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Peter Reichel
"Wir haben gewonnen!": Nichts ist so
überzeugend wie der Erfolg
Der Holocaust im Film
Der Absturz im kollektiven Selbstwertgefühl eines ganzen
Volkes hätte dramatischer nicht sein können - und der
Wiederaufstieg zu einer zukunftsoptimistischen Gesellschaft kaum
spektakulärer. Eben noch erhöht im maßlosen
Wir-Bewusstsein eines "Herrenvolks", sahen die Deutschen 1945 ihre
nationalhistorische Kontinuität und staatliche Existenz
bedroht. Militärisch besiegt, demoralisiert, besetzt und in
Zonen geteilt, hatte sich das "Großdeutsche Reich" in eine
Trümmerwüste verwandelt. Auch politisch, geistig und
moralisch.
Von der Weltöffentlichkeit wurden speziell ihre
Führungsgruppen eines außerordentlichen Verbrechens
angeklagt. Heute vor 60 Jahren begann in Nürnberg das
Internationale Militärtribunal. Der Prozess ist weitgehend
vergessen, die Ermordung der Juden aber ein wesentlicher
Bezugspunkt unseres historisch-politischen Bewusstseins
geblieben.
Das Ende der Hitler-Diktatur markiert insofern einen
Epochenbruch. Er wurde als so stark empfunden, die Auflösung
des Deutschen Reiches und die Teilung des deutschen Nationalstaates
in zwei gegeneinander feindliche Bruderstaaten als so tiefgreifend
erlebt - hoffnungsvoll von den einen, voller Bitterkeit und
Zukunftsangst von den anderen -, dass man auch von einer "Stunde
Null" sprach. Als könnte ein ganzes Volk noch einmal von vorn
anfangen. Im Osten sollte ein "Neues Deutschland" entstehen. Doch
die Verheißung blieb unerfüllt. Der Westen verwandelte
sich in ein "Wirtschaftswunderland". Dort war in wenigen Jahren die
Trümmerwüste beseitigt, schien auch die Last der
Vergangenheit bewältigt. Aber der Schein trog.
Man sprach bald - selbstbewusst und selbstironisch - von den
"Wunderkindern". Vielleicht auch deshalb, weil Kinder im
Allgemeinen als unschuldig angesehen werden, noch keine belastete
Biografie haben. Andererseits bestätigte und rehabilitierte
sich ein Traditionselement, das dem schnellen Wiederaufstieg zu
internationaler Reputation, zu Wohlstand, sozialem Frieden,
Leistungsfähigkeit und hohem Konsumniveau Grundlage und
Dynamik gab: "Deutsche Tüchtigkeit". Effektivität und
Kreativität schienen ihr Gegenbild vergessen zu machen, die
massenmörderische und militärische Destruktivität,
mit der die Deutschen wenige Jahre zuvor die Welt in Angst und
Schrecken versetzt hatten.
"Wir Wunderkinder"
Möglich war dies nur in einem mehrfachen
Verwandlungsprozess. Zunächst haben sich die Deutschen im
Bewusstsein der eigenen Leiden von Tätern in Opfer verwandelt.
Die zweite, ökonomisch und bündnispolitisch fundierte
Verwandlung machte aus Verlierern alsbald politische Gewinner. Der
ungleiche, antifaschistisch-kommunistische Bruderstaat im Osten
hatte diese Verwandlung ideologisch, also abstrakt, vollzogen; er
verstand sich von Anfang an als Sieger. Hunderttausende
profitierten von einem amnestiepolitischen Verwandlungsprozess.
Dafür sorgten mehrere Straffreiheitsgesetze und das
131er-Gesetz. Mit diesem wurden durch die Entnazifizierung
"verdrängte" Beamte und Berufssoldaten sozial integriert und
rehabilitiert. Andere halfen sich selbst. Die "Illegalen"
wechselten einfach Namen und Identität. Kurt Hoffmann hat sie
in seinem Spielfilm "Wir Wunderkinder" (1958) realsatirisch in
Szene gesetzt. Der heute leider vergessene, wunderbare Robert Graf
in der Rolle des gerissenen Bruno Tiches, vormals ein hohes
"braunes Tier" und bald nach dem Krieg auch schon wieder auf
Erfolgskurs.
Dieses Verwandlungsmotiv findet sich bereits ein Jahrzehnt zuvor
in "Die Mörder sind unter uns" - Wolfgang Staudtes
Filmklassiker aus der Trümmerfilmzeit. Auch Hauptmann
Brückner (Arno Paulsen), autoritär-fürsorglicher
Familienvater, der als Fabrikant gewinnbringend Stahlhelme in
Kochtöpfe umformt, hat seine Vergangenheit hinter sich
gelassen. Als Wehrmachtsoffizier hatte er eine
Geiselerschießung befohlen. Es kommt zu einer Begegnung
zwischen ihm und einem Zeugen des Verbrechens, dem Arzt Dr. Mertens
(Ernst Wilhelm Borchert). Er fühlt sich schuldlos schuldig,
will den Fabrikanten zunächst erschießen und begreift
schließlich - ganz im Sinne der herrschenden
besatzungspolitischen Moral: "Wir haben die Pflicht, Anklage zu
erheben, Sühne zu fordern im Auftrag von Millionen unschuldig
hingemordeter Menschen!" In zweifacher Hinsicht bleibt der Film
zeittypisch unbestimmt: Er unterscheidet nicht zwischen
Kriegsverbrechen und Judenmord. Und er unterschlägt, dass der
Ankläger sich zuvor durch Unterlassung mitschuldig gemacht
hat. "Die Mörder sind unter uns?", höhnte Wolfdietrich
Schnurre (Gruppe 47) fragend zurück - "Wir alle sind die
Mörder!"
Der Film hatte am 15.Oktober 1946 Premiere, einen Tag bevor die
Todesurteile an den in Nürnberg verurteilten
"Hauptkriegsverbrechern" vollstreckt wurden. Nicht wenige von ihnen
auch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bei Staudte bleiben
sie peripher. Nur für einen flüchtigen, fast
verschämten Augenblick erscheint auf der Leinwand die
Schlagzeile: "Zwei Millionen Menschen vergast". Brückner
benutzt die Zeitung als Einwickelpapier für sein
Frühstücksbrot. Viel mehr wurde von Auschwitz nicht
enthüllt.
Von der Hauptdarstellerin, Hildegard Knef in makelloser
Schönheit, erfährt man nur, dass sie im Lager war und es
offenbar spurenlos überlebt hat. Eine beruhigende Botschaft.
Wie in dem zweiten legendären Film der frühen
Nachkriegsjahre, Helmut Käutners versöhnlichen
Rückblick auf das "Dritte Reich". Selbst in "In jenen Tagen"
schien eines nicht zuschanden gekommen, die Menschlichkeit - zur
gleichen Zeit wurden in Nürnberg und anderswo
SS-Angehörige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
angeklagt und verurteilt.
Der Judenmord blieb im deutschen Nachkriegsfilm lange ein
Randthema. Wenn er auf die Leinwand kam, wie in dem ersten
Defa-Film "Ehe im Schatten" von Kurt Maetzig, ein Melodram
über eine Mischehe, dann waren es eher Geschichten, die sich
am Rande der Rassen- und Vernichtungspolitik bewegten. Jene Filme
der Zeit aber, die sich dem komplexen Geschehen - Diskriminierung,
Deportation, KZ-Haft, Gettoisierung, Zwangsarbeit, Ermordung und
Rettung - zuwandten, wie "Lang ist der Weg" oder "Morituri", sie
fanden kein Publikum. Auch auf der Leinwand war zumindest der
westdeutsche Erinnerungsweg nach Auschwitz weit.
Aber selbst die zu Recht hochgelobten Filme eines poetischen
Antifaschismus von Frank Beyer und Konrad Wolf aus der DDR
beschäftigten sich mehr mit antifaschistischer
Solidarität und Widerständigkeit als mit den
jüdischen Verfolgten, ihrer Deportation und Ermordung in den
östlichen Vernichtungslagern. Und ohne verfälschende
Umdeutung ging es im Einzelfall auch bei ihnen nicht. So ist in
"Nackt unter Wölfen" die spannungsreich und anrührend
erzählte Rettung eines hilflosen Kindes eingebunden in den
politisch-moralischen Kampf von Lager-SS und
illegal-kommunistischer Häftlingsorganisation.
"Buchenwaldkind"
Schon bald nach der Lagerbefreiung kam es als "Buchenwaldkind"
zu legendärer Berühmtheit. Auch in Fritz Cremers
Häftlingsskulptur vor dem Glockenturm am Ettersberg wurde es
verewigt. Der weltweit gezeigte Film führte zu einer
Wiederbegegnung zwischen dem geretteten jüdischen Kind, Stefan
Jerzy Zweig, und seinem Retter, dem Stuttgarter
IG-Metall-Vorsitzenden Willy Bleicher - und auch zur
Aufklärung der wahren Geschichte. Der jüdische Knabe
konnte nur überleben, weil für ihn der Zigeunerjunge
Willy Blum nach Auschwitz deportiert wurde. Die jeweiligen
Kontingente mussten listengemäß vollständig sein -
so verlangte es die Deportationsbürokratie.
In den 50er- und 60er-Jahren haben international beachtete
Prozesse und Medienereignisse das Interesse am Judenmord neu belebt
- von der medialen Mehrfachverwertung des Anne-Frank-Tagebuchs
über den Eichmann-Prozess, Rolf Hochhuths "Stellvertreter" bis
zum Auschwitz-Prozess und der "Ermittlung" von Peter Weiss. Aber
erst die Hollywood-Darstellung dieses abstrakten
Großverbrechens als mehrteiliger Fernsehfilm, der eine
Täter- und eine Opferfamilie miteinander verknüpft,
brachte die Judenvernichtung einem Massenpublikum nahe und gab ihr
einen Namen, der seitdem weltweit geläufig ist: Holocaust.
Politik und Fachkritik äußerten wegen der
Ästhetisierung, Trivialisierung und Kommerzialisierung des
Genozids anfangs erhebliche Vorbehalte. Nicht geringe Bedenken
galten auch der Vermischung von Fiktion und historischen Fakten.
Die Lebens- und teilweise Überlebensgeschichten der
zahlreichen Mitglieder der jüdischen Familie Weiss sind mit
wichtigen Stationen der "Endlösung" verknüpft. Die Kritik
verstummte bald - nicht nur unter dem Eindruck der in der
westdeutschen Mediengeschichte beispiellosen Resonanz.
Der Film kommt ohne Verfälschung aus, bemüht sich um
differenzierte Persönlichkeitsbilder und eröffnet eine
überraschend optimistische Perspektive. Die Deutschen werden
nicht als Täternation vorgeführt, einem
Kollektivschuldvorwurf kein Raum gegeben. Selbst die Figur des
SS-Offiziers Dorf ist nicht nach der bis dahin gängigen
Schablone des bösen Nazi-Deutschen gefertigt. Der negative
Held erscheint mehr als Mitläufer mit menschlichen
Schwächen, zum Karrieristen angetrieben, zum Massenmörder
unter den herrschenden Verhältnissen geworden. Und die Juden
werden nicht nur als passive Opfer gezeigt, sondern auch als
aktive, widerständige, ums Überleben kämpfende
Verfolgte. Als Symbol für die Überwindung der
Tragödie des jüdischen Volkes. Am Ende wird die
"Erlösung" der überlebenden Juden in der Gründung
ihres neuen Staates stärker betont als das niederschmetternde
Ergebnis der "Endlösung".
"Das Leben ist schön"
Mehr und mehr hat inzwischen auch die Populärkultur
Auschwitz adaptiert. Bilderverbote konnten der Trivialisierung des
Stoffes wenig anhaben. Auch beim Kinostart von "Schindlers Liste"
und von "Das Leben ist schön" gab es erneut hitzige Debatten
darüber, ob der Holocaust als Melodram und tragikomisches
Märchen dargestellt werden darf. Nichts ist so
überzeugend wie der Erfolg. Was Jurek Becker und Frank Beyer
schon früh in "Jakob der Lügner" bewiesen haben, hat
Roberto Benigni erneut gezeigt: dass man ein Kind, dem zusammen mit
seinen Eltern die Ermordung droht, schonen, vielleicht retten kann.
Nicht die Realität des Infernos wird verfälscht, sie ist
sogar ziemlich gegenwärtig. Wohl aber wird gezeigt, dass und
wie Rettung möglich ist: durch Zufall und das
verzweifelt-erfindungsreiche Spiel des Vaters, der weiß, dass
er sterben muss, aber den Sohn schützt, indem er ihm das
Schreckensszenario in ein Gewinnspiel verwandelt und bei
größtem Einsatz, sprich Spieldisziplin, einen Panzer als
Prämie in Aussicht stellt.
In einer der letzten Szenen, das Kind drängt nach Hause,
beteuert Vater Guido seinem Sohn Giosuè, sie hätten das
Spiel bald gewonnen. Dann wird er abgeführt. Das Kind
beobachtet, aus Versteck, wie der Papa in groteskem Paradeschritt
einem Wachsoldaten folgt. Dann hört man das Rattern eines
Maschinengewehrs. Am nächsten Morgen traut er sich aus seinem
Versteck und geht über die leere Lagerstraße. Da taucht
ein Panzer vor ihm auf. Ein GI nimmt den Kleinen auf den Arm.
Andere Überlebende beleben die Szene. Giosuè erblickt die
Mutter und schreit ihr fröhlich entgegen: "Abbiamo vinto!"
"Wir haben gewonnen - ich lach mich kaputt!"
Prof. Dr. Peter Reichel lehrt Historische Grundlagen der Politik
am Institut für Politische Wissenschaft der Universität
Hamburg.
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