Helena Sabbagh
Der Schlüssel für Reformen
Moderate Islamisten und politisches Denken in
der arabischen Welt
Über die politischen Diskurse in der arabischen Welt
erfährt man hierzulande wenig. Wenn sie Gegenstand der
medialen Berichterstattung sind, so steht häufig entweder die
Darstellung plakativer radikal-islamistischer Positionen im
Mittelpunkt oder es wird über arabische Reformer berichtet,
die, wie etwa der Ägypter Nasr Hamid Abu Zeid, im westlichen
Exil leben und über gute Kontakte zu hiesigen Medien
verfügen.
Die ganze Breite der intellektuellen Auseinandersetzung, die
sich in den zahlreichen Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen
Publikationen des arabischen Raumes entfaltet, ist dagegen nahezu
unbekannt. Und doch gibt es diese Diskussion quer durch alle
Staaten, und die Themen sind nicht viel anders als jene, die auch
in den westlichen Gesellschaften über die Zukunft der
Menschheit, über Toleranz unter den Kulturen und über
Fragen des sozialen Ausgleichs geführt werden.
Der Sozialwissenschaftler Amr Hamzawy hat sich in seiner nun
veröffentlichten Arbeit, mit der er 2002 an der FU Berlin
promovierte, dieser kommunikativen Kluft angenommen. Der
gebürtige Ägypter - derzeit Senior Associate am Carnegie
Endowment for international Peace - untersucht darin anhand einer
Fülle arabischsprachiger Quellen insgesamt vier
unterschiedliche Debatten arabischer Intellektueller, die,
abgesehen vom letzten Kapitel, alle in den 90er-Jahren geführt
worden sind.
Im Einzelnen handelt es sich um die Aufarbeitung publizistischer
Auseinandersetzungen zu den Themen "Zivilgesellschaft",
"Globalisierung", "islamische Reform" und "Wir und der Andere"
(Nahnu wa al-Ahar), wobei als analytischer Bezugsrahmen das
Verhältnis von "Kontinuität und Wandel" herangezogen
wurde.
Im letztgenannten Kapitel, in dem es um die Beziehung arabischer
Intellektueller zum kulturell Anderen geht, wird auch die
publizistische Verarbeitung der aufsehenerregenden Affäre um
Prinzessin Diana und Dodi al-Fayid beleuchtet.
Sie war ein besonders auffäliges Ereignis: An diesem
Beispiel erläutert der Autor, wie die prominente
Liebesbeziehung zunächst als Symbol für die "westliche
Akzeptanz Ägyptens" aufgefasst und in ihr auch eine Art
"kulturelle Hybridisierung" gesehen wurde. Spätestens nach dem
Unfalltod von Prinzessin Diana und Dodi al-Fayid im August 1997 sei
diese Bewertung allerdings ziemlich abrupt in eine stark von
Verschwörungstheorien geprägte Sichtweise
umgeschlagen.
Radikalisierung der Intifada
Ferner sind die Ereignisse des 11. Septembers 2001 sowie die
vehemente Radikalisierung der palästinensischen Intifada
Gegenstand der Untersuchung. Dadurch liefert das Kapitel insgesamt
auch eine ausführliche Darstellung des in der
arabisch-islamischen Welt weit verbreiteten dichotomen Weltbildes,
das den eigenen Kulturraum als Opfer fortgesetzter westlicher
Unterwerfungen sieht, deren Anfänge in der Zeit der
Kreuzzüge liegen.
Weitaus komplexer nimmt sich die Analyse der übrigen drei
Hauptthemen aus, da sie ausgesprochen weit gefächerte
Meinungsbilder hervorbrachten. So sind es allein 50 Seiten, auf
denen verschiedenste Positionen zur Globalisierung dargestellt und
eingeordnet werden. Darunter finden sich Beiträge namhafter,
aber hier wenig bekannter arabischer Kommentatoren und Denker.
Nicht wenige dieser Analysen zeugen von einer tiefen gedanklichen
Durchdringung gesellschaftlicher Entwicklungen.
Dem Leser wird deutlich, wie sich der Blickwinkel arabischer
Intellektueller von dem hiesiger Beobachter unterscheidet. Dann
etwa, wenn von Autoren wie Burhan Galyun in der Globalisierung die
Chance gesehen wird, "unsere gegenwärtige Stellung in der
Weltordnung als schwache und marginale Länder zu
ändern".
In dieselbe Richtung geht as-Sayyid Yassin, der eine
Globalisierung für möglich hält, die nur aus der
Sicht absolutistischer Staaten und intoleranter Kräfte eine
Gefahr darstelle. Ganz anders sieht es dagegen die ägyptische
Soziologin Awatif Abd ar-Rahman, für die die Globalisierung
zwangsläufig die Züge einer kulturellen Invasion annimmt,
was letztlich den Aufstieg religiöser und nationaler
Fundamentalismen fördere.
Neben der Flut säkularer Beiträge zur
Globalisierungsdebatte nehmen sich auch islamische Autoren des
Themas an. Obwohl diese meist in rückwärtsgewandten
Kategorien argumentieren, gehört es doch zu den
interessantesten Erkenntnissen der vorliegenden Arbeit, dass die
vormals lineare Trennlinie zwischen kulturoptimistischen
säkularen und kulturpessimistischen religiösen
Intellektuellen nicht mehr greift.
So zeichnet Hamzawy anhand der Globalisierungsdeutungen der
islamistischen Autoren Muhammad Imara und Yusuf al-Qaradawi nach,
wie sich neben dem Primat der eigenen Authentizität
allmählich auch eine Öffnung zum kulturell Anderen
vollzieht. Es ist eine Entwicklung, die, wenn man dem Autor in
seiner Analyse folgt, auf vermehrte Anknüpfungspunkte in der
Diskussion mit westlichen Denkern hoffen lässt.
Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Empfehlung Hamzawys,
die er jüngst in einem Interview gab, zu verstehen sein, dass
die moderaten Islamisten der Schlüssel für Reformen in
der arabischen Welt seien. Denn nur sie hätten
gegenwärtig den entsprechenden Rückhalt in der
Gesellschaft, um notwendige Veränderungen durchzusetzen.
Ein Blick in das umfangreiche Literaturverzeichnis offenbart
zugleich die Stärke und Schwäche der vorliegenden
Abhandlung: Unter der großen Anzahl arabischer Quellen finden
sich nur sehr wenige anderssprachige Literaturhinweise. Eine
stärkere Einbindung nichtarabischer wissenschaftlicher
Forschung wäre, zumindest in den abschließenden Kapiteln,
jedoch wünschenswert gewesen.
Die Dissertation Hamzawys ist sicherlich in erster Linie an ein
wissenschaftliches Publikum gerichtet. Zu empfehlen ist sie jedoch
allen Interessierten, die sich durch den wissenschaftlichen Jargon
der Arbeit nicht abschrecken lassen. Dabei stellt das Glossar der
wichtigsten arabischen Begriffe am Schluss der Publikation eine
wertvolle Hilfe dar.
Amr Hamzawy
Zeitgenössisches politisches Denken in der arabischen
Welt. Kontinuität und Wandel.
Schriften des Deutschen Orient-Instituts und der
Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients Freie Universität
Berlin, hrsg. von Friedemann Büttner und Udo
Steinbach.
Deutsches Orient-Institut, Hamburg 2005; 179 S., 18,-
Euro
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