10.4.2.2 Transnationale
parlamentarische Foren und Auslandskontakte
Im Rahmen von
Global Governance müssen Parlamentarierinnen und
Parlamentarier in ihrer Arbeit die Bedürfnisse der eigenen
Wahlbevölkerung verstärkt mit denen anderer nationaler
Politikkulturen, Gepflogenheiten und Handlungsweisen abstimmen, um
zur weltweiten Akzeptanz von Regeln auf den verschiedenen Ebenen
des Regierens beitragen zu können. Für die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages ist es daher wichtig, über
Auslandskontakte wertvolle Erfahrungen sammeln zu können. Die
Enquete-Kommission begrüßt in diesem Zusammenhang das vom
Präsidenten des Deutschen Bundestages seit der 13. Wahlperiode
unterstützte Programm zum Kurzbesuch von erfolgreichen
Wirtschafts- und
Selbsthilfeorganisationen (wie SEWA, Grameen usw.) ärmster
Menschen im informellen Bereich in Entwicklungsländern
(„Exposure und Dialogprogramm – Sich dem Leben
aussetzen und miteinander reden“). Sie empfiehlt aus eigener
Erfahrung den Mitgliedern des Parlaments, die Möglichkeit der
Teilnahme an diesem Programm in Verbindung mit einer Ausschuss-
oder Delegationsreise wahrzunehmen. Die Enquete-Kommission
würde begrüßen, wenn alle Abgeordneten vor einer
Reise Informationen zu diesem Programm von seiten der Verwaltung
erhalten könnten. In der Realität bleiben bislang viele
dieser Erfahrungen, Kontakte und Kooperationen singulär und
sind zu wenig vernetzt. Angesichts dieser Defizite könnte etwa
die interne Einrichtung einer Datenbank mit Ansprechpartnern im
Ausland und die verbesserte Koordination von Reisen sicherstellen,
dass Initiativen zum internationalen Kontakt- und Dialogausbau
sinnvoll rückgebunden werden (s. Empfehlung 10-16).
Parlamente
müssen aber auch in eigenständiger Regie durch den Auf-
und Ausbau interparlamentarischer Netzwerke internationale
Willensbildungsprozesse besser begleiten. Hier kann die
Interparlamentarische Union (IPU) als Plattform genutzt und
weiterentwickelt werden.69 Ihre Arbeit muss künftig besser
öffentlich vermittelt und bekannt gemacht werden. Allerdings
muss sich auch die IPU einem Reformprozess unterziehen, weil die
jetzige Zusammensetzung und Organisationsform wenig Akzeptanz
verspricht und ihren Entscheidungen lediglich Symbolcharakter
zukommt.
Auch
grenzüberschreitende Netzwerke interessierter Parlamentarier
bieten wertvolle Chancen transnationaler Koordination, sei es im
Rahmen eines
e-Parliaments (s.
Kasten 10-9) oder von themenspezifischen
Zusammenschlüssen.70
So hat etwa das Weltparlamentariernetzwerk im Frühjahr 2002 in
Porto Alegre den Beschluss gefasst, noch im gleichen Jahr eine
elektronische Vernetzung zu realisieren. Auch binationale Kontakte
durch Parlamentariergruppen und Gesprächskreise müssen
intensiviert bzw. zu multinationalen Kontaktbörsen ausgebaut
werden. Den Austausch unter Parlamentarierinnen und Parlamentariern
verschiedener Länder, Treffen zwischen den Sprecherinnen und
Sprechern der Arbeitsgruppen der einzelnen Fraktionen der
europäischen Parlamente sowie bi- oder multinationale Treffen
zwischen ganzen Ausschüssen gibt es im Ansatz bereits. Sie
müssen ausgebaut, auf ihre Effektivität
überprüft und verstetigt werden. Ebenso können
Kontakte zum Europäischen Parlament, vor allem auch zu dessen
Fachausschüssen, genutzt werden (s. Empfehlung 10-16).
Über diese
Vernetzung könnte auch die internationale Verständigung
und gemeinsame Reflexion über die Rolle von Parlamenten im
Rahmen von
Global Governance befördert werden: Im Dialog könnten
Parlamentarier verschiedener Länder etwa Anregungen
austauschen, welche Optionen ihnen zur effektiven Gestaltung und
kohärenten Vermittlung von Globalisierungsprozessen zur
Verfügung stehen. Gleichzeitig kann das Parlament auch
Hilfestellung beim Abbau von Demokratiedefiziten in solchen
Ländern bieten, in denen Parlamente nur rein formal
existieren.
69 In der Selbstdarstellung der 1889 gegründeten
und in Genf ansässigen Organisation heißt es: „The
Union is the focal point for worldwide parliamentary dialogue and
works for peace and co-operation among peoples and for the firm
establishment of representative democracy“ (vgl.
http://www.ipu.org 10. Mai 2002).
70 Vgl. z. B. das umweltspezifische Netzwerk GLOBE
(Global Legislators Organisation for a Balanced Environment,
http://www.globeinternational. org 10. Mai 2002).
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