Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 51 - 52 / 19.12.2005
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Karl-Otto Sattler

Spurensuche im Schattenreich

Die CIA-Affäre hat die deutsche Innenpolitik erreicht
Es wäre eine Zäsur, sollten die USA nach dem Einlenken von Präsident George Bush gegenüber dem Kongress den Geheimdiensten ein umfassendes Folterverbot verordnen. Vorerst aber hat die CIA-Affäre um illegale Verschleppungen Terrorverdächtiger in geheime Verliese auch die deutsche Innenpolitik fest im Griff. Noch harrt der Fall El Masri einer umfassenden Aufklärung. Die Vernehmungen von Inhaftierten in Guantanamo und Syrien durch deutsche Beamte provozieren bei der Opposition neue Kritik.

Aufregende Stunden, aufregende Tage, und ein Ende der Aufregungen um die verwinkelte CIA-Affäre ist nicht abzusehen. Im Bundestag ist es spannend wie selten, bei den Äußerungen von Ministern und Abgeordneten werden jedes Wort und jeder Zwischenton gewogen. Sogar fast sensationell Anmutendes ist zu erfahren, als CDU-Innenressortchef Wolfgang Schäuble plötzlich die Vernehmung von Inhaftierten im berüchtigten Guantanamo und in einem syrischen "Foltergefängnis" (FDP-Chef Guido Westerwelle) durch deutsche Sicherheitsbeamte einräumt. Die Türen, hinter denen die Ausschüsse für Inneres, Äußeres und Recht die jeweiligen Minister befragen, werden von der Medienmeute umlagert. Und die Abgeordneten nutzen nach diesen Sitzungen die Mikrofone dankbar, um das nichtöffentlich Gehörte aus ihrer Sicht zu interpretieren: Wolfgang Bosbach (CDU) sieht in einem Untersuchungsausschuss nur ein "politisches Spektakel", für Walter Kolbow (SPD) ist die Forderung nach einem solchem Gremium "nicht berechtigt", während für Politiker von FDP, Linkspartei und Grünen noch vieles ungeklärt ist.

Der CIA-Skandal um das Kidnapping von Terrorverdächtigen im Ausland samt deren Transport in dunkle Verliese hat im Gefolge des Falls Khaled El Masri die Innenpolitik voll erfasst. Auch wenn das Verlangen nach einem Untersuchungsausschuss seitens der Opposition inzwischen verhaltener klingt, so wird angesichts vieler offener und zusätzlich auftauchender Fragen dieser Konflikt auch im neuen Jahr Politiker, Medien und Bürger in Atem halten. Es läuft eigentlich so wie meist bei Affären: Es fliegt etwas auf, es wird nachgehakt, zuerst wird vieles abgestritten, manches zunächst brisant Erscheinende verliert an Bedeutung, dafür drängen sich neue heikle Aspekte auf, unvermutete Enthüllungen kommen ans Tageslicht.

Es ist nicht einfach, die verworrenen Fäden dieser Affäre aufzudröseln. Was Politik und Öffentlichkeit hierzulande umtreibt, ist die Rolle der alten Regierung und deutscher Institutionen bei der Verschleppung des offenbar keineswegs terrorverdächtigen Deutsch-Libanesen El Masri durch die CIA: Wer wusste was wann, was hat die deutsche Seite zugunsten des Mannes getan, gab es ein Zusammenspiel hiesiger Geheimdienste oder Behörden mit den Amerikanern? Und wie steht es generell um die Kooperation deutscher Stellen mit den USA beim Anti-Terror-Kampf in jener Sphäre, die SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier am 14. Dezember im Bundestag als "die weniger glitzernden Seiten der Macht" umschreibt?

Angesichts des innenpolitischen Streits rückt der Kern der Kalamitäten etwas in den Hintergrund: nämlich die CIA-Aktivitäten in Grauzonen rund um Entführungen, um Tarnflüge im europäischen Luftraum und um die ominösen "black sites", die geheimen Gefängnisse in diversen Ländern. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die EU-Volksvertretung hat einen Ausschuss zwecks Aufklärung der CIA-Machenschaften installiert. Im Januar wird das Parlament des Europarats über die Recherchen des Sonderermittlers Dick Marty (Schweiz) diskutieren. Und bis Februar müssen die europäischen Regierungen dem Straßburger Staatenbund erläutern, wie sie ausländische Geheimdienste auf ihrem Territorium kontrollieren und wie sie die Respektierung der Menschenrechtscharta mit ihrem Verbot von Folter und Freiheitsberaubung durch fremde Dienste sicherstellen. Diese Debatten zielen auf das Grundproblem der Beachtung rechtsstaatlicher Maßstäbe bei der Terror-Bekämpfung und stellen die Beziehungen mit den USA auf den Prüfstand.

Zu den CIA-Flügen und den "vermeintlichen Geheimgefängnissen" sagt Steinmeier im Bundestag: "Da sind viele Fragen offen", Berlin wolle den Europarat bei seiner Arbeit aktiv unterstützen. Vor dem Rechtsausschuss lässt Justizministerin Brigitte Zypries erkennen, dass manche Aktionen der USA beim Vorgehen gegen den Terrorismus nicht auf allgemein anerkannten Rechtsgrundlagen beruhten. "Hinreichende Erkenntnisse" über geheime CIA-Flüge im deutschen Luftraum lägen, so die SPD-Politikerin, jedoch nicht vor. Allerdings wurde vor dem Ausschuss offenbar, dass es kaum Kontrollen gibt.

Der Europarats-Beauftragte Marty seinerseits sieht jedenfalls den Verdacht erhärtet, dass die CIA unter Beteiligung oder Duldung europäischer Stellen Menschenrechte verletzt hat. Ermittlungen deuteten darauf hin, dass der US-Geheimdienst Personen "entführt und in andere Länder gebracht" habe. Es sei schwer vorstellbar, insistiert Marty, dass diese Aktivitäten "ohne eine gewisse Zusammenarbeit oder eine gewisse Passivität" von Behörden, Geheimdiensten oder Regierungen in Europa stattfanden. Ob die Bundesrepublik eine weiße Weste hat? Diese Frage schwingt bei der weiteren innenpolitischen Aufklärung des Falls El Masri mit. Was war in den zurückliegenden Jahren hierzulande wirklich los im Umfeld der CIA-Tätigkeiten? Häufig wird die Kooperation beider Seiten schlicht als unverzichtbarer Informationsaustausch dargestellt, was auf den ersten Blick recht unproblematisch klingt.

Die bislang wohl spektakulärste Neuigkeit ist Schäubles Enthüllung im Plenum des Bundestags und im Innenausschuss, dass Vertreter hiesiger Sicherheitsbehörden Gefangene in Guantanamo und in Syrien vernommen haben - also an Orten, die unter begründetem Folterverdacht stehen. In Syrien handelt es sich um den Deutschen Haydar Zammar, der vor vier Jahren in Marroko verschwand und mutmaßlich von der CIA in das arabische Land verschleppt wurde. In Guantanamo dreht es sich um den lange Zeit in Bremen lebenden Türken Murat Kurnaz, der in der Kuba-Enklave ohne Anklage festgehalten wird. Laut "Süddeutscher Zeitung" verhörten deutsche Geheimdienstler in Guantanamo zudem den gebürtigen und in Duisburg wohnhaften Mauretanier Ould Slahi.

Ruprecht Polenz (CDU) und Dieter Wiefelspütz (SPD) rechtfertigen die Reisen nach Guantanamo und Syrien. Aus dieser Sicht sind angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus derart gewonnene Erkenntnisse bedeutsam für die Verhinderung von Anschlägen. Schäuble kündigte im Innenausschuss an, dass künftig BKA-Beamte im Ausland Inhaftierte nicht mehr befragen dürften, wenn kein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts läuft. Man müsse "noch strenger auf die Trennung von BKA und Diensten achten", so der Minister im Bundestag. Eine Absage an den Einsatz von Geheimdienstlern in solch sensiblen Situationen ist von Schäuble indes nicht zu hören.

Die Enthüllungen über die fragwürdigen Verhöre bringen jedoch die Opposition erst recht auf die Palme. Petra Pau von der Linkspartei fragt, was Vertreter von BKA und BND ausgerechnet in Syrien zu suchen hätten, das schließlich von den USA zum "Schurkenstaat" erklärt worden sei. Werner Hoyer (FDP) ist dagegen, die "Früchte des Folterns" indirekt durch Vernehmungen der Betroffenen zu ernten. Christian Ströbele (Grüne) sagt es so: Man wolle die Folter wohl nutzen, "ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen". Parteifreund Wolfgang Wieland: "Ein Outsourcen von Folter darf es nicht geben."

In der El-Masri-Affäre selbst lichtet sich inzwischen mancher Nebel, während anderes immer noch der Klärung harrt. So scheint Frank-Walter Steinmeier als ehedem für die Geheimdienste verantwortlicher Kanzleramtschef zusehends aus der Schusslinie zu geraten: Auch Oppositionelle wie die grüne Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagen, dass die zuständigen Regierungsstellen und Behörden im Gefolge der Unterrichtung von Kanzleramt und Außenministerium durch El Masris Anwalt Manfred Gnjidic im Juni 2004 die nötigen Schritte unternommen hätten. Merkwürdig mutet freilich das Schweigen Otto Schilys und Joschka Fischers an, die es vorzogen, in der Bundestagsdebatte gar nicht erst zu erscheinen. Der Ex-Innenminister war schließlich als erster von US-Botschafter Daniel Coats über das Fiasko der Entführung El Masris nach Afghanistan ins Vertrauen gezogen worden und hatte sein Wissen für sich behalten. Auch der ehemalige Außenminister mag sich nicht erklären. Kein Wunder, dass Union und FDP in dieser Wunde der Grünen bohren. Der CSU-Abgeordnete Eduard Lintner: "Was hat eigentlich Fischer getan?"

Steinmeier weist jede Verstrickung von Sicherheitsstellen in den Fall El Masri zurück, es habe keine Hilfe bei dessen Verschleppung gegeben. Gegen "infame Vorwürfe" dieser Art verwahrt sich der Außenminister vehement.

Zu den seltsamen Wendungen der Affäre gehört auch, dass El Masri ohne jede Resonanz immerhin fünf Monate spurlos verschwunden war. Gregor Gysi von der Linkspartei prangert dieses Kidnapping als "schweres Verbrechen" an. Max Stadler fragt, warum sich in dieser langen Zeit niemand gewundert habe. Der FDP-Politiker will wissen, wieso die CIA für die Aufklärung der Verwechslung fünf Monate brauchte und ob es Rückfragen bei den Deutschen gab. El Masris Anwalt bestreitet entschieden den Vorwurf, sein Mandant habe von den USA ein Schweigegeld erhalten. Entsprechende Andeutungen hat Schäuble unter Hinweis auf das Gespräch zwischen Schily und Coats gemacht. Gnjidic fordert den CDU-Innenminister auf, dieses "böse Gerücht" mit Belegen zu untermauern.

Die Große Koalition hat wohl nicht geahnt, schon wenige Wochen nach ihrem Start mit einer derart massiven Krise konfrontiert zu werden. Seit ihrem Treffen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice hält sich Kanzlerin Angela Merkel in der leidigen Angelegheit im Übrigen auffällig zurück. Nun, in den Fußangeln der Geheimdienstwelt haben sich schon manche verheddert. Selbst ein George W. Bush bleibt von politischen Heimsuchungen dieser Art nicht verschont. Die CIA lässt grüßen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.