Die Tragödie von Weimar
Auch der Reichspräsident der Weimarer Republik (1919–33) wurde unmittelbar vom Volk gewählt, und zwar auf sieben Jahre. Er hatte ebenfalls weitreichende Befugnisse und eine vom Reichstag, dem Parlament der Weimarer Republik, unabhängige Stellung. Zwar war der Reichskanzler als Regierungschef ebenso wie jeder seiner Minister dem Reichstag gegenüber verantwortlich. Jeder von ihnen musste zurücktreten, wenn ihm der Reichstag das Vertrauen entzog. Doch wurde der Kanzler nicht, wie in der Bundesrepublik Deutschland, vom Parlament gewählt, sondern vom Reichspräsidenten eingesetzt, der ihn notfalls auch ohne Rücksicht auf das Parlament ernennen und entlassen konnte. Auch besaß der Reichspräsident das nahezu unbeschränkte Recht, den Reichstag aufzulösen. Und schließlich räumte ihm der Artikel 48 der Reichsverfassung bei Notständen beinahe diktatorische Befugnisse ein. So bestand also ein zweigleisiges System, ein Nebeneinander einer Parlaments- und einer Präsidialdemokratie. Doch damit fuhr die Weimarer Republik ausgesprochen schlecht:
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Da dem Reichstag nicht die Pflicht auferlegt war, immer für eine funktionierende Regierung zu sorgen, ging die Initiative dafür immer mehr auf den Reichspräsidenten über. Unfähig zu einem Parteienkompromiss und zur Bildung stabiler Koalitionen, dem Sturm der Wirtschaftskrise und dem Anwachsen rechts- und linksextremer Massenbewegungen ausgesetzt, verlor das Parlament seine Handlungsfähigkeit. So fiel dem Reichspräsidenten das Gesetz des Handelns zu, bis er es ganz an sich zog und ohne Zutun des Parlaments von sich aus den Reichskanzler bestimmte, der mit Hilfe von Notverordnungen des Präsidenten unter Ausschluss des Parlaments regierte.
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Die Berechtigung dazu leitete das verfassungsrechtlich ohnehin starke Staatsoberhaupt aus der Volkswahl her. Dabei wirkte sich die direkte Volkswahl insofern als Nachteil aus, als sich bei ihr nicht nur nüchterne politische Erwägungen, sondern auch starke gefühlsbetonte Motive geltend machten, die dazu beitrugen, dass nach dem Tod des ersten, noch vom Reichstag gewählten Reichspräsidenten Friedrich Ebert mit der Wahl des Feldmarschalls von Hindenburg eine fast legendäre, aber stark überschätzte Persönlichkeit und ein Anhänger des vergangenen monarchischen Systems an die Macht kam. Dieser bemühte sich zwar, sein Amt verfassungstreu auszuüben. Doch ließ er sich schließlich unter dem Einfluss konservativ-reaktionärer Kräfte dazu bewegen, Adolf Hitler, den Führer der national-sozialistischen Massenbewegung, zum Reichskanzler zu ernennen. Dieser nutzte vom ersten Tag an alle Möglichkeiten, um eine totalitäre Diktatur zu errichten.