Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 / 25.04.2005
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Helmut Merschmann

Verzerrtes Bild von Migranten

Fernsehen zeigt oft das Extreme

Deutschland ist nicht erst seit gestern Einwanderungsland. Dennoch fällt es den Medien, vor allem dem Fernsehen, schwer, ein differenziertes Bild der Lebenswirklichkeit von Einwanderern zu zeichnen. Für Nachrichtensendungen sind oft genug bloß Extreme eine Meldung wert. Ausländer tauchen darin überdurchschnittlich häufig als Kriminelle, Asylanten, Terrorverdächtige und Fundamentalisten auf. Oder ihr gesellschaftlicher Erfolg wird überhöht. Da fällt das Herkunftsland eines Fußballers besonders häufig, und Miss Germany erfährt zusätzliche Aufmerksamkeit, weil sie Deutschtürkin ist. In dieser quotenträchtigen Stereotype hat man sich eingerichtet. Die Mitte, das Normale, die Alltagsrealität von Migranten fehlen indessen.

"Das Fernsehen agiert unterkomplex", resümierte Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung, auf einer Berliner Tagung über die Darstellung von Migranten in den Medien, veranstaltet von der CIVIS Medienstiftung für Integration und kulturelle Vielfalt in Europa. Für den Bielefelder Soziologen steht fest, dass die oft gut gemeinte moralische Belehrung im Fernsehen gegen die realen Erfahrungen und Vorstellungen der Menschen nicht ankommt. Im Gegenteil: "Je höher die Moral, desto geringer die Chance für Kommunikation", fand Heitmeyer heraus.

In empirischen Langzeitstudien kann er seit Jahren den stetigen Anstieg "menschenfeindlicher" Haltungen in Deutschland nachweisen. Aber gerade in den vergangenen zwei Jahren haben besonders Rassismus und Antisemitismus zugenommen. 73 Prozent der Befragten glauben, dass Moslems nicht in die westliche Kultur passen, 85 Prozent wollen Recht und Ordnung stärker verteidigt wissen. Für diesen Einstellungswandel ist laut Heitmeyer die Erfahrung von Desintegration verantwortlich: Menschen fühlen sich durch Perspektivlosigkeit, die Bedrohung ihres Arbeitsplatzes oder Sozialabbau gesellschaftlich ausgegrenzt und kompensieren dies, indem sie nach unten treten.

Das ist kein deutsches Phänomen. Europaweit hat sich die Haltung der Bevölkerungsmehrheit zu Minderheiten gewandelt. Beate Winkler, Direktorin der Europäischen Beobachtungsstelle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien, kommt in einer aktuellen Studie zu vergleichbaren Ergebnissen. In allen 25 EU-Ländern spricht sich durchschnittlich die Hälfte der Bevölkerung gegen kulturelle Vielfalt aus und glaubt, dass eine Gesellschaft nur begrenzt Menschen anderer Rassen, Religionen oder Kulturen aufnehmen kann. Selbst die Staatsbürgerschaft von legalen Einwanderern wird nicht gutgeheißen. In den alten Bundesländern würden 51,8 Prozent den Migranten die bürgerlichen Rechte absprechen wollen, das heißt kein Wahlrecht, kein Anrecht auf Sozialleistungen. In den neuen Bundesländern geht die Ablehnung noch weiter: Dort befürworten 32,6 Prozent sogenannte "Rückführungsmaßnahmen". Im Klartext: Sie wollen, dass die "Ausländer" das Land verlassen.

Das Problem liegt in der "Mitte". 60 Prozent der Bundesbürger fühlen sich dem gesellschaftlichen Zentrum zugehörig. Dort werden allerdings ausländerfeindliche Diskurse immer häufiger akzeptiert und somit hoffähig. Wenn Menschen sich der Mehrheit zugehörig fühlen, fallen ihre Parolen umso offensiver aus. Es kommt zu einer "Redespirale", bei der sich auch die Ressentiments gegenseitig hochschaukeln. Die Massenmedien befinden sich in einem Dilemma: Einerseits wollen sie mehrheitsfähig bleiben und machen sich von Quoten abhängig. Andererseits dienen sie laut Staatsvertrag der Stabilisierung von Demokratie. Auf das Stammtischniveau von Teilen ihrer Klientel können sie sich nicht begeben. Und nur für "Gutmenschen" zu senden, reicht nicht aus.

Das Thema Einwanderungsgesellschaft erfordert dabei "Einfühlungsvermögen und Kennerschaft wie kein anderes", räumte WDR-Intendant Fritz Pleitgen auf der Konferenz ein. Die allerdings lassen sich nicht immer leicht ausmachen. So monierte die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck, dass Vorfälle wie ein Mord an der Ehefrau von den Medien bei Migranten oft als "ausländisch" markiert werden. "Das Unübliche darf aber nicht als das Übliche dargestellt werden", forderte Beck.

Intelligenter verfuhr dagegen ein Fernsehbeitrag zum "Kopftuchstreit im Schwimmbecken". Auf ironische Weise verstanden es die Reporter, Fremdenfeindlichkeit im bayrischen Harlaching zu dekuvrieren. Als die Bewohner des Münchner Vorortes zum Protest gegen die Schwimmbadbenutzung durch islamische Frauen mobil machten und Unterschriften sammelten, stellte sich heraus, dass die wenigsten Unterzeichner genügend informiert waren. Sie nahmen an, vom "Moslemschwimmen" ausgeschlossen zu sein. Dabei hatte es sich um einen allgemeinen Frauenschwimmtag gehandelt, zwei Mal im Monat vormittags, wie es ihn in hunderten anderer Gemeinden auch gibt.

Der WDR will nun verstärkt "Menschen mit ausländischem Hintergrund" in Teams, Redaktionen und vor der Kamera einsetzen. Allerdings klagen türkischstämmige Mitarbeiter der Sendeanstalten schon heute, dass sie auf das Thema Migration festgenagelt werden. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender forderte, zudem "verstärkt solche politischen Themen in den Boulevard" zu integrieren und sie aus der Special-Interest-Ecke herauszuholen.

Möglicherweise überschätzen die Sender aber ihre Einflussmöglichkeiten. Trotz aller politischen Korrektheit, um die man sich gerade beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen bemüht, wird beispielsweise der Ausländeranteil in der Bevölkerung konstant zu hoch eingeschätzt, im Westen auf 19 bei realen zehn Prozent, im Osten sogar um das Dreifache auf zwölf bei realen vier Prozent. Die Zuschauer nutzen das Fernsehen, um sich ihre Haltungen und Einstellungen bestätigen zu lassen. Bei Widerspruch schalten sie einfach ab. Auf einem anderen Kanal wird es schon das Richtige geben.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.