Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 - 18 / 24.04.2006
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Matthias Armborst

Blogs: Netz-Tagebücher gehören inzwischen zum guten Ton

Mein Massenmedium und ich

"Und was ist daran so revolutionär?" Dies dürfte sich so mancher Internet-Nutzer fragen, wenn er beim Surfen zum ersten Mal auf ein Weblog stößt. In den so genannten Online-Tagebüchern finden sich private Einträge eines x-beliebigen Internet-Nutzers, ein paar Bildchen und Web-Adressen - auf den ersten Blick reißt das niemanden vom Hocker.

Doch das Phänomen erscheint in einem anderen Licht, wenn man weiß, dass es weltweit bereits mehr als 29 Millionen solcher Tagebücher gibt. Und dass 20 neue hinzugekommen sind, seit Sie begonnen haben, diesen Artikel zu lesen. Dass 30 Millionen Amerikaner Weblogs lesen und jedes zweite französische Schulkind Netz-Tagebuch führt. Und dass so manchem Politiker, Firmen-Chef und Journalisten in den USA schon heute die Knie schlottern, wenn er an "Watchblogger" denkt - eine neue Art von Kritikern, die in Tagebüchern Fehler anprangern und nicht locker lassen, wenn sie einmal Witterung aufgenommen haben. Manche Medien-Experten glauben sogar, dass sich bestimmte Weblog-Autoren gerade zur Fünften Gewalt im Staat entwickeln.

Doch was genau hat es mit dem Weblog-Phänomen auf sich? Weblog ist ein Kunstbegriff, der aus "Web" und "Logbook" zusammengesetzt ist. Die gängige Abkürzung lautet Blog, sein Autor ist ein Blogger. In Deutschland haben die populärsten unter den etwa 200.000 Bloggern bis zu 20.000 Besucher pro Tag. In den USA sind es zehnmal so viele. Der Erfolg dieser relativ neuen Art von Internetseiten wird verständlich, wenn man die rasante Entwicklung der Online-Kommunikation betrachtet: Früher musste man komplizierte Programmiersprachen beherrschen, wenn man etwas ins Netz stellen wollte. Heute gibt es Blog-Software, die so einfach zu handhaben ist, dass praktisch jeder Internet-Nutzer sein eigenes, kostenloses Netz-Tagebuch betreiben kann.

Publizieren war noch nie so einfach

Vorkenntnisse in Sachen Internet sind kaum noch erforderlich: Wer eine Word-Datei erstellen oder eine E-Mail verschicken kann, der kann auch bloggen. Meldet man sich bei einem der Blog-Dienstleister wie Twoday.net oder TypePad.de an, so ist das Internet-Tagebuch binnen weniger Minuten betriebsbereit. Augenblicke später hat man den ersten eigenen Beitrag vom heimischen PC aus online gestellt. Auch per Handy lassen sich Texte, Fotos oder Mini-Videos an das eigene Blog übermitteln. Nie zuvor war das Publizieren so einfach. Und für fast alle Blogs gilt: Jeder, der will, kann Kommentare hinterlassen, aus denen sich nicht selten tagelange Diskussionen entwickeln. Daher ist das Bloggen ein soziales Phänomen. Da sich Blogger mit Vorliebe gegenseitig zitieren, kann es geschehen, dass sich Neuigkeiten rasend schnell verbreiten - die Dynamik, die sich in dieser Netzwerk-Kommunikation entwickeln kann, ist kaum zu überschätzen. Die Millionen Blogs und Blogger bilden einen schillernden Kosmos: Der eine meckert über Gott und die Welt, rezensiert Kino-Filme oder berichtet, was die Kantine zu bieten hatte. Im nächsten Blog liefert jemand scharfsinnige politische Kommentare, veröffentlicht Gedichte, beschreibt die letzte Liebesnacht oder schildert das eigene Sterben. Manche Blogs fallen durch aggressive Polemik auf und erreichen damit Kultstatus, andere wimmeln nur so von Gerüchten und Verschwörungstheorien. Kein Blog ist wie das andere.

Doch wer glaubt, es handele sich um nichts weiter als Kuriositätenkabinette, in denen sich mediale Exhibitionisten vor aller Welt entblößen, der wird dem Phänomen bei weitem nicht gerecht. Eine wachsende Zahl von Blogs enthält so viel Sachverstand, dass sie es mit Fachzeitschriften aufnehmen können. Schon vor Jahren haben amerikanische Wahlkämpfer, Vorstandsvorsitzende, Wissenschaftler und Chefredakteure das Blog als ideales Medium für die Imagepflege entdeckt. Auf der anderen Seite haben die unerbittlichen Kampagnen der so genannten Watchblogger einige prominente Politiker und Journalisten um die Karriere gebracht. Auch sahen sich US-Firmen nach Blogger-Kritik dazu gezwungen, mangelhafte Produkte vom Markt zu nehmen.

Zum Symbol für die Macht der nicht-professionellen Blogger wurde "Rathergate", eine Affäre um die amerikanische Moderatoren-Ikone Dan Rather: In der heißen Phase des jüngsten US-Präsidentschaftswahlkampfs hatte Rather in seiner Sendung zugespielte Dokumente präsentiert, die George W. Bushs Militärzeit in einem schlechten Licht erscheinen ließen. Doch schon kurz nach der Ausstrahlung konnten Blogger beweisen, dass die Dokumente gefälscht sein mussten. Weil Blogger eng vernetzt sind, wurde aus dem Buschfeuer ein Flächenbrand. Schließlich griffen Leitmedien wie die Washington Post die Geschichte auf - Rather musste seinen Hut nehmen.

Diese Affäre, so jubelten Enthusiasten, hätte die Welt der Massenmedien für immer verändert: Blogs seien der erste Schritt zu einem echten Journalismus von unten. Von nun an würden Netz-Bürger ihre kollektive Intelligenz einsetzen, um Politik und etablierte Medien zur Rechenschaft zu ziehen. Doch auch warnende Stimmen wurden laut: Blogger hätten sich als eine kopflose Meute entpuppt, die durch nichts und niemand zu stoppen sei, wenn sie erst einmal Blut geleckt habe. Ob schuldig oder nicht: Wer von diesem Lynch-Mob gejagt werde, könne nur noch das Feld räumen.

Derart spektakuläre Fälle hat die deutsche Szene noch nicht hervorgebracht. Doch auch hierzulande haben Politik- und Medienkritiker die Internet-Tagebücher zu ihren Sprachrohren gemacht. Ein Beispiel ist das Watchblog "Stoppt Merkel!", deren Betreiber die Amtszeit mit Kritik und Polemik begleiten. Auch für Bundestagsabgeordnete und -kandidaten zählt ein Blog inzwischen beinahe zum guten Ton: Rund 80 solcher Tagebücher und viele weitere Blogs, die von den Parteien betrieben wurden, zählte die Internet-Plattform politik-digital zur Wahl im September. Natürlich waren viele dieser Blogs vor allem Wahlkampfinstrumente und wurden mit dem Wahltag wieder eingestellt. Doch bieten Blogs auch Raum für inhaltliche Debatten, die viele in den Wahlkampfinszenierungen der Mediendemokratie vermissen. Auch für die Kontaktpflege zwischen den Volksvertretern und ihren heimischen Wahlkreisen ist das Blog-Format geradezu ideal, wie etwa ein Blick in die Niederlande zeigt: Hier haben Politiker längst erkannt, dass es von Vorteil sein kann, die Wähler an ihrem Alltag teilhaben zu lassen.

Politische Wirkung

Hierzulande würden Polit-Blogs jedoch nur von einer relativ kleinen Gruppe zumeist hoch gebildeter und politisch stark interessierter Internet-Nutzer besucht, die eher zum linken Parteienspektrum tendierten, heißt es in einer Analyse des Bamberger Centrums für Europäische Studien. In der Szene der Blogger und Blogbesucher gebe es allerdings eine große Zahl von Meinungsführern - eine Wirkung von politischen Weblogs auf die öffentliche Meinung sei deshalb keineswegs ausgeschlossen.

Die meiste Aufmerksamkeit wurde bisher jedoch einer Reihe von Medien-Bloggern zuteil, die sich über vermeintlich schlampige Recherchen, Sensationsgier und eine als einseitig empfundene Berichterstattung auslassen. Das wohl bekannteste Beispiel ist das "Bildblog", das allerdings nicht von Amateuren, sondern von Profi-Journalisten betrieben wird. Sie sehen sich in der Tradition Günter Wallraffs und verfolgen das Ziel, Bild-Storys mit der Sorgfalt nachzurecherchieren, die sie in dem Blatt vermissen. Letztlich gehe es darum, "die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme" an einem öffentlich zugänglichen Ort zu sammeln. Das Bildblog wurde mehrfach ausgezeichnet und registriert mehr als 20.000 Zugriffe pro Tag. Bisher fiel es Journalisten stets leicht, die Kritik ihrer Leser oder Zuschauer zu ignorieren. Doch plötzlich haben die Kritiker ihre eigenen Medien - das berühmte "Gatekeeper-Monopol" der Presse bröckelt.

Außerdem erscheint ein schärferer Wettkampf um Aufmerksamkeit wahrscheinlich: Bei unerwarteten Ereignissen sind professionelle Reporter schon heute die abgehetzten Hasen und Laien-Publizisten die Igel. Während die Korrespondenten noch versuchten, in die vom Tsunami zerstörten Gebiete am Indischen Ozean vorzudringen, saßen die örtlichen Blogger längst an ihren Laptops und lieferten persönliche und detaillierte Schilderungen, die selbst von renommierten Zeitungen zitiert wurden.

Interessenvertreter der journalistischen Profession sehen die Ambitionen der Laien naturgemäß kritisch: Viele Blogger seien "selbstverliebte Egozentriker", denen es schlicht an dem nötigen Handwerkszeug fehle, kritisiert Thomas Leif von der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche". Die meisten Blogger lehnen es jedoch ab, mit den Maßstäben des professionelen Journalismus gemessen zu werden. Vielmehr nehmen sie für sich in Anspruch, eine ganz neue Form von Publizistik zu betreiben: Unabhängig, meinungsfreudig und subjektiv nach dem Motto: Jedem sein eigenes Massenmedium.

Der Autor ist freier Journalist in Dortmund.

 

www. bildblog.de

www- pr-blogger.de

www.lawblog.de


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