5.3.2
Patentierung und Privatisierung von Wissen und ihre Auswirkungen
auf die Forschung, gesellschaftliches Wissen und gesellschaftliche
Teilhabe
5.3.2.1 Wirkung der
Patentierungsregelungen auf die Forschung
Von den Befürwortern der Patentierung
wird immer wieder ins Feld geführt, dass ohne Patentierung
kein Anreiz für Firmen gegeben sei, in entsprechende Forschung
zu investieren. Das ist sicherlich angesichts hoher
Forschungsaufwande richtig. Allerdings müssen die
verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen und gegen
Missbrauch, unangemessene Beschränkung von Handel und
Technologietransfer, Zurückdrängung von Forschung und
Wissen als öffentliche Güter abgesichert werden. Derzeit
besteht die Gefahr, dass Forschung und Bildung mit der Ausweitung
des Patentrechts mehr als bisher dem direkten Verwertungsinteresse
und der Rendite unterworfen werden. Insbesondere hat das Zentrum
für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) darauf
verwiesen, dass schnell anwendbare Lösungen vorangetrieben
wurden und FuE zunehmend auf kurzfristiges Verwertungspotenzial
orientiert wird (ZEW 2001). Dies hat bedeutende Folgen für die
gesamtgesellschaftliche Entwicklung beispielsweise im Bereich des
Gesundheitsschutzes, da Forschung zur Behandlung von Krankheiten
mit hohe Forschungsaufwendungen und nicht zu kalkulierender oder
geringer Rendite unterbleiben. Generell werden Bildung und
Forschung als öffentliche Güter zugunsten der
verwertbaren Aneignung von Forschung und Bildung
zurückgedrängt. Dies gilt nicht nur für die
Forschung in der Industrie, sondern auch für die
Hochschulforschung. Mit der Abschaffung des
„Hochschullehrerprivilegs“ in Kombination mit der
zunehmenden rechtlichen Eigenständigkeit der Hochschulen und
ihrer Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen und engeren
Kooperation mit der Industrie wird auch Hochschulforschung
stärker diesen Erfordernissen unterworfen.
Forschungsergebnisse, die keine hohe
Renditeerwartung mit sich bringen, werden zudem unterdrückt,
denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden geheim gehalten
oder erst dann veröffentlicht, wenn sie patentiert sind. Dies
kann auch zu einer Reduzierung der Publikationstätigkeit
führen. Insbesondere, wenn Patente in ihrer Reichweite nicht
begrenzt sind, wird weiterreichende Forschung blockiert. Dies
trifft beispielsweise zu, wenn mit der Patentierung von Genen alle
denkbaren Anwendungen mitpatentiert sind und so Firmen die eigene
Forschung und Entwicklung unterlassen, weil sie die Ergebnisse nur
in Abhängigkeit und unter Lizenzzahlung an den Patentinhaber
nutzen können. Während durch den Konkurrenzdruck auf den
Exportmärkten FuE forciert werden, wird der Wettbewerb
behindert, weil die Patentierung und Lizenzvergabepolitik
systematisch genutzt werden, sich gegenüber der Konkurrenz
abzuschotten. Das Patentrecht wird dann zum reinen
Unternehmensschutz, in dem die transnationalen Konzerne in der
Konkurrenz auf dem Weltmarkt ihre Vormacht absichern und ausbauen.
„Das Verhältnis zwischen der notwendigen erfinderischen
Leistung und dem Ausmaß des zu beanspruchenden
Vermarktungsmonopols kann als inflationär bezeichnet werden.
(...) Aus einem geistigen, immateriellen Schutzrecht wird ein
Instrument, mit dem die Anteilsinhaber genetische Ressourcen
kontrollieren und den Zugang verwehren. Das betrifft sowohl Gene,
als auch Organismen, die im Labor isoliert, synthetisiert und
verändert werden, als auch natürlicherweise vorkommende
Lebewesen, die unter anderem mit den Mitteln der Molekulargenetik
lediglich neu beschrieben werden.“ (Knirsch 2001: 84). Die
zuvor bereits skizzierte Grenzziehung zwischen Entdeckung und
Erfindung wird aufgehoben, so dass laut europäischer
Richtlinie natürlich vorkommende Gene mit ihrer Isolation als
Erfindung angesehen und damit patentfähig werden.
Entwicklungsländer haben in dem Streit
um die Patentierung das Nachsehen, weil 97 Prozent der Patente
Unternehmen aus den Industrieländern gehören und etwa
90Prozent der Patente, die in den Entwicklungs- und
Schwellenländern angemeldet werden, Firmen mit Sitz in
Industrieländern gehören (Greenpeace 1999: 71). Damit
sind sie nicht nur von den Ergebnissen ausgeschlossen, sondern
haben auch keinen nennenswerten Einfluss auf FuE und müssen
mit Nachteilen für die eigene technologische Entwicklung
kämpfen, da Technologieentwicklung teuer wird oder gegen
Patentrechte verstößt. Neben den bereits
aufgeführten Problembereichen stellt Liebig unterschiedliche
Effekte und wahrscheinliche Konsequenzen, je nach Ausgangssituation
der Entwicklungsländer und der Art des Technologietransfers,
dar (Liebig 2000: 15f.):
Einfluss auf Investitionen in FuE:
Bislang existieren kaum überzeugende empirische Belege
für einen positiven Einfluss schärferer geistiger Eigentumsrechte
in Entwicklungsländern auf Investitionen in FuE. Aus
theoretischer Sicht ist zu erwarten, dass ökonomisch schwache
Länder keinen nennenswerten Einfluss auf die weltweiten
Forschungsausgaben und -prioritäten haben. Größere
und wirtschaftlich fortgeschrittene Entwicklungsländer
könnten hingegen die Forschung in bestimmten Branchen
beeinflussen. In den Entwicklungsländern, die bereits
über ein Mindestniveau an eigenen FuE-Ausgaben verfügen,
dürfte darüber hinaus die heimische Innovationskraft
gestärkt werden.
Einfluss auf Importe: Es ist weder aus
theoretischer noch empirischer Sicht hinreichend belegt, dass
geistige Eigentumsrechte den Import von technologiehaltigen
Gütern in Entwicklungsländern fördern.30 Diese Unsicherheit führt dazu,
dass für die Bewertung eines Schutzsystems geistiger
Eigentumsrechte in der Welthandelsordnung ein klarer
Effizienzmaßstab fehlt. Die wissenschaftliche Basis für
die Integration des Themas in die WTO ist ungleich schwächer
als die theoretische Grundlage für den Abbau von
Handelsschranken, wie er durch das GATT angestrebt wird.
Einfluss auf ausländische
Direktinvestitionen: Transnationale Konzerne (TNC) besitzen
einen Großteil des weltweit verfügbaren technischen
Wissens. Über ausländische Direktinvestitionen wird ein
Teil davon in Entwicklungsländer transferiert. Aus
theoretischer Sicht gewinnen ausländische Direktinvestitionen
gegenüber Exporten für einen TNC an Attraktivität,
wenn das geis tige Eigentum besser geschützt wird. Davon
gehen tendenziell positive Wirkungen auf den Wissenserwerb in
Entwicklungsländern aus. Allerdings kommt das aufgrund der
besseren komplementären Rahmenbedingungen in erster Linie
fortgeschrittenen Entwicklungsländern zugute.
Einfluss auf Lizenzproduktion: TNC
können ihr technisches Wissen auch direkt vermarkten, indem
sie ausländischen Unternehmern eine Lizenz zur Nutzung des
Wissens verkaufen. Stärkere geistige Eigentumsrechte
erleichtern diesen Wissenstransfer, weil der TNC weniger darauf
angewiesen ist, sein Wissen durch unternehmensinterne Produktion zu
schützen. Im Prinzip stellt dieser Kanal vor allem für
fortgeschrittene Entwicklungsländer eine günstige
Gelegenheit dar, technologische Aufholprozesse zu beschleunigen.
Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass über
Lizenzverträge eher ältere Technologien vermarktet
werden.
Einfluss auf
Learning-by-Doing: Lernprozesse in Imitationsbranchen bilden
ein wichtiges Element zum Aufbau technologischer Kompetenz in
Entwicklungsländern. Gerade in den am wenigsten entwickelten
Ländern (LDCs) stellen sie häufig die beste
Möglichkeit dar, um technologisch aufzuholen. Dies gilt
besonders für Unternehmen, die bestehendes Wissen kostenlos
zur Erstellung eigener Produkte entschlüsseln und
weiterverwenden (reverse engineering). Imitation wird durch
eine Stärkung geis tiger Eigentumsrechte erschwert.
Insofern wird der Wissens erwerb negativ beeinflusst.
Allerdings gilt das in erster Linie für LDCs, in denen die
Imitationsbranchen häufig durch Importe verdrängt werden.
In fortgeschrittenen Entwicklungsländern dürften
zahlreiche Imitationsbetriebe durch ausländische
Direktinvestitionen oder Lizenzproduktion ersetzt werden,31 was sich per Saldo positiv auf
die inländischen Lernprozesse auswirken kann. Daneben
kritisieren die Entwicklungs- und Schwellenländer insbesondere
die zu kurzen Übergangsfristen und die Nicht-Einhaltung der
Verpflichtungen der Industrieländer zum
Technologietransfer.
Die
Privatisierung von Wissen wird neben der Patentierungsoffensive
durch Reformulierung des Urheberrechts und die Absicherung von
Verwertungsansprüchen durch technische Verfahren, wie auch die
Fachinformationspolitik ergänzt.
30 Maskus, Penubarty (1995), Smith (1999) und Fink,
Primo Braga (1999) finden trotz der theoretischen Ambivalenz
empirische Hinweise dafür, dass schärferer
Eigentumsschutz insbesondere in größeren
Entwicklungsländern zu steigenden Importen führt.
Allerdings verflüchtigt sich dieser Zusammenhang, wenn die
empirische Schätzung auf den Handel mit
Hochtechnologieprodukten beschränkt wird, in denen das meiste
Wissen inkorporiert ist. Vgl. auch Fink (2000: 80).
31 Vgl. hierzu UNCTAD (1996: 16) und Primo Braga (1990:
77f.)
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