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Februar 1/2003
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Essay

Wilfried Herz

Wilfried Herz.

In der doppelten Krise
von Wilfried Herz

Ausgerechnet biedere Hausväter können für die Wirtschaft zur Gefahr werden. Denn sie sparen, wenn die wirtschaftlichen Zeiten düsterer werden. Und die privaten Haushalte sind ja nicht die Einzigen, die sich dann beim Geldausgeben zurückhalten. Unternehmer und Finanzminister machen es ebenso – die einen, um ihren Betrieb heil durch die Krise zu bringen, die anderen, um zu verhindern, dass die öffentlichen Budgets aus dem Ruder laufen.

Jeder der Beteiligten verhält sich aus seiner Sicht völlig vernünftig – und dennoch ist das Ergebnis katastrophal. Wenn Konsumenten nichts mehr kaufen, Unternehmen bei Lieferanten nichts mehr bestellen und auch der Staat keine Aufträge mehr vergibt, dann produziert auch niemand mehr. Die Wirtschaftskrise verschärft sich.

Diese Analyse verdankt die Welt dem inzwischen viel geschmähten Ökonomen John Maynard Keynes. Dabei ist sie heute noch richtig. Nur die Schlussfolgerungen, die Politiker in der Vergangenheit daraus zogen, waren falsch. Die Regierungen machten Schulden über Schulden, um die Wirtschaft durch zusätzliche Staatsausgaben anzukurbeln, ohne jemals die Schuldenberge abzubauen.

Seit zwei Jahren dümpelt die deutsche Wirtschaft am Rande der Rezession. Die Bundesrepublik steckt in einer doppelten Krise. Die eine ist die Strukturkrise. Seit vielen Jahren sorgen dauerhafte Probleme dafür, dass die Wirtschaft hier zu Lande langsamer wächst als in anderen Industrieländern: zu hohe Abgaben, zu viele Regulierungen und zu viel Bürokratie, Mängel im Bildungssystem und nicht zuletzt die Lasten der Wiedervereinigung – ein umfassendes Arbeitsprogramm für Regierung und Parlament.

Und dazu kommt inzwischen eine im Wesentlichen von der Weltwirtschaft ausgelöste Konjunkturflaute. Sie zeigt sich in einem Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage: Es wird zu wenig gekauft, deshalb sind die Betriebe nicht ausgelastet und deshalb entlassen sie Personal.

So simpel es ist, die Folgen zu konstatieren, so schwer tun sich Wissenschaftler seit Generationen, die Gründe für die konjunkturellen Schwankungen zu enträtseln. In einem früheren Jahrhundert, als es noch keine Wirtschaftsstatistiken gab, zählte ein Forscher gar die Kirchenbesucher – lief die Konjunktur schlecht, waren die Gotteshäuser voll; in besseren Zeiten ließ die Frömmigkeit nach. Der Erkenntniswert der vielen Theorien blieb bis heute bescheiden: Dem Wirtschaftsaufschwung folgt stets ein Abschwung und umgekehrt, wenn auch unterschiedlich lang und stark.

Sicher ist: Gegen das Auf und Ab der Konjunktur gibt es kein Mittel ohne Risiken und Nebenwirkungen. Eine Regierung kann – so wie es amerikanische Politiker und Notenbanker nach dem Schock des 11. September taten – an die Bürger appellieren, im Konsum nicht nachzulassen. Das allein ist wenig Erfolg versprechend.

Regierungen können jedoch mehr tun: Sie können kurzfristig die Ausgaben steigern, um mit Staatsaufträgen die Wirtschaft zu beleben. Oder sie können die Steuern senken, um so Bürgern und Unternehmen zusätzlichen Spielraum zu verschaffen, mehr Geld auszugeben. Beide Maßnahmen treiben jedoch die Staatsschulden nach oben. Der Weg ist umso riskanter, je höher der staatliche Schuldenberg ist. Denn die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.

Vernünftiger und risikoärmer ist das Konzept der „automatischen Stabilisatoren“. Die Regierung hält dabei an ihrem ursprünglich geplanten Budget fest. Einnahmeausfälle bei den Steuern und Mehrausgaben für Arbeitslose werden zwar auch durch höhere Schulden ausgeglichen. Aber der Staat sorgt auf diese Weise dafür, dass die Konjunktur stabilisiert wird. Erholt sich die Wirtschaft und fließen dann die Steuereinnahmen wieder reichlicher, muss die Neuverschuldung ebenso „automatisch“ wieder abgebaut werden.

Und auch die – von der Regierung unabhängige – Notenbank kann einen Beitrag leisten, um die Konjunktur zu stützen. Sie kann die Zinsen senken – so wie es die Europäische Zentralbank nach langem Zögern Anfang Dezember gemacht hat. Dadurch werden Kredite für Konsumenten und Investoren billiger.

Ihre Macht ist zwar begrenzt. Aber Regierung und Notenbank sind den Konjunkturschwankungen nicht völlig hilflos ausgeliefert.

Wilfried Herz, 1943 in Berlin geboren, arbeitet seit 1998 als wirtschaftspolitischer Korrespondent der „Zeit“ in Berlin. Er begann 1967 als Journalist beim „Spiegel“. Weitere Stationen waren die Nachrichtenagenturen UPI und ddp sowie die „Wirtschaftswoche“. 1991 ging er zur „Zeit“. Dort leitete er von 1992 bis 1998 die Wirtschaftsredaktion.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0301/0301003a
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