4.9.1.4 Feminisierung der Informalität
Mit dem weltweiten Anstieg der weiblichen Erwerbsbevölkerung
ist auch der Anteil der Frauen im informellen Arbeitsbereich größer geworden.
Überall in der Welt sind es vor allem Frauen, die zusätzlich zu der unbezahlten
Arbeit, die sie in der ländlichen Subsistenzwirtschaft, im Haushalt und im Bereich
freiwilliger und ehrenamtlicher Tätigkeiten verrichten, auch noch einer bezahlten
Arbeit in der informellen Ökonomie nachgehen (Altvater und Mahnkopf 2001).
Die Gründe hierfür sind vielfältig. So gibt es u.a. infolge
der Migration von Männern, der Zunahme von Ehescheidungen und der Auflösung
von nichtehelichen Partnerschaften immer mehr weibliche Haushaltsvorstände,
die für sich und ihre Kinder (häufig auch für alte und arme Eltern) den Lebensunterhalt
sichern müssen. Außerdem sind Frauen nach wie vor häufig sexistisch diskriminierenden
Einstellungspraktiken ausgesetzt, so dass sie auch aus die sen Gründen noch
schlechtere Chancen als Männer ha ben, Zugang zu den schrumpfenden Erwerbsmöglichkeiten
in der formellen Ökonomie zu finden. Hinzu kommt, dass sie eine formelle Anstellung
mit ihrer oft ungeteilten Verantwortung für Kinder und pflegebedürftige Angehörige
nicht vereinbaren können, insbesondere weil es an kostenlosen
bzw. für sie bezahlbaren staatlich und/oder privat organisierten Einrichtungen
für eine angemessene Kinderbetreuung mangelt (Lenz 2002, Altvater und Mahnkopf
2001).
Die Auswirkungen der Globalisierung und die Bedeutung des informellen Sektors
für Frauen sind widersprüchlich und bergen
sowohl Chancen als auch Risiken. Einige Aspekte werden
im Folgenden anhand der in Kapitel
4.9.1.1erläuterten Status-Kategorien skizziert
(Lenz 2002).
Besitzerinnen/Betreiberinnen von Unternehmen in Entwicklungsländern
Frauen
sind in einkommensstarken Tätigkeitsbereichen, v.a. als Arbeitgeberinnen und
Selbstbeschäftigte, unterrepräsentiert und im einkommensschwachen Sektor, d.h.
Gelegenheits-, Teilzeit-, Saisonarbeit und insbesondere im Subcontracting überrepräsentiert.
Hinderlich ist ferner der beschränkte Zugang zu öffentlichen Gütern, Eigentum,
Märkten, Leistungen und geregelten Rahmenbedingungen, der für Beschäftigte im
informellen Sektor – und besonders für Frauen – gilt. Geschlechterspezifische
Barrieren beinhalten z. B. Restriktionen beim Vertragsabschluss, bei Land- und
Eigentumsrechten, bei Haushalts- und Kinderbetreuungsverpflichtungen. Zum Teil
sind Frauen direkt oder indirekt von der Registrierung eines Gewerbes, von der
Kreditaufnahme und von Steuererleichterungen ausgeschlossen (Weltbank 2001a:
139, Lenz 2002, Altvater und Mahnkopf 2001).
Auch
müssen viele Kleinbetriebe aufgrund des Konkurrenzdrucks von importierten Produkten
schließen, die infolge von Subventionen oder aufgrund von Währungsdisparitäten
billiger sind. Darüber hinaus werden vormalige Besitzer kleiner Farmen durch
multinationale Unternehmen in Subcontracting-Arrangements gedrängt, die teils
die wirtschaftliche Situation der lokalen Produzenten verschlechtern und ihre
Abhängigkeit erhöhen. Auch wenn multinationale Unternehmen stabile Absatzchancen
bieten können, die die wirtschaftliche Situation kleiner Unternehmen verbessern,
haben lokale Kleinunternehmerinnen aufgrund des drastischen Einflussgefälles
gegenüber global tätigen Unternehmen bzw. Käufern tendenziell einen geringeren
Verhandlungsspielraum (Lenz 2002).
Andererseits erhalten Besitzerinnen von informellen Unternehmen
neue Geschäftschancen insbesondere durch die Liberalisierung
des internationalen Handels. So können beispielsweise
durch den globalen Export von Garnelen, die in kleinen
Farmen gezüchtet werden, indische Kleinunternehmerinnen
Erwerbschancen realisieren. Ohne effektive Organisationen
und Interessenverbände können diese Chancen
jedoch kaum genutzt werden, denn informell Selbstbeschäftigte
und ganz besonders Frauen haben schlechten Zugang zu
Krediten, Ausbildung, Technologien und Marktinformationen
(Carr und Chen 2001: 8).
Selbstbeschäftigte mit unbezahlt mitarbeitenden Familienangehörigen
Auch
Selbstbeschäftigte im informellen Sektor sind von teilweise subventionierter
Importkonkurrenz bedroht. Millionen von Frauen in Afrika und Asien, die z. B.
aus Pflanzensamen Öl pressten und Überschüsse auf dem lokalen Markt verkauften,
haben aufgrund von Speiseölimporten aus den USA (im Falle von Indien) oder aus
Taiwan (in weiten Teilen Afrikas) ihren Haupterwerb verloren. Ähnliches gilt
für Korbflechterinnen in Afrika, deren Produkte durch billigere Imitate aus
Südostasien verdrängt wurden (Carr und Chen 2001: 8). Diese Frauen mussten in
noch weniger ertragreiche, weniger stabile und geschützte Beschäftigungen ausweichen.
Umgekehrt ist in Ländern mit Strukturanpassungsprogrammen vielen Frauen empfohlen
worden, ihre traditionell für die eigene Subsistenz produzierten Waren nun marktgängig
zu verkaufen. Das hat sie plötzlich mit einer starken Konkurrenz auf den Weltmärkten
konfrontiert. Ihr hauptsächlicher komparativer Vorteil liegt in ihren geringen
Arbeitskosten. Dieser Eintritt „von unten“ in den Arbeits- und Warenmarkt war
eine Konsequenz der Globalisierung (Lenz 2002).
Abhängig Beschäftigte
Die
abhängig Beschäftigten in informellen Unternehmungen, in Gelegenheitsjobs, Heimarbeit,
Hausarbeit (Domestic work), in Saison- oder Teilzeitarbeit, unregistrierter
Arbeit etc. bilden tendenziell die unterste Kategorie informell Beschäftigter
mit der umfangreichsten Präsenz von Frauen. Unternehmen in bestimmten Branchen
können sich vor allem durch Auslagerung arbeitsintensiver Schritte sozialer
Regulierung entziehen. Die Informalisierung schafft also einen dringenden Handlungsbedarf
für die Entwicklung eines neuen sozialen Schutzes, der die spezifische Erwerbstätigkeit
und Lebensplanung gerade auch von Frauen berücksichtigt (Lenz 2002: 55-57).
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