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Martin Ebbing
Keine Krawatten! Sie sind westlich und
dekadent!
Zwischen Zensur und Propaganda: Der Film in der
islamischen Republik Iran
Am 19. August 1978 geriet in der iranischen
Stadt Abadan das Cinema Rex in Brand. Gezeigt wurde der
regierungskritische Film "Gavaznh" ("Das Wild"). Das Feuer breitete
sich schnell aus. Mehr als 400 Menschen verloren ihr Leben. Die
Türen zum Kinosaal waren blockiert, die Telefonleitungen
gekappt. Ein Sabotageakt hinderte die nächstliegende
Feuerwehrwache am Einsatz. Alle Indizien deuteten auf einen
Anschlag. Sehr schnell machte das Gerücht die Runde, der
Geheimdienst des Schahs, SAVAK, sei für die Tat
verantwortlich. Er habe eine Gruppe Oppositioneller, die sich im
Kino aufhielt, beseitigen wollen.
Der Vorfall löste eine Welle von
Protesten gegen das Regime des Schahs aus, der unter dem Druck
seinen Premierminister auswechselte. Aber auch diese Maßnahme
konnte den anschwellenden Widerstand gegen seine Herrschaft nicht
mehr eindämmen. Fünf Monate später musste der Schah
das Land verlassen. Der Brand im Cinema Rex war nicht der
Auslöser für die islamische Revolution, aber das Ereignis
war ein nicht unbedeutender Faktor, um den sich die Massenproteste
kristallisierten.
Später wurden allerdings eine Reihe von
Informationen bekannt, die darauf hinweisen, dass der Anschlag
nicht das Werk der SAVAK war, sondern von religiösen Eiferern
durchgeführt wurde. Der Fall ist bis heute nicht
aufgeklärt.
Das Medium Film war bereits lange vor Abadan
und ist seither Schauplatz heftiger Kontroversen im Iran. Als in
Teheran 1904 die ersten Kinos eröffnet wurden, gingen
islamische Kleriker auf die Barrikaden. Sie verurteilten diese neue
Kunst als verderblichen westlichen Einfluss und eine
Herausforderung Gottes, weil sie unverschleierte Frauen zeigte und
eine laszive Lebensweise propagierte. Zudem sei Gott allein der
"Schöpfer der Menschen und aller Dinge", Abbilder herzustellen
sei deshalb Frevel. Die immer populärer werdenden Filme - von
1930 bis 1979 wurden 1.100 Spielfilme in 420 Kinos gezeigt - fanden
ohne Ausnahme das Missfallen des Klerus. Kindern religiöser
Familien war es streng verboten, ein Kino zu besuchen.
Diese Haltung nahm mit der Revolution aber
eine überraschende Wende. Gleich in einer seiner ersten
öffentlichen Reden sprach der neue Mann an der Macht,
Ayatollah Ruhollah Khomeini, von der erzieherischen Funktion des
Films, die in den Dienst der Sache der Revolution gestellt werden
müsse. Die Legende will es, dass Khomeini seine ablehnende
Haltung aus der Vergangenheit aufgeben hatte, als er im Fernsehen
"Die Kuh" von Dariush Mehrjui sah. Der Film zeigt das Elend der
Bauern in einem abgelegenen Dorf vor der Revolution.
Das Diktum des "Höchsten Führers"
eröffnete die Möglichkeit, die Filmproduktion, die nach
dem Brand des Cinema Rex eingestellt worden war, wieder
aufzunehmen. Die alten Filme gerieten hinter Schloss und Riegel,
aber neue Filme konnten gedreht werden. Mit Eifer ging man daran,
ein "islamisches Kino" zu schaffen, aber dieses Ziel erwies sich
als ebenso illusorisch wie die Schaffung einer "islamischen
Demokratie".
Es gab wenig Filmemacher mit Erfahrung und
Talent, die in der Lage gewesen wären, an den relativ hohen
Standard des vorrevolutionären Kinos anzuknüpfen. Zudem
war eine "islamische Filmästhetik" mit ihren zahllosen Tabus -
"Keine Krawatten! Sie sind westlich und dekadent!" - nicht so ohne
Weiteres aus dem Nichts heraus zu erfinden. Die wirtschaftliche
Krise, die der Krieg gegen den Irak mit sich brachte, erlaubte es
zudem nicht, viel Geld in aufwändige Produktionen zu stecken.
Produziert wurden in den Anfangsjahren deshalb vor allem
Dokumentationen über die "Defa-e Moghadda" (Die "heilige
Verteidigung" - der Krieg gegen den Irak) sowie Filme über
heilige und religiöse Themen. Kitsch und Pathos gingen oft
Hand in Hand.
Es blieb allerdings noch genug Raum für
ein paar wenige Filmemacher, die sich schon vor der Revolution
etabliert hatten. Ein prominentes Beispiel ist Abbas Kiarostami,
heute einer der führenden Repräsentanten des "neuen"
iranischen Kinos. Er hatte 1969 die Filmabteilung des "Instituts
für die intellektuelle Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen" mitbegründet und drehte vor allem Filme mit und
für Kinder.
1979, im Jahr der Revolution, produzierte er
zwei Filme über Informanten, "Alternative 1" und "Alternative
2", in denen er auch den Klerus von der Kritik nicht ausnahm. Beide
Filme durften nie gezeigt werden, aber man ließ ihn
weitermachen. 1987 erschien von ihm "Khan-ye doust kodjast?" ("Wo
ist das Haus meines Freundes?"), eine einfache Geschichte über
einen achtjährigen Jungen, der seinem Freund ein Heft
zurückgeben muss, um zu verhindern, dass der Freund von der
Schule verwiesen wird. Da der Film aus der Perspektive eines Kindes
erzählt wird, war es Kiarostami möglich, soziale
Missstände zu thematisieren, die anderweitig nicht die Zensur
passiert hätten. In "Mashgh-e Shab" (1989, "Hausarbeiten")
greift er erneut auf diese Methode zurück.
Andere iranische Filmemacher reflektieren in
ihrer Karriere die Wandlung von Euphorie zu Ernüchterung, die
die Anhänger der Revolution erlebten. Mohsen Makhmalbaf, ein
weiteres prominentes Beispiel, schrieb eine Reihe von
Drehbüchern für pro-revolutionäre Filme und leitete
ein revolutionäres Agitprop-Theater. Seine erste eigene
Regiearbeit "Baykot" (1985, "Boykott") ist eine Art Action-Thriller
um einen Revolutionär, dem die Schergen des Schahs nachsetzen.
Mit "Arusi-e Khuban" (1989, "Die Heirat der Gesegneten") griff er
aber ein sozialkritisches Thema auf, das weiten Widerhall in der
iranischen Gesellschaft fand. Ein Kriegsverletzter kehrt nach Hause
zurück, um festzustellen, dass die Ideale, für die er
kämpft, dort als hohl und nichts sagend empfunden werden.
Ernüchtert und resigniert kehrt er an die Front
zurück.
Mit Geschick und Tücke gelang es
Regisseuren wie Kiarostami und Makhmalbaf, aber auch Dariush
Mehrjui, Bahram Beyzaï, Amir Naderi oder Jafar Panahi, die
wenigen Lücken in der Zensur zu finden. Geholfen hat ihnen
dabei sicher ihre anerkannte handwerkliche Meisterschaft.
Gelegentlich waren auch gute persönliche Beziehungen oder
vergangene Verdienste um die Revolution wie bei Makhmalbaf
hilfreich.
Die internationale Anerkennung, die der
iranische Film seit Anfang der 90er-Jahre erfährt, hat den
Filmemachern schließlich in den letzten Jahren einen gewissen
Freiraum geschaffen. Nicht nur, dass jedes Verbot oder jeder
Eingriff weltweit in der Filmszene zu einer Nachricht würde,
sondern das Regime verfolgt mit Genugtuung, dass einheimische
Kulturprodukte auch jenseits der Landesgrenzen erfolgreich sind.
Selbst konservative Zeitungen, die an anderer Stelle gegen die
"Verwestlichung" zu Felde ziehen, melden penibel jeden Auftritt
eines iranischen Filmes bei einem Festival und feiern jeden
gewonnen Preis.
Parallel dazu fand spätestens seit der
Wahl des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami 1996
eine Öffnung der iranischen Gesellschaft statt. Soziale
Missstände können freimütiger benannt werden,
Aspekte der iranischen Realität wie Drogensucht, Prostitution,
Gewalt in der Ehe, außereheliche Beziehungen oder auch das
Fehlverhalten von Offiziellen müssen nicht mehr ausgeblendet
werden. Khatami hat zudem das Zensurverfahren gestutzt und die
freie Produktion von Filmen gefördert. Das erlaubt den
Filmemachern eine größere Unabhängigkeit von den
meist immer noch konservativ dominierten staatlichen
Instanzen.
Der iranische Film besaß an dieser
Entwicklung hin zu mehr Öffnung einen nicht unbedeutenden
Anteil. Oftmals waren es Filme, die als erste Tabus brachen. Jafar
Panahis "Dayereh" ("Der Kreis"), der 2000 mit dem Goldenen
Löwen in Venedig ausgezeichnet wurde, thematisierte erstmals
die Prostitution, Kiarostamis "Tam-e guilass" ("Der Geschmack der
Kirsche") beschäftigte sich mit Selbstmord, einem heiklen
Thema im Islam.
Die vermehrte Freiheit bedeutet allerdings
nicht, dass alles erlaubt ist. Auch wer einen "Goldenen Löwen"
aus Venedig oder eine "Goldene Palme" aus Cannes besitzt, darf
keine Frauen ohne Kopfbedeckung oder erotische Szenen zeigen. Bei
allzu offener Kritik gesellschaftlicher Probleme oder gar einer
direkten Attacke gegen den Klerus oder die politischen
Verantwortlichen droht weiterhin ein Verbot des Filmes oder gar
Schlimmeres.
Zudem werden die Arbeiten der renommierten
Regisseure zwar auch von den Konservativen gern als
Aushängeschild für die kulturellen Leistungen der
islamischen Republik missbraucht, aber ihre Filme werden im Land
oft nur für eine sehr begrenzte Zeit in wenigen Kinos und ohne
viel Werbung gezeigt.
Der international beachtete Kunstfilm macht
allemal nur einen geringen Teil des Angebotes in den iranischen
Kinos aus. Rund 80 Filme werden im Land im Durchschnitt pro Jahr
produziert. Ein beachtlicher Teil ist künstlerisch wenig
anspruchsvoll und kreist weiterhin um Themen wie den Krieg gegen
den Irak, religiöses Erwachen und Errungenschaften der
Revolution. Unterhaltsames wie Liebesdramen oder Komödien ist
ebenfalls sehr populär. Der Muff der Anfangsjahre ist
inzwischen verschwunden. Scheidung oder Entfremdung zwischen Eltern
und Kindern sind auch auf iranischen Leinwänden nichts
Besonderes mehr. Dies entspricht dem Zeitgeist im Lande, aber nach
wie vor ist Liebespaaren allenfalls ein gemeinsamer Spaziergang im
Park erlaubt und Frauen tragen auch beim Frühstück ein
Kopftuch. Selten spielen diese Filme eine Vorreiterrolle, indem sie
heikle Themen aufgreifen oder Tabus durchbrechen.
Es existieren Ausnahmen: "Marmoulak"
("Eidechse") war im letzten Jahr der erfolgreichste Film an den
iranischen Kinokassen. Er handelt von einem Kriminellen, der sich
als Mullah verkleidet, um aus dem Gefängnis zu fliehen, und in
allerlei Situationen gerät, in denen die Kritik an der
Selbstgefälligkeit, Raffgier und dem Egoismus vieler
Mitglieder des Klerus nicht zu übersehen ist. Der Film wurde
von einem konservativen Produzenten mit guten Beziehungen zu
Mitgliedern des Regimes produziert, der sich vorab wohl selbst
nicht ganz darüber im Klaren war, was er da herstellen
ließ. Als "Marmoulak" zum allgemeinen Gesprächsthema
wurde und Mullahs zu protestieren begannen, zog er den Film
freiwillig zurück.
Dass solche Fälle möglich sind,
spricht für ein gewisses Maß an Toleranz, für die
vor allem der inzwischen abgelöste Präsident Khatami
verantwortlich zeichnete. Der seit August neu im Amt befindliche
Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat angekündigt, er wolle
weder die sozialen noch die kulturellen Freiheiten
einschränken. Gleichzeitig ist er ein Mann mit einem stark
konservativem Hintergrund und propagiert eine Rückkehr zu den
"islamischen Werten". Noch ist Ahmadinejad nicht lange genug im
Amt, dass man abschätzen könnte, welche Konsequenzen
diese Rück-kehr für den iranischen Film haben
könnten.
Martin Ebbing berichtet als freier Journalist
aus dem Iran.
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