Hans-Jochen Luhmann
Verschlusssache Ökologie
Umweltpolitik nach 1945 in Ost und
West
Das Buch vereint Beiträge eines Symposiums, zu dem Franz
Brüggemeier, Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der
Universität Freiburg, eingeladen hatte. Inhaltlich geht es um
einzelne Vorgänge aus der Umweltpolitik in der Nachkriegszeit,
auch und zuerst in (West-)Deutschland. Enthalten sind zudem
Fallstudien, die auf die DDR sowie auf England, Frankreich, die
Schweiz und auf die EU bezogen sind. Die Themen der Beiträge
sind divers. Sie ergeben sich zumeist aus den laufenden
Qualifizierungsarbeiten der in der Regel jungen Autoren.
Der Band erlaubt einen Einblick in die Arena, in der um das
Selbstverständnis historischer "Umweltforschung" gekämpft
wird. Kraftzentrum ist dabei die Einsicht, dass das Umweltproblem
als ein Handlungsproblem "konstruiert" (und nicht einfach gegeben)
ist, wenn es im politischen Raum auftritt, und dass diese
Konstruktion auf die Bedürfnisse des politischen Raumes hin
zugeschnitten sein muss, soll eine Aussicht auf Erfolg bestehen. Es
muss also Freiheit geben gegenüber dem Anspruch der
Naturwissenschaft auf ein Monopol in der Stilisierung eines
Problems.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass die (jungen)
Fachhistoriker bei diesem fächerübergreifenden Thema
unter sich bleiben. Sie sind aus Karrieregründen zur Anwendung
der Einsichten des "Konstruktivismus", der Modeströmung ihrer
Zunft, quasi genötigt, in aller Regel fehlt ihnen jedoch der
Kontakt zu Naturwissenschaftlern. Ohne solide Naturwissenschaft im
Rücken aber kann ihr Anspruch nicht genügend
eingelöst werden.
Letztlich dämmert es auch der jungen Generation, dass mit
zunehmender Einsicht in die Größenordnung des
Umweltproblems und die Verschleppung angemessener Reaktionen gilt,
was Kai F. Hünemörder, Umwelthistoriker in
Göttingen, in die Worte fasst: "... der Raum für die
Imagination von konkurrierenden plausiblen Zukunftsvorstellungen,
in denen menschliche Gesellschaften als souverän planende und
gestaltende Akteure auftreten" habe sich innerhalb der letzten drei
Dekaden deutlich verengt.
Hervorzuheben ist der Beitrag von Hans-Peter Gensichen,
langjähriger Leiter des Kirchlichen Forschungsheims
Wittenberg. Diese Institution war eines der Zentren der kritischen
Umweltbewegung in der DDR. Das Besondere an seinem Beitrag liegt
darin, dass er völlig unerwartete Paralleleinsichten zwischen
Ost und West zu eröffnen vermag.
Üblicherweise denken viele Westdeutsche, das Scheitern der
DDR im Umgang mit ihren Umweltproblemen sei Folge des
intransparenten Systems. In der Tat herrschte Geheimhaltung.
Gensichen zitiert den Titel des geheimen Geheimhaltungsbeschlusses
vom 16. 11. 1982 mit seinem fast absurd klingenden Wortlaut:
"Beschluss … zum Schutz von Informationen über den
Zustand der natürlichen Umwelt der DDR."
Allerdings ist eine solche Politik zum Schutz von
Umweltinformationen nicht spezifisch für den Sozialismus. In
der Gesellschaft des Westens unterliegen die meisten
Umweltinformationen schon deswegen der Geheimhaltung, weil sie
anlagenspezifisch und deshalb Teil des privaten Eigentums sind.
Kaum bekannt ist zudem, dass die Geheimhaltungspolitik in der
DDR bereits das Ende eines umweltpolitischen "Frühstarts"
bezeichnete. Der zeigte sich darin, dass es seit Frühjahr 1970
ein Umweltgesetzbuch gab und bald darauf ein Umweltministerium.
Seit 1973 bereits wurden Umweltprogramme erarbeitet. Doch ab 1975
folgte der "frühen Blüte ein rascher Herbst". Hintergrund
dieses abrupten Endes war die Ölkrise von 1973. Seitdem
verlangte die Sowjetunion von den "Bruderländern"
Verrechnungspreise für ihr Öl, die an das westliche
Niveau gekoppelt waren. Für die DDR wurde das zum Problem:
Bald war klar, dass sie die Energieimporte zu kürzen und den
heimischen Braunkohlebergbau massiv auszubauen hatte.
Das frühe Ende der DDR-Umweltpolitik ist somit nicht
Ausdruck eines systembedingten, also unfreiwilligen Scheiterns, sie
ist vielmehr Ausdruck eines bewussten Zur-Seite-Schiebens des
Problems. Die Geheimhaltung war rational, denn der zu schulternde
Vermögensschaden war zu hoch, als dass man ihn offen in die
"Bilanz" einstellen konnte.
Hans-Jochen Luhmann Franz-Josef Brüggemeier, Jens Ivo
Engels (Hrsg.)
Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte,
Kompetenzen.
Campus Verlag, Frankfurt/M 2005; 379 S., 34,90 Euro
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