Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2000 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 04/2000 >
April 04/2000
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

streitgespräch

Schwieriger Dialog über die Moderne Kunst

Streitgespräch über die Installation von Hans Haacke

Kunst und Politik – ein schwieriges Feld. Anfang April schlugen die Wogen hoch, als der Bundestag über Hans Haackes umstrittenes Werk für den Nordhof des Reichstages debattierte. Haackes Installation – ein großer Holztrog gefüllt mit Erde aus den Wahlkreisen aller Abgeordneten, darüber eine als Kontrapunkt zur Portal-Inschrift "Dem Deutschen Volke" gedachte Leuchtschrift "Der Bevölkerung" – emotionalisierte und polarisierte ähnlich stark wie vor Jahren Christos Reichstagsverhüllung. Zwischen "spannendem Meisterwerk" und "skurrilem Biokitsch" schwankten die Urteile. Am Ende stand ein knappes Ja zu Haackes Projekt. Aber die Frage bleibt: Wie geht der Bundestag mit Kunst um? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen), die zugleich Mitglied im Kunstbeirat des Bundestages ist, und der kultur- und medienpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Monika Griefahn.

Ein Kunstwerk sorgte für heftige Debatten: Antje Vollmer (links) lehnt es ab, Monika Griefahn ist für die Installation.
Ein Kunstwerk sorgte für heftige Debatten: Antje Vollmer (links) lehnt es ab, Monika Griefahn ist für die Installation.

Blickpunkt Bundestag: Christo, Beuys, Haacke – immer wieder tut sich die Politik schwer mit umstrittener Kunst. Warum ist das so?

Antje Vollmer: Ich finde nicht, dass sich die Politik besonders schwer tut. Ich kenne kein Parlament der Welt, das so viel Geld ausgibt für die Gegenwartskunst wie der Deutsche Bundestag. Was ich extrem bedauere, ist, dass bei diesem Engagement für die moderne Kunst nur dasselbe herauskommt wie in jedem x-beliebigen Museum für moderne Kunst.

"Ich finde nicht, dass sich die Politik besonders schwer tut"

Immerhin hat es höchst leidenschaftliche und kontroverse Debatten um Kunst und Künstler, wie etwa um Christo und jetzt Haacke, gegeben ...

Monika Griefahn: Ich denke, die Debatte findet deshalb statt, weil wir ein Interesse haben, dass zeitgenössische Kunst mit dem Parlament, also mit der Politik, in einen Dialog kommt. Das ist in anderen Ländern nicht der Fall. Dort sehen Sie in den Parlamenten überwiegend historische Köpfe und Geschichtsdarstellungen. Bei uns entstehen die Debatten durch die Hinwendung zur Aktualität. Und das finde ich gut, weil wir dadurch eine Leidenschaftlichkeit für künstlerische Freiräume bekommen.

Wie ist Ihre Haltung zu Haackes Erdtrog? Lässt sich an diesem Beispiel die Grundproblematik der diffizilen Beziehungen zwischen Kunst und Politik aufzeigen?

Vollmer: Es gab unter den Parlamentariern eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Gesamtergebnis der Kunstauswahl. Wir hätten schon viel eher offener und mutiger mit dem Kunstbeirat über seine Ergebnisse diskutieren sollen. Bei Haacke kam die Debatte ja nur deshalb zustande, weil wir Abgeordnete als Teil des Kunstwerks mit eingeplant waren. Die Szene, die Haacke für die Abgeordneten vorgesehen hat ...

Monika Griefahn (SPD).
Monika Griefahn (SPD).

... mit Säcken und Eimern Erde aus ihren Wahlkreisen in sein Kunstwerk zu schütten ...

Vollmer: ... die lässt mich kichern. Ich warte auf den Tag, an dem das passiert. Da werden wir viel Vergnügen haben.

"Die jungen, unbekannten Künstler kommen zu wenig zum Zuge"

Griefahn: Für mich ist in der Haacke-Debatte entscheidend, dass der Bundestag aus guten Gründen einen Kunstbeirat eingerichtet hat, damit sich eben nicht die Abgeordneten ständig mit Kunst beschäftigen und aus Stimmungen heraus Entscheidungen treffen müssen. Ich finde das eine sinnvolle Einrichtung. Das heißt nicht, dass ich in jedem Fall mit den Ergebnissen des Beirats einverstanden bin. Mir kommen zum Beispiel die jungen, unbekannten Künstler zu wenig zum Zuge. Wenn aber der Kunstbeirat nach intensiven Beratungen zu einem Ergebnis kommt, sollte man dies als Gesamtparlament nicht gleich wieder in Frage stellen. Es besteht sonst die Gefahr, dass Kunst danach bewertet wird, was man sich selbst in sein Reihenhaus stellen würde. Das möchte ich gerne vermeiden.

Ist mit der Plenumsentscheidung zu Haacke jetzt ein Präzedenzfall eingetreten, der den Kunstbeirat überflüssig macht?

Vollmer: Der Kunstbeirat sollte doch nicht auf einen unstatthaften Sockel gehoben werden. Das Grundproblem liegt weniger im Verhältnis zwischen Politik und Kunst, sondern im Verhältnis zwischen den Experten, die sich als kardinalsmäßige Eminenzen gerieren, und den Politikern. Darüber ist eine Debatte überfällig. Bislang hat sie nur unter ziemlichem Moral- und Tabudruck stattgefunden. Ich kann historisch verstehen, wenn man sagt, die deutsche Politik hat im letzten Jahrhundert die Kunst dermaßen missbraucht, dass Politiker ihr Recht auf Urteil und Einmischung verwirkt haben. Aber heute wird man doch fragen dürfen, ob das fast devote Verhalten von Politikern Kunstwerken gegenüber noch richtig ist oder durch eine die Demokratie auszeichnende, offene und leidenschaftliche Debatte, wie wir sie bei Haacke ja hatten, ersetzt werden sollte.

Griefahn: Die öffentliche Debatte über Kunst ist gut, weil sie Kreativität freisetzt. Im Übrigen finde ich, dass auch der Kunstbeirat selbst klarer und öffentlicher definieren sollte, wie er zu seinen Entscheidungen kommt. Vielleicht wäre es gut, neue Monitoring-Systeme einzubeziehen, indem der Beirat etwa einmal im Jahr darüber berichtet, an was gearbeitet wird und ob es Alternativen dazu gibt. Was ich nicht möchte, ist, dass Abgeordnete, die sich nicht täglich mit Kunst beschäftigen – und dies ist ja die Mehrheit -, nach ihrem persönlichen Geschmack und der Frage "Stimmt die Farbe?" über Kunst entscheiden sollten. Diese Hemmungen würde ich gerne beibehalten.

Kann, darf sich Kunst politischen Mehrheitsentscheidungen unterwerfen?

Vollmer: Natürlich nicht in dem, was Inhalt, Form und Ausdruck der Kunstwerke betrifft. Aber, mit Verlaub, bei uns findet doch permanent eine Verschiebung der Debatte und eine Tabuisierung offener Fragen statt. Abgeordnete dürfen natürlich über sich selbst entscheiden, wenn sie als Teil eines Kunstwerks eingeplant sind, und zwar in einer, gelinde gesagt, sehr skurrilen Szene.

Griefahn: Immerhin kann jeder Abgeordnete bei Haacke selbst entscheiden, ob er Erde mitbringt oder nicht. Wenn der Trog leer bleibt, ist das auch ein Ausdruck.

"Ich denke, auch Monika Griefahn wird keine Erde beisteuern"

Vollmer: Ja, das denke ich auch die ganze Zeit. Die witzigste Form des zivilen Widersinns gegen Haackes Anwandlungen wäre gewesen zu sagen: Der Trog soll gefüllt werden – und keiner geht hin. Das wird vermutlich auch so sein. Denn ich denke, auch Monika Griefahn wird keine Erde beisteuern. Im Übrigen: Ein Konzept-Kunstwerk bezeichnet ja einen gesamten Prozess. Haackes Konzept-Kunstwerk zielt darauf ab, durch die Spannung zwischen "dem Volk" und "der Bevölkerung" wieder nationalistische Töne in den Reaktionen hervorzukitzeln und dadurch – frei nach Brecht – zu belegen: Der Schoß ist immer noch fruchtbar. Diese Absicht ist durch die Debatte erfreulich durchbrochen worden.

Antje Vollmer (B'90/Die Grünen).
Antje Vollmer (B'90/Die Grünen).

Griefahn: Wobei einige der Kommentare, wie zum Beispiel die von Herrn Kauder oder Herrn Glos, für mich sehr fragwürdig waren. Mit denen möchte ich wirklich nicht in einen Topf geworfen werden.

Gibt es Streit oder Konsens zwischen Ihnen darüber, das Reichstagsgebäude ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst auszustatten?

Vollmer: Ich habe zwei Einwände: Einmal muss, wer nur auf die Kunstproduktion eines Jahres zielt, hoffen, dass er einen exzellenten Jahrgang trifft. Das kann, muss aber nicht gelingen. Ich finde, wir haben nicht unbedingt die besten Lagen geerntet. Zweitens: Zum Grundwesen von Demokratie gehört es, offen zu sein für Neues, sich nicht auf eine Künstler- und Parlamentarier-Generation zu beschränken. Die Künstler der nächsten Jahrzehnte haben im Bundestag faktisch keinen Platz. Die Grundidee von Demokratie aber ist ihre ständige Korrigierbarkeit.

Griefahn: Mir fehlt auch eine Fläche, auf der, wie in Landesparlamenten durchaus üblich, halbjährlich oder monatlich wechselnde Ausstellungen möglich sind. Sicher sollte es im Bundestag auch feste, für einen bestimmten Raum konzipierte Kunstwerke geben, aber es fehlt der Mut zur Veränderung. Dabei ist doch der Wandel der eigentliche Ausdruck von Demokratie. Deshalb müsste er präsentiert werden.

"Es fehlt der Mut zur Veränderung"

Vollmer: Offenbar ist der monumentale Triumph des Jetzt der Ausdruck unserer Zeit.

Das Reichstagsgebäude selbst ist Teil der Kunst. Hat Sir Norman Foster dadurch, dass er seine Architektur zum unveränderbaren Gesamtkunstwerk erklärt hat, den Bundestag künstlerisch fremdbestimmt?

Griefahn: Ja, so empfinde ich das durchaus. Wenn selbst graue Wände nicht veränderbar sind, ist das weder gut für die Arbeitsbedingungen der Abgeordneten und der Mitarbeiter im Reichstag noch für die Kunst, die in diesem Haus ihren Ausdruck finden soll.

Andere Parlamente zeigen in ihren Gebäuden auch Kunst aus ihrer jeweiligen Geschichte. Warum folgt der Bundestag diesen Beispielen nicht? Warum also hängt im deutschen Parlament kein Impressionist oder Expressionist?

Griefahn: Die explizite Entscheidung für zeitgenössische Kunst finde ich mutig und sehr gut. Zeitgenössisch heißt aber für mich nur: Es ändert sich auch häufig. Deshalb fehlt noch Fläche für Wandel.

Vollmer: Wenn wir eine Bitte an Sammler und Mäzene ausgesprochen hätten – die ja in der Regel eine exzellente Kenntnis von Kunst haben -, hätten wir sicher die besten Stücke für diesen Platz der Republik bekommen. Das Geld, das uns die Kunst im Parlament kostet, hätten wir in eine Stiftung stecken sollen. Von den Erträgen hätten wir dauerhaft auch in Zukunft moderne Kunst ankaufen können. Es tut mir heute noch Leid, dass niemand auf diese Idee gekommen ist.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0004/0004011
Seitenanfang
Druckversion