Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 / 25.04.2005
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Susanne Kalititz

Die perverse Logik am Tatort Minenfeld

Menschenrechtsausschuss des Bundestages empfing Minenräumexperten und zwei Kommissare

Es war ein bisschen wie bei einer Kinopremiere auf der Sitzung des Menschrechtsausschusses am vergangenen Mittwoch: Erst Gummibärchenknabbern bei der Filmvorführung, dann Fotomachen mit den Schauspielern im Arm, und schließlich eine Fragerunde, in der die Parlamentarier ihren Lieblingsschauspielern versichern konnten, sie seien ihre größten Fans. Ungewöhnlich für den Bundestag.

So saßen die beiden Schauspieler Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt - von der Ausschussvorsitzenden Christa Nickels beharrlich als "die beiden Tatort-Kommissare" vorgestellt - denn auch etwas ratlos da, als sie nach der Vorführung ihres neuesten Films "Minenspiel" Stellung nehmen sollten zur Bedeutung der Menschenrechte im deutschen Fernsehen im Allgemeinen und der Landminenproblematik im Speziellen. Während der WDR-Programmdirektor Ulrich Deppendorf in seiner Stellungnahme ausführte, Menschenrechtsverletzungen gehörten zu den politisch brisanten Themen, denen das Fernsehen sich auch weiterhin, etwa im "Tatort" und in der "Lindenstraße" widmen werde, verzichteten Bär und Behrendt auf große Statements. Denn auch wenn das Thema des humanitären Minenräumens in dem - packenden und glänzend gespielten - Krimi im Mittelpunkt stand, so sind die beiden Schauspieler eben doch keine Experten für das Thema. Dennoch schien der Hinweis von Dietmar Bär viele der Ausschussmitglieder zu überraschen: "Wir spielen das ja nur." Doch davon zeigte sich sein Publikum ebensowenig beeindruckt wie von der Tatsache, dass im "Minenspiel" die Minenräumorganisation in einem eher schlechten Licht erscheint, weil ihre Vorstandsmitglieder in dubiose Geschäfte verwickelt sind - nicht wirklich Werbung für das humanitäre Minenräumen.

Bedauerlich, dass die echten Experten erst nach dem Fantreffen zum Zug kamen. Was Peter Willers, Minenräumer und Mitarbeiter der Hilfsorganisation HELP e.V., und die einzige deutsche Minenexpertin Vera Bohle zum Thema zu sagen hatten, war beeindruckend - und die Fotos, die sie mitgebracht hatten, gruben sich wohl tiefer in das Bewusstsein der Zuschauer als die Fernsehbilder. Sie zeigten Männer mit Beinprothesen, Frauen mit Krücken, Kinder ohne Hände.

Dies ist die Realität: In 83 Ländern dieser Erde leiden Millionen Menschen unter Minen und Blindgängern, den Hinterlassenschaften aus Kriegen und Konflikten. 20.000 Kinder und Erwachsene werden jährlich verletzt oder getötet. Die Aufgabe, vor der Hilfsorganisationen wie HELP stehen, scheint unermesslich groß. "Zwischen 2000 und 2004 hat HELP über 567 Tonnen Kampfmittel beräumt, auf fast sechs Millionen Quadratkilometern in Afghanistan, dem Irak, auf dem Kosovo", so Peter Willers. Die Minenräumer machen ihren Job unter Einsatz ihres Lebens, denn die todbringenden Waffen sind vom Sand verweht oder unter Vegetation versteckt - ein falscher Schritt kann Körperteile oder das Leben kosten.

Ein Risiko, das auch Vera Bohle über viele Jahre eingegangen ist. Was ein "Tatort" wohl nur selten schafft, erreichte die blonde Frau im schicken Blazer mit ein paar Fotos und ruhig erzählten Erinnerungen: den Zuhörern klarzumachen, wie alltäglich und nah das Grauen ist, das Landminen verursachen. Sie erzählte von Flüchtlingen, die nach langen Kriegsjahren wieder in eine Heimat zurückkehren, die völlig vermint ist. Und von der Idee hinter den Minen: "Die perverse Logik ist die, dass ein verletzter Soldat mehr Kräfte bindet als ein toter - also töten die Minen nicht, sondern fügen verheerende Verletzungen zu." Die Minen sind nicht nur für Soldaten gedacht - einige von ihnen sehen aus wie Spielzeug. Kinder haben da keine Chance.

Vera Bohle, die bis zum vergangenen Jahr in nahezu allen Krisengebieten dieser Welt Minen entschärft hat, ist mit heiler Haut davongekommen. So viel Glück hatten viele ihrer Kollegen nicht - und die Beklemmung im Raum wurde spürbar, als die ehemalige Journalistin das Foto eines völlig ausgebrannten Fahrzeugs zeigte und scheinbar ungerührt seine Geschichte erzählte. "So sieht das aus, wenn ein Krankenwagen auf Sprengstoff fährt. Dabei sind vier meiner Kollegen gestorben, als sie einen anderen bergen wollten, der verletzt war." Für Panik aber ist in diesem Beruf kein Platz. "Man darf nicht eine Sekunde unkonzentriert sein, denn dann macht man Fehler, die das Leben kosten können." Weil das Gelände für die Minensuchfahrzeuge oft zu unwegsam ist, arbeiten die Experten häufig mit Detektoren, die auf Metall reagieren. Schlagen sie an, muss gegraben werden. "Wenn Sie dabei etwas falsch machen, explodiert Ihnen das Ding ins Gesicht."

Trotz der schlimmen Erlebnisse und der ungeheuren Dimension der Aufgabe glaubt Vera Bohle an eine Zeit nach den Minen. Sie forderte die Abgeordneten auf, sich des Themas weiterhin anzunehmen. "Das gehört auf die politische Ebene, auch wenn man dafür einen langen Atem braucht." Deutschland habe 1997 als einer der ersten Staaten das Ottawa-Übereinkommen unterzeichnet, das Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Antipersonenminen verbietet - und könne im Bereich des humanitären Minenräumens eine Vorreiterrolle spielen. "Die Hilfsprojekte müssen weiterfinanziert werden, denn die Kampfmittelberäumung ist die Grundlage aller weiteren Hilfe. Die Hilfskonvois können erst fahren, wenn auf den Straßen die Minen geräumt sind. Das Problem muss gelöst werden - und ich glaube, es kann gelöst werden."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.