*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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2             Finanzmärkte1

   2.1          Globale Finanzmärkte zwischen Effizienz und Krise

Funktionierende Finanzmärkte leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Sie unterstützen auf der einen Seite die Finanzierung von privaten und öffentlichen Investitionen und auf der anderen Seite die langfristige private Vermögensbildung von Individuen, Haushalten und Unternehmen. Überdies spielen sie eine wesentliche Rolle bei der Entwicklungsfinanzierung. Damit Finanzmärkte diese wichtigen Funktionen erfüllen können, bedürfen sie – wie andere Märkte auch – einer institutionell gesicherten Regulierung. Dies gilt auch für die Finanzmärkte auf globaler Ebene. Sie bieten eine Reihe von Vorzügen gegenüber national geschlossenen Märkten. Nach verbreiteter Meinung fließen die Kapitalströme, gelenkt durch internationale Unterschiede, zur Verwendung mit größtmöglicher Rendite. Danach führt Kapitalknappheit wegen hoher Zinsen und folglich eben­ so hoher Renditeerwartungen zu Kapitalimport. Die globalisierten Finanzmärkte können zu größerem Wohlstand im Importland und zu einer stärker differenzierten Risikostruktur der Portfolios von Vermögensbesitzern im Kapitalexportland beitragen und mit dieser Wirkung gegenüber nationalen Finanzmärkten von Vorteil sein.

Allerdings können diese Chancen nur unter speziellen Bedingungen voll wirksam werden. Zum Beispiel müssen die so genannten Transaktionskosten, vor allem die Kosten der Beschaffung von Informationen (Herausfinden des günstigsten Kreditangebots, Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern etc.) berücksichtigt werden. Besonders wichtig ist der Hinweis, dass die Wettbewerbsfähigkeit einer regionalen oder nationalen Ökonomie, die eine Bedingung für ordentlichen Schuldendienst von Kreditnehmern ist, nicht schon durch Kapitalimport im Zuge einer Politik der Liberalisierung des Kapitalverkehrs („Capital Account Liberalization“) verbessert wird. Für die Wettbewerbsfähigkeit von „Stand­orten“ sind die infrastrukturelle Ausstattung, die Qualität des Humankapitals, die administrative Kompetenz, die rechtlichen Rahmenbedingungen etc. ausschlaggebend – und sie begrenzen zugleich die „Aufnahmefähigkeit“ eines Landes für ausländisches Kapital. Denn Investoren erwarten die Bedienung ihrer Anlagen. Diese ist abhängig von der Fähigkeit zur Erwirtschaftung von Devisen. Dies ist aber nur möglich (von Kapitalimporten oder Leistungen internationaler Institutionen abgesehen), wenn ein Land mehr Waren und Dienstleistungen exportieren als importieren kann. Die Funktionsweise der Finanzmärkte und ihre Wirkung auf den Wohlstand von Nationen hängen also von real-ökonomischen und von sozialen Bedingungen ab.

Auch die Transparenz des jeweiligen nationalen Finanzsystems, die Befolgung internationaler Standards und eine effiziente Aufsicht über Banken und Wertpapiermärkte sind von Bedeutung, um Fehleinschätzungen und die leichtfertige Nicht-Beachtung von Risiken („Moral Hazard-Probleme“) sowie unvorsichtiges Verhalten („Non-Prudential-Verhalten“) zu vermeiden. Diese Bedingungen wachsen nicht selbstverständlich mit der finanziellen Öffnung eines Landes; dies haben die Krisen in Mexiko, in Asien, Russland, Brasilien, in der Türkei und jüngst auch in Argentinien gelehrt. In keinem Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg hat es so viele Finanzkrisen wie in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts gegeben, von deren negativen Folgen auch solche Entwicklungsländer betroffen waren, die in den Jahren davor als Musterländer („Schwellenländer“, „dynamische asiatische Wirtschaften“, „Tigerökonomien“) galten. Die Finanzkrisen haben „das Risiko (deutlich werden lassen), dass Länder, die im Prinzip eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben, ohne eigenes Zutun in den Sog von Währungskrisen geraten“ (IfW 2000: 25). Insofern befürworten ebenso wie das ansonsten eindeutig für Freihandel und freien Kapitalverkehr eintretende IfW – „die meisten Ökonomen eine vorbeugende Regelung des Kapitalzuflusses“ (Diehl, Nunnenkamp 2001: 17). Auch der IWF erklärt, dass Länder mit gering entwickelten Finanzsystemen kurzfristige Kapitalzuflüsse beschränken sollten (Boorman u. a. 2000: 60). „Bei der Einbindung in den internationalen Kapitalverkehr bietet sich also ein schrittweises Vorgehen an“ (Diehl, Nunnenkamp 2001: II). Es ist erst dann sinnvoll, den „Kapitalverkehr (...) umfassend zu liberalisieren, wenn das inländische Finanzsystem hinreichend stark reformiert worden ist. Eine (zu) schnelle Öffnung für ausländischen Wettbewerb könnte andernfalls zu Konkursen inländischer Banken führen und Anreize erhöhen, risikoreiche Kredite zu vergeben“ (IfW 2000: 20). Negative Effekte können sich auch dann ergeben, wenn ein Land bei liberalisiertem Kapitalverkehr die Attraktivität des Finanzplatzes durch vergleichsweise niedrige Steuersätze zu steigern versucht. Dann kann es geschehen, dass die Mittel für langfristig wirksame öffentliche Investitionen geschmälert werden. Doch selbst ein gut ausgebautes und reguliertes Finanzsys­ tem ist vor Finanzkrisen nicht gefeit, wie der Crash 1987 in New York, die Spekulation 1992/93 gegen das britische Pfund, die Entwicklung nach Ende des „New Economy-Booms“, der Konkurs des Enron-Konzerns und die lange währende japanische Bankenkrise zeigen. Die letztgenannten Ereignisse haben den IWF in seinem im März 2002 erschienenen ersten „Global Stability Report“ dazu veranlasst, von „großen Risiken“ zu sprechen, denen das Weltfinanzsystem ausgesetzt ist (IWF 2002).

Die Zunahme des Umfangs und der Geschwindigkeit der Geschäftstätigkeit von Finanzunternehmen ist bisher überwiegend durch wachsenden Angebotsdruck flüssiger Mittel verursacht worden. Private Kapitalströme dominieren    heute die internationalen Finanztransfers und sie sind hoch konzentriert. Etwa 75 Prozent des Kapitals fließt in nur zwölf Länder. 140 Länder erhalten demgegenüber ganze fünf Prozent der globalen privaten Kapitalflüsse, nach Afrika südlich der Sahara gelangt ein Prozent (Mathieson, Schinasi 2000: 54f.). Damit hat sich die Polarisierung zwischen den Ländern auch im „Süden“ vergrößert. Insbesondere mit der wachsenden Rolle der institutionellen Investoren haben Renditeinteressen an Einfluss gewonnen. Die Finanzmärkte müssen also im Kontext der ökonomischen Struktur, der sozialen Kohäsion und der politisch-administrativen Kompetenz von Ländern mit Kapitalimport einerseits, der strukturellen Veränderungen bei den Kreditgebern bzw. Anlegern der Gläubigerländer andererseits sowie im Kontext von Regeln der globalen Finanzmärkte („Finanzarchitektur“) betrachtet werden.

Trotz der Effizienzgewinne durch Liberalisierung der Märkte ist nicht auszuschließen, dass die Instabilitäten und Krisentendenzen auf globalen Finanzmärkten polarisierend wirken und dazu beitragen, die globale „Gerechtigkeitslücke“ (etwa abzulesen an der Verteilung zwischen armen und reichen Nationen) weiter aufzureißen, anstatt sie zu verkleinern.

Nach Angaben des United Nations Development Program (UNDP 1999a: 2) verfügt das reichste Fünftel der Weltbevölkerung über nahezu 90 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), während das ärmste Fünftel lediglich über ein Prozent des BIP verfügt.2

Dies gilt im Übrigen auch innerhalb einzelner Länder. Die Verteilung hat sich verschlechtert, wie auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2001a, 2001b) aufzeigt.

Es gibt erheblichen Reformbedarf, damit die potenziell wichtige und nützliche Funktion der Finanzsysteme und Finanzmärkte – als infrastrukturelles öffentliches Gut („Public Good“) für nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und zur Minderung der Ungleichheiten – zum Tragen kommen kann. Der ordnungspolitische Rahmen muss weiterentwickelt werden und es gilt, ein fein abgestimmtes Instrumentarium für die unter bestimmten Umständen – darauf kommen wir noch zurück – notwendigen Interventionen in volatilen Märkten zu entwickeln.

Ein zusätzlicher Grund für die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens globaler Finanzmärkte ist am 11. September 2001 deutlich geworden: Deregulierte und liberalisierte Märkte können von organisiertem Verbrechen und von terroristischen Netzwerken leicht miss-braucht werden. Um dies zu verhindern, müssen nicht nur die internen Kontrollmaßnahmen der Finanzinstitute ständig den Finanzinnovationen angepasst und verbessert werden. Auch die internationalen Institutionen sind he­ rausgefordert, die Möglichkeiten des Missbrauchs der Finanzmärkte einzudämmen. Das Mandat der Financial Action Task Force (FATF) der OECD ist entsprechend erweitert worden.



1 Vgl. hierzu die Minderheitenvoten der CDU/CSU-, der FDP- und der PDS-Fraktion in Kapitel 11.

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2 Die obenstehende Abbildung zeigteinen ähnlichen Zusammenhang. Daraus ist erkennbar, dass die G7 (etwas mehr als 10 Prozent der Weltbevölkerung) über fast 65 Prozent des BIP verfügen, währen die G77 (etwas mehr als 75 Prozent der Weltbevölkerung) nur gut 15 Prozent des BIP kontrollieren.

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Abbildung 2-2