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Peter Manstein
Die atomar-fossilen Energiekrisen zwingen zum
Handeln
Hermann Scheers Vision einer
Energieautonomie
Sieht man von Gezeitenkraftwerken und Geothermie
ab, sind die erneuerbaren Energien wesentlich Sonnenenergie: Wind,
bewegtes Wasser, Biomasse, direkte Sonnenstrahlen. Für Hermann
Scheer, den prominenten Streiter der "Energieautonomie", so der der
Titel seines neuen Buches, muss der Wechsel zu diesen Energien
erfolgen, weil die fossilen und atomaren Energien aus
vielfältigen Gründen untragbar geworden sind: Auch die
Umweltbelastungen, insbesondere das klimaändernde Potenzial
der fossilen Energie sowie der zivilen und kriegerischen Risiken
der der Atomtechnik.
Die Vorräte der Altenergien gehen zu
Ende, die Kosten nehmen zu, und trotz aller "Liberalisierung"
schreitet die Konzentration der Energieerzeuger und -anbieter
voran. Damit wird ihre Machtsonderstellung weiter gefestigt. Die
Frage ist also nicht, ob die Energiewende vollzogen wird, sondern
wie schnell das geschieht, will man nicht den fossil-atomaren
Untergang riskieren.
Scheer räumt dabei mit vielen
Vorurteilen auf, denen die "Erneuerbaren" - trotz verbreiteter
grundsätzlicher Sympathien - meist noch begegnen: Sie seien
doch höchstens was Nettes für die Ökonische, aber
nicht fähig, die komplette Energieversorgung einer modernen
Industriegesellschaft zu leisten. Dabei stellen sie hierzulande
bereits zehn Prozent des Energiebedarfs! Sie würden
übersubventioniert, also quasi künstlich ernährt:
Dabei werden die gegenwärtigen wie vergangenen Subventionen
und Privilegien der zugleich immer teurer werdenden fossil-atomaren
Energie geflissentlich übersehen!
Es läuft zurzeit in Deutschland
lediglich eine normal unterstützte Einführungsphase der
erneuerbaren Energien. Außerdem werden die Technik und die
gewonnene Energie, je massenhafter sie Verbreitung finden, umso
günstiger gerade im Vergleich zu den Altenergien. Der Zuwachs
an regenerativer Energie geht auch nicht mit einem schlagartigen
Abschalten der Altenergien einher, sondern ersetzt sie praktisch
risikofrei; die Energieversorgung bleibt erhalten.
Die Technik sei noch nicht reif, so ein
weiterer Vorwurf: Die vielen praktisch erprobten Anwendungen zeigen
aber, dass das für die eigentliche Energieerzeugung nicht mehr
zutrifft - was nicht heißt, dass hier noch viel Forschungs-
und Optimierungsbedarf etwa bei Solarzellen besteht. Nachholbedarf
besteht eher schon bei den Speichermöglichkeiten. Wobei auch
hier vieles möglich wäre, man denke nur an unterirdische,
durch Stromenergie gefüllte Druckluftspeicher mit
angeschlossenem Stromgenerator. Wer nur auf die
Einführungssubventionen abhebt, unterschlägt zudem meist
alle ökologischen, sozialen und volkswirtschaftlichen Vorteile
der erneuerbaren und umgekehrt die Gefahren der fossil-atomaren
Energien.
Beliebt ist es auch, den erneuerbaren
Energien Umweltbelastungen anzukreiden: Die
"Energierückzahlzeit" (die Zeit, in der die eingesetzte
Produktionsenergie wieder eingespielt wird) beträgt aber
für Solarstromanlagen nicht dutzende, sondern nur zwei bis
drei Jahre. Schließlich ist gegen das ästhetische
Argument einer "Landschaftsverschandelung" etwa durch
Windräder einzuwenden: Die Energieversorgung einer modernen
Gesellschaft muss in die Landschaft eingreifen; das tut die
Altenergie seit eh und je mit ihren Überlandleitungen,
Kraftwerksstandorten, Braunkohlengruben und Abraumhalden. Sie tut
es auch mit ihrer Kühlwassererwärmung und unsichtbar mit
ihren Emissionen. Wir haben uns halt daran gewöhnt.
Gerade das Aufbrechen alter
Energiegewohnheiten ist ein zentrales Thema des Buches. Ebenso geht
es hier nicht so sehr um die letztlich machbare Technik, sondern um
die politischen Strategie zur Durchsetzung der erneuerbaren
Energien. Und dazu muss man sich zunächst, so der Autor, ein
ungeschöntes Bild der Energierealität machen.
Sie wird bestimmt durch die Macht des
traditionellen, international verankerten und multifunktionalen
Energiesystems: Die Stromnetzbetreiber sind meist auch die Strom-
und zugleich die Primärenergieerzeuger. Die Kraftstoffanbieter
verarbeiten nicht nur das Rohöl zu Kraftstoff, sondern sind
oft auch an der Rohölförderung beteiligt und haben die
Tankstellen, also die Vermarktungskette, im Griff. Sie bilden
aufgrund ihrer Risiken kleine Staaten im Staate.
Diese "Energiewirtschaft" fürchtet zu
Recht, dass nur die erneuerbaren Energien ihre Macht brechen
können. Denn sie machen die Altenergie überflüssig.
So ist es nicht verwunderlich, mit welcher Vehemenz und auf allen
erreichbaren Medienkanälen die erneuerbaren Energien
verniedlicht oder darüber Falschmeldungen verbreitet werden.
Mittlerweile ist es andererseits auch gängige Praxis, die
Befürworter der Neuenergien zu "umarmen", statt sie
auszugrenzen. Aber ihre Befürworter sollten wissen, dass sie
damit in die Nische gedrängt und kleingehalten
werden.
Indem sich die großen Systemakteure
selbst eine Solaranlage zulegen oder für regenerative
Großkraftwerke werben, demonstrieren sie scheinbar
Aufgeschlossenheit, können aber umso unbehelligter am Alten
festhalten. Eine solch großmächtige und gefestigte
Struktur kann gar nicht anders, als zu versuchen, sich zu erhalten.
Die Energiewende wird deshalb nur neben und in Unabhängigkeit
von der Altenergiewirtschaft gelingen.
An dieser klaren Frontstellung führt
kein Weg vorbei. Dazu braucht es auch auf der internationalen Ebene
feste politische Institutionen. Mehr oder weniger lockere
"Netzwerke" reichen nicht aus gegen die geballte Macht etwa von
EURATOM oder IAEA, den internationalen Atomagenturen, sowie der
Internationalen Energieagentur IEA. Nur eine Internationale
Erneuerbare Energie Agentur, IRENA, kann, so Scheer, ein wirksames
Gegengewicht bilden.
Die atomar-fossilen Energiekrisen und
-risiken drängen zum Handeln. Da es auf eine rasche
Emissionsminderung ankommt, ist nach Scheer auch keine Zeit, um mit
großem bürokratischem Aufwand Emissionsrechte etwa
gemäß den "flexiblen Instrumenten" des Kyoto-Abkommens zu
schachern, was letztlich doch nur zu einem minimalen Reduktionsziel
führen würde.
Deutschland, die drittgrößte
Industrienation der Welt, hat vor allem mit dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine politische Vorreiterrolle
übernommen, von der auch für die Zukunft dieser Energien
in anderen Ländern viel abhängt. Es beeindruckt, mit
welcher begrifflich-sprachlichen Klarheit Scheer die Hindernisse,
aber auch die nötigen strategisch-politischen Schritte auf dem
weiteren Weg zur Energiewende herausarbeitet. Erst die Ersetzung
der Altenergien durch die erneuerbaren Energien bringt Autonomie
ins Spiel, einen neuen Handlungsspielraum, ja eine neue soziale
Kultur auf vielen Ebenen: vom selbstbewusst energieerzeugenden
Bürger über den Ölsaaten anbauenden Landwirt bis zur
energieautarken Kommune. Man ahnt, welch neue Handlungskraft einem
Staat zuwächst, der nicht mehr dem Diktat von
Energiewirtschaft und -import unterliegt.
Hermann Scheer
Energieautonomie,
Eine neue Politik für erneuerbare
Energien.
Verlag Antje Kunstmann, München 2005;
316 S., 19,90 Euro
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