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Fraktionen – viele wissen nicht so genau, was sich hinter diesem oft gehörten Begriff verbirgt. Und andere, die erfahren haben, dass eine Fraktion gewöhnlich aus den Abgeordneten mit jeweils gleicher Parteizugehörigkeit in einem Parlament besteht, verbinden mit „Fraktion“ oft unterschwellig Bedenken. „Zwang“ oder „Disziplin“ hört man oft in diesem Zusammenhang, das weckt nicht gerade angenehme Gefühle.
Kann etwas von Vorteil sein, was in den Medien immer wieder in Verbindung mit diesen Wörtern gebracht wird? Um zu ergründen, welche Rolle die Fraktionen des Bundestages für die politischen Entscheidungen des Landes und für das Leben jedes Einzelnen spielen, sollte man sich vielleicht einmal kurz vorstellen, wie Politik eigentlich ohne sie aussähe.
So geschah es auch sozusagen von ganz allein, als in Deutschland das erste nationale Parlament zusammentrat, dass sich die Abgeordneten in der Frankfurter Paulskirche 1848 schon bald innerhalb von Gruppen und „Clubs“ organisierten, obwohl es nicht einmal ein ausgeprägtes Parteiensystem gab. Es verlief eher andersherum als gemeinhin angenommen: Nicht die Fraktionen entwickelten sich aus den Parteien, sondern die Parteien entstanden aus den „politischen Vereinen“, die sich die ersten Parlamentsgruppen außerhalb des Parlamentes zulegten, um im Blick auf die nächsten Wahlen eine organisatorische Unterstützung zu haben.
Fraktionsrechte
Im Grundgesetz von 1949 kommen die Fraktionen namentlich nicht vor. Hier wird die Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes in Artikel 21 hervorgehoben. Doch stellte das Bundesverfassungsgericht bereits 1959 fest, dass mit dieser Formulierung auch die Fraktionen anerkannt seien; sie seien „notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens“.
Wie wichtig Fraktionen im Parlamentsalltag sind, davon vermittelt ein Blick in die Geschäftsordnung des Bundestages eine lebhafte Vorstellung. Kaum einer der wichtigen Paragrafen kommt ohne sie aus.
Einige Beispiele:
Jede Fraktion...
Angesichts dieser Fülle von Gestaltungsrechten versteht sich von selbst, warum am Anfang jeder Wahlperiode kein Abgeordneter nachdenken muss, ob auch er einer Fraktion angehören möchte. Damit Abgeordnete eine gemeinsame Fraktion bilden können, müssen sie zwei Voraussetzungen erfüllen. Zum Einen muss ihre Gruppierung der Fünf-Prozent-Klausel genügen: Mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten sind für eine Fraktion nötig – sind es weniger, kann sich allenfalls eine Gruppe bilden oder diese Abgeordneten bleiben fraktionslos. Zum Zweiten müssen die Abgeordneten derselben Partei angehören – oder solchen Parteien, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Bundesland miteinander in Wettbewerb stehen. So können sich etwa die Abgeordneten der CDU und der CSU zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenfinden.
Der Zusammenschluss von Abgeordneten zu einer Fraktion oder Fraktionsgemeinschaft ist zwar freiwillig. Doch tatsächlich bilden einzelne fraktionslose Abgeordnete die große Ausnahme. In der Regel arbeiten nur dann Parlamentarier außerhalb von Fraktionen im Parlament mit, wenn Parteien zwar an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern, einzelne Kandidaten aber über Direktmandate in den Bundestag einziehen oder wenn sich Fraktionen und einzelne Mitglieder im Laufe der Wahlperiode so zerstreiten, dass sie entweder selbst austreten oder aber ausgeschlossen werden.
Fraktionsbildung
Die Fraktionen sind die ersten Gremien, die sich nach einer Wahl im Bundestag neu bilden, und zwar schon vor der ersten – der „konstituierenden“ – Sitzung des neu gewählten Parlamentes. In der Praxis wird aus einem gewählten einzelnen Abgeordneten ein Angehöriger einer Fraktion, indem er zur konstituierenden Fraktionssitzung eingeladen wird, daran teilnimmt und die Fraktion seinen Namen dann dem Bundestagspräsidenten mitteilt.
Aber die aufwändigste Vorbereitung geht dann erst los. Denn nun sortieren sich die Abgeordneten noch einmal in den verschiedensten Gruppen, bilden Landesgruppen je nach ihrer regionalen Herkunft, treten in Arbeitsgruppen und Arbeitskreise ein für die einzelnen Fachgebiete, die sie dann auch in den Fachausschüssen des Bundestages intensiver betreuen, und formen auch eine Leitungsorganisation mit Fraktionsvorstand, parlamentarischer Geschäftsführung und verantwortlichen Ansprechpartnern für einzelne Themenfelder.
Wie dann die Alltagsarbeit der Fraktionen aussieht, hängt natürlich davon ab, ob die Fraktion die Regierung stellen kann oder Oppositionsarbeit zu leisten hat. Formal handeln zwar nur die Parteien untereinander aus, ob sich ihre jeweiligen Fraktionen im Bundestag zu einer die Regierung tragenden Mehrheit zusammenfinden, doch in der Praxis sind die fachlich versierten Abgeordneten intensiv in Koalitionsverhandlungen eingebunden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, sieht es als „eine der klügsten Entscheidungen“ bei den letzten Verhandlungen über eine große Koalition und deren Programm an, nicht nur die Fraktion stets über alle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten, sondern auch ganz viele Abgeordnete in die konkreten Verhandlungen eingebunden zu haben. Insgesamt nahmen fast 200 Personen an den Gesprächen zwischen Union und SPD teil – „da konnten sich viele schon einmal auf die Arbeit in den nächsten vier Jahren einstellen und aneinander gewöhnen“.
Fraktionskunst
Die FDP musste sich hingegen weiter aufs Opponieren einstellen. Angesichts der großen Koalition sieht der Parlamentarische Geschäftsführer der FDPFraktion, Jörg van Essen, für die größte Oppositionsfraktion eine „besondere Verantwortung“. Die Liberalen seien angetreten mit dem Ziel, einen Politikwechsel in Deutschland herbeizuführen. Diesem Modell habe zwar der Wähler nicht die erforderliche Mehrheit gegeben, die Aufgabe bleibe trotzdem bestehen. Deshalb sei es Aufgabe seiner Fraktion, „möglichst viel notwendigen Politikwechsel herbeizuführen“. Das sei aus der Opposition heraus naturgemäß schwieriger als aus der Regierung, aber trotzdem zu machen. Wenn er sich anschaue, wie oft die FDP in den vergangenen Wahlperioden mit Gesetzentwürfen vorangegangen sei, die Regierung dann habe nachziehen müssen und man sich schließlich auf eine gemeinsam getragene Lösung habe einigen können, dann zeige dies, dass eine Fraktion auch aus der Opposition heraus etwas bewegen könne.
Für Oppositions- wie für Regierungsfraktionen gilt der Grundsatz, dass die Fraktionsführung im Umgang mit den Abgeordneten das richtige Maß zwischen Zuhören und Vorangehen finden muss. „Hier ist eine Balance nötig“, weiß der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Röttgen. Wer glaube, alles durch autoritären Führungsstil regeln zu können, werde scheitern. Aber scheitern werde auch, wer glaube, es allen recht machen zu können. „Diese Balance herzustellen zwischen der Chance jedes Einzelnen, sich einzubringen, ihn zu hören, ihn zu fragen, und der Bereitschaft, auch zu führen, diesen Prozess sich also nicht nur sich selbst zu überlassen, sondern ihm auch eine Richtung zu geben, das ist eine Kunst.“ Fraktionskunst sozusagen.
Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 8. Februar 2006