"Die einzige deutsche Heldin"
Interview mit dem Drehbuchautor Fred
Breinersdorfer über "Sophie Scholl - die letzten
Tage"
Sophie Scholl ist für den Krimi- und
Drehbuchautor Fred Breinersdorfer die einzige Nationalheldin, die
die Deutschen haben - und eine Frau mit Geheimnis. Zusammen mit dem
Regisseur Marc Rothemund entwi-ckelte der 58-Jährige die Idee
für "Sophie Scholl - die letzten Tage" (2005) und schrieb das
Drehbuch für den unerwartet erfolgreichen Film.
Das Parlament: Was hat Sie gereizt,
das Drehbuch für den Film "Sophie Scholl - die letzten Tage"
zu schreiben?
Fred Breinersdorfer: Der historische
Stoff - und diese junge Frau mit einem Geheimnis. Das Geheimnis der
Sophie Scholl ist: Woher hat sie diese enorme Kraft genommen? Was
hat sie so stark gemacht, diesen Weg zu gehen? Es war sehr
spannend, ihren Werdegang komprimiert auf fünf Tage
nachzuzeichnen, von der Studentin, die vorm Radio groovt, bis hin
zu der Frau, die dann aufrecht dem Henker gegenüber
tritt.
Das Parlament: Woher hatte Sophie
Scholl Ihrer Ansicht nach die Kraft und den Mut?
Fred Breinersdorfer: Eine wesentliche
Rolle hat sicherlich die Herkunft aus dem liberal-bürgerlichen
Elternhaus gespielt. Auch ihr Glaube war ein wesentlicher Faktor.
Dieser protestantisch-schwäbisch-liberale Typ - ich habe lange
in Schwaben gelebt - kann extrem konsequent für
Überzeugungen eintreten. Darüber hinaus spielt die fast
ans Erotische grenzende Bruderliebe eine Rolle und das
tatsächlich sehr erotische Verhältnis zu ihrem Verlobten
Fritz Hartnagel. Sie war eine Frau, die sehr früh sehr reif
war, und ein hohes Maß an Kreativität hatte. Ich bin fest
davon überzeugt, dass bei solch kreativen Menschen die
Sensibilität für Probleme um sie herum höher ist und
auch der Druck, daran etwas zu ändern. Natürlich hat auch
der intellektuelle, konspirative Zirkel um Kurt Huber an der
Universität München eine stark prägende Wirkung auf
Sophie Scholl gehabt.
Das Parlament: Wie ist die Idee
entstanden, den Film zu machen?
Fred Breinersdorfer: Bei einer
Verabredung zum Essen von Marc Rothemund und mir am 60. Jahrestag
der Hinrichtung von Sophie Scholl. Rothemund ist rund 20 Jahre
jünger als ich - da haben sich zwei Generationen das Thema
nochmal vorgenommen. Für meine Generation war das Thema
eigentlich abgearbeitet, die Straßen und Plätze waren
benannt, man hatte Gedenkstätten. Die neue Generation richtet
nun den Blick auf die menschlichen Komponenten. Die Schauspielerin
Lena Stolze hat einmal geantwortet, als sie nach dem Unterschied
zwischen dem Film "Die weiße Rose" und unserem gefragt wurde,
solche Emotionen, die Figuren so nah an sich ran zu lassen, seien
damals gar nicht "erlaubt" gewesen. Die Emotionen beim Publikum zu
wecken, war dann auch ein Teil der Herausforderung für
uns.
Das Parlament: Ist Sophie Scholl eine
Heldin für Sie?
Fred Breinersdorfer: Sophie Scholl ist
die einzige deutsche Heldin, die wir haben. Darunter verstehe ich
jemanden, der gegen alle Widerstände bis zum Ende für
seine Überzeugungen eintritt. Es fallen mir keine anderen
Beispiele ein in der deutschen Geschichte.
Das Parlament: Könnte das auch
daran liegen, dass man sich in Deutschland aus einem Mangel an
Nationalstolz - auch wegen der nationalsozialistischen
Vergangenheit - nicht traut, nach solchen Beispielen zu suchen? In
anderen Ländern gibt es mehr Filme über die eigenen
Heldinnen und Helden.
Fred Breinersdorfer: Es hängt
sicher auch mit unserer Vergangenheit zusammen, dass wir in
Deutschland glücklicherweise nicht so nationalfixiert sind.
Ich sehe das als positiven, entspannten Zustand. Wenn ich in ein
Land wie die USA reise, wo an allen Ecken und Enden die
Nationalfahne hängt, habe ich immer den Verdacht, dass man
dort ein Zusammengehörigkeitsgefühl beschwören muss,
das eigentlich nicht wirklich existiert. Ich finde es sehr
angenehm, dass hier die deutsche Fahne nur am Reichstag weht, wo
sie hingehört, und nicht vor jedem Blumenladen.
Das Parlament: Wären aber noch
mehr Identifikationsfiguren wie Sophie Scholl nicht auch ein gutes
Mittel, die Bevölkerung der Bundesrepublik - also auch die,
die ausländischstämmig sind -
zusammenzuschweißen?
Fred Breinersdorfer: Doch, das
wäre eine Möglichkeit. Aber mit einem Film kann man nur
einen kleinen Schritt machen. Aber immerhin. Ich bemerke auch
gerade bei jungen Frauen, die den Film sehen, dass sie stolz auf
das Vorbild Sophie Scholl sind.
Das Parlament: Wie reagieren die
Zuschauer auf den Film?
Fred Breinersdorfer: Jungs - besonders
ganz junge - können manchmal nicht mit dem emotionalen Druck
umgehen. Die fangen dann an herumzualbern. Die ganz jungen
Mädchen schreiben SMS in der Vorstellung, um sich zu
entziehen. Aber so ungefähr ab 17, 18 Jahren ist die
Anteilnahme extrem hoch und hat nach oben kein Limit. Ich habe kaum
Leute erlebt, die nicht zu Tränen gerührt
waren.
Das Parlament: Sind das die
Reaktionen, die Sie sich gewünscht haben?
Fred Breinersdorfer: Wenn man einen
Film macht, möchte man immer Emotionen erzeugen. Es gibt
natürlich auch einige Leute, die sagen, ich halte das
emotional nicht aus, und deswegen nicht in den Film gehen. Ich
selbst weiß auch nicht, ob ich mir den Film im Kino angeschaut
hätte, wenn ich nicht an seiner Entstehung beteiligt gewesen
wäre, eher noch auf DVD. Wahrscheinlich hätte ich mich
vor den Emotionen und den Tränen im Kino gedrückt. Umso
wichtiger ist die sehr gute Resonanz, die unser Film bei
Schülern und Studenten hat. Fast die Hälfte der über
eine Million Zuschauer sind jünger als 25 Jahre.
Das Parlament: Wie kommt der Film im
Ausland an?
Fred Breinersdorfer: Sehr gut, wir
sind mit ihm um die halbe Welt gereist. Sehr interessant waren die
Reaktionen in Israel. Da hat man gleich gefragt, ob wir die These
aufstellen wollen, dass es auch "den guten Deutschen" gab. Wir
haben gesagt, dass jeder die Naziverbrechen kennt und weiß,
dass der Widerstand in Deutschland unbedeutend war. Aber er hat
existiert. Wenn man Geschichte betrachtet, muss man alle Fakten
sehen. Das ist in hohem Maße respektiert worden. Bei allen
Zuschauern, die mit uns gesprochen haben - und es waren sehr viele
- ist der Film als ein positives Zeichen für einen aus
israelischer Sicht erwünschten Zuwachs an nationalem
Selbstverständnis in Deutschland gesehen worden.
Das Parlament: Hatten Sie
idealistische Motive, den Film zumachen?
Fred Breinersdorfer: Am Anfang standen
nur die idealistischen Motive. Wir wollten einen Film mit kleinem
Budget über eine Frau machen, die unprätentiös war
und zur Heldin geworden ist. Das Thema lautete abstrakter
formuliert "staatlicher Terror und Zivilcourage". Das Thema ist
geblieben und mit dem Interesse an dem Stoff bei unseren Partnern
ist der Film "größer" geworden. Aber dass er so ein
Welterfolg wird, nationale und internationale Preise erhält
und weltweit in 33 Territorien läuft, hätten wir anfangs
nie gedacht.
Das Parlament: Glauben Sie, dass es
bei Sophie Scholl einen Punkt gab, an dem sie gedacht hat, jetzt
muss ich sowieso sterben, jetzt kann ich - auch im Verhör
gegenüber der Gestapo - alles riskieren?
Fred Breinersdorfer: Ich glaube nicht,
dass es einen Punkt gegeben hat, an dem Sophie Scholl gedacht hat,
jetzt ist alles egal. Ihre Courage war immer begleitet von
Hoffnung. Die erste Hoffnungsstation war, die Amerikaner kommen:
Bis die Anklage zusammengebracht ist, stehen sie vor der Tür
und öffnen die Tore des Gefängnisses. Die zweite Hoffnung
war, dass das Verfahren allein so lange dauert, bis der Krieg zu
Ende ist. Die dritte Hoffnung war, dass sie als Frau nicht zum Tode
verurteilt wird. Der letzte Schimmer Hoffnung war das Gerücht,
jeder habe 99 Tage bis zur Hinrichtung. Erst als sie in die
Todeszelle geführt wurde, war ihr klar, dass sie sterben
musste.
Das Parlament: Was ist für Sie
die politische Botschaft des Films?
Fred Breinersdorfer: Die Botschaft
ist, dass jeder Widerstand leisten soll und muss, wenn das Gewissen
es ihm gebietet. Die wenigsten Deutschen wissen, dass das
Grundgesetz ausdrücklich ein Widerstandsrecht enthält.
Widerstand muss man gegebenenfalls politisch wie privat leisten.
Daraus aber die Forderung abzuleiten, dass jeder unbedingt bis zur
letzten Konsequenz Courage zeigen muss, wie Sophie Scholl, finde
ich heikel. Denn Widerstand bleibt immer eine persönliche
Entscheidung. Allerdings zeigt unser Film ein extremes Vorbild
dafür.
Das Parlament: Herr Breinersdorfer,
wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Ulrike
Schuler
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