Jeder hat sie schon gehört und gelesen, die faszinierenden Zahlen von der Sonne. Alljährlich liefert der Himmelskörper der Erde eine Energiemenge, die den globalen Energieverbrauch 7.000-fach decken könnte. Doch was soll uns diese Zahl sagen? Sie ist reine Theorie, nicht wirklich nutzbar, sagen Kritiker - und legen das Thema beiseite. Zugegeben: Die realistischen Nutzungsmöglichkeiten sind erheblich geringer als die theoretischen Potenziale - enorm sind sie gleichwohl.
Bleiben wir bei der Sonne. Bleiben wir in den gemäßigten Klimaten, wo uns die Sonne sehr ordentlich, aber eben nicht allzu übertrieben mit Energie versorgt. Bleiben wir in Deutschland: Rund 1.000 Kilowattstunden jährlich liefert die Sonne pro Quadratmeter - das ist immerhin so viel Energie, wie in 100 Litern Öl steckt. Nun will man natürlich nicht das ganze Land mit Solaranlagen überziehen. Aber das ist auch gar nicht nötig. Denn alleine auf geeigneten Dach- und Fassadenflächen bestehender Gebäude in Deutschland lassen sich nach Erhebungen des Bundesumweltministeriums (BMU) Module mit zusammen 115.000 Megawatt installieren. Diese würden einen jährlichen Stromertrag von 105 Milliarden Kilowattstunden erzielen und damit fast 20 Prozent des nationalen Strombedarfs decken.
Noch größer ist das Potenzial der Solarthermie - also der solaren Wärmegewinnung -, weil hier die Ausbeute der Anlagen größer ist. 290 Milliarden Kilowattstunden jährlich ließen sich von den deutschen Dächern gewinnen, womit der Wärmebedarf des Landes sich zu fast einem Fünftel decken ließe. Doch die Sonnenenergie läßt sich auch in anderer Form nutzen - schließlich beziehen alle erneuerbaren Energien (mit Ausnahme der Geothermie) ihre Energie letztendlich von der Sonne.
Am traditionsreichsten ist die Wasserkraft, deren Angebot auf der Erde allerdings sehr unterschiedlich verteilt ist. Fast die Hälfte des theoretischen Potenzials entfällt auf Asien, jeweils etwa 15 Prozent auf Nord- und Mittelamerika einerseits und Südamerika andererseits. Afrika macht zehn Prozent aus, Europa etwa acht. In Asien sind China, Indien, Russland und Indonesien die Länder mit dem höchsten Aufkommen an Wasserkräften, in Südamerika führt Brasilien, in Europa liegt Norwegen vorn. Von den wirtschaftlich nutzbaren Wasserkräften sind in Europa heute 75 Prozent erschlossen. In Asien sind es erst 22 Prozent, in Südamerika 20 und in Afrika sieben Prozent. Entsprechend ist der Ausbau der Wasserkraft für den internationalen Klimaschutz ein wichtiges Thema.
Auch in Europa gibt es noch Potenziale. Bis 2010 könnten in der EU bis zu 4.500 Megawatt zusätzlicher Kleinwasserkraftwerke bis jeweils maximal zehn Megawatt installiert werden, ermittelte der französische Wasserkraftverband. Zusammen mit den bereits in der Union installierten 6.900 Megawatt könnten binnen weniger Jahre Kleinwasserkraftwerke im Äquivalent von zwölf Atomreaktorblöcken am Netz sein.
Im Vergleich zur bereits installierten Menge sind die Ausbaupotenziale in Deutschland allerdings überschaubar. Durch Modernisierung und Erweiterung bestehender Anlagen ließen sich noch Mehrerträge von jährlich etwa 1,5 Milliarden Kilowattstunden gewinnen. Durch Neubauprojekte könnten nochmals bis zu fünf Milliarden hinzukommen. Doch mehr als gut 25 Milliarden Kilowattstunden in einem durchschnittlichen Regenjahr sind in Deutschland nicht zu holen.
Dagegen ist vom Wind mehr zu erwarten. Im Jahr 2004 wird der Windstrom in Deutschland erstmals in der Stromgeschichte die Wasserkraft überflügeln. Die Wasserkraft wird damit ihre Führungsposition unter den erneuerbaren Energien auf Dauer abgeben - zumal, weil die Windkraft mit Offshore-Anlagen in den kommenden Jahren in eine neue Größenordnung vordringt. Auf 55 Milliarden Kilowattstunden jährlich lässt sich in Deutschland das Windpotenzial an Land beziffern, entsprechend einer Ausbauleistung von 25.000 Megawatt. Derzeit sind etwa 15.000 Megawatt Windkraft in Deutschland am Netz. 30.000 Megawatt sollen bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts zusätzlich in den deutschen Meeresgebieten errichtet werden. Aufgrund der stärkeren und konstanteren Winde werden die Offshore-Anlagen im Jahr sogar 110 Milliarden Kilowattstunden ins Netz einspeisen können - 20 Prozent des heutigen Strombedarfs. Zusammen mit den Anlagen an Land wird der Wind so 30 Prozent der Stromnachfrage befriedigen können.
Als wetterunabhängiges Element im regenerativen Energiemix kommt die Biomasse hinzu. Sie besticht zudem durch die große Vielfalt der Rohstoffe, und das breite Spektrum der Anwendungsgebiete - von der Stromerzeugung über Wärme bis zum Treibstoff. Entsprechend groß sind die Potenziale in den unterschiedlichsten Teilen der Erde. Die traditionellste Form der Nutzung von Biomasse ist die Verbrennung von Holz. Während in vielen Ländern der Erde bis heute Stückholz genutzt wird, beginnt in den Industrieländern eine Renaissance des Brennstoffs auf Basis automatisierter Feuerungen. In Form von daumengroßen Holzhackschnitzeln oder Pellets in Pillengröße wird der Brennstoff heute in großen Heizwerken ebenso eingesetzt wie in kleinen Wohnzimmerheizungen.
Zu den bekannteren Formen der Bioenergie zählen Pflanzenöle, speziell Rapsöl. Dieses wird als naturbelassenes Öl oder als chemisch veränderter Biodiesel bevorzugt für Fahrzeugmotoren verwendet. In Deutschland gibt es zudem Forschungsprojekte, die "Designerkraftstoffe" verfolgen, also Treibstoffe, die durch Vergasung aus Holz gewonnen und dann verflüssigt werden. Auf 60 Milliarden Kilowattstunden, entsprechend etwa sechs Milliarden Liter Treibstoff, beläuft sich das Biosprit-Potenzial in Deutschland.
Des Weiteren ist die Vergärung von Biomasse und die damit verbundene Erzeugung von Biogas ein großes Thema. Gerade Gülle und Fäkalien aus der Tierhaltung bieten sich hierfür an. Die Exkremente werden in einem Tank unter Ausschluss von Sauerstoff ("anaerob") vergoren. Dieser bakterielle Prozess erzeugt ein Gas, das zu rund 60 Prozent brennbares Methan enthält. So können Kleinkraftwerke betrieben und Strom und Wärme gewonnen werden. Setzt man auch Bioabfälle aus der Lebensmittelverarbeitung oder nachwachsende Rohstoffe (zum Beispiel Grasschnitt) zu, so kann der Ertrag deutlich gesteigert werden.
Dennoch wird Biomasse international noch wenig genutzt. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) lag der Anteil der Biomasse am weltweiten Primärenergieverbrauch zuletzt bei elf Prozent - mit allerdings leicht steigender Tendenz. In der EU decken Bioenergieträger gerade etwa 3,5 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte der Anteil deutlich höher liegen. Denn die Kosten einer Kilowattstunde Strom aus Biomasse liegen nach Angaben der IEA etwa in gleicher Höhe, wie bei Erzeugung mittels Kleinwasserkraft. Und Wärme aus Biomasse ist auch im Wettbewerb mit den fossilen Energien längst wettbewerbsfähig.
Schwierig abzuschätzen ist aufgrund der Vielfalt unterdessen das weltweit nutzbare Biomasse-Potenzial. Die IEA zitiert verschiedene Studien, deren Spektrum von neun bis über 360 Billionen Kilowattstunden jährlich reicht. Nimmt man nun einen mittleren Wert als realistisch an, könnte - theoretisch - der derzeitige Weltenergieverbrauch von gut 110 Billionen Kilowattstunden komplett durch (nachhaltig gewonnene) Biomasse gedeckt werden. Auf Deutschland bezogen geht das BMU von einem jährlichen Potenzial von 60 Milliarden Kilowattstunden und bei der Wärmegewinnung von 200 Milliarden Kilowattstunden aus. Das entspricht einem Anteil von etwa zehn Prozent beim Strom und 15 Prozent bei der Wärme.
Zunehmend kommt auch die Erdwärme in die Diskussion. Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern im November 2003 das erste Geothermie-Kraftwerk Deutschlands ans Netz ging, gewinnt das Thema an Bedeutung. Vor allem im nördlichen Oberrheingraben im Gebiet Karlsruhe - Landau - Speyer sind einige Projekte geplant. Nach Schätzungen des BMU lassen sich in Deutschland jährlich 200 Milliarden Kilowattstunden Strom mittels Erdwärme erzeugen; das wäre ein Drittel des derzeitigen Verbrauchs.
Unterdessen gibt es nur eine erneuerbare Energie, die in Deutschland kaum eine Rolle spielen wird: die Meeresenergie. Darunter fallen zum einen Gezeitenkraftwerke, die an den Küsten sehr spezielle Voraussetzungen benötigen. Sie kommen für Deutschland nicht in Frage und sind auch weltweit auf wenige potenzielle Standorte beschränkt.
In größerer Zahl sind hingegen in den Weltmeeren Standorte zu finden, an denen ein Sekundäreffekt der Gezeiten genutzt werden kann: die Meeresströmung. Die erste Meeresströmungsturbine der Welt ist im vergangenen Jahr vor der Küste der englischen Grafschaft Devon in Betrieb gegangen. Die Anlage sieht aus wie ein Windrad unter Wasser. Aber auch diese Technik kommt für deutsche Meere nicht in Frage, da die Bedingungen nicht gegeben sind: Sie benötigt Wassertiefen von 15 bis 20 Metern, bei gleichzeitiger Fließgeschwindigkeit von zwei bis drei Metern pro Sekunde. Großbritannien könnte aber zehn bis 20 Prozent seines Strombedarfs mit der Meeresströmung decken.
Das größte Potenzial unter den maritimen Energien hat die Wellenkraft. Eine Studie der MVV Consulting (eine Tochter des Mannheimer Energieversorgers MVV Energie AG) ergab, dass in Irland und Großbritannien 30 Prozent des Strombedarfes mit küstennaher Wellenkraft gedeckt werden können. In Europa insgesamt liege das Potenzial der ökonomisch nutzbaren Wellenkraft bei 120 Terawattstunden jährlich, entsprechend etwa fünf Prozent des Stromverbrauchs.