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Der Bundestag als Öko-Schrittmacher
Heiße Debatten heizen das Plenum
Im Bundestag geht es heiß her. Wer behauptet, dass sich dies nur auf einige herausragende Debatten bezieht, hat keine Ahnung von den Vorgängen unter dem Fußboden des Plenarsaales. Im Keller stehen vier Turbo-Diesel-Aggregate bereit, den Energie-Bedarf des Parlamentes aus eigener Kraft zu decken. Sie treiben nicht nur die Generatoren an.
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Die von ihnen erzeugte Hitze der Abgase von über 400 Grad dient daneben zur Beheizung der Räume. Diese Kraft-Wärme-Kopplung ist jedoch nur ein Mosaikstein von vielen.
Zusammengelegt ergeben sie ein faszinierendes Bild: den Blick in die nahe Zukunft umweltschonender Energieversorgung.
Am Anfang stand schon einmal die Idee, die Physik in der Architektur zu nutzen. Nachdem 1884 der Grundstein zum Reichstagsgebäude am damaligen Königsplatz gelegt war, ließ Architekt Paul Wallot beim weiteren Aufbau im Inneren so manchen Stein aus: Scheinbar überdimensionierte Heizschächte entstanden – und durch sie ein Auftrieb, der die Luft vom Gehweg ansog und sie durchs Gebäude verteilte bis in die Kuppel hinein. Und auch die Original-Kuppel wurde nicht nur als markantes Aushängeschild für die Ingenieurleistungen jener Jahre gebaut. Schon damals hatte es Wallot auch auf die zusätzliche Beleuchtungsquelle abgesehen. Und schon damals konnte im Sommer der Ansaugeffekt von unten nach oben auch umgekehrt werden: Nachts machte man die Kuppel auf und ließ die Nachtkühle von oben nach unten die stickigen Reste schwüler Sommertage aus dem Gebäude drücken.
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Eine für das Ende des 19. Jahrhunderts fortschrittliche Bauweise, an die Norman Foster bei der Neugestaltung hundert Jahre später anknüpfte. Architektonisch wegweisend zu sein und dabei die Ökologie ökonomisch einzusetzen, hat in diesem Parlamentsgebäude also Tradition.
Das beginnt schon bei scheinbaren Nebensächlichkeiten, die aber die Bewohner von schnell in die Landschaft gehauenen Baracken-Siedlungen im Sommer schwitzen und im Winter frösteln lassen: Im Gegensatz zu ihren dünnen Wänden verhindert das massive Mauerwerk, wie es das Reichstagsgebäude prägt, im Winter zu schnelles Auskühlen und im Sommer die rasche Aufheizung. Die schiere Masse gleicht Schwankungen wesentlich besser aus und ist damit schon der erste Pluspunkt, wenn es um Energieeinsparung geht.
Verbrauchte Luft bringt noch Wärme
Natürlich hat sich die Ingenieurskunst seit Wallot auch weiterentwickelt, und so können die Techniker das Raumklima viel ausgefeilter angehen und dabei strengere Sicherheitsanforderungen leichter parieren. Die Luft vom Gehweg einzusaugen, könnte heute nur noch ein Kopfschütteln auslösen. Abgeordnete und ihre Mitarbeiter sollen frei von Autoabgasen tagen und arbeiten können – und auch vor Stinkbomben oder gefährlicheren Attacken in den Luftschächten geschützt sein. Deshalb kommt die Luft in größerer Höhe hinter den westlichen Portalsäulen ins Haus, strömt gefiltert und (im Winter) gewärmt oder (im Sommer) gekühlt durch die Säle, um dann durch die zehn Meter breite Kuppelöffnung das Parlament wieder zu verlassen.
Sie ist dann zwar verbraucht, aber keineswegs unbrauchbar. Denn wenn sie von den Lamellenöffnungen im Abluftrohr erfasst wurde, das in Karottenform von oben in den Plenarsaal hineinragt, wird sie durch eine Art Grill hindurchgeführt, der aus ihr die Wärme herausholt. Das aufgewärmte Wasser fließt entlang der Besucherstege wieder hinunter und kann für die erneute Erwärmung der nachfolgenden Frischluft wieder verwendet werden.
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Wie ein spitzer Rüssel ragt die Abluftröhre in das Reichstagsgebäude. In ihrem Inneren wird der verbrauchten Luft die Wärme entzogen, damit diese wieder verwendet werden kann. |
Die Klima-Computer sind zwar nicht darauf programmiert, doch wenn sie wollten, könnten sie auch etwas vom Temperament der politischen Arbeit mitbekommen. Je spannender das behandelte Thema, je mehr Abgeordnete im Raum debattieren, desto größer wird auch ihre wieder verwertbare Abwärme. Die alte Stammtischparole von der "heißen Luft" bekommt so eine originelle neue Bedeutung. Physiker kennen sogar die Faustformel, können errechnen, dass ein "volles Haus" 70 Kilowatt an zusätzlich von den Abgeordneten persönlich produzierter Energie bedeutet. Auf jeden Fall brauchen die Ventilatoren beim Ausgang oben im Innenwerk der Kuppel in der Regel viel weniger Energie als ihre Gegenstücke unten am Eingang – das sichere Zeichen, dass Wallots Auftriebs-Konzept auch im "neuen" Reichstagsgebäude funktioniert. Und das so gründlich, dass selbst bei Regenwetter kaum Tropfen in die Kuppelöffnung fallen. Sie werden von der entweichenden Luft einfach weggepustet. Und sollte es doch einmal prasseln oder hageln, so sorgen Schutzbleche im Inneren dafür, dass Regierende und Opponierende keine nassen Köpfe bekommen.
Nicht nur nach oben wird ausgefeilt belüftet. Auch die Seitenfenster stellen ein ausgeklügeltes System mit Doppelverglasung und gezielter Luftzufuhr über motorbetätigte Fensterflügel dar. Die Belüftung lässt sich auf diese Weise wirtschaftlich steuern. Und ähnlich verhält es sich bei der Beleuchtung. Große Fensterflächen an den Büros und über den Fraktionssälen machen Zusatzlicht viele Stunden am Tag überflüssig. Die 360 Spiegel in der Glaskuppel sind deshalb nur im Nebeneffekt reizvolle Fotomotive für Besucher. Vor allem helfen sie, Licht-Energie zu sparen. Was die Spiegel und ein Sonnensegel für den Plenarsaal in der Kuppel leisten sollen, schaffen die Lichtdächer über den Fraktionssälen: Das Sonnenlicht wird so geschickt gestreut und diffus gebrochen, dass es kaum direkt blendende Einstrahlung gibt. Und sollte es dann doch einmal zu trübe oder dämmrig werden, müssen trotzdem nicht sofort alle Lampen angehen. In acht verschiedenen "Lichtszenen" lässt sich die Beleuchtung in den Sälen so gestalten, dass es hell genug ist und trotzdem möglichst wenig Energie verbraucht wird.
Strom aus dem Netz nur zu Spitzenzeiten
Eine Ausnahme macht wiederum der Plenarsaal. Hier brennen ständig mehr Scheinwerfer als eigentlich nötig – ein Entgegenkommen des Parlamentes an die Fernsehanstalten, die für ihre Übertragungen besondere Farbtöne verlangen. Doch auch für diese wattstarken Verbraucher kommt der Strom nicht aus einer x-beliebigen Steckdose. Der "Saft" ist hausgemacht, und zwar so klimaschonend wie irgend denkbar. Nur in wenigen Spitzen- und Zwischenzeiten fließt Strom aus dem öffentlichen Netz durch die Bundestagsleitungen. Meistens liefern ihn die eigenen Generatoren im Keller des Hauses. Sie sind mit ihrem gesamten Zubehör kreuz und quer auf dem europäischen Markt zusammengekauft, weil der Bundestag Speerspitze der Öko-Bewegung sein wollte und nun unter wissenschaftlicher Beobachtung zeigen will, was auf dem Gebiet der Rohstoffschonung schon machbar ist.
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Über 3.000 Quadratmeter Glas und 360 Spiegel leiten Sonnenlicht ins Innere. |
Obwohl die Machbarkeit im Vordergrund stand, lässt sich nach einem ersten Zwischenstand schon absehen, dass die Wirtschaftlichkeit dabei nicht auf der Strecke geblieben ist. Im Gegenteil. Statt permanent für den Strom und dann noch einmal für die Heizung zu bezahlen, investierte das Parlament in eine moderne Kraft-Wärme-Kopplung. Das heißt: Die gut 400 Grad heißen Abgase der Motoren sind nicht einfach nur Abfallprodukte aus dem Antrieb der Strom-Generatoren. Sie bilden zugleich den "Rohstoff" für die Heiz- und Kühlsysteme. Zudem lassen sich auf dem Weg der Gase durch die Wärmegewinnung moderne Filter einbauen. Erste Messergebnisse beeindrucken: Statt der zulässigen Stickoxid-Schadstoffmenge kommt am Ende nur ein Achtel davon aus den Rohren – ein bemerkenswerter Beitrag gegen den sauren Regen.
Aber der positive Umwelteffekt steht nicht erst am Ende der Kraft- und Wärme-Erzeugung. Er beginnt schon ganz vorne. Der Clou kommt im Keller des Reichstagsgebäudes ganz unscheinbar über graue Rohre daher, doch die Zuleitungen von den Tanks zu den Motoren haben es in sich: rein pflanzliches Öl. Was auf den Feldern Niedersachsens, Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs schon einmal "schlechtes" Kohlendioxid in "guten" Sauerstoff verwandelt hat, wird gepresst und gibt am Ende des Veredelungs- und Veresterungsprozesses neben weiteren nützlichen Rohstoffen auch noch besonders sauberes, phosphatfreies und schwefelfreies Öl ab: Raps.
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Durch eine zehn Meter große Öffnung in der Kuppel entweicht die verbrauchte Luft. |
Die gelbe Pracht von den Feldern erfordert in der flüssigen Kraftstoff-Form zwar Dichtungen mit einer besonderen Gummimischung, ansonsten aber leistet sie genauso gute Dienste, freilich mit großem Plus bei der Umwelt-Bilanz. Nach ersten Berechnungen vermindert das Öko-Konzept des Bundestages mit dem Bio-Diesel (genaue Bezeichnung: Pflanzenölmethylester) den Kohlendioxid-Ausstoß auf ein Siebtel des herkömmlichen Wertes. Rund 6.000 Tonnen des mutmaßlichen Klimakillers bleiben im Vergleich zu herkömmlicher Energieversorgung auf der Strecke. Raps sei Dank.
Noch ist das Rapsöl teurer als das Mineralöl. Aber die Preisdifferenz verringert sich von Jahr zu Jahr. Denn der Bundestag versteht sich auf diesem Feld auch als Öko-Schrittmacher. Seine Erfahrungen dürften der Branche neue Impulse geben. Und wegen der CO2-bedingten Klima-Einflüsse ist absehbar, wann der Run auf Raps einsetzen wird, der sich wunderbar auch auf stillgelegten Flächen anbauen lässt.
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Kreislauf von Kälte und Wärme: Speicherung von erwärmtem Wasser in knapp 300 Metern Tiefe. |
Hier könnte die Geschichte enden. Eine rundum positive Energie- und Ökobilanz, die durch große Felder von Sonnenkollektoren auf den gerade entstehenden Bundestags-Bürobauten in der Nachbarschaft vom nächsten Jahr an noch ausgebaut wird. Doch es wäre trotzdem eine Geschichte von heute. Es wird erst eine von morgen, weil die Ingenieure ganz tief ins Gestern eingedrungen sind. Die Grenzen der Kraft-Wärme-Kopplung brachten sie auf die Suche danach, denn gewöhnlicherweise entsteht bei der Stromerzeugung mehr Hitze, als aktuell durch die Heizkörper gejagt werden kann. Vor allem im Sommer. Der Rest muss ungenutzt abgeleitet werden. Was wäre aber, wenn dieser Rest irgendwo gespeichert werden könnte, so wie Strom in einer Batterie oder Geld auf einem Sparkonto? Man bräuchte also ein riesiges Gefäß mit perfekter Isolierung, aber dennoch nah genug am Bundestag, um die im Sommer produzierte Wärme im Winter gleich parat zu haben. Über und neben dem Reichstag war dafür natürlich kein Platz. Aber die Ingenieure begannen zu bohren – und wurden knapp 300 Meter tiefer fündig! Es entstand ein Projekt, das in dieser Dimension europaweit seinesgleichen sucht und weltweit Pioniercharakter hat.
Dort unten gibt es eine vor 20 Millionen Jahren entstandene Wasserschicht, die aber so von Gestein umgeben ist, dass nichts versickern kann. Diese "Ursuppe" pumpen die Spezialisten nun nach oben zu den Wärmetauschern im Reichstagskeller, erwärmen sie und schicken sie wieder an ihren Ursprungsort, wo die Wärme die warmen Monate hindurch erhalten bleibt, bis sie im Winter zum Heizen gebraucht wird. Damit die Natur nicht aus dem Gleichgewicht gerät und durch Schadstoffe oder Luft schwer vorhersehbare Entwicklungen in Gang kommen, ist dieser Kreislauf streng von allen anderen getrennt. Nichts von dem leicht faulig riechenden, magnesiumreichen Ur-Wasser kommt dank besonders resistenter Leitungen und Überdruck heraus, und erst recht keine Chemie oder Luft gehen mit auf den Weg nach unten.
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Kleine, unscheinbare Schachteingänge vor dem Westportal weisen auf die unterirdischen Brunnenkammern hin. |
Was die wenigsten Besucher des Bundestages vermuten: Wenige Meter unter ihren Füßen beginnt wegen der besonderen Erdspeichernutzung für die beteiligten Behörden das Bergrecht. Die Parlamentsverwaltung brauchte eigens dafür eine "Verantwortliche Person nach dem Bundes- berggesetz", die sich mit den besonderen Verhältnissen unter Tage vertraut machte. Kleine, unscheinbare Einstiege vor dem Westeingang des Parlamentes führen in die Brunnenstuben, von wo aus die Rohre in die Tiefe gehen. Mit warmer Wasserfracht. Im Sommer kommt Wärme für den Winter hinein, die dort ortsfest verbleibt. Dies alles wird von einer Energieleittechnik gesteuert. Sie kann auch eine andere Nutzung der Wärme aus den Motoren im Sommer für energetisch sinnvoll festlegen: mit 110 Grad Celsius heißem Wasser kühlen! Und zwar in einer Kältemaschine, die im Übrigen – natürlich – nicht nach dem energieintensiven Kühlschrank-Prinzip, sondern nach dem so genannten Absorptionskälteprinzip arbeitet und dabei die kühlenden Eigenschaften verschiedener Flüssigkeitsmischungen ausnutzt.
Sobald das Jakob-Kaiser-Haus fertig ist, wird zudem ein Kasten auf dem Dach bei richtig knackigem Berliner Frost die Umweltkälte auffangen und über eigene Leitungen in einen nicht ganz so tiefen Grundwasserspeicher in 30 bis 60 Meter Tiefe transportieren – bis die Kälte in den warmen Monaten gebraucht wird, um die Zuluft für die Sitzungssäle auf ein komfortables Niveau zu kühlen. Und das nicht nur bei "heißen" Debatten.
gm