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Igal Avidan
"Wir wurden nicht als Mörder geboren, erst
der Bürgerkrieg hat aus uns Mörder gemacht"
Zwei Filme aus Israel und dem Libanon packen
heiße Eisen an
Im Januar 2002 verfassten 51 israelische Frontkämpfer einen
offenen Brief, in dem sie erklärten, dass der
Militärdienst in den besetzten Gebieten unmoralisch und
undemokratisch sei und die Sicherheit Israels beeinträchtige.
Sie brachen damit mitten in der zweiten Intifada mit dem
israelischen Konsens, in kriegerischen Zeiten bedingungslos
zusammenzuhalten und jegliche Kritik an der Armee zu unterlassen.
Sechs junge Soldaten, vier von ihnen Offiziere, rückt
Filmemacherin Shiri Tsur in den Mittelpunkt ihrer Dokumentation
"Ich wollte ein Held werden".
Tsur sagt, sie war sehr überrascht, weil die Unterzeichner
nicht die gewöhnlichen linken Aktivisten waren, sondern aus
der Mitte der Gesellschaft und des Militärs kommen -
Frontkämpfer aus Eliteeinheiten sowie Piloten, die ihren
Reservedienst leisteten. "Diese neuen Stimmen interessierten mich,
zumal sie in meinem Alter sind und - so wie ich - in die Besatzung
hineingeboren wurden. Sie waren wie meine Brüder."
Der Filmtitel stammt von einem der Protagonisten, die vor der
Kamera erklären, warum sie so lange mit sich haderten, bevor
sie den öffentlichen Bruch wagten. Dabei betonen die Soldaten,
dass sie weiterhin an den Zionismus und die Armee glauben, nicht
jedoch an eine Besatzungsarmee. Der dekorierte Kampfpilot Tomer
Inbar sagt im Film: "Ich kann nicht in einer Armee dienen, die
systematisch Menschenrechte verletzen muss. Ich erwarte, dass der
Staat, an den ich glaube, alles unternimmt, um diese schreckliche
Situation zu beenden. Wenn das so weitergeht und sich keiner daran
stößt und meine Kritik ignoriert wird, dann stehe ich auf
und erkläre öffentlich, dass ich diesen Dienst
verweigere."
Shiri Tsur hat bewusst Soldaten ausgesucht, die sich mit ihrer
Trennung von der Armee schwer tun, und die für ihren Protest
von der Gesellschaft geächtet werden. Tomer Inbar erhält
keine Stelle als Pilot, wird in seinem Kibbutz zur Persona non
grata erklärt und verlässt schließlich Israel. Seine
Kollegen sehen ihre Proteste gegen die Besatzung und für die
Menschenrechte der Palästinenser als einen patriotischen Akt.
Die Kamera begleitet sie zwei Jahre lang auf politische
Kundgebungen sowie in ihr Privatleben. Befragt werden
Lebenspartnerinnen und Eltern. Die Zuschauer erfahren einiges
über unmenschliche Aktionen israelischer Soldaten, die - wie
das tödliche Verhör eines 14-jährigen
Palästinensers -, auch wenn sie Ausnahmen sein sollten,
beweisen, dass eine Besatzung nicht moralisch sein kann.
Unterstützung erhielt die Regisseurin sogar durch die
Armee, nur die Fernsehsender boykottierten das Filmprojekt. Sowohl
der staatliche Kanal als auch die privaten Sender lehnten eine
Ausstrahlung ab. Sie wollten die Gräueltaten israelischer
Soldaten gegen palästinensische Zivilisten, wie sie einige der
Protagonisten im Film schildern, nicht zeigen. Lediglich auf dem
Jerusalemer Filmfestival, in der Kinemathek und in einem kleinen
Tel Aviver Kino ist das Porträt der protestierenden
israelischen Helden zu sehen. "Eine vernünftigere Gesellschaft
hätte sich mit den Problemen durch den Film auseinander
gesetzt," schrieb der israelische Filmkritiker Meir Schnitzer in
"Maariv". "Aber hier bevorzugt man eine hysterische Reaktion auf
ein pluralistisches Denken."
Auch in dem Dokumentarfilm "Massaker" der Deutschen Monika
Borkmann und Hermann Theissen und des Libanesen Lokman Slim packen
ehemalige Kämpfer aus. Hier sind es christliche Libanesen der
Forces Libanaises. Sie erzählen über ihre Teilnahme an
dem Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern
Sabra und Shatila. "Wir wurden nicht als Mörder geboren, erst
der Bürgerkrieg hat aus uns Mörder gemacht", sagt einer
der Täter.
Am 14. September 1982 wurde der neue christlich-libanesische
Präsident Baschir Gemayel durch eine Explosion ermordet. Die
Palästinenser standen in Verdacht, den Mord an ihrem
politischen Gegner ausgeführt zu haben. Das Massaker in den
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila
wird daher als Racheaktion verstanden. Am folgenden Tag wurden die
Lager in Westbeirut von israelischen Truppen umstellt, nach
Aussagen von Ariel Scharon, um verbleibende Milizen zu entwaffnen.
Am Abend des 16. September wurden christliche Milizen in die Lager
geschickt, um die Entwaffnung der dort vermuteten militanten
Palästinenser durchzuführen. Die Milizen
durchkämmten die Lager und töteten wahllos die zumeist
völlig unbewaffneten Insassen, einschließlich der Frauen,
Kinder und Alten. Viele der Opfer wurden außerdem
verstümmelt. Dies geschah in voller Sicht israelischer
Beobachtungsposten, die auch Leuchtraketen abfeuerten sowie die
Lagerausgänge abriegelten.
Erst am Morgen des 18. September fand das Töten ein Ende,
nach verschiedenen Schätzungen waren von den gerade einmal 150
beteiligten Milizangehörigen rund 750 Personen ermordet
worden. Der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel
Scharon wurde von einer israelischen Untersuchungskommission
für das Massaker mitverantwortlich gemacht und musste seinen
Posten räumen. Die Kommission sprach ihm zudem
grundsätzlich die Fähigkeit ab, das
Verteidigungsministerium führen zu können.
Anders als die Israelis in Tsurs Dokumentarfilm bleiben sie
anonym, und ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. "Da keine Namen
genannt und keine Gesichter gezeigt wurden, war die
Körpersprache das ästhetische Konzept," erzählt
Borkmann. "Um diese besser zu sehen, haben wir für sie gleiche
Unterhemden gesucht." Allein durch ein Tattoo kann man einiges
über Geschichtsschreibung im Libanon erfahren: Der Kopf des
christlichen Präsidenten Baschir Gemayel wurde mehrmals
übertätowiert und unkenntlich gemacht.
Die muskulösen Männer, die mal rauchen, mal Kaffee
trinken, geben detailliert Auskunft über ihre Zeit als
Jugendliche und erzählen von ihrem Leben auf der Straße.
Davon, wie sie Drogen nahmen und den Krieg gegen die
Palästinenser liebten, ohne wirklich zu begreifen, dass sie
Menschen erschossen. "Die Befehle des Milizenchefs Elie Hobeika
lauteten: Lasst niemand am Leben und macht die Lager dem Erdboden
gleich!", erzählt ein Täter. "Die Ersten erschoss ich
gegen den eigenen Willen", berichtete ein anderer. "Beim Zweiten
und Dritten fiel es mir etwas leichter. Beim Vierten hatte ich
bereits regelrecht Spaß daran." Ein Dritter berichtete, wie er
ein weinendes blondes Mädchen, das um sein Leben bettelte,
erst vergewaltigte und dann erschoss.
Seit der Amnestie für alle Kriegsverbrecher 1991 leben die
libanesischen Mörder mitten in der Gesellschaft, gehen aber
unter im allgemeinen Schweigen über den Bürgerkrieg.
Daher hat die Produktion von "Massaker" drei Jahre gedauert, sagt
Borkmann. "Das Schwierigste war es, Vertrauen zu den Protagonisten
aufzubauen. Das haben wir geschafft, indem wir ihnen das
Gefühl gegeben haben, dass wir mehr oder weniger neutral sind.
Wir haben wirklich keine moralischen Positionen eingenommen."
Dass der Film, wenn er im Libanon überhaupt gezeigt wird,
einen erneuten Bürgerkrieg anzetteln könnte,
befürchtet der libanesische Co-Autor Lokman Slim nicht.
Vielmehr sei er ein erster Schritt in Richtung Normalisierung und
Demokratisierung. Am 25. September wird "Massaker" zum ersten Mal
im Libanon gezeigt, und zwar in Beirut im Rahmen des Film-Festivals
"Zivile Gewalt und Kriegserinnerungen". Die
deutsch-libanesisch-französisch-schweizerische Produktion
schreibt nicht nur Geschichte, indem das Tabu des blutigen
Bürgerkriegs im Libanon gebrochen wird.
Historisch war auch die Aufführung des Films in Israel auf
dem Film-Festivals der Kleinstadt Sderot im Juni dieses Jahres, auf
Arabisch mit hebräischen Untertiteln. "Natürlich wird
dieser Film helfen, Tabus zu brechen, was immer gut ist", sagt
Lokman Slim. "Tabus unter Libanesen, aber auch unter
Palästinensern und Israelis, die an diesem Ereignis beteiligt
waren. Keine der drei Seiten hat sich damit wirklich auseinander
gesetzt. Eine Normalisierung der Situation im Libanon unter den
verschiedenen Bevölkerungsgruppen kann nicht durch das
Vergessen oder das Verdrängen geschehen. Vielleicht kann
dieser Film Diskussionen anregen, die seit 20 Jahren
unterdrückt werden."
Igal Avidan ist Deutschland-Korrespondent des "Jerusalem
Report".
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