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Karl-Otto Sattler
Jede Menge Zündstoff
Schwarz-Rot beginnt Verhandlungen
Der überschuldete Etat muss ins Lot
gebracht werden, bei der Gesundheitsreform gibt es harte
Gegensätze, eine Mehrwertsteueranhebung ist nach wie vor
umstritten: Bei den nun anlaufenden Koalitionsgesprächen haben
Union und SPD ein hartes Stück Arbeit vor sich. Dabei war es
bislang schon aufregend genug: Mit der Nominierung von Angela
Merkel fürs Kanzleramt und dem Rückzug Gerhard
Schröders erlebte die Republik eine Zäsur.
Nach der Entscheidung ist vor dem Showdown,
nach der Einigung ist vor dem Konflikt: Fast im Akkord bekamen
derzeit die TV-Kameras einschneidende, ja dramatische Momente von
den Schauplätzen der Berliner Bühne in die Winkel der
Republik - politische Ereignisse, von denen jedes einzelne unter
"normalen" Umständen Medien und Bürger tagelang umtreiben
würde. Angela Merkel wird zur Regierungschefin ausgerufen,
Kanzler Gerhard Schröder verkündet seinen Abschied, Franz
Müntefering steigt zum starken Mann seiner Partei im Kabinett
auf, die SPD bestimmt ihr Minister-Team, Edmund Stoiber wechselt an
die Spree, das Wirtschafts- und Arbeitsressort wird zweigeteilt, um
die Zuständigkeit für den Aufbau Ost wird gestritten und
was auch immer: Die Top-Meldung mutet schon am Tag danach wie
Schnee von gestern an, so schnell überschlagen sich die
Geschehnisse.
Und jetzt geht es ohnehin erst richtig ans
Eingemachte: Nach der für den 17. Oktober von Merkel
angekündigten Benennung der Ministerriege von CDU und CSU -
bislang ist nur Stoiber für das Wirtschaftsressort "gesetzt" -
wollen Union und SPD in mehrwöchigen Koalitionsverhandlungen
die politischen Leitlinien für die nächsten Jahre
festlegen. Viele dicke Brocken von der Etatsanierung bis zur
Gesundheitsreform bergen dabei jede Menge Zündstoff in sich.
Für aufregende News ist also weiterhin gesorgt.
Die Öffentlichkeit erlebt eine
bemerkenswerte Premiere. Bisher wurden bei einer Koalitionsbildung
zunächst Sachfragen geklärt, bevor sich die Parteien
Ministerposten zuwandten. Dieses Mal ist es umgekehrt. Das hat
natürlich damit zu tun, dass zuerst der Machtkampf zwischen
SPD und Union ums Kanzleramt ausgefochten werden musste. Dieses
Problem konnte nur im Rahmen eines Gesamttableaus gelöst
werden. Angela Merkel, die diesen Triumph nach außen sehr
zurückhaltend auskostete, soll nun also Regierungschefin
werden - mitgewählt auch von einer Mehrheit bei der SPD, und
dies trotz der frischen Erinnerung an die Konfrontation zwischen
Schröder und der CDU-Vorsitzenden im Wahlkampf. Es wirkt schon
sehr erstaunlich, wie zügig die politische Szene über den
Rückzug des Amtsinhabers hinweggeht: Nach Schröders Rede
vor der Chemiegewerkschaft Fernsehbilder für einen Abend, tags
darauf Berichte in den Zeitungen - das war's, jetzt heißt es
wieder business as usual.
Union und SPD werden im Kabinett
annähernd gleich stark vertreten sein: Sieben Minister von CDU
und CSU plus die Kanzlerin sitzen acht Sozialdemokraten
gegenüber. Noch diskutieren Parteien und Auguren, welche Seite
die zukunftsträchtigen, die wichtigen, die PR-trächtigen
Ressorts ergattert hat. Das muss sich jedoch in der Praxis
erweisen, und das hängt auch vom persönlichen Profil der
Minister ab. Zunächst einmal sicherte sich die SPD durch die
schnelle Auswahl ihrer Leute die Schlagzeilen, die Union zieht
diese Woche nach. Franz Müntefering wird Arbeits- und
Sozialminister sowie Vizekanzler, der bisherige Kanzleramtschef
Frank-Walter Steinmeier übernimmt das Außenamt, Leipzigs
OB Wolfgang Tiefensee beerbt Manfred Stolpe bei Verkehr und Bau,
Peer Steinbrück zeichnet verantwortlich für Finanzen,
Sigmar Gabriel leitet das Umweltressort, Brigitte Zypries (Justiz),
Ulla Schmidt (Gesundheit) und Heidemarie Wieczorek-Zeul
(Entwicklungshilfe) bleiben im Amt.
Der Koalitionspartner in spe zeigt sich
durchaus angetan. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos spricht von
einem "beachtlichen Wurf", CDU-Generalsekretär Volker Kauder
von einer "respektablen Mannschaft". Ob indes die Riege aus
SPD-Sicht einen Aufbruch zu neuen Ufern markiert, ist eine andere
Frage. Immerhin stehen die bisherigen vier Regierungsmitglieder
sowie Müntefering für jene Politik, die am 18. September
in eine Niederlage mündete. Und Steinbrück wie Gabriel
wurden als Ministerpräsidenten abgewählt.
Das Prinzip der gleichen Augenhöhe
liefert den Stoff für den Streit um Merkels
Richtlinienkompetenz, der dieses Bündnis vielleicht auf Dauer
begleiten wird. Die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs wird
im Grundgesetz aufgeführt. Aber was heißt das in der
Praxis? Müntefering warnt Merkel schon mal: In einer solchen
Koalition sei diese Leitlinie "nicht lebenswirklich", deren
Anwendung durch die Kanzlerin werde das Bündnis
gefährden. Zum Ärger der CDU bläst auch der
CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber in dieses Horn: Bei fast gleich
starken Partnern gebe es kein "klassisches Direktions- und
Weisungsrecht". Das wichtigste Gremium dürfte der
Koalitionsausschuss sein, der nur im Konsens entscheiden kann.
Zudem vereinbarten Union und SPD, dass im Kabinett bei
grundsätzlichen Fragen keine Seite überstimmt wird. Ob
Merkel als Moderatorin in die Fußstapfen Kurt-Georg Kiesingers
tritt? In der Großen Koalition zwischen 1966 und 1969 hatte
sich der CDU-Kanzler den Ruf eines "wandelnden
Vermittlungsausschusses" eingehandelt.
Was im Trubel um Pressekonferenzen, um
Medieninterviews, um Sitzungen der Parteispitzen und um
Kulissengeraune leicht untergeht: Eine beschlossene Sache ist die
Elephantenhochzeit keineswegs, die Koalitionsverhandlungen starten
ja erst am heutigen Montag. Nur in Zwischentönen deuten
Beteiligte wie etwa Steinmeier hie und da an, dass man sich erst
noch einigen muss. Allerdings grenzte es an ein Wunder, sollten
Merkel und Müntefering nicht ihre Unterschrift unter einen
Koalitionsvertrag setzen: Zu viele Pflöcke wurden
schließlich schon eingerammt, von der Verständigung auf
Merkel als Kanzlerin über die Aufteilung der Ressorts bis zur
Nominierung von Norbert Lammert (CDU) als
Bundestagspräsident.
Die politischen Streitpunkte haben es
durchaus in sich. Zwar kam man bereits im Sinne der SPD im Prinzip
überein, es bei der Steuerfreiheit für Zuschläge auf
Schicht- und Sonntagsarbeit zu belassen und die Tarifautonomie
nicht auszuhöhlen. Alles andere muss aber noch aus dem Weg
geräumt werden. Der dickste Brocken ist zweifelsohne die
Sanierung des defizitären Etats. Beim Gesundheitswesen stehen
sich Bürgerversicherung und Kopfpauschale eigentlich
unvereinbar gegenüber: Wird es ein neues Modell geben mit
einer weiteren finanziellen Entlastung der Arbeitgeber und einer
zusätzlichen Kostenüberwälzung auf Arbeitnehmer wie
Patienten? Die Neuordnung des föderalistischen Systems kann
kaum vertagt werden. Die Kalamitäten der Pflegeversicherung
harren einer Lösung. Wie halten es Union und SPD mit einer
Mehrwertsteuererhöhung, die vor dem 18. September so hart
umkämpft war? Kommt eine Reform der Unternehmensbesteuerung?
Hartz IV soll überarbeitet werden. Und, und, und
...
Die inhaltlichen Konflikte dürften die
Oppositionsfraktionen stärker ins Spiel bringen, die bislang
im Schatten des Koalitionspokers stehen. Immerhin weiß man
schon etwas über die Rangordnung von FDP, Linkspartei und
Grünen im Plenarsaal des Reichstags: Die Liberalen haben zwei
Stühle in der ersten Reihe, die beiden anderen Parteien nur
jeweils einen. Bei der FDP können sich Fraktionschef Wolfgang
Gerhardt und Nachfolger Guido Westerwelle gemeinsam als Promis
sonnen. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi bei der Linkspartei sowie
Renate Künast und Fritz Kuhn bei den Grünen müssen
sich hingegen im Sitzplatz-Sharing üben.
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