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01/2002
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Interview

Spielen Sie gern mit Puppen, Frau Bläss?

Petra Bläss, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und PDS-Abgeordnete, lässt gern mal die Puppen tanzen. Dabei hält sie allerdings alle Fäden in der Hand.

Petra Bläss mit Marionettenpuppe.

Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts, weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt", ließ Heinrich von Kleist in seinem kleinen Text über das Marionettentheater Herrn C. sagen. Petra Bläss weiß, wovon er schrieb, denn sie spielt seit mehr als zehn Jahren mit Marionetten. Ganz so ungewöhnlich ist das nicht. Sie kommt aus einer Theaterfamilie, ist die Einzige, die nicht in diesem Metier landete. Bei ihr zu Hause hängen die Puppen, die sie gern tanzen lässt, wenn sie Zeit dazu hat, an den Wänden und Zimmerdecken. Darüber, ob die Marionetten ein Eigenleben führen, wenn die Abgeordnete Bläss nicht zu Hause ist, wird viel gemunkelt. Beweisen konnte es noch niemand.

Es könnte ja sein, Frau Bläss, dass viele Böses vermuten, wenn sie hören, dass die Vizepräsidentin des Bundestages mit Marionetten spielt.

Es kommt schon vor, dass darüber gescherzt wird. Manche sagen, da ich als Vizepräsidentin im Parlament die Fäden in der Hand halten muss, täte mir das Üben beim Marionettenspiel ganz gut. In erster Linie ist es aber für mich ein sehr lieb gewordenes Hobby, ein Ausgleich zum politischen Alltagsgeschäft.

Also keine Politik im Spiel mit den Puppen?

Oh doch, ich nehme sehr gern politische Themen auf, zum Beispiel, wenn ich mit meinen Lieblingsmarionetten Spejbl, Hurvinek und Manicka spiele. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir Politikerinnen und Politiker mitunter die besten Kabarett-Texte selbst liefern. Mit Marionettentheater kann man sehr viel transportieren. Beim Puppenspiel wird verfremdet, zugespitzt, überhöht, ironisiert. Das bekommt vielen Themen ganz gut.

Erzählen Sie mal.

Da gibt es Elschen und Ernchen, zwei Marionettenpuppen – benannt nach meinen Großmüttern -, die ich immer wieder mal über die Rentenreform debattieren lasse. Während sie rote Socken stricken, reden sie zum Beispiel über die Schwierigkeiten, die neuen Regeln zu verstehen oder einen Rentenbescheid richtig zu lesen.

Für diese Aufklärungsarbeit müsste Herr Riester Ihnen ja dankbar sein.

Da wäre ich mir nicht so sicher.

Wie viele Puppen haben Sie denn?

Ungefähr 160 Marionetten, mindestens 300 Handpuppen und rund 50 Fingerpuppen. Alle haben eine Geschichte und auch einen Charakter. Überall, wo Gelegenheit dazu ist, gehe ich auf die Suche nach neuen Mitgliedern für mein "Ensemble". Übrigens ist mir dabei aufgefallen, dass die Auswahl bei den Männerfiguren wesentlich größer und inte-ressanter ist. Deshalb greife ich hier gern – natürlich mit einem Augenzwinkern – auf bewährte frauenpolitische Instrumentarien zurück und stelle angesichts der Unterrepräsentanz bevorzugt Frauenfiguren in meiner Sammlung ein. Meine 50 Hexen-puppen bessern die Quote natürlich auf. Die Eulalia Piepenbrink hier ist ziemlich frech und wird dafür von den Kindern sehr gemocht. Sie ist übrigens das Gesellinnenstück einer Freundin. Solche Unikate sind natürlich besonders wertvoll. Liebling der Kinder ist allerdings Pinocchio. Im vorletzten Jahr hatte ich im Heimatmuseum Bad Sülze eine eigene Puppenausstellung. Dort konnten die Kinder in einem Preisausschreiben ihre schönste Puppe auswählen. 400 Kinder haben sich daran beteiligt, und Pinocchio war unangefochtener Sieger. Ich habe ihn übrigens von einem professionellen Marionettenbauer neu einkleiden lassen. Sieht er nicht schön aus jetzt?

Wunderschön. Er hat Stil. Wo spielen Sie denn Theater, Frau Bläss?

Zu richtigen Auftritten kommt es selten genug – zum Beispiel in Kindereinrichtungen oder bei PDS-Straßenfesten. Vor kurzem war ich mit Spejbl und Hurvinek Überraschungsgast beim "Kleinen Kessel Buntes" im Berliner Theater Karlshorst. Wenn ich vor Kindern spiele, ist es mir wichtig, dass die Kleinen hinterher selbst mit den Puppen spielen. Ich finde es schön, wenn man den Puppen ansieht, dass sie oft in die Hände genommen wurden, wenn sie so ein bisschen abgegriffen sind.

Und was macht eine gute Marionette aus?

Wichtig sind vor allem Augen und Hände. Die sollten groß sein, weil sie sehr viel ausdrücken. Ganz entscheidend sind das Spielkreuz und die Anzahl der Fäden. Bei entsprechender Qualität kann man die Puppen wirklich zum Tanzen bringen. Hier, die kleine rothaarige Hexe, hat eine ungeheure Feinmotorik.

Sie schreiben die Texte selbst?

Ich spiele ausschließlich Selbsterdachtes. Meist schreibe ich mir ein kleines Drehbuch. Aber vieles entsteht aus der Situation und im Dialog mit dem Publikum, vor allem bei Kindern. Bei kabarettistischen Stücken schreibe ich mir Textfragmente auf und spiele das dann auf der Bühne aus.

Wenn Sie nun aber doch mal vor dem Bundestag spielen könnten. Was führten Sie dann auf?

Oh, da fiele mir schon einiges ein. Zuerst Hexen und Teufel, die ich zur Lage der Nation diskutieren lassen würde. Oder es kämen Puppen aus meinem Gemüsetheater zum Einsatz. Da gibt es einen Kürbis, der könnte sich zur Globalisierung und zur Landwirtschaft äußern, oder die Krankenschwester zur Gesundheitspolitik. Da fänden sich gewiss zu vielen aktuellen politischen Debatten passende Figuren.

Da eigneten sich die anstehenden Wahlkampfzeiten sicher gut. Frau Bläss, rührt Ihr Spieltrieb eigentlich aus der Kindheit oder ist er erst mit Eintritt in die Politik zum Tragen gekommen?

Marionettenpuppe.

Jetzt überschätzen Sie die Politik aber. Ich habe schon als Kind viel und gern mit Handpuppen gespielt. Das muss im Übrigen ererbt sein. Als ich vor einiger Zeit eine alte Freundin meiner Mutter in den USA besuchte, erfuhr ich, dass meine Mutter auch schon als Kind Puppenspiele vorgeführt hat.

Haben Sie mal einen Beweis dafür bekommen, dass Ihre Puppen zu Hause auf den Tischen tanzen, wenn Sie nicht da sind?

Ich befürchte, das wird ewig ein Geheimnis bleiben. Wenn ich auf Reisen gehe, stelle ich mir das aber manchmal so vor. Bei so vielen Puppen könnte das allerdings zu einer richtigen Party ausarten. Das hätten mir die Nachbarn längst berichtet.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0201/0201012a
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