Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 48 / 28.11.2005
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Helmut Löhlhöffel

Entscheider und Einflüsterer

Im Berliner Politdschungel

Es sind provokante Thesen: Erwünschte individuelle Fachberatung für Parlamentarier sei zu einem Geflecht unerlaubter, unkontrollierbarer Einflussnahme auf die Gesetzgebung verkommen. Die Organisationsmacht von Unternehmen mit ihren immensen Informationsflüssen habe transparente Entscheidungsprozesse außer Kraft gesetzt. Die Bundesrepublik sei Wirtschaftslobbyisten, Politikagenturen und Medienmanipulatoren ausgeliefert. Zu diesen Schlussfolgerungen kommen Cerstin Gammelin und Götz Hamann in ihrem Buch.

Fest steht für das Autoren-Duo, dass Lobbyisten zu einer unüberwindbaren Macht geworden sind. Industriefunktionäre und Topmanager zerstören Bestehendes, um etwas ihren Interessen Entsprechendes zu schaffen. Mit einem dichten Einflussnetz umspannen sie den zentralen Ort, an dem die wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen fallen: Berlin.

Die Autoren, Journalisten mit Kenntnis des Systems, dessen Teil sie sind, kennen die Kaffeehäuser und Restaurants, die Clubs und Hinterzimmer im Regierungsviertel, wo sich Abgeordnete mit Beratern, Beamte mit Souffleuren, Entscheider mit Einflüsterern treffen. Die Lobbyisten, 5.000 gibt es, so schätzen die Autoren, und mindestens 40 Agenturen für Politikkommunikation tummeln sich in der Bundeshauptstadt, um den Willen von Unternehmen und Verbänden, Organisationen und Institutionen durchzudrücken.

Vieles, was hier beschrieben ist, läuft tatsächlich so ab, das meiste kommt der Wirklichkeit nahe. Manches aber ist konstruiert und würde eher in einen Roman passen als in ein Sachbuch. Immerhin: Die genannten Orte stimmen, die agierenden Hauptpersonen sind exakt identifiziert. Dass zahlreiche Lobbyisten aus Ministerien und Bundestagsfraktionen kommen, dass es häufige Wechsel von Spitzenpolitikern auf Manager- und Vorstandsposten gibt, dass auffällig viele ehemalige Journalisten in der Beratungsbranche und als Unternehmenskommunikatoren tätig sind, ist unbestreitbar und wäre gar nicht anrüchig - wenn es nicht Beispiele für Auswüchse gäbe!

Gammelin und Hamann haben wirtschaftspolitische Entscheidungsabläufe beobachtet und malen beispielhaft einige Fälle aus. Dabei wird sichtbar, dass es nicht allein die Interessenvertreter gibt, sondern auch einen Humus für ihr Wirken und Einwirken: Es sind Regierungsbeamte und Bundestagsabgeordnete, die von der Vielzahl und Kompliziertheit der von ihnen bearbeiteten Gesetze überfordert sind. Und Medien, die sich für fremde Zwecke nutzbar machen lassen. Denn die Lobby kennt die Logik der Mediengesellschaft: Politiker handeln so, wie es ihnen die veröffentlichten Stimmungen und Umfragen nahe legen.

Verquickungen und Verflechtungen zwischen Politik, Medien und Interessengruppen sind in Berlin wie anderswo gewachsen. Sie müssen nicht zwingend zu Abhängigkeiten und zu Korruption durch Nähe führen. Außerdem gibt es ja widerstandsfähige Politiker und wachsame Journalisten. Doch wenn Einflussversuch und Beeinflussungserfolg offenbar werden, geraten eher Hinterbänkler des Parlaments öffentlich ins Gerede, während die wirklich einflussreichen Strippenzieher diskret verborgen bleiben.

Bei der Beschreibung all dieser Mechanismen steigen Gammelin und Hamann mit Tempo ein, halten es aber nicht durch. Viele Abschnitte sind ausgewalzt, etliches wiederholt sich. Andererseits haben sich die beiden häufig hinreißen lassen, ausführliche Zeitungsreportagen anstatt ein gründliches Fachbuch zu schreiben. Hinweise, "nach der Bundestagswahl" oder wenn "Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt" würde, könne sich manches ändern, verleihen dem Inhalt keine über den Tag hinausreichende Haltbarkeit.

Die Autoren plaudern lieber über die mächtigen Auto-, Strom- und Pharma-Interessen als über die ebenfalls längst etablierten Lobbyisten der alternativen Agrarszene oder für erneuerbare Energien. Trotzdem sind ihre Thesen plausibel. Am Schluss stehen Vorschläge, wie Transparenz hergestellt werden kann und wie Missbräuche zu vermeiden sind. Es wäre vernünftig, sie zum Ausgangspunkt für Verhaltensregeln oder für Gesetze zu machen.


Cerstin Gammelin/Götz Hamann

Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien -

Wie Deutschland regiert wird.

Econ Verlag, Berlin 2005; 303 S., 19,95 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.