5.4.1.2 Internationalisierung von
Hochschulen
Des Weiteren sind Hochschulen in diesem
Zusammenhang von besonderem Interesse, weil sie selbst mehr als
andere Teile des Bildungssystems einem Globalisierungsdruck und
verschärftem Wettbewerb ausgesetzt sind. Bei einer Gesamtschau
der wahrgenommenen Wettbewerbssituation im Bereich der
Hochschulbildung gelten weltweit in erster Linie und mit
großem Abstand die Vereinigten Staaten von Amerika als das
„Mekka der Bildungswilligen“. Für Süd
ostasien beginnt Australien mehr und mehr eine ähnliche Rolle
als regionales Zentrum einzunehmen. Aus
kontinentaleuropäischer Sicht sind es vor allem wiederum die
Vereinigten Staaten und Großbritannien, denen die
höchs te Attraktivität beigemessen wird. Eine
gewisse Wettbewerbsstärke ist noch in den skandinavischen
Ländern und in den Niederlanden festzustellen.
Diese Aussagen sind durch aktuelle
Wanderungsbewegungen von Jugendlichen aus den hochschulpolitisch
weniger wettbewerbsfähigen Regionen gestützt. Das
lässt sich eindrucksvoll, neben vielen anderen Statistiken,
mit der Tatsache illustrieren, dass 50 Prozent der Studierenden,
die einen Doktorgrad anstreben (PhD Students), in den USA heute
nicht Bürger und Bürgerinnen dieses Landes sind. Die
Attraktion wird vor allem von Natur-, Ingenieur- und medizinischen
Wissenschaften ausgeübt. Sie wird, gerade am Bildungsstandort
Deutschland, reflektiert durch immer stärkere Anfragen von
Jugendlichen und ihren Eltern aus der oberen Mittelschicht und dem
Bildungsbürgertum nach den Bedingungen eines Studiums vor
allem in den USA, aber auch in Großbritannien. Die generelle
Veränderung, die sich hier niederschlägt, ist in
dreifacher Hinsicht zu sehen. Erstens wird angenommen, dass die
Chancen in zunehmend globalisierten Arbeitsmärkten für
die gehobenen und interessanteren Positionen noch mehr als zuvor
von der Qualität der Ausbildung abhingen, dass zweitens eine
solche Qualität am Hochschulstandort Deutschland nicht geboten
werden könne, sondern hier ein Ausweichen in die besseren und
höher reputierlichen Top 20 bis 30 US-amerikanischen
Universitäten erforderlich sei. Darüber hinaus wird als
wohl weitgehendste Veränderung die Bereitschaft zunehmen, ein
volles Studium und nicht nur ein Auslandssemester zu finanzieren,
d. h. beim Thema Bildung in Inves titionskategorien zu
denken, die pro Studium gut und gerne über 100000 bis 200000
Euro gehen.
Allerdings ist die Zahl der Jugendlichen, die
diesen Weg einschlagen, und ihrer Familien, die in der Lage und
bereit sind, diese Finanzierungsmittel aufzubringen, immer noch,
gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden am Hochschulstandort
Deutschland, recht klein. Sie nimmt jedoch zu und dürfte bei
einem weiteren Ausei nanderklaffen der
Wettbewerbsfähigkeitsschere weiter deutlich zunehmen. Bei der
augenblicklichen Situation muss diese Entwicklung als Indikator
dafür angesehen werden, dass gerade die bildungspolitisch
sensiblen und gut informierten Bevölkerungskreise den
Hochschulstandort Deutschland als weniger attraktiv
einschätzen als die besten 20 bis 30 US-amerikanischen
Universitäten. Insofern kann diese Entwicklung als
Frühwarnindikator für breitere Tendenzen gelten, die,
besonders wenn sie durch mangelnde finanzielle Möglichkeiten
eingeschränkt werden, sich in politischer Unzufriedenheit mit
dem deutschen Bildungssystem niederschlagen können.
Darüber hinaus kann sich je nach Ausgang der
GATS-Verhand lungen in Bezug auf die Liberalisierung von
Bildung diese Entwicklung schnell dynamisieren (siehe Ka
pitel3.3.3.4.1).
Die Verschiebung spiegelt sich auch in einer
sinkenden Attraktivität des Hochschulstandortes Deutschland
wider: Die Zahl der ausländischen Studierenden, vor allem
solcher aus wissensintensiven Volkswirtschaften, ist in den letzten
Jahren zurückgegangen. Programme wie Sokrates und Erasmus
konnten hier nur geringe Kompensation bieten und blieben auf Europa
beschränkt. Die Nachteile liegen auf der Hand: geringe
Vertrautheit zukünftiger ausländischer Eliten mit
Deutschland, seinen Institutionen und seiner Kultur; weniger
„Botschafter“ deutscher Kultur und Technologien und
weniger Rückkopplung aus der Praxiserfahrung ehemaliger
Studierender in die deutsche Hochschul- und Forschungslandschaft
sowie unzureichende Rahmenbedingungen für ausländische
Studierende.
Generell ist zu begrüßen, wenn
Jugendliche im Ausland Qualifikationen erwerben. Genauso zu
begrüßen wäre, wenn in ähnlichem Umfang
Studierende anderer Länder nach Deutschland kämen und
ihre Qualifikationen hier erwürben. Diese Art der
Internationalisierung und Globalisierung der Ausbildung wäre
wünschenswert und dringend zu fördern. Solche
Maßnahmen sind nicht nur nach ökonomischen
Maßstäben sinnvoll. Sie sollen zum gegenseitigen
Austausch von Kultur und Wissen beitragen, in allen Ländern
eine möglichst breite Zielgruppe von Studierenden aus allen
Bevölkerungsschichten einbeziehen und sich vor allem an
Entwicklungs- und Schwellenländer richten. Auch diese Aspekte
der Internationalisierung von Hochschulen und die hierzu
notwendigen Reformschritte sollten in einer möglicherweise neu
einzusetzenden Enquete-Kommission weiter evaluiert werden.
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