Das Parlament
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Nr. 26 / 21.06.2004
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Aschot Manutscharjan

Georgien will seine Konflikte notfalls militärisch lösen

Der Kaukasus zwischen strategischen Interessen Russlands und der USA
Im Schatten des Weltgeschehens versucht der neue georgische Präsident Michail Saakaschwili die seit mehr als einem Jahrzehnt de facto von Georgien unabhängigen Provinzen Abchasien und Südossetien zurückzugewinnen. Der erfolgreiche friedliche Anschluss Adschariens Anfang Mai ermutigte Saakaschwili, sich anschließend gegen Südossetien und Abchasien zu wenden. Hier handelt es sich um alte Nationalitätenkonflikte. Anders als in Adscharien, wo der Konflikt rein politischer Natur war und zwischen dem herrschenden regionalen Klan und der Regierung ausgetragen wurde.

Die nationalen Minderheiten, Abchasen und Südosseten, fürchten sich vor georgischer Gewalt und haben Moskau um militärischen Schutz gebeten, was natürlich auch den sicherheitspolitischen Interessen Russlands in der Region entspricht. Zwar betont Moskau seit 1992, dass Abchasien und Südossetien Teil Georgiens seien, dennoch werden die Konflikte vom Kreml in eigenen Interesse instrumentalisiert, um die georgische Politik beeinflussen zu können. Die Opfer sind die Minderheiten, die sich als Spielball zwischen beiden Seiten wiederfinden.

Die Entwicklung in Abchasien ist für Deutschland vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Bundeswehr seit Juni 1994 am UNOMIG (UN Observer Mission in Georgia) mit Beobachtern und Sanitätspersonal beteiligt ist. Sechsmal sind in dieser Zeit Bundeswehrangehörige entführt worden. Am 8. Ok-tober 2001 wurde ein deutscher Oberstabsarzt beim Abschuss eines UN-Hubschraubers getötet: Er war der erste Bundeswehrsoldat, der bei Kampfhandlungen starb.

Anfang Mai stand die Kaukasusrepublik Georgien am Rande eines Bürgerkrieges. Während sich die beiden Provinzen Abchasien und Südossetien bereits 1991/92 von Tiflis losgesagt hatten, ließ Adschariens Herrscher, Aslan Abaschidse, wieder einmal die Muskeln spielen und versuchte, der Zentralmacht militärisch zu trotzen. Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, sprengte Abaschidse kurzerhand die Brü-cken nach Adscharien. "Es gab zwar die Möglichkeit, diesen Konflikt militärisch zu lösen, aber wir wollten keinen Krieg gegen die Provinz führen", sagte der Sekretär des Sicherheitsrates und frühere georgische Verteidigungsminister, Gela Beshuaschwili, gegenüber "Das Parlament". "Wir hatten schließlich nur einen Konflikt mit Abaschidse, dem die neue demokratische Entwicklung in Georgien überhaupt nicht passte."

Bereits seit zwölf Jahren herrschte Abaschidse unumschränkt in Adscharien, so dass seine Gegenwehr niemanden überraschen konnte. "Er hat wohl geglaubt, er habe es mit einer jungen, unerfahrenen Regierung zu tun, mit impulsiven Jungs, die auf seine Provokationen hereinfallen würden", sagte der Verteidigungsminister weiter. Tatsächlich war Abaschidse offensichtlich davon überzeugt, dass Präsident Michail Saakaschwili seinen Soldaten den Befehl geben würde, Adscharien anzugreifen. Dieser Angriff hätte ihm dann als Vorwand gedient, Russland um Hilfe zu bitten, das im Hafen Batumi einen Militärstützpunkt unterhält.

Die georgische Regierung war jedoch genauestens darüber informiert, dass für Abaschidse kaum 200 Anhänger, darunter viele Verwandte, kämpfen würden. Aber selbst viele seiner Angehörigen zogen die Flucht vor, nachdem ihr Anführer das Land verlassen hatte.

Wie im Falle des Rücktritts von Präsident Eduard Schewardnadse war Russland ohnehin mehr an einer Schlichterrolle interessiert. "Als uns klar wurde, dass die Bevölkerung in Batumi auf unserer Seite ist, telefonierte Präsident Saakaschwili mit dem russischen Präsidenten und bat ihn, Abaschidse außer Landes zu bringen. Denn so konnte Blutvergießen verhindert werden", sagte Beshuaschwili. Daraufhin entsandte Wladimir Putin den Sekretär des russischen Sicherheitsrates, den früheren Außenminister Igor Iwanow, nach Adscharien, um den Provinz-Fürsten nach Mos-kau zu schaffen. "Russland hat eine richtige, pragmatische Entscheidung getroffen", betonte er. "Putin wollte mit Georgien keinen Streit anfangen wegen so einem Menschen." Auch für die "strenge Neutralität" von General Studenikin, dem Befehlshaber der russischen Truppen im Transkaukasus, findet Beshuaschwili lobende Worte. Im gleichen Atemzug versäumt es der georgische Politiker jedoch nicht, "die herausragende Rolle" der USA zu würdigen. Washington habe "von Anfang an eine eindeutige Haltung eingenommen und die georgische Politik gegenüber Adscharien unterstützt". Allerdings habe Tiflis die in der Kaukasusrepublik stationierten US-Soldaten nicht um Hilfe gebeten, denn erst kürzlich hätten die Vereinigten Staaten der Regierung empfohlen, eine "sehr ausgewogene Politik in der Region zu führen".

Dessen ungeachtet weht im Kaukasus ein neuer Wind. "Nachdem Präsident Saakaschwili am Grab König Davids geschworen hatte, er werde Georgien wiedervereinigen, sind die Menschen davon überzeugt, dass er es schaffen wird", versicherte Beshuaschwili. "Wir werden uns Abchasien und Südossetien mit friedlichen Mitteln, aber hart in der Sache zurück-holen". Die Regierung in Tiflis glaubt, dass dies im Rahmen der gültigen Verträge, also dem Moskauer Waffenstillstandsvertrag von 1993 und der Resolution des UN-Sicherheitsrates über die Beobachter-Mission in Georgien (UNOMIG), möglich sei.

Dennoch schwingen neue Töne mit: "Wenn uns die Verträge stören, werden wir sie aussetzen. Sollten also die Abkommen den Wiedervereinigungsprozess unseres Landes behindern, werden wir sie einseitig für ungültig erklären." Im Unterschied zu Ex-Präsident Schewardnadse will der neue Regierungschef die Lage in der Region Abchasien nicht mittels georgischer Partisanen eskalieren lassen. "Als Erstes haben wir die Partisanen-Einheiten entwaffnet", erklärte dazu Beshuaschwili. Die Partisanen haben früher regelmäßig das Waffenstillstandabkommen gebrochen und Abchasien angegriffen.

Auf die Frage, ob er garantieren könne, dass Tiflis keine militärische Offensive beginnen würde, ohne vorher die UNOMIG zu informieren, antwortete der Georgier diplomatisch: Die UN-Beobachter würden schon mitbekommen, wenn sich die Lage zuspitzen sollte und von sich aus das Land verlassen. "Aber bevor es zum Krieg kommt, werden wir alles versuchen, um die Wiedervereinigung Abchasiens mit Georgien für beide Seite so interessant wie möglich zu gestalten. Wir werden ideologisch, politisch und wirtschaftlich alles tun, um unser Ziel zu erreichen". Eine militärische Lösung wollte Beshuaschwili jedoch ausdrücklich nicht ausschließen.

Dass die UN-Militärbeobachter rechtzeitig die Waffenstillstandszone verlassen könnten, garantieren zurzeit die vor Ort stationierten "GUS-Friedenschaffenden Truppen" aus Russland. Fragt sich nur, wie lange noch, meint Beshuaschwili: "Die GUS-Mission können wir innerhalb von drei Wochen beenden". Während des letzten Treffens zwischen Putin und Saakaschwili Anfang Februar 2004 hätten beide Seiten vereinbart, dass dieses Mandat zwar unbefristet laufe, aber jederzeit gekündigt werden könne. Die Entwick-lung in Abchasien ist für Deutschland vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich die Bundeswehr am UNOMIG-Einsatz mit Beobachtern und Sanitätspersonal seit Juni 1994 beteiligt.

Obwohl die georgische Regierung mit Russland nicht militärisch zusammenarbeitet, weiß Beshuaschwili von gemeinsamen Aktionen zu berichten: "Wir haben mit Moskau vereinbart, das Pankisi Tal zu säubern." Jahrelang war dieses Grenzgebiet zu Tschetschenien ein Dorn in den Augen des großen Nachbarn im Norden, weil es als Rückzugsgebiet für tschetschenische Einheiten gilt. Umgekehrt fordert Tiflis die Schließung von zwei russischen Basen, da die georgische Regierung das Land in das transatlantische Sicherheitssystem eingliedern will. Als einen wichtigen Fürsprecher auf dem Weg zu einem NATO-Beitritt hat die Kaukasusrepublik Washington ausgemacht. Seitdem will Tiflis die Amerikaner für sich einnehmen, indem es beispielsweise militärische Infrastruktur für US-Operationen in Afghanistan oder im Irak bereitstellt.

Mit den USA als starkem Partner in Rücken versuchte Saakaschwili Anfang Juni auch, Südossetien zurückgewinnen. Georgien verlegte Truppen des Innenministeriums zur Grenze nach Südossetien und stationierte sie dort unter dem Vorwand der Bekämpfung des Schmuggels. Die georgische Armee, die mit Hilfe der NATO, vor allem der USA und Deutschlands, ausgebildet ist, konnte durch militärische Erfolge Tatsachen schaffen. Ohne Absprache mit Russland. Wladimir Putin, der sich getäuscht fühlte, forderte Saakaschwili ultimativ auf, seine Truppen zurückziehen.

Verkehrte Welt: Anstelle der NATO, die auf dem Balkan die Minderheiten militärisch schützte, tritt Russland als Land auf, das den Minderheitenschutz proklamiert. Moskau wird aber in Georgien keine internationale Unterstützung bekommen, da die USA selbst den Kaukasus kontrollieren wollen. Weshalb es nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich Tiflis innerhalb kurzer Zeit Südossetien, das de iure zu Georgien gehört, auch de facto angliedert. Statt mit dem Säbel zu rasseln, sollte Tiflis sich darauf konzentrieren, vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber seinen Minderheiten zu schaffen, weil es fraglich ist, ob sich Washington wegen georgischer Kalamitäten auf einen Krieg mit Russland im Kaukasus einlässt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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