Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004
Zur Druckversion .
Oliver Heilwagen

Auch heute noch heißen Schrebergärten "Dauerkolonie Togo"

Das Black Atlantic Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt thematisiert die Kolonialvergangenheit Deutschlands

Ein schwarzer Tänzer im Harlekinskostüm schreitet über die Treppe des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt. Dann greift er einen Schellenbaum und eskortiert eine Märchenprinzessin, deren Schleppe von schwarzen Pagen getragen wird. Die Szene mutet surreal an, doch historisch verbürgt ist, dass sich Ähnliches vor fast 300 Jahren hier zugetragen haben muss. Denn 1680 hatten preußische Soldaten an der Küste des heutigen Ghana in Westafrika das Fort "Groß Friedrichsburg" errichtet. 1717 verkaufte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. die Festung an die Niederländer für 7.200 Dukaten und zwölf Afrikaner. Diese "Hofmohren" sollten in seiner Regimentskapelle den Schellenbaum tragen; die Straße, in der man sie einquartierte, heißt bis heute Mohrenstraße.

An diese skurrilen Anfänge deutsch-afrikanischer Kontakte knüpft der bekannte schwarze Tänzer und Choreograph Ismael Ivo an. Mit seiner "Black Berlin City Bus Tour" zum Auftakt des Festivals "Black Atlantic" im Haus der Kulturen der Welt (HKW) schickt er die Zuschauer in einem Bus, dessen verdunkelte Fenster an die einst über den Ozean kreuzenden Sklavenschiffe gemahnen, an Orte, die auf Deutschlands Kolonialvergangenheit verweisen. Sie ist weitgehend vergessen, weil alle Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg an die Siegermächte abgetreten wurden. Doch Spuren finden sich in der Hauptstadt einige. Etwa das "Afrikanische Viertel", dessen Straßen nach vom Kaiserreich annektierten Gebieten auf dem Kontinent benannt wurden. Dass manche Namen von Schrebergartensiedlungen bis heute "Kleingartenverein Kamerun" oder "Dauerkolonie Togo" lauten, befremdet oft in Berlin lebende Schwarze.

Oder den "Hererostein" auf dem Garnisonsfriedhof zum Gedenken an die Gefallenen der deutschen Schutztruppe in Südwestafrika. Sie rottete 1904 den Stamm der Herero nahezu aus. Erst der 100. Jahrestag ihres Aufstands hat die Erblast dieses Völkermords hierzulande wieder in Erinnerung gerufen. Der Botschafter des heutigen Namibia protestierte bereits dagegen, dass bei der alljährlichen Kranzniederlegung am Hererostein nur der Besatzer, nicht aber ihrer Opfer gedacht wird.

Die Geschichte ganz Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert wurde durch deutsches Eingreifen nachhaltig geprägt. Im Dezember 1884 lud Reichskanzler Otto von Bismarck nach Berlin zur Kongo-Konferenz ein. Auf ihr vereinbarten 15 europäische Mächte die Aufteilung des Kontinents. Der britische Premier Lord Salisbury urteilte darüber im Rückblick: "Wir zeichneten Linien auf Karten und traten einander Berge, Flüsse und Seen ab, ohne zu wissen, wo diese genau lagen." Diese künstlich gezogenen Grenzen gelten größtenteils bis in die Gegenwart; sie waren und sind Anlass für viele blutige Konflikte.

Berlin war aber auch der Ort, an dem der wichtigste Vordenker der schwarzen Bürgerrechtsbewegung studierte und prägende Anregungen empfing. Um der Rassentrennung in seiner Heimat USA zu entfliehen, schrieb sich William E. B. Du Bois 1894 an der Friedrich-Wilhelm-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, ein und notierte in sein Tagebuch: "Hier bin ich frei von den eisernen Banden, die mich zu Hause umfangen." Später promovierte er als erster Schwarzer in Harvard und veröffentlichte 1903 sein Hauptwerk "The souls of black folk", das von Hegel und deutschen Nationalökonomen beeinflusst ist.

Schon Du Bois hatte festgestellt, was Paul Gilroy in seinem Aufsehen erregenden Buch "The Black Atlantic" von 1989 ausformulierte: Die Kultur der Schwarzen ist nicht an ein Territorium gebunden, sondern entstand durch Einflüsse aus Afrika, Amerika und Europa. Umgekehrt sind heutige Popmusik und Showbusiness, aber auch Tanz, Malerei und Literatur ohne die von Schwarzen ausgehenden Impulse undenkbar. Diese "Kreolisierung" im Sinne einer wechselseitigen Befruchtung gilt als Musterbeispiel dafür, dass aus zuvor räumlich getrennten Kulturen etwas Neues hervorgeht, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Daher widmet sich das HKW-Festival der Frage, ob und wie die ortlose Kultur der Schwarzen eine Vorbildfunktion für die Weltgesellschaft enthält.

Eines ihrer wesentlichen Elemente ist der Schock durch die Konfrontation mit früher Unbekanntem. Dieser Erfahrung verschafft in der HKW-Ausstellung die Filminstallation "True North" von Isaac Julien überzeugend Ausdruck: Schwarze wandeln mutterseelenallein durch die arktische Landschaft von Island. Ihre geradezu metaphysische Einsamkeit versinnbildlicht das Gefühl der Entwurzelung, das schwarze Sklaven bei ihrer Ankunft in Amerika empfanden. Dass die Wahrnehmung fremder Kulturen stets durch Zwänge der eigenen beeinflusst wird, thematisiert eine Arbeit von Tim Sharp. Er hat Sequenzen aus einem Dokumentarfilm über Tuareg so geschnitten, dass deutlich wird: Der Regisseur inszeniert ihr Verhalten, anstatt sie mit der Kamera nur zu beobachten.

Lisl Ponger dokumentiert in "Phantom Fremdes Wien" die Feste zahlreicher Einwanderergruppen: Die österreichische Hauptstadt entpuppt sich als multikultureller Kosmos. Der längst auch hierzulande existiert. Elemente schwarzer Kultur prägen immer stärker den deutschen Alltag. Wie vielfältig und komplex sie sind, zeigt das Festival mit Lesungen, Konzerten und einem Symposium auf. Damit die zunehmende Präsenz Schwarzer nicht nur als Bedrohung durch Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch als Bereicherung erfahren und verstanden wird. Oliver Heilwagen

Bis 15. November dienstags bis sonntags 12 - 20 Uhr. Programm unter www.hkw.de


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.