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Georg Seeßlen
Das unbegreifliche Grauen auf der Leinwand
Die Verarbeitung des 11. Septembers 2001 und des
"Kriegs gegen den Terror"
Etwas ist geschehen, was das Bild einer
Gesellschaft so nachhaltig stört, dass kein
Zur-Tagesordnung-Übergehen, nicht einmal die gewohnte
Dramaturgie von Schmerz, Trauer und Vergessen zuzulassen scheint.
Eine Katastrophe, ein Krieg, ein Verbrechen. Am 11. September des
Jahres 2001 steuerten Terroristen zwei entführte
Passagierflugzeuge in die New Yorker Twin Towers. Dafür gibt
es keine sinnvolle Erklärung, kein sinnvolles Bild, keine
sinnvolle Geschichte. Oder es gibt zu viele: widersprüchliche,
irrationale, zweifelhafte. Einige davon führen direkt, statt
in Geschichte, Politik oder Psychologie, ins Reich der fiktiven
Erzählungen und der virtuellen Bilder. Es war, so empfanden es
nicht nur die Zeugen der medialen Aufbereitungen des schrecklichen
Anschlages, sondern auch selbst direkt Betroffene "wie im
Kino".
Etwas ist geschehen und man kann nicht mehr
davor zurück. Es gibt eine Form der öffentlichen Trauer,
es gibt eine Suche nach den Schuldigen, es gibt eine politische
Reaktion - jenen "Krieg gegen den Terror", der in den Jahren darauf
höchst zweifelhafte Zusammenhänge konstruieren und neue
Opfer fordern sollte. Es gibt aber auch eine Wandlung der Bilder
und der Erzählungen in der populären Kultur. Unter
anderem reagiert auch die große Traumfabrik, das Kino. Und sie
tut es auf ihre Weise: Widersprüchlich, mythisch, neurotisch,
offen.
Es gibt im Wesentlichen in der populären
Kultur drei Formen der Reaktion:
1. Filme können das Geschehen direkt in
eine fiktionalisierte oder auf andere Weise in eine der Sprache des
"Entertainments" verständliche Gestalt bringen. Das reicht von
Filmen wie "The Guys", die nicht den ideologischen oder
historischen, sondern den menschlichen Gehalt der Katastrophe
beschreiben wollen, bis zu Michael Moores "Fahrenheit 9/11", der
mit mehr oder weniger brachialen Mitteln Anklage gegen die falsche
Reaktion von Politik und Gesellschaft im Allgemeinen und gegen die
Administration der Bush-Junior-Regierung im Besonderen
erhebt.
2. Filme können die Stimmungen in der
Gesellschaft - den trotzigen Patriotismus, das Mitleid mit den
Opfern, den Hass auf die Täter oder ihre Hintermänner,
das allfällige Gefühl der Verunsicherung - in den
Fiktionen verschiedener Genres vermitteln. Dass Empfindungen wie
Zorn und Rache plötzlich in den Vordergrund treten, dass die
Hoffnungen in einen rabiaten Einzelkämpfer à la Arnold
Schwarzenegger in "Collateral Damage" gesetzt werden, dass einfache
Feindbilder wie "der arabische Terrorist" in gewalttätigen
B-Movies auftauchen - wen sollte es wundern? Und selbst in den
kommerziellen Höhen der internationalen
Blockbuster-Produktionen gibt es noch Jahre nach dem Geschehen
offensichtlich dieses Empfinden des unterdrückten Zorns, der
sich schwer tut, das Objekt für den Gegenschlag zu
fixieren.
3. Die herkömmlichen Erzählungen
mögen mit einem mehr oder weniger populistischen, mehr oder
weniger propagandistischen Furor aufgeladen oder aber, im
Gegenteil, in kritische Distanz zur offiziellen Politik gebracht
werden. Dinge also, die im Subtext wirken, oder die in
ikonografischen Maskeraden auftauchen. Nicht alle amerikanischen
Blockbuster werfen sich bedingungslos in die Ästhetik der
Gewalt. Selbst ein Film wie Steven Spielbergs "War of the Worlds",
der ja einem terroristischen Angriffsszenario am nächsten
kommt - auch wenn es Marsianer sind, die da angreifen -, beinhaltet
Bilder von Zerstörung und Verzweiflung, die man sich vor dem
11. September 2001 im amerikanischen Film nicht hätte
vorstellen können.
Sehen wir dabei ab von einem Zweig der
regelrechten Ausbeutung, einer "9/11-Industry", von der etwa Renee
Kaplan in einem Artikel im Jahr 2002 gesprochen hat, in der man
Bücher, Fahnen, Memorabiles und eben auch Filme mit der
Erinnerung an den Anschlag verkaufen konnte. Es gab kaum einen
Artikel (im doppelten Sinne), der nicht behauptete, in der einen
oder anderen Weise auf den 11. September bezogen zu sein, so kann
man wohl fünf Kapitel dieses "Einschreibens" des
Katastrophenbildes beschreiben.
1. Die direkte Reaktion: Filme, die mehr oder
weniger zufällig Beziehungen zum Ort und zum Geschehen haben,
werden vom Verleih zurückgehalten oder umgeformt. Die Szenen
aus "Spiderman" beispielsweise, in denen der Held um das World
Trade Center turnt, werden entfernt.
2. Filme, die vor dem Anschlag gedreht
wurden, wie "Collateral Damage" werden im Jahr 2002 als 9/11-Filme
vermarktet. Die Welle von Kriegsfilmen, die bereits im Jahr 1999
einsetzte, wird, bevor sie im Jahr 2002 definitiv abebbt, im Sinne
eines "Krieges gegen den Terror" umgewertet.
3. Während in den Jahren 2002 und 2003
Filme entstehen, die das dokumentarische Material, die Erinnerung
und persönliche Betroffenheit bearbeiten, scheint sich in
Hollywood die Bildsprache zu verändern. In historischen und
fantastischen Maskeraden wird immer wieder die kulturelle
Entscheidungsschlacht, ein Zusammenstoß der Kulturen
beschrieben.
4. Die Stimmung einer allgemeinen
Verunsicherung, eines Verlustes an Vertrauen zwischen Staat,
Gesellschaft und Familie führt zu einer Welle von
Mysteryfilmen und Verschwörungsthrillern, an deren Ende, wie
in "Flightplan", terroristische Situation, klaustrophobes Empfinden
und persönliche Tragödie ineinander
fließen.
5. Der Anschlag vom 11. September wird
"Geschichte", eine Erinnerung, die wie in "The Guys" als Anlass zu
gesellschaftlicher Versöhnung schon wieder ein tröstendes
Element enthält. Die Beschwörung einer menschlichen
Wärme angesichts der Katastrophe, die in einer neuen
Katastrophe, der von New Orleans, so offensichtlich verloren
ist.
"Collateral Damage" (2001) war der erste
jener Filme, die nach dem 11. September in der Auswertung erst
einmal gestoppt wurden, und später ins Kino kamen, nun als
durchaus propagandistische Aussage: Arnold Schwarzenegger spielt
den tüchtigen Feuerwehrmann und rührenden Familienvater
Gordon Brewer, dessen Familie von Terroristen ermordet wird. Weil
Politik und CIA versagen, will er auf eigene Faust Rache nehmen,
wird dabei aber von einer Frau und ihrem Kind getäuscht:
Während er glaubt, sie zu befreien, bringt er in Wahrheit die
gefährlichsten Terroristen ins Zentrum der Macht.
Ganz ähnlich argumentiert "Rules of
Engagement" (2001) von William Friedkin, wo ein amerikanischer
Offizier vor Gericht steht, weil er im Libanon auf unbewaffnete
Zivilisten habe schießen lassen. In Wirklichkeit aber waren in
der Menge Terroristen mit Schusswaffen und auch hier sind Frauen
und Kinder in die perfiden Pläne einbezogen. Es ist, als
müssten die Skrupel für einen "asynchronen" Krieg
beseitigt werden.
Der Erfolg an den Kinokassen hielt sich
zunächst in Grenzen. Filme wie "Collateral Damage" und
"Password: Swordfish" waren Misserfolge. Neben die Fantasie einer
"direkten Reaktion" durch Gewalt traten Filme, die die
terroristische Tat in einen "weltgeschichtlichen" Zusammenhang zu
stellen, alte und neue Feindbilder miteinander zu verknüpfen
drohten. "The Sum of All Fears" (2002) verknüpft arabische
Terroristen, sowjetische Fieslinge und dämonische Nazis zu
einer Allianz gegen die USA.
Subtiler zeigen Filme wie "Flightplan", der
in diesem Herbst anläuft, Bedrohung und Reaktion. Das Drehbuch
wurde vor dem 11. September 2001 begonnen und dann nach den
Ereignissen umgeformt, Es ist ein Film über Verlust und Wahn:
Die Geschichte einer Amerikanerin, die mit dem Tod ihres Mannes
fertig werden muss. Zusammen mit seinem Leichnam und ihrer kleinen
Tochter fliegt sie zurück in die Staaten, aber während
des Fluges verschwindet die Tochter und alle behaupten, sie sei nie
in das Flugzeug gekommen und stehe auch nicht auf der
Passagierliste. Vielleicht ist "Flightplan" schon so etwas wie ein
Spätwerk des amerikanischen Post-9/11-Films: auch ein Kampf um
Erinnerung, um das trauernde Subjekt in den Intrigen und
Erpressungen. Die große gesellschaftliche Katastrophe, die in
der offiziellen Rhetorik längst zu einem kalten und
schmutzigen Ritual geworden ist, hat gleichsam die letzten
Instanzen, die Nachbarschaften und die Familien
erreicht.
Eine direkte Kritik an der
Kriegsführung, am Konzept des "Kriegs gegen den Terror" und an
der Einschränkung der demokratischen Rechte in der
amerikanischen Gesellschaft selber war nicht nur wegen der
Verflechtung von Pentagon und Hollywood kaum denkbar. Sie
formulierte sich eher in Bilder-Zusammenhängen jenseits von
Hollywood. Der Skandal über die von der Regierung
aufgebauschten Berichte über die Massenvernichtungswaffen des
Iraks, der schließlich zum Selbstmord des Informanten
führte, wurde in ein Politdrama des britischen Fernsehens
umgesetzt: David Kelly ("Der Waffeninspekteur", 2004, Regie: Peter
Kosminsky) erzählt, wie im September 2002 Alastair Campbell,
der Kommunikationsleiter der britischen Regierung, seinen Bericht
über die irakische Rüstung veröffentlichte -
offensichtlich um die Bevölkerung umzustimmen, in der die
Stimmung gegen einen Krieg umzuschlagen drohte. Der Waffenexperte
David Kelly aber erwähnt schließlich einem
BBC-Journalisten gegenüber, die Regierung habe die Berichte
"sexier" gemacht, indem die Nachrichten über die
Massenvernichtungswaffen erheblich aufgebauscht wurden. Die BBC
hält zwar den Namen ihres Informanten geheim, aber die Presse
macht eine unbarmherzige Jagd auf ihn. Schließlich wird er
enttarnt. Dem Druck ist Kelly nicht gewachsen; er begeht am 18.
Juli 2003 Selbstmord.
In "War Photographer" (2001, Regie: Christian
Frei) kann man nicht nur das Vorurteil vom zynischen
Kriegsfotografen unterlaufen, sondern auch die Manipulationen der
Medien bei der Arbeit beobachten: Die schrecklichen und wahren
Fotos will niemand neben der schicken Werbung haben.
So könnte man auch sagen: Das
Verschwinden der direkten Eindrücke der Katastrophe und des
Krieges liege weniger im Interesse der Menschen als im Interesse
der Werbungswirtschaft. Linda Ellman drehte 2005 eine
Dokumentation, "On Native Soil", die mit dem Material der
9/11-Commission eine kritische Befragung unternimmt. Sie fragt nach
den Fehlern im System, die zu der Katastrophe
führten.
Diese kritische Rückschau baut auf einer
Reihe von Versuchen auf, das chaotische und
überwältigende Bildmaterial in einen dokumentarischen
Diskurs zu bringen: Die französischen Dokumentaristen Jules
and Gedeon Naudet drehten eine Reportage über den "typischen"
amerikanischen Feuerwehrmann, als sich die Ereignisse des 11.
Septembers gleichsam vor ihren bereitgehaltenen Handkameras
abspielten. So konnten die beiden Brüder eine der raren
direkten Aufnahmen liefern, die am 12. September 2002 zum ersten
Mal in einer Video-Version erschienen und seitdem in verschieden
Varianten neu herausgebracht wurden.
"Ground Zero - Das Jahr danach" rekonstruiert
anhand von Computeranimationen die katastrophalen Folgen der
Flugzeugeinschläge und schildert die Geschichte des Ortes nach
der Zerstörung, von den ersten Aufräumarbeiten bis zu den
Anfängen eines Wiederaufbaus, der auch Konflikte bei der
Bewältigung dieses Neuanfangs nicht ausspart.
In "11'09'01" (2003) versuchen elf Regisseure
aus den verschiedenen Erdteilen eine Reaktion auf die Geschehnisse.
Die Produzenten baten elf Filmemacher rund um die Welt, einen
Kurzfilm über diese Katastrophe zu drehen. Die Regisseure
erhielten dabei keine Beschränkungen bezüglich Inhalt und
Form. Die einzige Bedingung war die Länge: Sie betrug elf
Minuten, neun Sekunden und ein Bild. Der Film zeigt, wie
unterschiedlich die Nachricht aufgenommen und verarbeitet wird, wie
sie zu verrückten Hoffnungen und zu ebenso verrückten
Übermalungen führt.
Ken Loach erinnert an einen anderen 11.
September, nämlich jenen, an dem in Chile Salvador Allende mit
der Unterstützung der US-Regierung gestürzt und ermordet
wird. In Sean Penns Beitrag lässt der Sturz der Türme das
Sonnenlicht auf die Grabblumen einer Frau scheinen und bringt sie
zum Erblühen. Es ist, alles in allem, ein Versuch, das
Geschehen zu bewältigen und zugleich die Grenzen solcher
Bewältigung aufzuzeigen, ein Versuch der Einigung, und
zugleich ein Versuch über die Grenzen der Einigung.
Ein Film des Rückzugs dagegen ist Jim
Simpsons "The Guys". Ein Film, dessen lange Produktionsgeschichte
schon selber einen Abstand vom Geschehen markiert. Er ist
entstanden nach einem Theaterstück, das mit wechselnder
Besetzung über mehrere Jahre lief und konzentriert sich auf
die "normalen" Helden der Feuerwehr von New York und ihre Familien.
Die reduzierte Situation zeigt eine Journalistin (Sigourney
Weaver), die einem Feuerwehrmann (Anthony La Paglia), der beim
Einsatz acht seiner Leute verloren hat, dabei helfen will, Worte
für ihre Verabschiedung zu finden. Zehn Tage nach dem
entsetzlichen Geschehen kommen sie zu einem langen Gespräch
zusammen, zwei Menschen aus so verschiedenen Lebenskreisen, dass
sie ohne die Katastrophe einander nie begegnet wären oder gar
so viel Verständnis füreinander fänden.
Für das nächste Jahr, in dem sich
das Ereignis zum fünften Male jähren wird, haben die
(amerikanischen) Bildermaschinen eine neue 9/11-Produktion begonnen
und manches davon scheint sich nicht mehr so recht an den Konsens
halten zu wollen: Oliver Stone hat die Arbeit an einem Film
aufgenommen, indem er mit den Familien der Opfer Gespräche
führt. Der unermüdliche Filmer der amerikanischen Wunden
trifft dabei auf unerwarteten Widerstand. Wie zu hören ist,
sträubt sich die Verwaltung von New York, ihm Dreh-erlaubnisse
und Dokumente zu überlassen, offensichtlich fürchtet man
eine erneute kritische Attacke.
Paul Greengrass bereitet unterdessen den Film
"Flight 93" für den National Geographic Chanel vor, der die
Geschichte des Fluges in Echtzeit wiedergeben soll, der nach
Washington entführt wurde. Ein Film, der zum Teil improvisiert
in einer Situation mit Handkameras aufgenommen werden soll.
Begleitet werden soll das filmische Experiment von einer
vierstündigen Dokumentation über die Hintergründe
der Angriffe.
2006 wird ABC überdies eine Mini-Serie
zu den Ereignissen produzieren und Brian Grazer und Ron Howard
erarbeiten für NBC ein achtstündiges
Konkurrenzunternehmen, das sich ebenfalls auf die Kritik im
9/11-Commission-Report beziehen soll. Zwischen Trauerarbeit, Kritik
und nationaler Versöhnung ist das Feld weit, aber ganz
offensichtlich scheint in dieser neuen Welle der Katastrophenbilder
auch der Wunsch zum Ausdruck zu kommen, durch das
abschließende Statement zu einer Historisierung zu gelangen:
Die Bilder des 9/11-Traumas sind Teil der kollektiven
Bilderströme geworden und für die Bearbeitung
offen.
Wesentlich schwieriger freilich ist, zu
beschreiben, wie solche gewalttätigen historischen Ereignisse
ihre Spuren in die Erzählweisen selbst setzen. In den
70erJahren hat die Kritikerin Pauline Kael von einer
"Vietnamisierung" des amerikanischen Films gesprochen und sie
meinte damit keineswegs, dass der Vietnamkrieg zu einem
hervorstechenden Thema des Kinos geworden wäre - das geschah
erst später.
Worauf Pauline Kael sich bezog, war viel eher
eine "Infektion" der Erzählweisen. Jenseits einer
Auseinandersetzung zwischen den Standpunkten für oder gegen
diesen Krieg veränderte er die Einstellung des Kinos zu
Gewalt, zur Gesellschaft, zu Vertrauen und Ohnmacht.
Die Frage also mag sich erheben, ob es so
etwas wie eine "9/11-isierung" und dann so etwas wie eine
"Irakisierung" im amerikanischen und im Weltkino gegeben hat.
Natürlich gab und gibt es Filme, denen mit einem
ideologiekritischen Instrumentarium beizukommen ist. Die "Triple
X"-Filme mit dem Jugend-Star Vin Diesel übernehmen seit 2002
die "Rekrutierung" der spaß- und abenteuerlustigen Kids
für den "Krieg gegen den Terror", so wie eine Generation
vorher Filme wie "Top Gun", das Vergnügen an Mode, Technologie
und Rock'n'Roll, für militärische Zwecke eingesetzt
hatte.
Der globalisierte Kriegs- und Terrorfilm
übernahm daher eher fantastische und historische Bilder. Zwei
Bild-Kaskaden entstanden auf diese Weise. Auf der einen Seite das
grauenhafte, aber in seiner Grauenhaftigkeit auch immer
sinnstiftende Bild der großen Katastrophe - wie in "The Day
after Tomorrow" als Bild der ökologischen Katastrophe. Der
Sinn, der in diesen Katastrophen stecken mochte, war es, ein
verlorenes Gemeinschaftsgefühl wieder zu entdecken. Die
Familie fand wieder zusammen wie in "Krieg der Welten". Was die
Menschen zu entdecken hatten, war das Verhältnis zur
Gemeinschaft. Obi Wan in "Star Wars" oder die Rebellen in "Matrix"
setzten sich nicht mehr wie "Rambo" oder "Dirty Harry" als einsame,
gewalttätige Individualisten gegen "das System" zur Wehr,
sondern kämpfen im Dienste der Gemeinschaft.
Die zweite Bild-Kaskade, die man einer
"Irakisierung" zuordnen könnte, profitierte in gewisser Weise
von der durch die Katastrophe geschaffenen neuen Einheit: Auch hier
geht es, gleichgültig, ob im antiken Rom wie bei "Gladiator"
oder in den Kreuzzügen bei "Kingdom of Heaven", um die
Herstellung einer Schlachtordnung, in der der Einzelne aufgeht.
Auffallend scheint auch, dass es nicht mehr so sehr wie bei den
"vietnamisierten" Helden um einen unsichtbaren, verborgenen oder
maskierten Feind geht, sondern dass das Böse ganz direkt in
seiner bedingungslosen Aggression gezeigt wird. Mit diesem Feind
kann man nicht reden. Es geht immer um "imperiale"
Auseinandersetzungen.
Oliver Stones "Alexander" träumt zwar
imperial, aber zugleich auch multikulturell und multisexuell: Ein
unter einem übermächtigen Vater leidender Mann, der sich
in seinen psychischen Deformationen in Drogen und sexuelle
Ausschweifungen flüchtet, um sich schließlich in einem
manisch geführten Feldzug im Gebiet des heutigen Irak neu zu
erfinden und seine prekäre "Männlichkeit" dabei zu
beweisen: Zumindest für das amerikanische Publikum war diese
psychologische Allegorie zu George W. Bush Junior nur allzu
offensichtlich - und möglicherweise Teil des kommerziellen
Misserfolgs.
Die Rückprojektion auf den Mythos ist
aber nicht nur ein Trick der Traummaschine. Sie ist auch Botschaft:
Das Kriegerische wird nicht mehr technologisiert, sondern
archaisiert bis zu den Akten der Grausamkeit in "King Arthur". Im
Grunde ist es immer derselbe Krieg, der geführt wird, in
grauer Vorzeit, gestern und heute, und in ferner
Zukunft.
Was bleibt, das ist ein Empfinden der inneren
Katastrophe und ein Verlust der direkten Wahrnehmung. In "L.A.
Crash", einem Film, der sich wieder ganz auf die desolate Situation
im Inneren des Landes konzentriert, erkennt der von Sandra Bullock
gespielte Charakter: "Ich bin die ganze Zeit wütend, aber ich
weiß nicht, warum." Es ist die Geschichte einer Gesellschaft,
in der, wie der Autor und Regisseur, Paul Haggis erkennt,
"Intoleranz zum alleinigen Maßstab zu werden droht". Und damit
ist auch das Kino bei der Diagnose der letzten Auswirkung des
Terrors und des "Krieges gegen den Terror" angelangt: Die wahre
Katastrophe ist das, was aus der amerikanischen Gesellschaft
geworden ist, der vielleicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte die
Kräfte zur Selbstheilung und Erneuerung fehlen. Es ist eine
Gesellschaft, in der man nur noch zwischen besinnungslosem Zorn,
nihilistischem Gelächter und sentimentaler Bigotterie hin und
herschwankt, ohne dass sich ein Wunsch nach Veränderung noch
artikulieren kann.
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