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Dezember 7/2003
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Streitgespräch

Peter Rauen und Thea Dückert

Lehrstellenmangel

Kann eine Umlage helfen?

Im Herbst suchten noch immer Tausende Schulabgänger eine Lehrstelle. Die Bundesregierung droht den Unternehmen mit einer Ausbildungsabgabe, sollte die Lehrstellenlücke nicht bis zum Jahresende geschlossen sein. Doch nützen Drohung und Zwang? Ist die Ausbildungsabgabe Last für die Betriebe oder Chance für die Jugend? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Thea Dückert, und dem Sprecher des Mittelstandes in der CDU/CSU-Fraktion, Peter Rauen.

Blickpunkt Bundestag: Sie sind selbst Unternehmer, Herr Rauen. Bilden Sie in diesem Jahr wieder Lehrlinge aus? Und: Sind die fehlenden Lehrstellen überhaupt noch zu beschaffen?

Peter Rauen: Wegen der schlechten Wirtschaftslage habe ich inzwischen meinen Betrieb aufgegeben. Aber ich habe immer mindestens zwei Lehrlinge ausgebildet, im kaufmännischen Bereich oder als Maurer und Fliesenleger. Ich glaube angesichts der großen Bemühungen von Handwerks-, Industrie- und Handelskammern auch, dass wir es dieses Jahr wieder schaffen, allen jungen Leuten, die einen Ausbildungsplatz suchen, eine Lehrstelle anzubieten. Ich bin da optimistisch.

Thea Dückert: Ich bin, leider, viel skeptischer. Denn die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass wir immer wieder Ausbildungsplatzlücken hatten. Dabei ist es absolut wichtig, allen Jugendlichen eine Lehrstelle in den Betrieben zu sichern. Wenn das nicht gelingt, schreiben wir Biografien fest, die das ganze Leben lang nachwirken, zum Nachteil der Betroffenen. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, das hinzukriegen, notfalls mit der Ausbildungsumlage.

Blickpunkt: Stimmt überhaupt die Statistik? Gibt es möglicherweise einen noch höheren Fehlbedarf, weil viele Suchende in Warteschleifen geparkt und so statistisch entsorgt werden?

Rauen: Wenn es so wäre, hat das die Politik selbst so gewollt. Im Übrigen: Engpässe hat es immer gegeben. Am Ende aber waren fast immer alle Jugendlichen versorgt.

Dückert: Das ist nicht richtig!

Rauen: Doch. Ich habe da einen sehr guten Überblick. Deshalb halte ich auch nichts von einer Ausbildungsabgabe. Das ist völliger Blödsinn. Wichtig allein ist, dass die gesamte Entwicklung in der Wirtschaft wieder besser wird. Denn man kann den Ausbildungsmarkt nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt trennen.

Blickpunkt: Wie soll konkret eine Ausbildungsabgabe aussehen, Frau Dückert?

Im Gespräch: Thea Dückert ...
Im Gespräch: Thea Dückert...

Dückert: Wir Grüne wollen ein sehr flexibles Modell. Wir wollen, dass die Betriebe, die ausbilden, eine Unterstützung bekommen, und die anderen Zweidrittel, die nicht ausbilden, über eine Umlage ihr Scherflein beitragen, dass ausgebildet wird. Deshalb reden wir nicht von einer Abgabe, sondern einer Umlage. Das Geld bleibt bei der Wirtschaft. Es wird ihr nicht entzogen, sondern es ist investiv verwandtes Geld. Es ist also eine Umfinanzierung zu Gunsten derjenigen Betriebe, die letztlich für die gesamte Volkswirtschaft ausbilden. Denn auch Betriebe, die nicht ausbilden, greifen später gern auf den Pool der gut ausgebildeten jungen Leute zurück.

Rauen: Das sind doch alles nur schöne Worte, blanke Theorie und Träumereien. In der Bauwirtschaft gibt es die Umlage seit 1971. Die Beschäftigungszahl in der Bauwirtschaft ist von 1995 bis heute von 1,4 Millionen auf unter 800.000 gesunken, die Zahl der Ausbildungsplätze von über 20.000 auf knapp über 10.000. Das zeigt: Sie können die Ausbildung vom allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt nicht trennen. Bei einer neuen Umlage gäbe es nur noch mehr Belastungen für die Betriebe. Noch schlimmer wirken die Ich-AGs. Denn jetzt sagen viele Handwerksmeister, warum soll ich für die eigene Konkurrenz ausbilden? Das hat wieder einmal niemand bedacht. Und noch eines: In Deutschland gehen auf Grund der miserablen rot-grünen Wirtschaftspolitik jetzt schon im dritten Jahr bis zu 40.000 Mittelständler kaputt oder in Insolvenz. Das wären alles potenzielle Ausbildungsmeister gewesen. Dieses Humankapital ist weg. Darüber müssen wir sprechen. Die Ausbildungsabgabe ist Unfug.

Dückert: Ausbildung ist in die Zukunft gerichtet. Ich kann überhaupt nicht einsehen, dass wir die konjunkturellen Schwierigkeiten auf Kosten der Jugend austragen, wenn die Wirtschaft nicht bereit ist, die notwendigen Ausbildungsplätze bereitzustellen. Deshalb ist eine kontinuierliche Umlage sinnvoll, weil sie die notwendige Ausbildung konjunkturunabhängiger sichert.

Blickpunkt: Warum aber der Zwang? Liegt es nicht im Eigeninteresse der Unternehmen, junge Menschen auszubilden und an sich zu binden? Verspielt nicht seine Zukunft, wer nicht ausbildet?

Dückert: Richtig. Alle Untersuchungen zeigen, dass sich Ausbildung langfristig lohnt. Aber das Verrückte ist ja, dass trotzdem nur ein Drittel der Betriebe ausbildet. Unser Modell lässt im Übrigen ja die Möglichkeit zu, alle tarifvertraglichen oder regionalen Lösungen mit in den Umlagefonds einzubeziehen. Kleine Betriebe bis zu zehn Beschäftigten sollen ohnehin von der Umlage ausgenommen sein, wohl aber an der finanziellen Unterstützung teilhaben. Es ist also eine Stärkung der Kleinbetriebe.

... und Peter Rauen.
...und Peter Rauen.

Rauen: Das ist doch alles Theorie. Ich habe jahrzehntelang ausgebildet, insgesamt über 70 Leute. Ich kenne das Umlagesystem, es hat überhaupt nichts gebracht. Was wichtig wäre, ist, die Hemmschwellen in der Wirtschaftspolitik wegzuräumen. Ausbildung kostet immerhin viel Geld. In einigen Bereichen sind die Ausbildungstarife in astronomische Höhen gestiegen. Warum soll ein Meister, der für ein, zwei Jahre Ausbildung es sich einfach nicht leisten kann, eine Abgabe bezahlen und damit noch einmal höhere Belastungen haben? Lasst die Träumereien sein! Die Wirtschaft weiß selbst, dass sie ausbilden muss.

Dückert: Warum haben wir dann seit den 90er Jahren die Ausbildungsplatz-lücken? Wir können uns die Lage doch nicht schön reden!

Rauen: Weil Rot-Grün eine Wirtschaftspolitik macht, die eine Katastrophe ist.

Blickpunkt: Kommen wir mal zu den jungen Leuten selbst. Was müssen wir von ihnen erwarten: Müssen sie in knappen Zeiten jede Lehrstelle an jedem Ort annehmen? Also der, der in Anklam eine Kfz-Lehrstelle sucht, Bäckerlehrling in Straubing werden?

Rauen: Der junge Mensch muss schon Spaß an seinem Beruf haben, sonst ist das Ganze nicht von Segen. Aber es gibt Ausbildungsberufe, die scheinen auf den ersten Blick nicht attraktiv. Da sollten wir jungen Leuten die Chance geben, ein bisschen hineinzuschauen. Oft sind die später die Besten, die sich zunächst gar nicht so wohl im Beruf fühlten. Was wir brauchen, ist mehr Aufklärung über die unterschiedlichen Berufsfelder.

Dückert: Wenn das Angebot geringer ist als die Nachfrage, wird die Wahl des Lehrberufes natürlich schwierig. Deshalb drängen wir ja so sehr auf mehr Ausbildungsplätze. Aber klar muss auch sein: Nicht jeder wird in seinen Lieblingsberuf einsteigen können. Viele müssen auch in andere Berufe hineingehen und sich da möglichst positiv umschauen. Auch regional müssen die Jugendlichen heute flexibler sein als noch vor zehn Jahren. Nicht jeder wird sich an seinem Heimatort ausbilden lassen können.

Blickpunkt: Stimmt die Klage von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, viele Jugendliche seien zu bequem, zudem nicht ausbildungsreif?

Rauen: Es stimmt schon, dass sich da einiges verschlechtert hat. Die Qualität der Rechtschreibung, aber auch der Grundrechenarten ist teilweise dramatisch zurückgegangen. Viele können nicht mehr im Kopf, sondern nur noch mit dem Computer rechnen. Gewisse Grundvoraussetzungen muss der Ausbildungsbetrieb schon an den Lehrling stellen, immerhin wird er ja nicht schlecht bezahlt.

Blickpunkt: Wenn Jugendliche dauerhaft keinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz finden – was bedeutet das für die Gesellschaft insgesamt?

Dückert: Das ist eine Katastrophe. Denn dauerhaft werden wir die jungen Leute im Erwerbsleben brauchen. Außerdem: Wer in der Jugend keine abschließende Ausbildung hat, bleibt in der Regel auf der Verliererseite. Die fehlende Lehre setzt sich fort und baut sich weiter auf, sowohl im Qualifikations- wie im Einkommensbereich.

Rauen: Dem stimme ich zu. Das ist eine ganz immanent wichtige gesellschaftspolitische Frage. Es ist überlebensnotwendig für die gesamte Gesellschaft, dass unsere jungen Leute die denkbar beste Ausbildung bekommen. An diesem Punkt sind wir uns sicher alle einig.



Reden Sie mit zum Thema „Lehrstellenmangel“:

Thea Dückert (B’ 90/Grüne): thea.dückert@bundestag.de
Peter Rauen (CDU/CSU): peter.rauen@bundestag.de
Redaktion BLICKPUNKT BUNDESTAG: blickpunkt@media-consulta.com

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0307/0307046
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