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Michael Meier
Unter den strengen Augen des Georgiers
Kino zu Sowjetzeiten und die Aufarbeitung des
Stalinismus
Als die Bilder laufen, aber noch nicht sprechen
gelernt hatten, diente das Kino bereits auch als Instrument zur
Verbreitung ideologisch bedenklichen Gedankenguts - und das nicht
nur in totalitären Staaten. David Wark Griffiths "Die Geburt
einer Nation" ("The Birth of a Nation", 1915), ein bildgewaltiges,
aber geschichtliche Tatsachen verfälschendes Epos über
den amerikanischen Bürgerkrieg wird als "erster Propagandafilm
der Filmgeschichte" bezeichnet. Als Stalin nach dem Tod Lenins 1924
seine Machtstellung ausbaute, war die zur linientreuen Erziehung
der Massen bestens geeignete Magie der Kinobilder bereits
hinlänglich bekannt und Leinwandpropaganda in Ost und West
durchaus üblich.
Es mag erstaunen, dass die Bolschewiken bis
1929 brauchten, bevor sie die Filmindustrie verstaatlichten. Lenin
hatte, so wird kolportiert, die politische Wichtigkeit des Mediums
zwar erkannt, aber eingesehen, dass materielle (und
künstlerische) Ressourcen für eine staatliche
Filmindustrie nicht in ausreichendem Maße vorhanden waren.
Andere Dinge hatten Vorrang. In dieser vergleichsweise
freizügigen, noch nach 1924 anhaltenden Übergangszeit
wurden künstlerisch hochrangige Filmprojekte wie Sergej M.
Eisensteins meisterhafter Agitationsstreifen "Panzerkreuzer
Potemkin" ("Bronenosez Potemkin", 1925) oder Wsewolod Pudowkins
bilderstürmende Gorki-Adaption "Die Mutter" ("Mat", 1926)
produziert.
Die Unterlassung, das breitenwirksame Kino
nicht ebenfalls zum Gegenstand der Kulturrevolution erhoben zu
haben, wurde von Stalin nach Festigung seiner absolutistischen
Position korrigiert. Einhergehend mit Säuberungsaktionen stand
das sowjetische Filmschaffen fortan unter strenger Vormundschaft.
Projektierung, Produktion und Verleih benötigten jetzt die
Genehmigung zentraler Gremien: Gedreht und gezeigt werden durfte
nur, was die Kontroll- und Zensurbehörden abgesegnet
beziehungsweise freigegeben hatten - ein Zustand, der trotz
zeitweiliger Liberalisierungsphasen bis 1989 anhielt.
Die Planungskader der Partei beschlossen,
verstärkt Spielstätten zu bauen und mehr Filme in
kürzerer Zeit zu produzieren. Für jeden
verständliche Streifen mit einfachen Geschichten sollten
gedreht werden, die zwar - gewissenhaft, aber nicht zu plakativ -
das Hohelied auf Klassenkampf und Kollektivgeist singen, zudem aber
auch über einen gewissen Unterhaltungswert verfügen
sollten. Banale Komödien gehörten in den 30er-Jahren
ebenso zum Repertoire wie Musicals mit fröhlich auf heimischer
Scholle tanzenden Kolchosbauern. Weniger massentaugliche
Zerstreuung, also Filme mit intellektuellem Anspruch und/oder
formal außergewöhnlicher beziehungsweise experimenteller
Machart, stand man in Moskau dagegen ablehnend gegenüber.
"Formalismus" und "Dokumentalismus", so die Schlagwörter,
wurden gerügt und bei Eisensteins "Oktober" ("Oktjabr", 1927)
"Effekthascherei" und eine nicht tief genug gehende Darstellung der
proletarischen Bewegung entdeckt. Eisenstein, der auf höhere
Weisung zudem alle Szenen mit Leo Trotzki aus seinem zum
zehnjährigen Jahrestag der Revolution geplanten Werk
herausschneiden musste, wird vermutlich auch diesen Rüffel
fatalistisch ertragen haben.
Egal wie, einem Diktator wie dem mit eiserner
Hand herrschenden Georgier konnte es auf Dauer keiner recht machen.
Die Folge: 1939 enthob Stalin, der "oberste Filmkritiker des
Landes", die komplette Führungsriege der Filmindustrie ihres
Amtes. Am Diktat staatlicher Vorgaben änderte dies wenig,
außer, dass die Zensoren vielleicht noch misstrauischer das
belichtete Zelluloid beäugten. Dies führte nicht selten
zu Fehleinschätzungen und in der Folge zu rational nicht
nachvollziehbaren Schnittauflagen oder Verboten. Spielfilme mit
geschickt verschlüsselten Aussagen hatten gegen die massive
Gesinnungsschnüffelei aus dem Kreml kaum eine Chance. Streifen
wie "Deputat baltiki" (1937, von Alexander Sarchi und Josif
Cheiviz), der pathosfrei einen Helden feiert, den eigentlich nichts
für die Revolution prädestiniert, stellten in diesem
Klima das Höchstmaß an tolerierter Liberalität
dar.
Kritik an führenden Personen und
Entwicklungen der Gegenwart fand nicht statt. Zwei Meisterwerke
Sergej M. Eisensteins entstanden während der Herrschaft
Stalins. Unreflektiert und pathetisch, aber ästhetisch
überzeugend gestaltet Eisenstein in suggestiven Bildern den
Mythos eines entschlossen gegen die (deutsche) Gefahr
ankämpfenden Patrioten in "Alexander Newskij" (1938). Auf dem
Höhepunkt der Moskauer Schauprozesse preist das vom Kampf
gegen vordringende Ordensritter erzählende Opus die nationale
Größe der Sowjetunion. Als weitaus weniger linientreu
wurde sein Mammutwerk "Iwan der Schreckliche" ("Iwan grosnij", 1943
- 1945) empfunden, in dem er die Veränderung einer
Führerfigur zum Tyrannen aufzeigt. Kein Wunder, dass dieser
Streifen Stalins Beifall nicht mehr fand. Ihm, der sich "Vater der
Völker" nennen ließ, mag zwar Iwans Streben nach
staatlicher Einheit gefallen haben, die Schilderung von
Grausamkeiten und Bespitzelungspolitik dagegen sicher nicht. Kein
Wunder also, dass der zweite Teil bis 1958 in der UdSSR verboten
war.
Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs
produzierten die sowjetischen Studios etliche Streifen, die die
Unmenschlichkeit des Naziregimes thematisierten. Grigori Roschals
nach einem Roman von Lion Feuchtwanger entstandenes Drama "Die
Familie Oppenheim" ("Semja Oppengejm", 1938) und Alexander
Matscherets in einem KZ spielender Film "Die Moorsoldaten"
("Bolotnyje soldati", 1938) hatten die Aufgabe, die
Öffentlichkeit auf die Möglichkeit einer deutschen
Invasion hinzuweisen. Ab 1939 wurden die propagandistischen
Anstrengungen durch agitatorische Kurzfilme verstärkt: In
einer dieser Satiren warnt Napoleon Hitler vor einem Einmarsch in
die Sowjetunion. Nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht lag ein
Schwerpunkt des Filmschaffens auf der Herstellung von Wochenschauen
und Dokumentarfilmen, von denen einer ein bisher einmaliges
Experiment darstellt: Im Juni 1942 filmten 240 Kameramänner im
ganzen Land und über alle Frontabschnitte verteilt, was ihnen
vor die Linse kam. So entstand eine einzigartige Momentaufnahme des
Krieges, die unter den Titeln "Ein Tag in der neuen Welt" ("Djen
nowowo nuria") und "Ein Tag des Krieges" ("Djen woini") gezeigt
wurde.
Nach 1945 entwickelte sich auch im Film ein
regelrechter Kult um die Person des Diktators, der vom Ex-Bildhauer
Michail Tschiaureli mit immer neuen Huldigungswerken versorgt
wurde. Mit "Der Schwur" ("Pitsi", 1946) und dem zweiteiligen
Spielfilm "Der Fall von Berlin" ("Padenije Berlina", 1949) machte
Tschiaureli dort weiter, wo er bereits 1938 mit "Die große
Morgenröte" ("Diadi gantiadi") ehrfurchtsvoll begonnen hatte.
Ziel dieser Filme war die - manchmal fast religiös anmutende -
Verklärung des Siegers im "großen vaterländischen
Krieg" zum genialen Staatsmann, der einer kriegsmüden Welt
seine Friedensbotschaft überbringt. Gespielt wurde Stalin in
all diesen Filmen von Michail Gelowani, der in dieser - seiner
Lebensrolle - zehn Mal auf der Leinwand zu sehen war.
Während des Kalten Krieges drehten die
Machthaber im Kreml kräftig an der ideologischen Schraube. Mit
dem Feindbild des aggressiven Westens kamen antiamerikanische
Streifen in Mode. Der Verfall der Filmkultur endete prompt nach
Stalins Tod (März 1953 ) - erst das daran anschließende
Tauwetter ermöglichte es engagierten Regisseuren wie Michail
Kalatosow, mit kraftvollen, auch im Westen beachteten Werken wie
"Wenn die Kraniche ziehen" ("Letjat schurawli", 1957) die
künstlerische Starre zu durchbrechen. Kritik an den Zielen der
Revolution war aber auch weiterhin verpönt, wie das Schicksal
von Alexander Askoldows "Die Kommissarin" ("Komissar", 1967) zeigt.
Der Film schildert die Geschichte einer Genossin der Roten Armee,
die, unterstützt von einer jüdischen Familie, im
Bürgerkrieg ein Kind gebärt. Individuelles Schicksal
kontra (als unheroische Aneinanderreihung von Grausamkeiten
gezeigte) Umgestaltung der Gesellschaft - das war den
Kremlwächtern eindeutig zu viel. Für 20 Jahre musste
Askoldows bildgewaltige Allegorie im Archiv verschwinden, der
Regisseur wurde zeitweilig mit einem Berufsverbot belegt. Mit
Gorbatschow endlich kamen neue Freiheiten, die zunächst aber
nur dürftige künstlerische Ausbeute brachten - für
eine eigenständige, freie Filmkultur fehlte es vor allem an
Kapital.
Wie setzten sich Künstler anderer
Länder im Nachhinein mit dem Terrorregime Stalins auseinander?
Bestechend pointiert wandeln John Halas und Joy Batchelor in
"Aufstand der Tiere" ("Animal Farm", 1955) George Orwells
antistalinistische Fabel, in der sich Tiere von ihren menschlichen
Unterdrückern befreien, schon bald aber wieder, jetzt von
Despoten aus den eigenen Reihen, geknechtet werden, in
Zeichentrickfilmbilder um. Ebenso beklemmend, in seiner Wirkung
sogar noch stärker ist der historische Tatsachen aufgreifende
quasidokumentarische Spielfilm "Das Geständnis" ("La veu",
1969). Der auf politische Themen spezialisierte Constantin
Costa-Gavras erzählt darin die Geschichte des
stellvertretenden tschechischen Außenministers Artur London,
den die moskautreuen Vasallen in Prag zu Beginn der 50er-Jahre der
Spionage und des Verrats verdächtigen. Der von Yves Montand
brillant gespielte London wird, wie einige Freunde auch, verhaftet,
eingekerkert, mit Schlaf- und Essensentzug gefoltert und immer
wieder peinigenden Verhören unterzogen. Nach Erinnerungen
Londons entstand die virtuos geschnittene, oft mit subjektiver
Kamera gefilmte Studie fortgesetzter Erpressungsversuche des
Staates, eine Verschwörung, die es niemals gegeben hatte, zu
gestehen.
Säuberungen und Straflager, Verhöre
und Folter zielen stets auf die Zerstörung des Individuums.
Diese Methodik ist auch zentrales Motiv der internationalen, mit
Stars gespickten Großproduktion "Sunshine - Ein Hauch von
Sonnenschein" (1999), mit dem sich der ungarische Regisseur
István Szabó abermals seinem - in "Oberst Redl" (1985) so
brillant durchgespielten - Lieblingsthema zuwendet. Wo muss die
Anpassung enden, wo Widerstand beginnen? Über drei
Generationen verfolgt seine Familiensaga die Versuche ungarischer
Juden, sich unter faschistischen und kommunistischen Diktaturen in
einer Abfolge von Drahtseilakten unter Wahrung ihrer
(Rest-)Identitäten zu assimilieren.
Die wohlhabenden Sonnenscheins führen
kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert ein ruhiges Leben in
Budapest. Ignatz ist ein patriotischer Monarchist, sein Bruder ein
regimekritischer Sozialist. Der Karriere wegen ändern beide
ihren Nachnamen, um nicht sofort als Juden erkannt zu werden.
Ignatz' Stammhalter Adam, 1936 Olympiasieger im Sportfechten, geht
noch einen Schritt weiter und konvertiert zum katholischen Glauben.
Adams Sohn Ivan überlebt als eines der wenigen
Familienmitglieder nationalsozialistischen Terror und
Konzentrationslager. Im Auftrag der kommunistischen Regierung
spürt er Nazi-Kollaborateure auf, muss aber verbittert
registrieren, dass auch im neuen System alter Antisemitismus neu
erblüht.
Szabó wuchtet sein ambitioniertes
Historien-Opus, quasi eine Art Bestandsaufnahme des Niedergangs des
20. Jahrhunderts, in drei Stunden in die Höhe - und verhebt
sich. 30 Stunden hätte er gebraucht, um die Fülle der
Themen adäquat zu erzählen. Szabó jedoch
vereinfacht, bleibt dabei konfus und zuweilen plakativ. Die glatte
Inszenierung samt banaler Metaphern offenbart ein naives
Geschichtsbild, die Integration historischer Ereignisse in den
Kontext der Fabel wirkt oft beliebig.
An den gewählten Beispielen zeigt sich,
dass Außenstehende sich mit der Aufarbeitung der Geschichte
oft leichter tun als Betroffene. Szabó selbst hat vielleicht
nicht die Distanz von Costa-Gavras (und im vorliegenden Fall auch
nicht das passende Konzept), um über die Story hinaus auch
noch einige Hintergründe - und damit Einsichten - der Ursachen
zu vermitteln. Dies gilt auch und besonders für den russischen
Film der Nach-Perestojka-Zeit, der sich weit mehr mit
Ost-West-Migrationsproblemen und der Rückbesinnung auf das
Zarentum und dem "großen vaterländischen Krieg"
beschäftigt als mit Entstehung und Auswirkung der
Stalinära. Kein Wunder, denn in Putins Staat existiert kein
einheitlicher gesellschaftlicher Konsens über den Stalinismus.
Eine insgesamt problematische Entwicklung, wie der polnische
Publizist Aleksander Smolar treffend feststellt: "Demokratie ohne
Erinnerung kann es nicht geben."
Michael Meier arbeitet in Stein bei
Nürnberg als freier Journalist für Tageszeitungen wie
"Nürnberger Nachrichten" und Zeitschriften wie "G -
Geschichte".
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