Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004
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Karl-Otto Sattler

Von bäuerlichen Raubrittern und gekröpften Nordanflügen

Baden-Württemberg: Zoff um Fluglärm, Landkauf und Atommüll - am Hochrhein hängt zwischen Deutschen und Schweizern der Haussegen schief

Sage niemand, Deutsche und Schweizer würden sich nicht verstehen. So sangen vor wenigen Tagen lokale Würdenträger aus den Dörfern Hilzingen und Büsingen im Kreis Konstanz sowie aus den eidgenössischen Gemeinden Thayingen und Dörflingen auf einem Acker das hohe Lied der Freundschaft. Bei einer Feier bestaunte die illustre Gesellschaft sieben neue Granitblöcke, die fortan 16 alte Kalkgrenzsteine ersetzen. 6.000 Quadratmeter Land tauschten die Schweiz und Deutschland aus, um die zuvor unregelmäßig verlaufende Demarkationslinie zu begradigen. Vor allem eidgenössische Landwirte hatten sich geärgert, weil die querfeldein herumstehenden Grenzsteine hinderlich bei der Arbeit waren. Kommunalpolitiker hatten es geschafft, dass die Regierungen und Parlamente in Bern und Berlin den Staatsvertrag von 1839 über den Grenzverlauf änderten.

So harmonisch geht es am Hochrhein indes nicht immer zu. Im Gegenteil. Im Klettgau, aber auch in anderen Gegenden gelten Schweizer Landwirte bei ihren südbadischen Kollegen als "Raubritter". Bei Treckerdemonstrationen, bei Versammlungen und bei Mahnfeuern lassen hiesige Bauern ihrem Zorn gegen die Nachbarn freien Lauf, lancierten sogar bereits die Idee von Grenzblockaden. Einen "Brandherd" hat der gesamtdeutsche Bauernpräsident Gerd Sonnleitner ausgemacht: Besonders Viehzüchter mit Milchkühen sind sauer, weil Eidgenossen mit vielen Franken in der Tasche auf badischem Terrain in großem Stil Grundstücke kaufen und pachten und so die Entwicklungsmöglichkeiten deutscher Hofbesitzer beschneiden. Erhard Graunke, Sprecher der Grenzlandwirte, erinnert drohend daran, dass in dieser Region schon einmal eine Revolte begann, nämlich 1524 der Bauernkrieg.

Aber nicht nur auf der Scholle hängt der binationale Haussegen schief. Jüngst protestierten in Benken bei Schaffhausen deutsche und eidgenössische Bürgerinitiativen gegen ein unterirdisches Endlager für Atommüll, dessen Bau die Schweizer Nuklearwirtschaft in dem Weindorf unweit der Grenze prüft. Auf badischer Seite hegt man nicht nur bei Kernkraftgegnern, sondern auch in Bürgermeister- und Landratsämtern erhebliche Sicherheitsbedenken im Blick auf dieses Projekt, einer der profilierten Kritiker ist der Waldshuter CDU-Landrat Bernhard Wütz. Und für gewaltigen Zündstoff selbst in Bern, Berlin und Brüssel sorgt der seit Jahren tobende Streit um den Lärm, den die Bewohner des deutschen Hochrheins wegen der Landeanflüge auf den Airport Zürich über ihrem Gebiet ertragen müssen. Landrat Wütz kompromisslos: "Einen derartigen Lärmexport akzeptieren wir nicht."

Zusammentreffen vieler Probleme

2004 ist kein gutes Jahr für die deutsch-schweizerischen Beziehungen, jedenfalls nicht vor Ort - zumal auch noch im Frühsommer der Bundesgrenzschutz kurzzeitig mit verschärften Kontrollen lange Warteschlangen an den Übergängen und erheblichen Ärger provozierte. Gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung" zeigte sich Ministerpräsident Erwin Teufel, der den fluglärmgeplagten Bewohnern Hohentengens und anderer Orte Rückhalt gibt und dessen Agrarminister Willi Stächele die badischen Grenzlandbauern unterstützt, "unglücklich darüber, dass jetzt ein paar Probleme zufällig zusammengekommen sind und die Beziehungen da und dort erschweren". Aber deshalb müsse man "nicht gleich den Staatsnotstand ausrufen", versucht der Stuttgarter Regent die Gemüter zu beruhigen: "Es ist doch natürlich, dass auch gute Nachbarn mitunter Probleme zu lösen haben." Diese Diplomatie kann nicht verdecken, dass eine Lösung der Konflikte nicht in Sicht ist: Die Situation ist verfahrener denn je.

Im Sommer ist ein Versuch misslungen, bei einer Schlichtung einen Kompromiss beim Zoff um den Fluglärm zu finden. Der Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger hatte die Airportbetreiber, die Stadt Zürich, südbadische Landkreise und Bürgerinitiativen am runden Tisch versammelt. Doch schon beim ersten Treffen platzte diese Mediation: wegen diverser Züricher Anwohnervereinigungen, die sich dagegen wehren, den Lärm vom Hochrhein auf den Süden und Osten der Stadt zu "verlagern". Bereits zuvor war ein zwischen den Regierungen in Berlin und Bern ausgehandelter Staatsvertrag über eine Fluglärmreduzierung am Widerstand Zürichs und des Ständerats, der Kammer der Kantone, gescheitert. Dieses Abkommen sah vor, die Landeanflüge von Norden auf jährlich 100.000 zu beschränken und zudem ein striktes Nachtflugverbot zu dekretieren. Der Vereinbarung waren unzählige Demonstrationen, Petitionen, Krisensitzungen und Verhandlungen vorausgegangen.

Mittlerweile hat Deutschland von sich aus Nachtflugverbote verhängt und will überdies nach und nach die Zahl der Landeanflüge über südbadischem Territorium reduzieren. Die Retourkutsche aus Bern auf dieses einseitige Vorgehen Berlins ließ nicht lange auf sich warten: Die Schweiz hat vor dem EU-Gerichtshof in Luxemburg Klage eingereicht, weil der Airport Zürich durch diese Restriktionen "diskriminiert" werde. Überdies erwägen die Eidgenossen einen so genannten "gekröpften" Nordanflug: Die Maschinen würden dann nicht mehr über badisches Gebiet, aber direkt an der Grenze entlangdonnern - die Hohentengener litten immer noch unter dem Lärm. Auf den ersten Blick ist es eindeutig: Der Flughafen Zürich und damit die Schweizer Wirtschaft exportieren den Lärm auf fremdes Territorium, und das geht nicht. Doch so simpel ist die Gemengelage nicht: Das Komitee "Weltoffenes Zürich", das sich für den Airport stark macht, weist darauf hin, dass die Eidgenossenschaft als europäisches Transitland erhebliche Verkehrslasten auf sich nimmt - wovon auch die Bundesrepublik profitiert.

Der Fluglärm am Hochrhein: ein Streit ohne Ende. Gleiches gilt für den "Bauernkrieg". "Deutsche Grenzlandwirte in Wut, weil der Staat nix tut": So steht es auf badischen Transparenten. Schon 3.500 Hektar Nutzfläche in der Grenzregion sind in eidgenössischer Hand, in manchen Orten gehören bereits über 50 Prozent der Äcker den Nachbarn, deutsche Bauern sehen ihre Existenz gefährdet. Stuttgart schaltete mittlerweile über den Bundesrat die Bundesregierung wegen des Schweizer Landkaufs ein. Es fanden zwischen Berlin und Bern auch Verhandlungen statt, freilich bislang ohne Ergebnis. Seit 2002 erlaubt ein Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und Bern Schweizer Bauern den unbeschränkten Kauf von Grundstücken nördlich des Hochrheins. Den dort angebauten Weizen können die Eidgenossen zollfrei ins eigene Land einführen, wo sie hochsubventioniert beste Preise erzielen. Die deutschen Landwirte indes müssen Zölle berappen beim Export nach Süden. Die Finanzkraft der eidgenössischen Bauern, die ihren badischen Kollegen Äcker wegschnappen, kommt nicht von ungefähr. Aber auch in diesem Fall hat die Wahrheit zwei Gesichter. Deutsche Landwirte empören sich zwar über reiche Schweizer "Raubritter". Doch von steigenden Kaufpreisen und Pachtzinsen profitieren badische Landsleute: jene, die verkaufen oder verpachten. Aber darüber redet man nicht so gerne.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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