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Finanzmärkte1
2.1 Globale
Finanzmärkte zwischen Effizienz und Krise
Funktionierende
Finanzmärkte leisten einen wichtigen Beitrag zur
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Sie unterstützen
auf der einen Seite die Finanzierung von privaten und
öffentlichen Investitionen und auf der anderen Seite die
langfristige private Vermögensbildung von Individuen,
Haushalten und Unternehmen. Überdies spielen sie eine
wesentliche Rolle bei der Entwicklungsfinanzierung. Damit
Finanzmärkte diese wichtigen Funktionen erfüllen
können, bedürfen sie – wie andere Märkte auch
– einer institutionell gesicherten Regulierung. Dies gilt
auch für die Finanzmärkte auf globaler Ebene. Sie bieten
eine Reihe von Vorzügen gegenüber national geschlossenen
Märkten. Nach verbreiteter Meinung fließen die
Kapitalströme, gelenkt durch internationale Unterschiede, zur
Verwendung mit größtmöglicher Rendite. Danach
führt Kapitalknappheit wegen hoher Zinsen und folglich
eben so hoher Renditeerwartungen zu Kapitalimport. Die
globalisierten Finanzmärkte können zu größerem
Wohlstand im Importland und zu einer stärker differenzierten
Risikostruktur der Portfolios von Vermögensbesitzern im
Kapitalexportland beitragen und mit dieser Wirkung gegenüber
nationalen Finanzmärkten von Vorteil sein.
Allerdings
können diese Chancen nur unter speziellen Bedingungen voll
wirksam werden. Zum Beispiel müssen die so genannten
Transaktionskosten, vor allem die Kosten der Beschaffung von
Informationen (Herausfinden des günstigsten Kreditangebots,
Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern
etc.) berücksichtigt werden. Besonders wichtig ist der
Hinweis, dass die Wettbewerbsfähigkeit einer regionalen oder
nationalen Ökonomie, die eine Bedingung für ordentlichen
Schuldendienst von Kreditnehmern ist, nicht schon durch
Kapitalimport im Zuge einer Politik der Liberalisierung des
Kapitalverkehrs („Capital Account
Liberalization“) verbessert wird. Für die
Wettbewerbsfähigkeit von „Standorten“
sind die infrastrukturelle Ausstattung, die Qualität des
Humankapitals, die administrative Kompetenz, die rechtlichen
Rahmenbedingungen etc. ausschlaggebend – und sie begrenzen
zugleich die „Aufnahmefähigkeit“ eines Landes
für ausländisches Kapital. Denn Investoren erwarten die
Bedienung ihrer Anlagen. Diese ist abhängig von der
Fähigkeit zur Erwirtschaftung von Devisen. Dies ist aber nur
möglich (von Kapitalimporten oder Leistungen internationaler
Institutionen abgesehen), wenn ein Land mehr Waren und
Dienstleistungen exportieren als importieren kann. Die
Funktionsweise der Finanzmärkte und ihre Wirkung auf den
Wohlstand von Nationen hängen also von real-ökonomischen
und von sozialen Bedingungen ab.
Auch die
Transparenz des jeweiligen nationalen Finanzsystems, die Befolgung
internationaler Standards und eine effiziente Aufsicht über
Banken und Wertpapiermärkte sind von Bedeutung, um
Fehleinschätzungen und die leichtfertige Nicht-Beachtung von
Risiken („Moral Hazard-Probleme“) sowie
unvorsichtiges Verhalten
(„Non-Prudential-Verhalten“) zu vermeiden. Diese
Bedingungen wachsen nicht selbstverständlich mit der
finanziellen Öffnung eines Landes; dies haben die Krisen in
Mexiko, in Asien, Russland, Brasilien, in der Türkei und
jüngst auch in Argentinien gelehrt. In keinem Jahrzehnt nach
dem zweiten Weltkrieg hat es so viele Finanzkrisen wie in den 90er
Jahren des vorigen Jahrhunderts gegeben, von deren negativen Folgen
auch solche Entwicklungsländer betroffen waren, die in den
Jahren davor als Musterländer
(„Schwellenländer“, „dynamische asiatische
Wirtschaften“, „Tigerökonomien“) galten. Die
Finanzkrisen haben „das Risiko (deutlich werden lassen), dass
Länder, die im Prinzip eine vernünftige
Wirtschaftspolitik betreiben, ohne eigenes Zutun in den Sog von
Währungskrisen geraten“ (IfW 2000: 25). Insofern
befürworten ebenso wie das ansonsten eindeutig für
Freihandel und freien Kapitalverkehr eintretende IfW –
„die meisten Ökonomen eine vorbeugende Regelung des
Kapitalzuflusses“ (Diehl, Nunnenkamp 2001: 17). Auch der IWF
erklärt, dass Länder mit gering entwickelten
Finanzsystemen kurzfristige Kapitalzuflüsse beschränken
sollten (Boorman u. a. 2000: 60). „Bei der Einbindung in den
internationalen Kapitalverkehr bietet sich also ein schrittweises
Vorgehen an“ (Diehl, Nunnenkamp 2001: II). Es ist erst dann
sinnvoll, den „Kapitalverkehr (...) umfassend zu
liberalisieren, wenn das inländische Finanzsystem hinreichend
stark reformiert worden ist. Eine (zu) schnelle Öffnung
für ausländischen Wettbewerb könnte andernfalls zu
Konkursen inländischer Banken führen und Anreize
erhöhen, risikoreiche Kredite zu vergeben“ (IfW 2000:
20). Negative Effekte können sich auch dann ergeben, wenn ein
Land bei liberalisiertem Kapitalverkehr die Attraktivität des
Finanzplatzes durch vergleichsweise niedrige Steuersätze zu
steigern versucht. Dann kann es geschehen, dass die Mittel für
langfristig wirksame öffentliche Investitionen
geschmälert werden. Doch selbst ein gut ausgebautes und
reguliertes Finanzsys tem ist vor Finanzkrisen nicht gefeit,
wie der Crash 1987 in New York, die Spekulation 1992/93 gegen das
britische Pfund, die Entwicklung nach Ende des „New
Economy-Booms“, der Konkurs des Enron-Konzerns und die lange
währende japanische Bankenkrise zeigen. Die letztgenannten
Ereignisse haben den IWF in seinem im März 2002 erschienenen
ersten „Global Stability Report“ dazu veranlasst, von
„großen Risiken“ zu sprechen, denen das
Weltfinanzsystem ausgesetzt ist (IWF 2002).
Die Zunahme des
Umfangs und der Geschwindigkeit der Geschäftstätigkeit
von Finanzunternehmen ist bisher überwiegend durch wachsenden
Angebotsdruck flüssiger Mittel verursacht worden. Private
Kapitalströme dominieren heute die internationalen Finanztransfers und sie
sind hoch konzentriert. Etwa 75 Prozent des Kapitals fließt in
nur zwölf Länder. 140 Länder erhalten
demgegenüber ganze fünf Prozent der globalen privaten
Kapitalflüsse, nach Afrika südlich der Sahara gelangt ein
Prozent (Mathieson, Schinasi 2000: 54f.). Damit hat sich die
Polarisierung zwischen den Ländern auch im
„Süden“ vergrößert. Insbesondere mit der
wachsenden Rolle der institutionellen Investoren haben
Renditeinteressen an Einfluss gewonnen. Die Finanzmärkte
müssen also im Kontext der ökonomischen Struktur, der
sozialen Kohäsion und der politisch-administrativen Kompetenz
von Ländern mit Kapitalimport einerseits, der strukturellen
Veränderungen bei den Kreditgebern bzw. Anlegern der
Gläubigerländer andererseits sowie im Kontext von Regeln
der globalen Finanzmärkte („Finanzarchitektur“)
betrachtet werden.
Trotz der Effizienzgewinne durch
Liberalisierung der Märkte ist nicht auszuschließen, dass
die Instabilitäten und Krisentendenzen auf globalen
Finanzmärkten polarisierend wirken und dazu beitragen, die
globale „Gerechtigkeitslücke“ (etwa abzulesen an
der Verteilung zwischen armen und reichen Nationen) weiter
aufzureißen, anstatt sie zu verkleinern.
Nach Angaben des United Nations Development
Program (UNDP 1999a: 2) verfügt das reichste Fünftel der
Weltbevölkerung über nahezu 90 Prozent des globalen
Bruttoinlandsprodukts (BIP), während das ärmste
Fünftel lediglich über ein Prozent des BIP
verfügt.2
Dies gilt im Übrigen auch innerhalb
einzelner Länder. Die Verteilung hat sich verschlechtert, wie
auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2001a,
2001b) aufzeigt.
Es gibt
erheblichen Reformbedarf, damit die potenziell wichtige und
nützliche Funktion der Finanzsysteme und Finanzmärkte
– als infrastrukturelles öffentliches Gut
(„Public Good“) für nachhaltige
wirtschaftliche Entwicklung und zur Minderung der Ungleichheiten
– zum Tragen kommen kann. Der ordnungspolitische Rahmen muss
weiterentwickelt werden und es gilt, ein fein abgestimmtes
Instrumentarium für die unter bestimmten Umständen
– darauf kommen wir noch zurück – notwendigen
Interventionen in volatilen Märkten zu entwickeln.
Ein
zusätzlicher Grund für die Weiterentwicklung des
ordnungspolitischen Rahmens globaler Finanzmärkte ist am 11.
September 2001 deutlich geworden: Deregulierte und liberalisierte
Märkte können von organisiertem Verbrechen und von
terroristischen Netzwerken leicht miss-braucht werden. Um dies zu
verhindern, müssen nicht nur die internen
Kontrollmaßnahmen der Finanzinstitute ständig den
Finanzinnovationen angepasst und verbessert werden. Auch die
internationalen Institutionen sind he rausgefordert, die
Möglichkeiten des Missbrauchs der Finanzmärkte
einzudämmen. Das Mandat der Financial Action Task Force (FATF)
der OECD ist entsprechend erweitert worden.
1 Vgl. hierzu die Minderheitenvoten der CDU/CSU-, der
FDP- und der PDS-Fraktion in Kapitel
11.
2 Die obenstehende Abbildung zeigteinen ähnlichen
Zusammenhang. Daraus ist erkennbar, dass die G7 (etwas mehr als 10
Prozent der Weltbevölkerung) über fast 65 Prozent des BIP
verfügen, währen die G77 (etwas mehr als 75 Prozent der
Weltbevölkerung) nur gut 15 Prozent des BIP
kontrollieren.
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