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Susanne Kailitz
Die Revolution ist vorbei
Die 68er - und was von ihnen übrig
blieb
Nein, leicht machen es einem die "Fetten Jahre" nicht. Gerade
hat man angefangen, mit den Revoluzzern zu sympathisieren und
Gefallen zu finden an deren Minirebellion - da stellt man
plötzlich fest, dass auch ihr "Bonzen"-Opfer vernünftige
Ansichten hat und nachvollziehbare Motive. Was denn nun? Steht man
auf der Seite der Weltverbesserer oder des Establishments? Oder
existieren diese Fronten überhaupt nicht mehr, weil die
Revolution längst vorbei ist? Dass die Geschichte, die
Regisseur Hans Weingartner erzählt, ziemlich unrealistisch
ist, tut ihrer Faszination keinen Abbruch - denn die Fragen, die
darin aufgeworfen werden, stellt sich wohl jeder im Laufe seines
Lebens. Die einen schwimmen in Geld, die anderen sind arm. Ist das
nicht unfair? Ist es unmoralisch, dass der eine seine dicke
Limousine fährt und in einem Schloss wohnt und der andere
unter einer Brücke schläft?
Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) gehen mit dieser
Ungerechtigkeit auf ganz eigene Art um: Die Freunde brechen nachts
in Villen ein und "dekorieren" sie um. Das Meißner Porzellan
landet im Klo, die Stereoanlage im Kühlschrank, die Möbel
stapeln sie zu Pyramiden. Den Hausbesitzern hinterlassen Peter und
Jan simple Botschaften: "Sie haben zu viel Geld" oder "Die fetten
Jahre sind vorbei", Unterzeichner: "Die
Erziehungsberechtigten".
Doch als Jan sich in Peters Freundin Jule verliebt, hat der
Spaß ein Ende. Die Kellnerin fliegt gerade aus ihrer Wohnung.
Sie hat jede Menge Schulden, weil sie ohne Versicherung bei einem
Unfall den Mercedes des millionenschweren Geschäftsmannes
Hardenberg (Burghart Klaußner) zu Schrott gefahren hat. Um zu
schauen, wie dieser reiche Mann lebt, steigt Jule mit Jan in dessen
Villa ein - und vergisst dort ihr Handy, was einen zweiten Einbruch
nötig macht. Dabei wird das Duo von Hardenberg erwischt - und
Jule erkannt. Gemeinsam mit dem herbeigerufenen Peter
entführen Jan und Jule den Manager auf eine einsame
Almhütte, immer noch nicht wissend, was sie eigentlich mit ihm
tun werden. Laufen lassen? Verstecken? Erschießen?
In den Szenen in der Berghütte verlangsamt der Film sein
Tempo spürbar und wird um vieles intensiver. Hatte man sich
als Zuschauer eine halbe Stunde zuvor noch dabei erwischt, durchaus
Verständnis für Jule zu haben, als sie nach einem Abend
voller Schikane im Schicki-Micki-Restaurant mit dem Schlüssel
das Auto eines der großkotzigen Gäste zerkratzt,
erschrickt man wenig später. Nun erscheinen die Idealisten
anmaßend und kaltschnäuzig. Es ist ein schmaler Grat, auf
dem die "Rebellen" zwischen Idealismus und Fanatismus wandeln.
Dabei macht Weingartner es seinen Protagonisten nicht leicht: Ihr
Opfer, so stellt sich heraus, war früher selbst Revoluzzer.
Auch der Dutschke-Freund und ehemalige SDS-Funktionär
Hardenberg wollte einmal die Welt verbessern und das
"Establishment" bekämpfen. Und irgendwie müssen Jan,
Peter und Jule sich damit auseinandersetzen, dass auch Hardenbergs
Gründe, einen anderen Weg einzuschlagen, sich für ein
anderes Lebensmodell zu entscheiden, nachvollziehbar sind. Die
Geiselnehmer dis-kutieren mit ihrer Geisel über Ideale,
Konsum, Globalisierung und die Revolution. Ist es Verrat, wenn ich
ein funktionierendes Auto fahren will? Werfe ich meine Werte
über Bord, wenn die eigene Familie irgendwann wichtiger wird
als die Weltrevolution?
Wofür lohnt es sich zu kämpfen?
Der Film des Regisseurs Hans Weingartner ist vieles:
Tragikomödie, Liebesfilm und Generationenportrait. Doch
hauptsächlich zeigt er, wie schwer es ist, gegen die
politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu
protestieren, wenn alles schon einmal da war und das Projekt
Revolution nur wie ein Abklatsch dessen wirkt, was andere schon vor
30 Jahren probiert und wieder aufgegeben haben. Was bleibt von 68,
wenn die 68er sich mit und im System arrangiert haben? "Manche
Menschen ändern sich nie", heißt es am Schluss von
Weingartners Film. Das Problem der Jans, Peters und Hardenbergs
besteht aber darin, dass Menschen sich fast immer ändern und
mit ihnen ihre Träume und Pläne und ihre Vorstellungen
davon, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Ein Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn man nicht
bereit ist, sich zu verändern, gibt ein anderer Film. Auch "Am
Tag, als Bobby Ewing starb" beschäftigt sich mit dem, was von
der 68er-Revolution übrig geblieben ist. Lars Jessens Film
erzählt die Geschichte der letzten Landkommune, die von der
Protestbewegung gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf
übrig geblieben ist. Peter (Peter Lohmeyer), Eckhard (Richy
Müller), Gesine (Nina Petri) und ein paar andere leben im
"Wohnkollektiv Regenbogen" und haben sich gemütlich
eingerichtet. Sie baden nackt und diskutieren endlos. Fleisch ist
verboten, Gewalt auch und abends wird "Dallas" geschaut, obwohl das
"imperialistisches Schweinefernsehen" ist. In dieses zweifelhafte
Paradies gerät der 17-jährige Niels (Franz Dinda), als
seine frisch geschiedene Mutter Hanne (Gabriela Schmeide)
beschließt, in der Kommune einen Neuanfang zu machen. Von nun
an gibt es für Niels Urschreitherapie, vegetarisches Essen und
Anti-AKW-Demonstrationen. Das schafft Frust und aus Trotz gegen das
pazifistische Gerede der Kommunarden landet Niels gemeinsam mit
Freundin Martina (Luise Helm) und Dorfrocker Rakete (Jens
Münchow) beim gewaltbereiten AKW-Widerstand. Das alles ist
ziemlich lange ziemlich komisch. Doch aus schrulligem Spaß
wird bitterer Ernst am Tag, als Bobby Ewing stirbt - an dem Tag,
als die Dallas-Episode ausgestrahlt wird, explodiert im
Atomkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor.
Wohn- und Beziehungsexperimente
Niels, das ist Regisseur Lars Jessen. Er erzählt in seinem
Film die Geschichte der 68er aus der Perspektive ihrer Nachkommen,
"einer Generation, die ihre Kindheit in den Wohn- und
Beziehungsexperimenten ihrer Eltern verbrachte". Damals seien
Sitzblockaden wichtiger als Hausaufgaben gewesen und Weihnachten
habe als religiöse Verschwörung gegolten. Jessen hat
selbst mit seiner Mutter in einem "alternativen Wohnkollektiv"
gelebt. Die Selbstverständlichkeit, mit der dort "jede noch so
alltägliche Handlung in einen politischen Kontext gestellt"
wurde, verfolge ihn "noch heute", so der Regisseur. Die Vermischung
von Privatem und Politischen, gepaart mit Humorlosigkeit, sei
lebensfeindlich gewesen. Dennoch ist Jessens Blick in die
Vergangenheit nicht bitter. Er zeichnet ein detailverliebtes Bild
eines Teils der 68er, die etwas schnurrig erscheinen, schräg
und manchmal ein bisschen bekloppt. Es darf gelacht werden
über die Demonstranten in Strickpullovern, die vor dem Tor des
AKW Brokdorf noch ihre Anti-Atomkraft-Lieder singen, während
die Polizei vom Wasserwerfer aus mitteilt, dass die Lieferung am
Hintereingang eingetroffen ist. Das ist vielleicht ein wenig
herablassend und etwas gemein - wird aber immer wieder durch ein
Augen-zwinkern aufgefangen. Anders als bei "Die fetten Jahre sind
vorbei" ist bei "Am Tag als Bobby Ewing starb" keine
unterschwellige Wut auf die "Verhältnisse" spürbar. Wohl
auch deshalb zeigten die Grünen den Film auf diversen
Wahlkampfveranstaltungen.
Jessen hat seinen Frieden mit den 68ern gemacht - Weingartner
nicht. Vielleicht liegt das am gänzlich verschiedenen
Lebensweg des gebürtigen Österreichers. Während
Jessen ohne eigenes Zutun in der Protestbewegung landete und so
schnell wie möglich wieder raus wollte, erwählte
Weingartner sie als sein Biotop. In einem "Zeit"-Interview bekannte
er, ein "Spätzünder", das "ewige Schlusslicht der
Protestbewegung" gewesen zu sein - erst Mitte der 90er-Jahre, die
Zeit der Hausbesetzer war eigentlich vorbei, besetzte er mit
Gleichgesinnten ein Haus in Ostberlin. Diese Zeit, nach einem Jahr
von der Polizei beendet, blieb ihm als "utopisches Zusammenleben"
in Erinnerung. Mit seinem späten Eintritt in eine Kommune, als
die "fetten Jahre" des Protests längst vorbei sind, erscheint
Weingartner dabei der Mutter Hanne in Jessens Film verwandter als
seinen eigenen jugendlichen Rebellen. Weingartner nimmt die 68er
ernst, er misst sie an dem Anspruch, den sie vor 30 Jahren einmal
hatten und den inzwischen viele bei ihrem eigenen Marsch durch die
Institutionen zurückgelassen haben. Diesen Verrat
verübelt er ihnen. Jessen hat mit seinem Film eine
persönliche "Vergangenheitsbewältigung" betrieben,
Weingartner entschied sich für eine politische. Den Manager
Hardenberg gestaltete er nach dem Vorbild der Essers und
Ackermänner, die, so Weingartner im "Zeit"-Gespräch, das
zweihundertfache ihrer Angestellten verdienten, wegen horrender
Abfindungszahlungen angeklagt würden - und dann frech in die
Kamera grinsten, weil sie sich sicher fühlten. Dagegen
müsse man etwas tun. Vielleicht erfüllt sich Weingartners
Wunsch, bei seinen Idealen zu bleiben und sich nicht zu
ändern. Vielleicht aber lockt auch ihn irgendwann das dicke
Auto.
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