Auswärtigen Amt halten mir zu sehr zusammen. Sie wissen, dass
ich ein neues Amt aufbauen möchte, das mit den alten Leuten
möglichst wenig zu tun hat."
Als der Bundestag im Oktober 1952 den Bericht des
Untersuchungsausschusses debattierte, half sich Adenauer mit dem,
was den problematischen Gründungskompromiss der Bundesrepublik
ganz allgemein ausmachte: "Man kann doch ein Auswärtiges Amt
nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an den
leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher
her etwas verstehen." Die Bundesregierung verwies im Übrigen
darauf, dass von über 500 Beamten und Angestellten des
höheren Dienstes nur 153 schon vor 1945 beim Auswärtigen
Amt beschäftigt waren.
Das Bonner Auswärtige Amt war keine geschlossene
Gesellschaft ehemaliger Parteigenossen, aber es war in seinen
Anfängen auf Distanzierung und Ausgrenzung von
Außenseitern bedacht, die nicht zu älteren "Seilschaften"
gehörten. In welcher Weise die wenigen Spitzenbeamten, die
allein Gegenstand der Untersuchung waren, Teil des NS-Systems
gewesen waren, es stabilisiert oder sich seine Vorgaben zu eigen
gemacht hatten, sodass sie in manchen Fällen die Ermordung der
europäischen Juden mitorganisierten, wurde Anfang der
50er-Jahre nicht diskutiert.
"Um Deutschlands willen", wie der Vorsitzende des
Untersuchungsausschusses des Bundestages es ausdrückte, sollte
nicht die ganze Wahrheit ausgesprochen werden: "Der Bericht
hätte in vielen Punkten vollständiger sein können;
um Deutschlands willen ist er es nicht." "Deutschland", daran ist
in diesem Zusammenhang nachdrücklich zu erinnern, war zu
diesem Zeitpunkt ein besetzter Verbündeter des Westens, der
mehr und mehr davon absah, eine offene Auseinandersetzung der
Deutschen mit ihrer Vergangenheit einzufordern. Längst warf
der Kalte Krieg weitaus stärkere Schatten auf die deutsche und
internationale Politik als der Nationalsozialismus. Ohnehin drohte
die Ost-West-Auseinandersetzung in einen heißen krieg
überzugehen - in Korea tobte seit 1950 bereits eine Art
Stellvertreterkrieg.
Dies sollte sich erst im Laufe der 60er-Jahre ändern, als
einerseits eine neue Generation zu fragen begann und auf der
anderen Seite die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion
einsetzte. In der Zwischenzeit hatte sich gezeigt, dass die
westdeutschen Diplomaten einen tief greifenden Lernprozess der
Europäisierung und Verwestlichung durchgemacht hatten und
loyale Staatsdiener geworden waren. Dieser Prozess muss der
Beschreibung der aus der Zeit vor 1945 stammenden "Seilschaften"
stärker an die Seite gestellt werden, als Döscher es
tut.
Als Willy Brandt Ende 1966 Außenminister in einer Regierung
wurde, an deren Spitze ein ehemaliges NSDAP-Mitglied und
früherer Bediensteter des von Ribbentrop geleiteten
Außenministeriums stand, war die Frage nach der
NS-Vergangenheit einzelner Bonner Diplomaten zweitrangig. Manche
von ihnen hätten, so erinnert sich Egon Bahr, "mehr als
Verständnis für die Ostpolitik" gezeigt.
Hans-Jürgen Döscher
Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des
Auswärtigen Amts.
Propyläen Verlag, Berlin 2005; 383 S., 22,- Euro
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