Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004
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K. Rüdiger Durth

"Ich trete nicht zurück"

Berlin: Anklage gegen Finanzsenator Sarrazin wegen Untreue
Thilo Sarrazin (59), sozialdemokratischer Finanzsenator des Landes Berlin, denkt nicht an Rücktritt - obwohl die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Verdachts der Untreue erhoben hat. Denn Sarrazin ist von seiner Unschuld überzeugt. Und die rot-rote Koalition hält zu ihm.

Das kann sich freilich ändern, wenn das Landgericht Berlin die Klage zulässt. Spätestens dann wird Sarrazin politisch nicht mehr zu halten sein. Intern wird auch schon nach einem Nachfolger Ausschau gehalten. Gute Chancen werden seinem Staatssekretär Hubert Schulte (53) eingeräumt.

Was ist passiert, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Finanzminister wegen des Verdachts der Untreue vor Gericht soll? Dafür gibt es nur ein Stichwort, nämlich Tempodrom. Und wegen dieses Stichwortes ist im April bereits der Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder (56), zurückgetreten. Sein Amt als Landesvorsitzender der SPD hat er ebenfalls niedergelegt. Inzwischen ist er leitender Angestellter einer großen PR-Agentur. Auch gegen Strieder hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben.

Schuld an allem ist, so die Berliner SPD, die oppositionelle CDU. Diese erstattete im vergangenen Jahr gegen Strieder Anzeige. In diesem Zusammenhang wurden nun die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch auf Sarrazin ausgedehnt. Wegen vermutlich geringer Schuld hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen den Staatssekretär im Wirtschaftsressort, Volkmar Strauch (SPD), eingestellt.

Zurück zum Stichwort Tempodrom, das zugleich eine "Kreuzberger Geschichte" ist: Mit ihrem Erbe erfüllt sich die Krankenschwester Irene Moessinger einen Traum und errichtet 1980 am Potsdamer Platz in einem Zirkuszelt eine alternative Kultureinrichtung. Vier Jahre später muss sie weichen und zieht mit ihrem Zelt in den Tiergarten. Als dort die Planungen für das künftige Regierungsviertel beginnen, muss das Tempodrom erneut den Standort wechseln. Es passt nicht in den Schatten der neuen Regierungsbauten. Doch wohin mit dem Tempodrom, das längst für die Berliner zu einem Begriff geworden ist? Peter Strieder, in den 90er-Jahren Bürgermeister des damals noch selbstständigen Stadtbezirks Kreuzberg, macht sich für eine dauerhafte Lösung stark: Aus dem Zelt soll ein fester Bau werden, der an der S-Bahn-Station Anhalter Bahnhof errichtet werden soll. Kosten: 16 Millionen Euro. Die Trägerschaft geht auf die "Stiftung Neues Tempodrom" über.

Als im Jahr 2000 die Bauarbeiten für das heute weithin sichtbare Betonzelt beginnen, sind die Baukosten bereits explodiert. Die zur Landesbank Berlin (LBB) zählende Investitionsbank (IBB) beteiligt sich mit 3,1 Millionen Euro für Sponsoring an den Kosten. Doch das reicht nicht. 2002 willigt die IBB auf eine Verlängerung ihres Sponsorings ein und genehmigt weitere 1,74 Millionen Euro. Sarrazin und Strieder stimmen als Mitglieder des Aufsichtsrates dieser Transaktion zu.

Finanziell nicht zu halten

Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft war jedoch schon damals klar, dass das Tempodrom finanziell nicht mehr zu halten war (es meldete bei Baukosten von über 30 Millionen Euro im Frühjahr 2004 Insolvenz an). Die zusätzlichen 1,74 Millionen Euro Sponsoring seien also verlorenes Geld gewesen. Und weil man gewusst habe, dass das Abgeordnetenhaus einer solchen Transaktion nicht zugestimmt hätte (es verweigerte 2003 weitere Zuschüsse in Höhe von 0,9 Millionen Euro), habe man es nicht eingeschaltet.

Inzwischen beschäftigt sich auch ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses mit der Frage, warum immer wieder Steuergelder in das defizitäre Tempodrom gesteckt wurden, das übrigens als Veranstaltungsort sehr beliebt ist und auch über eine gute Auslastung berichtet.

Sarrazin und Strieder weisen den Vorwurf der Untreue zurück. Durch ihr Ja zur Verlängerung des Sponsoringvertrages habe man Schaden vom Land Berlin abgewehrt. Schließlich haftete das Land für die diversen Hypotheken und Schulden des Tempodroms. Und ein finanzkräftiger Käufer, der die Schulden mitübernimmt, war und ist nicht in Sicht. Aus der Sicht der beiden Beschuldigten hat man alles getan, um dem hochverschuldeten Berlin weitere finanzielle Belastungen zu ersparen.

Auch im Blick auf das Tempodrom kann sich der alte Ohrwurm "Kreuzberger Nächte sind lang" bewahrheiten. Sarrazin, der wegen seines harten Sparkurses der wohl unbeliebteste Senator, ist für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) unverzichtbar. Denn Sarrazin ist es gelungen, erhebliche Einsparungen im Personalsektor vorzunehmen, Tarifverträge zu ändern, Zuschüsse an private und öffentliche Einrichtungen so zusammenzustreichen, dass es ständig zu Demonstrationen aufgebrachter Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und der Bürger kam. Als der Landeshaushalt 2003/04 für verfassungswidrig erklärt wurde (die Kreditaufnahme überstieg die Investitionssumme), war Sarrazin als einer der wenigen zufrieden. Der Grund: Nun hatte er ein weiteres Druckmittel für Sparmaßnahmen in der Hand.

Ohne Sarrazins Sparkurs aber hat Wowereit mit seiner Klage in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine Teilentschuldung des Landes durch den Bund (es ist die Rede von 25 bis 35 Milliarden Euro ) keine Chance. Aber kann ein unter Verdacht der Untreue stehender Finanzsenator erfolgreich in Karlsruhe vor dem höchsten Gericht auftreten? Das fragt sich die CDU-Opposition im Abgeordnetenhaus und fordert den Rücktritt des Finanzsenators. Die SPD kontert, ein Rücktritt mache der Opposition nur Lust auf weitere Strafanzeigen. Noch beharrt Sarrazin auf seinem "Ich trete nicht zurück."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.