5.2.2.3 Neue
Regulierungsstrategien in der Informationsgesellschaft
Die Rechtsdurchsetzung in globalen
Informations- und Kommunikationsnetzwerken sieht sich, wie
aufgezeigt wurde, mit vielfältigen Problemen konfrontiert.
Diese reichen von der Unsicherheit der anzuwendenden Rechtsordnung
über die kaum mögliche Identifizierung eines
Rechtssubjektes bis hin zu den komplizierten und langwierigen
Vollstreckungen von gerichtlichen oder behördlichen
Entscheidungen oder der unzureichenden
länderübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich der
Ermittlungsverfahren. Viele Visionäre zeichnen daher ein Bild
von einem Netz der Netze, das gänzlich ohne den Staat
auskommt. Sie plädieren für eine reine Selbstorganisation
und Selbststeuerung des Internets und fordern die vollständige
Freiheit von staatlicher Regulierung. Die vorhergehende
Bestandsaufnahme hat aber gezeigt, dass das Internet keineswegs ein
rechtsfreier oder ein eigenständiger Raum ist, in dem nur die
Gesetze der Cyberwelt gelten. Wegen der Einbuße
nationalstaatlicher Steuerungsmöglichkeiten ist es jedoch
notwendig, das Handlungsinstrumentarium an die neuen
Herausforderungen anzupassen oder zu ergänzen.
Gegenwärtig lassen sich vier Regulierungstrends ausmachen, die
die geänderten Regulierungsstrategien des Staates im
Internetzeitalter verdeutlichen.
5.2.2.3.1 Anpassung nationaler
hoheitlicher Steuerungssysteme
In einigen Bereichen wird der Weg der
klassischen ordnungsrechtlichen Regulierung eingeschlagen.
Bestehende Gesetze werden um neue Regelungen ergänzt und an
die neuen technischen Sachverhalte angepasst oder Rechtsnormen
werden so ausgelegt, dass sie auf die Probleme im Internet
Anwendung finden können. Wie etwa der § 5 des
Teledienstegesetzes zeigt, sind Teledienste im Rahmen der Gesetze
zulassungs- und anmeldefrei. Daraus wird geschlossen, dass alle
rechtlichen Bindungen, denen ein Unternehmen bei herkömmlicher
Tätigkeit unterliegt, auch für den elektronischen
Geschäftsverkehr gelten. Allerdings zeigt sich alsbald auch,
dass den klassischen Steuerungsinstrumenten Grenzen gesetzt
sind.
5.2.2.3.2 Verantwortungsverlagerung auf
supranationale Organisationen
Aufgrund des faktischen Verlustes
nationalstaatlicher Handlungsmöglichkeiten ist eine
Verlagerung der Initiative auf supranationale Organisationen zu
erkennen. Dies erfolgt innerhalb Europas vornehmlich durch die
Europäische Union. Erforderlich ist jedoch auch ein globales
Vorgehen. Hier ist das Handeln der klassischen globalen
Organisationen wie der UNO, der OECD und der G-8-Staaten gefordert.
Die Bemühungen scheitern dabei oftmals an den sehr
unterschiedlichen Rechtstraditionen und Wertvorstellungen der
Nationalstaaten, wie sich nicht zuletzt bei dem Versuch der
Herstellung eines einheitlichen Datenschutzstandards außerhalb
der Europäischen Union und den USA offenbart hat. Zudem
ergeben sich auf der Ebene völkerrechtlicher
Übereinkommen Probleme hinsichtlich der Verbindlichkeit von
Regelungen und regelmäßig auch Vollzugsdefizite. Da eine
globale Einigung auch in Zukunft nur schwer zu erzielen sein wird,
sollte zumindest eine weitere Harmonisierung einzelner
‚Rechtsblöcke’ angestrebt werden, wobei dann
wiederum die unterschiedlichen Rechts- und Werttraditionen zwischen
diesen Blöcken ausgeglichen werden müssen. Erforderlich
sind hier „Scharnier- oder Interface-Lösungen“,
die die Bewältigung von Konflikten vereinfachen.
5.2.2.3.3 Selbstregulierung und
regulierte Selbstregulierung
Neben einer Kontrolle durch hoheitlich
legitimierte Organisationen findet auch eine Übertragung von
Verantwortung an bzw. eine faktische Übernahme von
Verantwortung durch private Organisationen, insbesondere durch die
Industrie, statt.
Bei der Verwaltung des Internets wird neben
der Selbstregulierung zunehmend der Weg des Zusammenwirkens von
Staat und Industrie (regulierte Selbstregulierung) eingeschlagen.
Das Recht ist hierbei eines der wichtigsten staatlichen
Steuerungsinstrumente, dem in der Informationsgesellschaft
zunehmend die Funktion zu kommt, den Rahmen und die grundlegenden
Strukturen (Rahmen- und Strukturverantwortung) vorzugeben,
während die Ausfüllung dieses Rahmens, der die
Grundbedingungen und Ziele vorgibt, den jeweils regulierten
Akteuren selbst überlassen und somit Selbstverwaltung und
-kontrolle gefördert wird. Exemplarisch für diesen
Anspruch sind der Jugendschutz und der Datenschutz anzuführen.
Durch den ordnungspolitischen Rahmen und entsprechende Kontroll-
und Eingriffsmöglichkeiten kann der Staat Fehlentwicklungen der
Selbstregulierung verhindern und Gemeinwohlziele implementieren.
Akzeptiert man das Primat der Rahmensetzung, dann folgt hieraus,
dass die in manchen Rechtsgebieten herrschende
„Hypertrophie“ des Rechts beseitigt und das Recht
vereinfacht werden muss. Ferner muss das Recht die schnelle
technologische Entwicklung adaptieren können. Hierzu ist es
sinnvoll, weite Teile des Rechts regelmäßigen
Evaluierungen zu unterwerfen oder/und Gesetze mit
„Verfallsdaten“zu versehen, wie sie beispielsweise mit
der Evaluierung des Informations- und
Kommunikationsdienste-Gesetzes erfolgte und wie sie auch für
die neuen Sicherheitsgesetze nach den Terroranschlägen
vorgesehenen ist. Hierzu gehört auch, dass behördliche
Strukturen und Zuständigkeiten – etwa im Rahmen von
e-Government – transparenter gemacht werden müssen.
5.2.2.3.4 Selbstschutz der Nutzer und
Nutzerinnen durch Technik
Aufgrund der globalen Vernetzung werden
Steuerungsmöglichkeiten von der nationalstaatlichen auf die
internationale Ebene verlagert – was zu weiteren, nicht
zuletzt technisch bedingten, „Ohnmachtserfahrungen“
führt. Das Recht sowie ergänzende Regulierungsstrategien
müssen diesen Steuerungsverlusten Rechnung tragen.
Das bedeutet beispielsweise anzuerkennen,
dass der Wirkungsgrad der traditionellen Steuerungsinstrumente des
Staates im Cyberspace erheblich reduziert ist, sofern sie lediglich
von den bestehenden auf neue technische Verhältnisse
übertragen werden sollen. Die technischen Parameter der
IuK-Systeme bestimmen maßgeblich, in welchem Umfang bestimmte
Steuerungsziele und auch Verfassungsrechte verwirklicht werden
können. Zur Veranschaulichung: Im Internet können E-Mails
ohne Probleme mitgelesen werden, weil die Architektur des Internets
nicht darauf ausgelegt wurde, das IT-Sicherheitsziel
„Vertraulichkeit“ zu realisieren. Mit einer anderen
technischen Gestaltung der Protokolle könnte dies verhindert
werden. Ein weiteres Beispiel: Die Blockade bestimmter Inhalte
bleibt oftmals erfolglos, weil „Zensur“ vom Internet
als Fehler betrachtet wird und blockierte Verbindungen einfach
umroutet werden oder die blockierten Inhalte auf zahllose andere
Server „gespiegelt“ werden. In vielen Bereichen kann
das erforderliche Schutzniveau deshalb nur durch einen Selbstschutz
der Nutzer und Nutzerinnen durch Technik erreicht werden
(Roßnagel 1997: 26ff.). Dieser kann flankierend zu einer
hoheitlichen Regulierung treten oder aber im Rahmen der
Selbstregulierung durch Technik greifen. Wesentliche Teilbereiche
des Internets wären einer nationalstaatlichen Überwachung
nämlich nur um den Preis einer für freie Gesellschaften
nicht akzeptablen Vorzensur und Inhaltskontrolle zugänglich.
Der Preis der Freiheit ist eine verstärkte Eigenverantwortung
der Nutzer und Nutzerinnen, die selbst Vorkehrungen z. B. gegen
jugendgefährdende Inhalte ausländischer Server oder die
Verbreitung von Computerviren zu treffen haben. Besondere Bedeutung
kommt auch der Förderung der Entwicklung neuer technischer
Schutzvorrichtungen und der Förderung der Medienkompetenz zu.
Diese Maßnahmen verlangen ein intelligentes und subtiles
staatliches Handeln, welches stark auf die Kooperation und die
Akzeptanz des Bürgers ausgerichtet ist.
Deshalb kommt der Technik hier eine wichtige
Funktion zu, weil durch sie die Umsetzung von Recht im Internet oft
erst ermöglicht wird. Hier liegt ein Schwerpunkt für
innovative Regulierungsstrategien. Gerade in Bereichen wie dem
Datenschutz, dem Strafrecht, dem Jugendschutz und dem Urheberrecht
(hier z. B. durch die Einführung des Digital Rights
Management) können technische Ins trumente rechtliche
Werte und Ziele fördern. Durch „vorlaufende“
Technikgestaltung, die darauf achtet, dass rechtlich oder
gesellschaftspolitisch erwünschte Ziele in IuK-Systeme
implementiert werden, kann somit ein „Mehr“ an
Verfassungs- und Rechtsverträglichkeit des Cyberspace erreicht
werden.
5.2.2.3.5 Schlussfolgerung
Die Betrachtung der vorhandenen
Regulierungsansätze zeigt, dass teilweise staatliche Vorgaben
und private Selbstregulierung eher nebeneinander als miteinander
erfolgen. Sinnvoll erscheint es deshalb, das Konzept der
Rahmengebung und Selbstregulierung zu ergänzen um den von
EU-Kommissar für Unternehmen und Informationsgesellschaft,
Erkki Liikanen, vorgestellten Ansatz der Ko-Regulierung, bei dem
Regelungen für bestimmte Problembereiche (z. B. E-Confidence,
Streitschlichtungsverfahren, etc.) in Zusammenarbeit zwischen
öffentlichem Sektor, Industrie und Verbraucherorganisationen
erstellt werden. Hierzu könnten Industrie und
Verbraucherorganisationen in politisch vorgegebenen Bereichen
Richtlinien und Empfehlungen entwerfen, die anschließend vom
Gesetzgeber im Rahmen von Rechtsetzungsvorhaben aufgegriffen und
rechtsverbindlich umgesetzt werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf
allen betrachteten Ebenen unterschiedliche
Regulierungsgeschwindigkeiten und -strategien festzustellen sind.
Will sich der Nationalstaat ein Höchstmaß an Einfluss in
diesen sehr unterschiedlichen Systemen sichern, ist zu
überlegen, inwieweit über die Einrichtung einer
institutionell-organisatorischen Plattform nachgedacht werden muss,
die als „Brücke“ zu den verschiedenen
internationalen Regulierungsinitiativen fungieren könnte. Eine
solche Plattform könnte zugleich als Forum und
„Think-Tank“ dienen, um Regulierungsstrategien zu
entwerfen.
|