Nach gut vier Jahren Streit und zwei parlamentarischen Anläufen hat der Bundesrat am 9. Juli das rot-grüne Zuwanderungsgesetz endgültig verabschiedet. Damit kann die Neuregelung am 1. Januar 2005 in Kraft treten. Der Bundesrat beendete damit in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause eines der längsten Vermittlungsverfahren, in dessen Verlauf Rot-Grün erhebliche Abstriche vom ursprünglichen Entwurf hinnehmen musste.
Was einst für chaotische Zustände im Bundesrat sorgte, ist nun mit breitem Einverständnis über die Bühne gegangen. In ihrer Sitzung am 9. Juli 2004 hat die Länderkammer das lange Zeit umstrittene Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Im März des Jahres 2002 hatten die Unions-Ministerpräsidenten unter Protest den Plenarsaal verlassen, nachdem der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), in seiner Funktion als Bundesratspräsident eine geteilte Stimmabgabe des Landes Brandenburg als Zustimmung gewertet und somit dem Gesetz zu einer Mehrheit verholfen hatte. Zu Unrecht, wie später das Bundesverfassungsgericht urteilte. Die Neueinbringung des Gesetzes im Juli 2003 führte zur Anrufung des Vermittlungsausschusses, dessen Kompromissvorschlag nun eine breite Mehrheit fand.
Das Gesetz soll den Zuzug von Ausländern nach Deutschland steuern und begrenzen. Für hoch qualifizierte Arbeitskräfte wird die Einwanderung ermöglicht. Der Anwerbestopp für normal und gering qualifizierte Menschen bleibt im Grundsatz allerdings bestehen. Die Regeln zur Ausweisung als gefährlich eingestufter Ausländer werden deutlich verschärft. Im Gegenzug wird der Flüchtlingsschutz verbessert, etwa für die Opfer nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung. Einwanderer sollen zudem künftig einen Anspruch auf einen Integrationskurs erhalten. Anfang 2005 soll das Gesetz in Kraft treten.
Für den saarländischen Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der an der Kompromissfindung entscheidend beteiligt war, bedeutet das Gesetz eine deutliche Verbesserung des gegenwärtigen Status quo. Es regele die Zuwanderung, sichere den Asylanspruch und stelle einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Integration dar, sagte er und betonte, dass der gefundene Kompromiss von allen wesentlichen Gruppierungen in Deutschland getragen werde. Durch die großzügigen Regelungen für hochqualifizierte Arbeitnehmer habe Deutschland im "Wettbewerb um die besten Köpfe" nun bessere Chancen. Müller verteidigte gleichzeitig die prinzipielle Erhaltung des Anwerbestopps. Angesichts von fast fünf Millionen Arbeitslosen könne man den Arbeitsmarkt nicht vollständig öffnen. Fortschritte gebe es auch im Bereich der Integration. So übernehme der Bund die Kosten für Integrationskurse, was ein fairer Kompromiss sei - schließlich trügen die Länder die Hauptlast der Integration, erklärte der Ministerpräsident. Bei aller Zufriedenheit über die gefunden Lösung gäbe es dennoch ergänzenden Diskussionsbedarf - beispielsweise in Fragen der Sicherheitshaft, des Kindernachzuges und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Auch der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber (SPD) gab sich mit dem gefunden Kompromiss zufrieden. Er trage der stärkeren Integration von Ausländern ebenso Rechung wie den Interessen von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung im Bezug auf hochqualifizierte Arbeitskräfte. Darüber hinaus würden die humanitären Standards sowie die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung der Bundesrepublik berücksichtigt und verbessert. Sehe man sich die Historie des Gesetzentwurfes an, so müsse man feststellen, dass die Politik gerade noch einmal die Kurve gekriegt habe, schätzt Zuber selbstkritisch ein. Zwischenzeitlich wurde in der Öffentlichkeit bezweifelt, ob die Politik überhaupt noch handlungsfähig sei. Letztlich habe jedoch die Vernunft über parteipolitische Überlegungen gesiegt. Auf diesem Wege müsse man nun weiter gehen, so Zuber, um sich das Vertrauen der Menschen für die noch anstehenden Reformen zu erhalten.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erinnerte an die Tumulte im März vor zwei Jahren. Damals sei es fast zum Bruch der Regierungskoalition in seinem Land gekommen. In der Rückschau sei es nicht zu erklären, warum man lange nicht zu einer Lösung finden konnte. Viele der Argumente, die sich nun durchgesetzt hätten, seien auch damals schon in der Diskussion gewesen. Sowohl die Verhinderung der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt als auch die gerechte Verteilung der Integrationskosten seien schon früher die Ziele der Union gewesen. Das Gesetz gewähre auch Schutz vor nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung im Rahmen der EU-Rechtlinien. Wer wirklich verfolgt werde, so Schönbohm, solle auch geschützt werden. Der Innenminister lobte die Bundesregierung für ihr Entgegenkommen in Sicherheitsfragen. Dass sich schließlich auf beiden Seiten die Vernunft durchgesetzt habe, sei gut für Deutschland, befand er abschließend.
Das neue Zuwanderungsgesetz setze ein Zeichen für Liberalität, Weltoffenheit und Integrationsbereitschaft in Deutschland, sagte die baden-württembergische Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP), die von einem "Meilenstein" sprach, auch wenn sie sich einige weitergehende Regelungen gewünscht hätte. Mit dem Gesetz nehme man endlich Abschied von der "Lebenslüge", Deutschland sei kein Einwanderungsland. Es sei eine Tatsache, dass in Deutschland schon lange Menschen aus unterschiedlichen Nationen, mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Religionen miteinander lebten und arbeiteten. Diese Zuwanderer seien längst fester Bestandteil der Bevölkerung. Die politisch Verantwortlichen müssten nun für das Gesetz werben, Vorurteile widerlegen und Zusammenhänge von Zuwanderung und Integration erläutern, damit in der Bevölkerung eine größtmögliche Akzeptanz erreicht werde, forderte sie.
Der bestens gelaunte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) freute sich, nach langer Reise endlich ans Ziel gelangt zu sein. Das Gesetz sei ein wichtiger Schritt für Deutschland auf dem Weg in eine globalisierte Welt und stelle eine "historische Zäsur dar", sagte er. Einwanderung sei nun entlang der wirtschaftlichen Interessen Deutschland möglich, aber auch im Interesse der Verbindung der Völker nötig, so Schily. Zugleich wies er Kritik der Wirtschaft zurück, die Regelungen zur Arbeitsmigration seien unzureichend. Bei über vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland müsse die Wirtschaft schon konkret sagen, in welchen Branchen es einen Arbeitskräftemangel gebe, der nicht von inländischen Erwerbslosen gedeckt werden könne, sagte er.
Die fast unendliche Geschichte
Über ein Zuwanderungsgesetz wird in Deutschland
seit Jahren heftig gestritten.
23. Februar 2000: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) löst mit seinem Vorschlag einer Green Card für ausländische Computer-Spezialisten die Diskussion über eine geregelte Zuwanderung aus.
12. Juli 2000: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) beruft eine Zuwanderungskommission, die unter Vorsitz von Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) Lösungsvorschläge für eine neue Ausländer- und Zuwanderungspolitik erarbeiten soll.
4. Juli 2001: Die Süssmuth-Kommission legt ihren Bericht vor. Alle Experten kommen zu dem Schluss, dass Deutschland für den Arbeitsmarkt, aber auch wegen der Überalterung der Gesellschaft Zuwanderung braucht.
7. November 2001: Das Bundeskabinett beschließt den Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz. Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und humanitäre Organisationen sind dafür - CDU und CSU lehnen ihn ab.
1. März 2002: Der Bundestag verabschiedet das Gesetz mit der rot-grünen Mehrheit.
22. März 2002: Eklat im Bundesrat: Nach einem gegensätzlichen Votum zweier Landesminister aus Brandenburg wertet Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) das Ja von Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) als Zustimmung des Landes. Die Union protestiert lautstark.
20. Juni 2002: Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnet das Zuwanderungsgesetz. Seine Unterschrift verbindet er mit einer scharfen Rüge an die Parteien, die mit ihrem Streit dem Ansehen von Staat und Politik geschadet hätten.
18. Dezember 2002: Das Bundesverfassungsgericht stoppt das Gesetz wegen der für ungültig erachteten Abstimmung im Bundesrat.
9. Mai 2003: Der Bundestag verabschiedet erneut mit der Mehrheit von SPD und Grünen bei Enthaltung der FDP das Zuwanderungsgesetz.
20. Juni 2003: Der Bundesrat lehnt mit seiner Unionsmehrheit das Zuwanderungsgesetz ab.
2. Juli 2003: Die Bundesregierung ruft den Vermittlungsausschuss an.
1. Mai 2004: In ihrer zwölften Sitzung erreicht die Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses keinen Grundkonsens. Nach 17-stündigen, vom Scheitern bedrohten Verhandlungen gehen die 20 Unterhändler ohne einen neuen Termin auseinander. In den vorausgehenden Verhandlungen war die Regierung der Union entgegen gekommen und hatte wichtige Teile des Gesetzes wie die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nach einem Punkteverfahren gestrichen. Die Grünen wollen mit der Union nicht mehr weiter verhandeln.
25. Mai 2004: Bei einem Sondierungsgespräch mit den Vorsitzenden aller Parteien gelingt Bundeskanzler Gerhard Schröder der Durchbruch. Der All-Parteien-Kompromiss soll von Innenminister Otto Schily, seinem bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU) und Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) in einen Gesetzestext gebracht werden.
17. Juni 2004: Die Dreier-Gruppe einigt sich.
1. Juli 2004: Der Bundestag verabschiedet den Zuwanderungskompromiss mit großer Mehrheit.
9. Juli 2004: Der Bundesrat stimmt ebenfalls zu.
Chronik: dpa