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Claudia Heine
Wenn Danton nicht sterben darf
Frankreichs Nationalhelden im Film
Was wäre Jeanne d'Arc ohne ihre Verbrennung als Ketzerin?
Was wäre die Französische Revolution ohne die Guillotine?
Ohne ihre zahllosen Opfer auf beiden Seiten, ohne Danton und
Robbespierre, aber auch ohne ein enthauptetes Königspaar, um
nur die berühmtesten zu nennen. Und was wäre Napoleon
ohne seine Verbannung auf St. Helena und seinen einsamen Tod dort?
Natürlich liegt die historische Bedeutung dieser Personen
nicht in ihrem Tod, jene von Ereignissen nicht in den Toten
begründet. Aber: Kein Heldentum funktioniert ohne Leiden. Kein
Mythos entsteht, wenn der Kampf, den er ausdrückt, nicht mit
entsprechenden Opfern und Schrecken bezahlt wurde. Leicht errungene
Siege taugen nicht zur Mythenbildung. Was zählt, ist der
heldenhafte, unter Opfern und Rückschlägen erfolgte
Einsatz bis zum letzten Moment, der ungebrochene Wille - dann
schadet auch eine Niederlage der Mythenbildung nicht.
Mythen funktionieren also wie Filme, die ebenfalls auf einen
dramaturgischen Spannungsbogen, der sich am Ende in die eine oder
andere Richtung auflöst, angewiesen sind. Kein Wunder ist es
also, dass sich schon Stummfilme mit jenem zum Mythos gewordenen
Ereignis beschäftigten, das wie kein anderes Frankreichs
Identität bis in die Gegenwart geprägt hat. Mit "Die
Ermordung des Marat" oder "Robbespierres Tod" aus dem Jahr 1897
hielt die Französische Revolution Einzug in den
französischen Film, und man könnte angesichts ihrer
Tragweite annehmen, sie sei seitdem nie wieder von der Leinwand
verschwunden. Doch dem war nicht so.
Der Erste Weltkrieg hatte gerade begonnen, da verboten die
Behörden 1914 den Film "1793", der auf einer Romanvorlage von
Victor Hugo beruhte. Anhand dreier Hauptpersonen, einem Adligen,
einem Priester und einem jungen Offizier, der zwischen Parteinahme
für die Republik und Mitleid mit den Opfern des
Bürgerkriegs schwankt, schildert er die Zerrissenheit des
Landes im historischen Moment. Die Präsentation eines solchen
inneren Konfliktes wollte das Land in einer Zeit, in der es auf den
Patriotismus aller angewiesen war, nicht riskieren.
Ein paar Jahre später diente der Mythos der Revolution
wiederum der Beschwörung der Einheit der Nation, nur in
umgekehrter Weise: nicht durch sein Verschweigen, sondern seine
Instrumentalisierung. In den 30er-Jahren steckte das Land in einer
tiefen politischen Krise, in der Kritik an Republikanismus und
Parlamentarismus laut wurden und extreme Gruppierungen Zulauf
erhielten. "La Marseillaise" wurde 1937 gedreht, zu einer Zeit als
die Volksfront aus Sozialisten und Kommunisten an die Macht kam.
Der von Arbeiterorganisationen mitfinanzierte Film von Jean Renoir
thematisiert den Marsch einer Gruppe von Leuten aus verschiedenen
Bevölkerungsschichten, die sich von Marseille nach Paris auf
den Weg machen, um die Monarchie zu stürzen.
Im Zentrum steht die "Marseillaise", das Lied der
Französischen Revolution, das hier von begeisterten Massen im
Chor gesungen wird. Über die Ziele des Films sagte Renoir
später: "Es war eine sehr enthusiastische Zeit, die Zeit der
Volksfront, eine Art Feuerwerk vor der Katastrophe. In Frankreich
glaubten wir damals, dass die Streitereien ein Ende hätten,
dass wir zu einer gewissen Einigkeit aller Franzosen kommen
könnten."
Die Verbindung von Filmen und Nationalmythen geht also weit
über die Gemeinsamkeit eines dramaturgischen Spannungsbogens
hinaus. Auch wenn der Film solche Mythen nicht geschaffen hat, so
trug er doch wesentlich zu ihrer Verbreitung bei und wurde
dafür auch gezielt eingesetzt. Denn ein Mythos wird nicht um
seiner selbst willen bemüht, sondern um mit ihm Botschaften
für die Gegenwart zu transportieren. Kein Medium ist
dafür besser geeignet als das Massenmedium Film, und auch die
französische Kinogeschichte ist reich an Beispielen
dafür.
Als die Katastrophe 1945 überstanden war, verschwand auch
die Französische Revolution wieder von der Leinwand. In den
folgenden 40 Jahren tauchte sie nur noch in Form von politisch
wenig aussagekräftigen Kostümfilmen auf. Das hatte, so
vermutet es Rainer Rother in einem Aufsatz, folgenden Grund: 1940
besetzten nicht nur die Nationalsozialisten Frankreich. Es
etablierte sich zugleich das System von Vichy, das sich von
republikanischen Werten abwendete und mit den Nazis
zusammenarbeitete. Die revolutionäre Tradition von 1789 erneut
zu beschwören, hätte bedeutet, Vichy radikal zu
verurteilen. Das lehnten viele Franzosen, die das Regime
zunächst 1940 in ihrer breiten Masse akzeptiert hatten, damals
jedoch noch ab.
Gleichzeitig wurde nach 1945 ein neuer Mythos geboren, und auch
er diente wieder dem Ziel, gesellschaftliche Widersprüche
zugunsten einer Beschwörung der Einheit aller Franzosen zu
negieren. Die Résistance, jene Minderheit, die Vichy aktiv
bekämpft hatte, erschien auch im Kino zunächst als
heldenhafter Widerstandskampf aller. "La Bataille du Rail"
("Schienenschlacht") von 1945 thematisiert den Widerstand einer
Gruppe von Eisenbahnern, denen es am Ende, nach einigen
Rückschlägen, doch gelingt, einen deutschen
Militärzug aufzuhalten und zu zerstören. Es geht einzig
um die Schilderung der konkreten Aktion, wohingegen ihr Kontext
ausgespart wird: In diesem Film fehlt nicht nur der Hinweis auf das
Thema Kollaboration, es gibt hier auch keinen einzigen
Verräter oder auch Anhänger von Vichy. Auf diese Weise
postuliert der Film eine Einheit der Franzosen im Sinne der
Résistance.
Das Tabu: Kollaboration
An dem Tabu der Kollaboration rüttelte erstmals Alain
Resnais' Film "Nuit et brouillard" ("Nacht und Nebel") von 1955. Er
zeigte inmitten eines deutschen Internierungslagers für
jüdische Kinder in Frankreich auch einen französischen
Gendarmen als Aufseher. Daraufhin wurde der Film Opfer der Zensur,
die Behörden verlangten die Ausblendung der typischen
Schirmmütze eines französischen Gendarmen. Auf breiterer
Basis wurde der Mythos der Nachkriegszeit von der Einheit des
Widerstandes erst nach 1968 hinterfragt. Für einen Skandal
sorgte Marcel Ophüls' Film "Le chagrin et la pitié" ("Das
Haus nebenan - Chronik einer französischen Stadt im Kriege")
von 1971. Das Leben unter deutscher Besatzung, geschildert durch
Interviews und Archivmaterialien, wird hier als eines der Anpassung
an Vichy und die deutsche Besatzung beschrieben. Von wenigen
Ausnahmen abgesehen hatten die Franzosen keinen Widerstand
geleistet. Welch ein Tabubruch eine solche Aussage immer noch
bedeutete, zeigt die Tatsache, dass französische Fernsehsender
die Ausstrahlung des Films bis 1981 verweigerten.
Dennoch bewirkte die gesellschaftliche Atmosphäre im
Gefolge der Studentenrevolten eine Enttabuisierung auf vielen
Gebieten - auch in der Darstellung von Geschichtsmythen im Film.
Mit "Lacombe Lucien" drehte Louis Malle 1973 einen viel
diskutierten Film über einen Jungen, der aus einer Art Trotz
heraus beginnt, mit den Nazis zusammenzuarbeiten und daraus private
Vorteile zu ziehen versteht. Auch die Französische Revolution
kehrte in den 70er-Jahren mit ihren Mythen auf die Kinoleinwand
zurück. Und so konnte auch Danton im gleichnamigen Film 1982
wieder heldenhaft sterben, mit aufgeknöpftem Hemd auf seinem
letzten Weg. Für Gérard Dépardieu allerdings war
diese Rolle eine weitere Etappe zum Weltruhm.
Claudia Heine ist Redakteurin bei "Das Parlament".
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